Auchan, Tesco, Rewe: Die Stolperfallen beim Kassenlos-Einkauf

Auchan, Tesco, Rewe: Die Stolperfallen beim Kassenlos-Einkauf

Foto: Auchan
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Wer Ware falsch zurücklegt, hat sie damit automatisch gekauft? In Polen formuliert Auchan sonderbare Nutzungsbedingungen für den Einkauf mit Pick & Go. Auch bei Tesco läuft in den Testmärkten nicht alles so unkompliziert wie versprochen. Ist die Technologie überhaupt schon bereit für den Massenmarkt?

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Nicht alles in der schönen neuen Gegenwart des Kassenlos-Einkaufs läuft so reibungslos wie es die Erfolgsmeldungen in der Presse suggerieren: Experimentierwillige Lebensmittelhändler denken sich zunehmend Behelfslösungen aus, um bisherige Unzulänglichkeiten der Computer-Vision-Systeme auszugleichen.

Und zwar solche, mit denen sie sich auf lange Sicht bei ihren Kund:innen nicht besonders beliebt machen dürften.

Den erstaunlichsten Weg hat die französische Supermarktkette Auchan gewählt, die vor kurzem in der polnischen Hauptstadt Warschau ihren ersten für die Öffentlichkeit zugänglichen Pick-&-Go-Markt unter dem Namen „Auchan Go“ eröffnet hat. Dafür nutzt Auchan die Technologie von Trigo.

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Zu den Besonderheiten des Ladens gehört, dass Kund:innen keinen Code mehr scannen müssen, um sich für den kassenlosen Einkauf anzumelden. Stattdessen wird einfach eine Kreditkarte oder Debitkarte an den Einlass gehalten, um die Tür zu öffnen.

Einlass ohne App bei Auchan Go in Warschau; Foto [M]: Auchan

Falsch zurückgelegt gilt als gekauft?

Anschließend kann nach Wunsch eingekauft werden, am Auslass muss die genutzte Karte dann nochmal gescannt werden, um die Abrechnung auszulösen. So eliminiert Auchan eine der wesentlichen Hürden zur Nutzung von Pick-&-Go-Konzepten: die vorherige einmalige Registrierung.

Gleichzeitig formuliert Auchan Go erstmals strenge Nutzungsbedingungen gegenüber seinen Kund:innen und verknüpft deren Nichteinhaltung mit konkreten Konsequenzen.

Auf der Website des Markts heißt es u.a., dass Nutzer:innen verpflichtet sind, Produkte wieder an exakt den Ort zurückzulegen, von dem sie ursprünglich entnommen wurden, wenn sie nicht gekauft werden sollen. Wer das versäumt, kriegt den Artikel in Rechnung gestellt, selbst wenn er ihn gar nicht aus dem Laden mitgenommen hat.

Auchan erklärt zudem, dass aus dem Regal entnommene Produkte nicht an fremde Kund:innen weitergegeben werden dürfen, die sich zur gleichen Zeit im Laden aufhalten, weil der Artikel auch dann auf der eigenen Rechnung verbleibt.

Risikoverlagerung auf Kund:innenseite

Gleichzeitig erinnert der Händler daran, dass alle Personen, die mit einer Karte in den Laden kommen, auf dieselbe Rechnung einkaufen werden, und ermahnt, dass nach dem Verlassen des Ladens darauf zu achten ist, die Tür zu schließen – andernfalls würden sämtliche Einkäufe nachfolgend eintretender Personen (vermutlich: ohne eine eigene Karte zu scannen) zu Lasten des bzw. der unachtsamen Vorsitzer:in berechnet.

Das ist ein ziemlich starkes Stück – weil es mögliche Risiken des Computer-Vision-Einkaufs einseitig auf die Seite der Kund:innen verlagert, wenn diese bei ihrem Einkauf, der doch möglichst unkompliziert sein soll, auf diverse Verhaltensregeln zu achten haben.

Das könnte sich aus Sicht von Entwicklern und Supermärkten ziemlich nach hinten losgehen.

Kund:innen werden sich auf Dauer kaum zumuten lassen, schon ein falsches Ablegen von Ware im Laden als erzwungenen Erwerb derselben zu akzeptieren. (Stellen Sie sich bitte kurz vor, Ihnen passierte das in einem normalen Supermarkt, in dem ein:e Mitarbeiter:in heran eilte, um zu behaupten: Sie haben die Cornflakes falsch ins Regal zurückgestellt, die gelten jetzt als gekauft.)

Ein nicht zu unterschätzendes Problem

Mit solchen Androhungen zur Ahndung angeblichen Falschverhaltens wird sich Pick & Go kaum bei einer größeren Zahl regelmäßiger Kund:innen etablieren können.

Ob man sich dem auch bei Rewe bewusst ist, ist unklar: Auf Supermarktblog-Anfrage äußert sich das Handelsunternehmen nicht konkret dazu, ob es für seine deutschen Pick-&-Go-Testmärkte eine Verschärfung der Nutzungsbedingungen plant, z.B. in Hinblick auf zurückgelegte Artikel.

Rewe Pick & Go in Berlin; Foto: Smb

Zwar deutet einiges darauf hin, dass die Kassenlos-Technologie einen Großteil der Einkäufe korrekt abzuwickeln in der Lage ist – aber eben nicht die 100 Prozent, die vermutlich hilfreich wären, Pick & Go in großem Stil auszurollen.

