Oda und die kuriose Kompliziertheit passender Werbung für Lebensmittel-Lieferdienste

Oda und die kuriose Kompliziertheit passender Werbung für Lebensmittel-Lieferdienste

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Mit „Augenzwinker“-Werbung will Liefer-Neuling Oda Berliner Kund:innen davon überzeugen, dass der Online-Einkauf stressfreier sein kann als der im Laden. Dabei dürften das die meisten längst wissen. Warum tun sich viele E-Food-Anbieter so schwer damit, ganz konkrete Vorteile zu erklären?

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Seit zwei Monaten liefert der norwegische Lieferdienst Oda erstmals auch in Deutschland Lebensmittel an Kund:innen aus (siehe Supermarktblog) und macht seine Sache – subjektiv betrachtet – bislang ganz gut: Bestellungen sind auch kurzfristig abends für den nächsten Tag möglich, das Sortiment hat immer noch ein paar kuriose Lücken, ist aber auf 9.000 Artikel gewachsen, meine Einkäufe waren bislang allesamt komplett (keine Selbstverständlichkeit), Reklamationen per Chat gehen fix und insbesondere bei frischem Obst und Gemüse punktet Oda weiter mit sehr guter Auswahl und fairen Preisen.

Einzig beim Lieferkostenmodell gab es anfänglich Durcheinander: Das in der Testphase abgegebene Versprechen, Bestellungen über 89 Euro seien „immer kostenlos“, ist wieder einkassiert worden. Wer kostenlos im Zwei-Stunden-Zeitfenster beliefert werden will, muss jetzt für mindestens 99 Euro bestellen.

Gleichzeitig hat Oda aber auch keines der in einer Kund:innenumfrage zur Wahl gestellten Modelle (siehe Supermarktblog) in der angekündigten Form umgesetzt.

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Derzeit gilt (in Berlin sowie im Brandenburger Umland, wohin man inzwischen ebenfalls liefert): Sämtliche buchbaren Zwei-Stunden-Lieferzeitfenster kosten regulär 2,99 Euro, alle Fünf-Stunden-Zeitfenster (die kurz vorher eingegrenzt werden) sind kostenlos, das eine Vier-Stunden-Zeitfenster am Abend ebenso. Das ist relativ einfach zu merken, fair – und entspricht fast genau dem Modell, das Konkurrent Rewe für seinen Lieferservice in Berlin derzeit nutzt.

Schreiendes Kind … oder Oda?

Nach zweimonatigem Betrieb fühlt man sich bei Oda jetzt außerdem soweit, neue Kund:innen anzusprechen: In der vergangenen Woche startete die erste Plakatkampagne. Und die ist, was sich bereits abgezeichnet hatte, leider längst nichts so clever wie sie sein müsste.

Zumindest sieht man den Motiven an, dass sie 1. von Leuten entworfen wurden, die nicht all zu viel Lust (oder Spielraum) hatten, über die gängigen Klischees rund um den klassischen Supermarkteinkauf hinauszudenken, und 2. für eine Zielgruppe gemacht sind, die es so zumindest im Lieferdienst-umworbenen Berlin vielleicht gar nicht mehr gibt.

Im Mittelpunkt der Plakate, die von der Hamburger Agentur +Knauss (Agenturen heißen halt immer albern) kommen, stehen:

  • Leute, die in einer ewig langen Schlange an der Kasse warten,
  • ein schreiendes Kind im Einkaufswagen
  • und ein Typ, der schwer mit Tüten bepackt den Großeinkauf nachhause ächzt.

Die Alternativempfehlung dazu lautet: „… oder Oda“, über bzw. neben der Abbildung einer Oda-typischen Einkaufskiste mit Logo. Sonst nix. (Auf den Citylight-Postern fehlt sogar der Claim „Dein Wocheneinkauf bis an die Tür“.) Und, hey, also nichts gegen inhabergeführte Strategie- und Kreativagenturen mit Fokus auf Markenaufbau in Großunternehmen, aber: Das wäre mir vielleicht auch gerade noch so eingefallen. Außer halt, dass es gute Gründe dagegen gibt.

Wen soll das ansprechen?

Ich erklär das gerne:

Das eigentliche Problem dieser Kampagne mit dem „Augenzwinkern und einer guten Prise Humor“ ist eines, das viele Kampagnen für Lebensmittel-Lieferdienste in den vergangenen Jahren hatten oder haben: Sie wollen ganz unbedingt Aufmerksamkeit durch Witzigsein erzeugen und greifen dabei viel zu kurz.

