Die Lichter sind aus, die Einlassschranken geschlossen, das Backwarenregal ist in die Ecke verschoben worden. Und der Laden, der als „Service-Verbesserung für täglich rund 80.000 Reisende und Besucher:innen“ geplant war, wirkt, als hätte man ihm sprichwörtlich den Stecker gezogen. Bislang hat sich nicht mal jemand die Mühe gemacht, die verbliebenen Convenience-Artikel rauszuräumen: Gummibärchen, Schokolade und Getränke stehen weiter in den Regalen, an die nun niemand mehr rankommt.

Der 24/7 ServiceStore am Berliner Ostbahnhof hat geschlossen – nicht mal ein Jahr nach seiner Eröffnung Ende Juni 2023, als die Beteiligten sich noch über eine „neue Generation des digitalen Bahnhofs-Shops“ freuten.
In der Eröffnungs-Mitteilung hieß zu dem Minimarkt, in dem Kameras und Sensoren automatisch erkennen sollten, was die – zuvor registrierten und per App eingelassenen – Kund:innen aus den Regalen nahmen:
„In diesem Geschäft für Reisebedarf brauchen Gäste weder ihr Portemonnaie zücken noch an einer Kasse anstehen. So wird das Einkaufen nach dem Prinzip Pick&Go am Bahnhof zu ‚Pick&Ride‘.“
Doch das „zukunftsweisende Konzept“ scheint sich nicht ganz so durchgesetzt haben, wie sich die Deutsche Bahn und ihr für den Betrieb zuständiger Franchisepartner SSP Deutschland das vorgestellt haben.
Ödes Sortiment, aufwändige Registrierung
Dass das Experiment nicht von langer Dauer sein könnte, zeichnete sich bereits nach einem Testbesuch ab: In Kombination mit den hohen Bahnhofspreisen und der Pflichtregistrierung, um überhaupt in den Store zu gelangen, war der gewählte Standort höchst zweifelhaft; gleichzeitig ließ sich die Computer-Vision-Technologie von AiFi erstaunlich leicht in die Irre führen (siehe Supermarktblog).
Dass der Markt nach nicht mal einem Jahr in seiner bisherigen Form schon wieder dichtmacht, ist Signal dafür, wie sehr das Experiment auch aus Sicht der Partner misslungen sein muss.
Auf den Bildschirmen in den Schaufenstern steht nun der Hinweis:
„Wir bauen um! Wir sind in Kürze wieder für dich da und freuen uns auf deinen Besuch. Vielen Dank für dein Verständnis.“


Auf die Frage, wann und wie umgebaut wird, hat sich ein Sprecher der zuständigen Tochter DB InfraGO bis zum Erscheinen dieses Texts nicht geäußert. Online heißt es:
„Wir entwickeln das Konzept unseres 24/7 ServiceStores zur Zeit weiter. Während dieser Zeit bleibt der Store geschlossen. Die Wiedereröffnung findet voraussichtlich im Juni 2024 statt.“
Das wäre allerdings ambitioniert angesichts der Tatsache, dass von entsprechenden Arbeiten bislang am Markt nichts zu sehen ist.
Nach Supermarktblog-Informationen soll es nach dem angekündigten Umbau im Laden auf jeden Fall einen festen, mit Personal besetzten Kassenplatz geben. Bedauerlicherweise lasse „die aktuelle Situation am Berliner Ostbahnhof keinen Store ohne Personal zu“, heißt es vom Kund:innenservice.
Rückbau oder Neuausrichtung?
Unklar ist, ob die Computer-Vision-Technologie komplett zurückgebaut wird oder – was nahe läge – künftig unterstützend zum Einsatz kommt, indem etwa weiterhin erfasst wird, welche Artikel aus den Regalen genommen werden, um sie nachher ohne zu scannen regulär an der Kasse zu bezahlen.
Dieses Verfahren hätte den großen Vorteil, dass Kund:innen sich nicht registrieren müssen, um am Bahnhof schnell ein paar Snacks zu besorgen (ein wirklich erstaunlicher konzeptioneller Denkfehler – vor allem, wenn ein ähnliches Sortiment in unmittelbarer Nähe leichter zugänglich ist), sondern den Laden einfach betreten und anonym dort einkaufen können.
Auf eine Registrierung scheint die Bahn in jedem Fall nicht mehr zu setzen. Die für den Betrieb des 24/7 ServiceStore selbst programmierte Web-App ist inzwischen offline:
„Entschuldigung! Hier ist leider ein Fehler aufgetreten.“
Nicht erfüllte Erwartungen
Ihren ersten 24/7 ServiceStore hatte die Deutsche Bahn im September 2022 komplett geschlossen, ohne am selben Ort mit der Technologie weiter zu experimentieren. (Partner war damals Valora.) Gleichzeitig äußerte man sich weiterhin überzeugt vom Format: Die autonomen Stores seien eine wichtige Ergänzung der Einkaufsmöglichkeiten von morgen.
Zur Eröffnung in Berlin hatte DB InfraGO (ehemals DB Station & Service) erklärt, mit der Digitalisierung werde man „Kund:innen bei ihrem täglichen Einkauf einen echten Nutzen bietet“. SSP Deutschland sagte, man sehe einen „Meilenstein in der Weiterentwicklung des stationären Handels“ und sei „davon überzeugt, dass Konzepte dieser Art eine große Zukunft haben“.
Die Staatssekretärin für Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung in der Senatskanzlei Berlin lobte „ein tolles Beispiel dafür, wie digitaler Fortschritt den Alltag vereinfachen und positive Veränderungen für uns alle herbeiführen kann“. Tatsächlich war angesichts komplizierter Anmeldung, fehlerbehafteter Erfassung und umständlicher Reklamation eher das Gegenteil der Fall.
Nachtrag, 7. Juni: Eine Bahn-Sprecherin erklärt, der Store sei seit dem 29. April geschlossen. „Wir planen unsere Kund:innen im Zuge der Fussball-EM wieder bestmöglich mit unserem Angebot zu versorgen.“ Betreiber bleibt weiterhin SSP Deutschland. Außerdem bestätigt die Sprecherin:
„Die Wiedereröffnung erfolgt mit einem besetzten Kassenplatz. Der kassenlose Einkauf (kameragestützt und mit Web-App) ist nicht mehr möglich.“
Zu den Gründen äußert sich die Bahn nicht, erklärt lediglich: „Die Pilotphase mit kameragestütztem Einkauf und der Web-App ist jetzt abgeschlossen.“ Derzeit erfolge eine „Auswertung“.
Ob die Bahn weiter mit kassenlosen Stores plant, lässt die Sprecherin ebenfalls offen:
„Mit den hohen Frequenzen durch Pendler:innen, Reisende und Besucher:innen bieten Bahnhöfe für autonome Einkaufslösungen ein hohes Potential. Angesichts des Zeitdrucks, dem viele Reisende ausgesetzt sind, ist die dadurch entstehende Zeitersparnis ein Erfolgsfaktor. Auch Lage und Erreichbarkeit sind entscheidend. All diese Erfahrungswerte lassen wir in künftige Standortentscheidungen und etwaige Pilotprojekte einfließen.“
SSP Deutschland sucht derzeit Servicekräfte für den Store, in der Jobbeschreibung werden „Arbeitszeiten von 05:00-20:00 Uhr“ genannt.
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