Wie hier im Blog berichtet, hat das Zusammenspiel aus Kameras und Sensoren bisweilen Mühe, ähnliche Artikel voneinander zu unterscheiden, sobald sie ins Regal zurückgelegt werden.

Das ist vor allem für deutsche Supermärkte, die über Jahre daran gearbeitet haben, im Zuge ihrer Plastikvermeidungsstrategie auf unnötige Verpackung von Obst und Gemüse zu verzichten und damit bei Kund:innen zu punkten, ein nicht zu unterschätzendes Problem.

Mit Sonderpreis-Ware bitte auf Mitarbeiter:in warten

Eine weitere Einschränkung hat die – ebenfalls mit Trigo kooperierende – Supermarktkette Tesco in ihren derzeit vier GetGo-Testmärkten sichtbar gemacht: Dort sind Hinweisschilder angebracht, die Kund:innen dazu auffordern, sich an das Marktpersonal zu wenden, wenn sie im Zuge ihres kassenlosen Einkaufs Ware mit herabgesetzten Preisen (z.B. wegen baldigen Erreichens des MHD) erwerben wollen.

Das Personal soll den reduzierten Artikel dann manuell scannen. Wer sich daran nicht hält, „may be overcharged”.

Erster Tesco-GetGo-Markt in London; Foto: Exciting Commerce/Smb

Trigo hat Medien gegenüber erklärt, sein System könne reduzierte Artikel sehr wohl selbstständig erkennen und differenzieren; Tesco scheint aber entweder Gründe zu haben, sich darauf nicht verlassen zu wollen. Oder er hat die entsprechende Funktion noch nicht implementiert.

An anderer Stelle im Laden sind bestimmte Artikel vom Kauf mit Pick & Go sogar explizit ausgeschlossen, haben Kund:innen gesehen.

Nicht für sämtliche Warengruppen?

Diese vielen kleinen Einschränkungen summieren sich zu einem größeren Problem: Zwar mag sich die Computer-Vision-Technologie problemlos auch in bereits existierende Läden integrieren lassen; sie lässt sich aber offensichtlich bislang nicht für sämtliche bei Kund:innen etablierten Warengruppen und Sortimente einsetzen. Oder halt nur, indem Händler dafür strenge Nutzungsregeln formulieren, an die Kund:innen sich halten müssen.

So beeindruckend die Ergebnisse der Einkäufe in vielen Testmärkten auch sein mag: Wenn die Systeme nicht nahezu perfekt arbeiten, dürften sie sich für eine großflächige Marktdurchdringung erstmal disqualifizieren.

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6 Kommentare
  • Die Rücklegeregelung finde ich tatsächlich sehr gut, ist sie doch auch eine hervorragende Erziehungsmaßnahme für diese mir extrem verhassten, rücksichtslosen Nach-mir-die-Sintflut-Menschen, die dann doch nicht gewollte Artikel einfach wild irgendwo in die Regale pfeffern, anstatt sie wieder dahin zurück zu bringen, wo sie sie entnommen haben, wie es selbstverständlich sein sollte. Ich wäre sogar dafür, die Regel noch um einen Strafzuschlag von +50% für (tief-)kühlpflichtige Waren zu erweitern, die irgendwo hin gelegt werden, wo sie auftauen.

    Stolperstein bleiben für mich aber Sortimentseinschränkungen: solange reduzierte Artikel oder gar einzelne Warengruppen ausgeschlossen sind, ist das System tatsächlich noch nicht alltagstauglich.

    • *Vegane Bifi auf den Blogger werf* 😉

      Nein, Spaß. Aber dazu habe ich wohl zu lange selbst im LEH gejobbt, um nicht der festen Überzeugung zu sein, dass versehentliche Fehlablagen maximal einen von hundert Fällen ausmachen und der Rest Mundraub, pure Faulheit, vorsätzliche Böswilligkeit oder überschäumender Egoismus sind.

      Und bevor dieser Einwand kommt: nein, Zeitmangel ist keine Entschuldigung. Wenn einem erst kurz vor Einkaufsende auffällt, dass man zur falschen Salami gegriffen hat, gibt es genau zwei Möglichkeiten: entweder man gibt sie an der Kasse / bei der Kassenaufsicht ab, mit dem Hinweis, dass man sich vergriffen hat, oder man bringt sie eben zurück.

      Alles andere werte ich als offene Verachtung der Mitarbeitenden, die weiß Gott genug zu tun haben, als auch noch hinter König Kunde herzuräumen.

    • Es geht ja nicht nur ums Hinterherräumen.
      Achtlos irgendwo deplatzierte Artikel aus der Kühlung dürfen ja gar nicht mehr weiter verkauft werden, da man dann nicht weiß, wie lange die Kühlkette schon unterbrochen wurde.
      Das kommt dann schon einem Diebstahl gleich.

  • Wer jemals in die Lidl-30%-Kiste seinen ursprünglich geplanten Einkauf AUS VERSEHEN gegen einen 30% reduzierten, gleichen Artikel AUSGETAUSCHT hat und damit einen anderen, gutgläubigen, aber unachtsamen Kunden einen höheren Preis aufgezwungen hat, der bekommt von mir den ersten Steinbruch an den Kopf geworfen.
    Weil ich ihm das nicht glaube, dass das AUS VERSEHEN passiert ist.

  • Older people like myself without a smartphone or credit card, and homeless, refugees, dyslexic, some autistic, recently robbed people, can not use this service. I see it as a kind of discrimination, and store that use this technology will be boycotted by myself, and I assume, a notable percentage of the population.

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