Fraglich ist zudem, wen Oda mit den Motiven ansprechen möchte: Alle Kund:innen, die schon mal irgendwo online Lebensmittel bestellt haben und das weiter tun, kennen die in der Kampagne in Szene gesetzten Argumente vermutlich schon. Wenn sie bislang noch nicht aus Neugierde bei Oda bestellt haben, wird ihnen nicht erklärt, warum sie das nachholen sollten, wenn sie bei ihrem bisherigen Anbieter eigentlich zufrieden sind.

Wer keine Lust auf Schleppen hat, kennt in Berlin wahrscheinlich schon die Lieferservices von Rewe, Bringmeister, Amazon Fresh, Flaschenpost, Gorillas, Getir, Flink und Alnatura; Foto: Smb

Alle Kund:innen, die dem Lebensmittel-Online-Einkauf bislang skeptisch gegenüberstanden, oder während Corona schon mal bestellt haben und wieder in den normalen Laden zurückgekehrt sind, werden genauso wenig mitgenommen: weil die Kampagne deren (möglicherweise generellen) Bedenken oder Erfahrungen nichts entgegenzusetzen weiß.

Viele Konsument:innen sind nach wie vor skeptisch, ob Liefer-Lebensmittel wirklich genauso frisch sind wie die, die sie im Laden selbst aussuchen können; andere wollen für die Bequemlichkeit nicht deutlich mehr Geld ausgeben als im normalen Supermarkt, vor allem nicht jetzt, wo Lebensmittel ohnehin so viel teurer geworden sind.

Werbung mit den Unzulänglichkeiten der anderen

Der Ansatz, für den Oda sich entschieden hat, ignoriert all das: Die Kampagne setzt die Unzulänglichkeiten des stationären Handels groß in Szene, anstatt die Vorteile des Liefermodells zu betonen.

Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, genau das zu tun:

Die Norweger:innen hätten erklären können, dass bei Oda jede:r das findet, was er bzw. sie braucht: Günstig und Bio, dank der Eigenmarken von Jeden Tag und Bio Company. Oder: Nutella und Regional, dank etablierter Marken und Partnern aus der Region.

Man hätte versprechen können: Unser Obst und Gemüse hält länger frisch, weil es keinen Umweg über den Supermarkt nehmen muss, sondern aus dem Lager direkt nachause kommt.

Oder dass Oda sich anstrengt, den Liefereinkauf genau so oder ähnlich teuer wie im Laden zu machen. (Mindestens müsste man sich aber in irgendeiner anderen Form preislich positionieren, um Kund:innen ein Gespür dafür zu geben, was sie erwartet.)

Herrjeh, selbst die Bedienfreundlichkeit des Angebots wäre ein tolles Argument gewesen: eine App, mit der die ganze Familie die Woche über den Warenkorb befüllen kann. (Und nachher kommt eine SMS mit der eingegrenzten Lieferzeit an alle, damit jemand zuhause sein kann.)

Kampagne mit Motiv-Recycling

Das müssen sich potenzielle Kund:innen derzeit leider selbst erarbeiten, und nee: daran ändert auch das eine aus der genannten Reihe fallende Motiv nix, auf dem es heißt:

„Wie einkaufen gehen, nur ohne ‚gehen‘.“

Das ist der Vorteil von Oda, den man gerne in der ganzen Stadt auf Plakate drucken möchte? Und selbst wenn: Gilt das nicht auch für alle Wettbewerber?

Ich würde ja sagen: Was für eine sensationelle Verschwendung von Ressourcen! Aber genau das ist die Kampagne nicht, weil dafür laut Pressemitteilung u.a. „existierendes Material (…) aus Odas norwegischen und finnischen Märkten“ zum Einsatz kommt, sprich: für den deutschen Auftritt recycelt wurde. Was einerseits natürlich toll ist, um nicht zu viele neue Denkzellen zu verbrauchen. Aber auch kein gutes Zeichen für die die strategische Planung, wenn Oda tatsächlich glaubt, so unterschiedliche Märkte wie die skandinavischen und den deutschen auf dieselbe Weise knacken zu können.

Die Grenzen der Kernkompetenzen

Oda tut schlicht so, als sei man der erste Lebensmittel-Lieferdienst im Markt, obwohl alle, die das wollen, sich in Berlin bislang bereits von Rewe, Bringmeister, Amazon Fresh, Flaschenpost, Gorillas, Getir, Flink und Alnatura Einkäufe liefern lassen können. Wer da glaubt, er müsse noch erklären, dass das bequemer sein kann als Schlangestehen im Laden, der hat echt nix verstanden. Was vor allem deshalb schade ist, weil der Service eigentlich super funktioniert.

