Alle wollen „lokal“ sein: Hipster-Cafés rösten lokal, Burger-Läden schwören auf regionale Zutaten, Tourist:innen suchen super-authentische Nachbarschaftserlebnisse. Auch der Lebensmitteleinzelhandel hat die Nachbarschaft entdeckt: Supermärkte werben mit regionalen Produkten, Discounter wagen sich an neue Flächen in der Stadt.
So positioniert sich etwa Penny schon sei Jahren als Nachbarschafts-Discounter und belegt Kleinflächen, die Aldi und Lidl lange links liegen ließen.
Die großen Discounter haben aber nachgezogen, zeigen Flexibilität und passen ihre sonst hochstandardisierten Konzepte an schwierige urbane Standorte an.
Aus der Plus-Übernahme hat Netto (ohne Hund) mehrere Kleinststandorte geerbt, die man bislang unter „Netto City“ firmieren lässt – die aber auch zunehmend unter wirtschaftlichem Druck stehen, wenn sie sich nicht in absoluten Top-Lagen befinden, und deshalb geschlossen werden (z.B. im Darmstädter Woogsviertel, wo Netto [ohne Hund] seinen Mietvertrag nicht verlängern wollte, weshalb der Laden nun unter dem Namen „Brutto“ von einem unabhängigen Betreiber weitergeführt wird).

Dazu kommt, dass bislang keiner der Discounter bereit war, ein spezifisches Format zu entwickeln, das explizit für kleinere Nachbarschaftsmärkte geeignet wäre. Anpassung: ja, gerne. Aber möglichst, ohne dabei systematische Komplikationen zu provozieren.
Pragmatisch – aber ohne System
Dabei wächst die Zahl kleinerer Innenstadt-Discounter ebenso zaghaft wie kontinuierlich. Aldi Nord zum Beispiel hat im März 2025 eine Kleinstfiliale direkt im Magdeburger Hauptbahnhof eröffnet, in der sich das komplette Standardsortiment auf 350 Quadratmeter quetscht.
Aldi Süd plant für 2026 eine Bahnhofsfiliale in Frankfurt am Main (760 Quadratmeter Verkaufsfläche) und hat schon 2020 in der Frankfurter City in Römer-Nähe sowie mitten in der Düsseldorfer Altstadt eröffnet:
„Passt die Lage und lassen die Rahmenbedingungen es zu, gehen wir gerne neue Wege, um einen Standort weiterzuentwickeln.“
Die Frankfurter Filiale zeigt relativ gut, was bei geschickter Anpassung möglich ist: eine 830 Quadratmeter Verkaufsfläche in S-Form, die sich um ein 200-Quadratmeter-Lager windet, ist der Albtraum jeder Formatstandardisierung. Aber machbar.
Ein schlauchiger Eingang führt aus der schmalen Fensterfront der inzwischen verkehrsberuhigten Töngesgasse in Main-Nähe tief in den gebogenen Laden hinein, der gewiss keine Schönheit ist. Als Kund:in hat man zudem einiges an Laufwegen hinter sich zu bringen, bevor man alle Sortimente entdeckt.
Obst und Gemüse sind in einer langen Reihe links vor dem Weinregal präsentiert. Um zu den frischen Backwaren zu kommen, muss man ganz ans andere Ende des Ladens laufen. Zu Stoßzeiten stauen sich die Kund:innen am Ausgang – obwohl es auch SB-Kassen gibt.



Kleinflächen als Einzellösungen
Aber für die Nachbarschaft ist der Laden natürlich trotzdem ein Juwel: Der Einkauf für die komplette Woche lässt sich genauso erledigen wie der fürs schnelle Abendessen – zu vernünftigen Preisen mitten in der Stadt, wo rundherum sonst alles eher teuer ist.
Als Gegenentwurf liegt in unmittelbarer Nähe die Kleinmarkthalle, die sich auf lokale Spezialitäten und exotische Produkte an kleinen Marktständen spezialisiert hat. Für den kleinen Wocheneinkauf blättert man dort schnell ein paar Scheine mehr hin. Aber die vermeintliche Konkurrenz ist eigentlich keine – sondern bedient eher Kundschaft mit Zeit und Geld für bewussten Genuss.
Ein echter nachbarschaftlicher Aldi könnte daneben nicht bloß Billigalternative sein, sondern eine Lücke füllen: lokal, aber trotzdem erschwinglich. Nicht in Konkurrenz zur Kleinmarkthalle, sondern als discount-taugliche Ergänzung für alle, die auch regionale Produkte wollen, aber nicht Premium bezahlen können.