(Vielleicht ist man aber auch damit ausgelastet, dem eignen Growth Director Bullshit-Formulierungen in den Mund zu legen wie die, dass die Kampagne „Odas warmes, skandinavisches Markenfeeling eindringlich vermittelt, aber trotzdem deutlich in der deutschen Lebenswelt verortet ist”.)

Immerhin passt es in die schöne Tradition, dass Lebensmittel-Lieferdienste sich hierzulande generell erstmal schwer damit tun, in der Werbung ihre Kernkompetenzen darzustellen – sieht man mal von Flink ab, das nach der Wahnvorstellung, Wocheneinkaufsdestination sein zu können (siehe Supermarktblog), inzwischen wieder dazu zurückgekehrt ist, die schnelle Lieferung sofort benötigter Alltagsprodukte in den Vordergrund zu stellen.

Flink wirbt inzwischen wieder wie zu Beginn; Foto: Smb

Hoffentlich langer Atem

Gorillas und Getir werben derzeit scheinbar gar nicht mehr, und die Mailings an Bestandskund:innen sind bei ersterem eine rätselhafte 180-Grad-Kehrtwende vom bisherigen Hipster-Gepose in die absolute Rollkragenspießigkeit.

Oda muss nun darauf hoffen, dass sich noch genügend Leute von den „nervenaufreibende Situationen im Supermarkt“ geärgert fühlen, um sich zusammenzureimen, wie Oda das besser hinkriegen können will, wenn man das schon nicht selbst verraten mag.

Hoffentlich hat man in Oslo dafür einen langen Atem eingeplant. Sonst stellt sich schneller als gedacht die Frage, wer hier den Kürzeren zieht: der Supermarkt, den alle kennen – … oder Oda.

Im Exchanges-Podcast haben Jochen Krisch und Marcel Weiß kürzlich äußerst hörenswert die Vor- und Nachteile der Oda-Positionierung in Deutschland abgewogen.

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10 Kommentare
  • Es gibt noch andere Städte in Deutschland!
    Ein weiterer Dienst, bei dem ich nicht bestellen werde. Es erschließt sich mir nicht, warum es attraktiver erscheint in einem Markt zu starten, wo es schon zahlreiche Konkurrenten gibt. In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover hingegen gibt es die allermeisten Dienste gar nicht. Schade.

    • Geteiltes Leid. Wenn ich dann doch mal neugierig wurde und eines der angepriesenen Lieferdienste testen wollte, hat man mich ständig auf den St. Nimmerleinstag vertröstet. Selbst der aus den Niederlanden stammende Dienst (Name entfallen) hätte doch mal längst Köln erobern können, aber scheinbar tummeln die sich alle in der kaputten Stadt Berlin.

  • Insbesondere die Farbgebung von Flink erinnert mich jedes Mal an Adler Mode, aber wer Adler Mode kennt, fällt wohl ohnehin aus der Zielgruppe für Cola-Sofortlieferungen.

    • Kann ja sein, dass ich der hipsten Boulevardmoderatorinnenmodemarke OAT extrem Unrecht tue, aber ich hoffe immer noch, dass sich die Zielgruppe derer, die wirklich meinen, sich von anderen Menschen eine einzelne Glasflasche Limo an die Couch strampeln lassen zu müssen, auf eine Minderheit beschränkt. die möglichst bald aussterben wird. (Oder anders gesagt: Wer so um mich würbe, könnte mir gepflegt geflinkt bleiben.)

  • Hey Oda, eure Stärken sind Vielfalt und Zuverlässigkeit! =) In Deutschland nervt vor allem das 4er Oligopol und deren immer langweiligeres Sortiment. Baut eure Auswahl weiter aus (Anregungen gerne bei Bringmeister u. Flaschenpost und im Convenience Bereich von Rewe mopsen, Frische is King ;p) und haltet die Prozessqualität weiter genau so hoch. Mit 5€ Reklamation auf 900€ Umsatz und 10/10 pünktlich geliefert seid ihr Bestleistung! (muss sich nur noch rumsprechen)

  • Also, ich möchte Ihre Ideen ja nicht schlechtreden, Herr Schader. Aber so „leicht“, wie Sie es darstellen, scheint es eben doch nicht zu sein, „andere“ Werbung zu machen.

    „Hier findet jeder, was er braucht“ – ähm… „Einmal hin, alles drin“? Und bitte: Günstig UND Bio oder Marke UND Eigenmarke wirbt doch nun wirklich jeder Supermarkt.

    „Obst und Gemüse hält länger frisch“ – meine Mama ist entsetzt, dass Sie so schamlos lügen wollen. Ob Laden oder Lager macht nun echt qualitativ keinen Unterschied. Ob der Fahrradkurier meine Tomaten zerdrückt oder ich selbst, auch nicht.

    „Genauso teuer“ stimmt zwar vielleicht ab 99 Euro. Aber sonst Liefergebühren, also teurer (ey, die Summe erreiche ich nichtmal beim Wocheneinkauf).

    Nennen wir das Kind doch mal beim Namen: Er ist eben weder einfacher, noch billiger oder besser, online zu bestellen. Es gibt für den normalen Menschen in der Stadt keinen guten Grund (und bitte… nicht die dreißig Sekunden Warteschlange als Killerargument… so stressig ist niemandes Leben, dass er die Zeit nicht aufbringen kann). Es ist einfach eine Variante, um seinen Hintern nicht bewegen zu müssen.

    „Wir liefern auch an fußkranke Omis, faule Hipster und fette Säcke“ wäre mein Vorschlag.

    Aber zugegeben, ist nicht ganz so hygge, wie die sich offensichtlich selbst sehen.

    • Wenn Ihre Tomate nicht aus dem Lager nochmal in den Laden geliefert werden muss, wo sie dann rumliegt, bis Sie sie zerdrücken, sondern direkt nachhause, geht das mit der längeren Frische ganz gut. (Es sei denn, Ihr Supermarkt wird direkt vom Feld beliefert, aber dann haben Sie sich evtl. bloß in der Edeka-Werbung von früher verirrt.)

      Und wenn Sie sämtliche Einkäufe selbst nachhause tragen, ohne für den Familien-Wocheneinkauf ÖPNV oder Pkw zu bemühen, dann geht Ihre Negativ-Rechnung auf, aber selbst dann finden es zahlreiche Kund:innen durchaus okay, 3 Euro Liefergebühr dafür zu zahlen, dass sie nicht selbst (im Zweifel mehrfach) in den Laden müssen und alles heimtransportieren (Zeitersparnis + Aufwandersparnis).

      Und es geht ja gerade darum, sich als gleichwertiger Ersatz für den klassischen Supermarkt zu positionieren, um sich etablieren zu können. Also muss man das auch klar machen.

    • „Also, ich möchte Ihre Ideen ja nicht schlechtreden, Herr Schader. Aber so „leicht“, wie Sie es darstellen, scheint es eben doch nicht zu sein, „andere“ Werbung zu machen. “
      Dafür bezahlt man ja extra eine dieser tollen Agenturen. Aber auch hier gibt’s gute und schlechte.

      Wenn ich meine Tomate selbst zerdrücke habe bzw. hatte einen Einfluss drauf, macht’s der Lieferdienst eher nicht. Also hier ein Pro-Tipp: Tomaten und andere empfindliche Dinge zuletzt obendrauf legen.

      „„Genauso teuer“ stimmt zwar vielleicht ab 99 Euro. Aber sonst Liefergebühren, also teurer (ey, die Summe erreiche ich nichtmal beim Wocheneinkauf).“
      Da komme ich beim Wocheneinkauf aber locker drüber. Wer ist denn jetzt repräsentativer?

      „Nennen wir das Kind doch mal beim Namen: Er ist eben weder einfacher, noch billiger oder besser, online zu bestellen. Es gibt für den normalen Menschen in der Stadt keinen guten Grund (und bitte… nicht die dreißig Sekunden Warteschlange als “
      Je nach Webseite kann es sehr viel einfacher sein, es sei denn man sucht „special interests“ oder irgendwelche Gewürze aus Hinterindien. Aber die Basics beim Einkaufen sind schnell im virtuellen Einkaufswagen. Ich erspare mir die Fahrt hin und zurück als auch das vierfache Anfassen der Ware bis ich aus dem Supermarkt bin. Bleibt der finanzielle Vorteile, aber da Zeit = Geld ist relativiert sich das wieder etwas. Beim Wocheneinkauf fiele aj auch die Gebühr weg.

      Aber – und das ist mein größtes Problem: Hier gibts nur REWE und sonst nichts an Lieferdiensten.
      Also freue ich mich über den größten technsichen Fortschritt im Supermarkt hier seit 40 Jahren: Ich kann jetzt per App selbst scannen und auch bezahlen – muss dann aber doch wieder in eine Schlange weil Supermärkte besser abgeschottet sind als ein Knast und es keine Möglichkeit gibt, einfach rauszuspazieren.

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