Ganz so weit wollte man in der Aldi-Süd-Zentrale aber dann doch nicht denken. Und genau darin liegt das Problem: Jede deutsche Discount-Kleinfläche bleibt bislang eine Einzellösung, anstatt systematisch Erkenntnisse umzusetzen, die sie zum echten Nachbarschafts-Laden machen könnte.
UK entwickelt ein Format – und versteckt es
Anders schien Aldi in Großbritannien vorgehen zu wollen: Dort entwickelte man vor einigen Jahren explizit „Aldi Local“ für kleinere Flächen in der Stadt bzw. am Stadtrand (siehe Supermarktblog). Einer der ersten Aldi Locals eröffnete 2019 im Londoner Stadtteil Balham – auf gerade mal 600 Quadratmetern. Das Konzept verzichtete absichtlich auf Non-Food-Aktionsprodukte, reduzierte das Sortiment von 1.800 auf 1.500 Artikel und setzte auf längere Öffnungszeiten. Funktional clever, aber auch nicht wirklich lokal.
Dennoch scheint man in der britischen Zentrale daran zu glauben – selbst wenn jüngst bekannt wurde, dass einer der bestehenden Aldi Locals in Tooting im September verschwinden wird. Ein Aldi-UK-Sprecher teilt auf Supermarktblog-Anfrage mit:
„Unser Tooting-Store wird im Herbst 2025 schließen, wenn der aktuelle Mietvertrag ausläuft. Unsere geschätzten Kunden können weiterhin in der Nähe ihres Zuhauses in unseren Filialen in Wimbledon, Colliers Wood und Balham einkaufen und sparen.“
Gleichzeitig hat Aldi UK kürzlich in einer Bekanntgabe seiner Expansionspläne explizit auch das Local-Format erwähnt, für das man weitere Standorte suchen wolle. Bei Aldi UK heißt es:
„Es gibt derzeit 14 Aldi Local-Stores, vier weitere sollen dieses Jahr hinzukommen.“

Damit macht das Format zwar nur 1,7 Prozent der über 1.000 Aldi-UK-Filialen aus – aber komplett aufgeben will man es offensichtlich auch nicht. Dafür konzentriert man sich aber bei neuen Local-Standorten eher auf die Londoner Zonen 1 und 2. Dass auf der Aldi-UK-Website nicht mal die bestehenden Local-Stores als solche ausgewiesen sind, ist dennoch ein seltsamer Umgang mit der eigenen Innovation.
Frankfurt zeigt, was möglich wäre
Die Frage ist: Wie könnte Aldi – in Deutschland – ein authentisches Format fürs umliegende Viertel aufsetzen, das mehr leistet, als nur Flächen zu verkleinern?
Die Voraussetzungen dafür sind gar nicht schlecht: Immerhin hat man in der Zentrale den Wert der Lokalisierung an einer Stelle bereits verstanden – und nimmt dafür sogar Discount-untypisch einen erhöhten Aufwand in Kauf: In den Bake-off-Stationen deutscher Aldi-Filialen liegen schließlich schon seit längerer Zeit auch Backwaren lokaler Bäckereien bzw. Bäckereiketten – je nach Standort mit unterschiedlichen Partnerschaften (siehe Supermarktblog).
Drei weitere Schritte könnten Aldi dabei helfen, diesen Weg konsequent weiterzugehen, ohne sich dabei zu weit vom Kernprinzip des Discounts – der Einfachheit – zu verabschieden. Und das Beste daran: Aldi kann sich einfach derselben Strategie bedienen, die man schon zur Gestaltung so mancher Eigenmarke nutzt: einfach bei der Konkurrenz abgucken!
Schritt 1: Das Lokal-Regal 🍫
Hier bedienen: Unter anderem Rewe macht mit explizit gekennzeichneten „Aus deiner Region“-Gondelköpfen bereits regionale Vermarktung – aber meist im größeren Radius.
So besser machen: Aldi konzentriert sich auf echte Nachbarschafts-Produkte aus der unmittelbaren Umgebung. Nicht „regional aus dem Taunus“, sondern „von der Imkerei drei Straßen weiter“. Konkret: der Kaffeeröster vom Nordend-Kiez, der Honig vom Dach der Nachbarschule, die Marmelade vom Wochenmarkt-Stand um die Ecke, der Craft-Beer-Brauer aus der Parallelstraße, originelle Gewürzmischungen vom türkischen Minimarkt gegenüber, Pasta von der italienischen Feinkost-Ecke. Maximum fünf Produkte, dafür hyperlokal und zu Discount-Preisen.
Das Lokal-Regal würde fest installiert, die Partnerschaften wären langfristig angelegt. Keine beliebigen Wechsel, sondern verlässliche Nachbarschafts-Wirtschaft. Aldi behielte die Einkaufsmacht für 99 Prozent des Sortiments und würde einen Mini-Anteil zur Community-Bindung nutzen. Partner könnten in kleineren Mengen liefern, dafür öfter. Aldi würde faire, aber keine Premium-Preise zahlen. Die Kalkulation könnte funktionieren, weil lokale Produzent:innen Lieferkosten sparen, ein ungewöhnliches Schaufenster für ihre Artikel erhalten und Aldi Differenzierung gewinnt.
Schritt 2: Das Nachbarschafts-Brett 2.0 📋
Hier bedienen: Penny hat bereits Nachbarschafts-Bretter in vielen Filialen – aber die wirken teilweise arg aus der Zeit gefallen, sind oft chaotisch und rein analog.
So besser machen: Aldi könnte das systematischer angehen. Kuratierte Auswahl statt Zettel-Chaos, hybride Lösung mit QR-Code zur digitalen Plattform, wo Anzeigen länger sichtbar bleiben. Und aktive Moderation durch Mitarbeiter:innen. Besonders wichtig: Aldi fragt selbst nach („Was braucht das Viertel?“) – von der Mitfahrbörse bis zur Kita-Unterstützung –, statt nur passiv Anzeigen zu sammeln. Das Brett wird zum Community-Hub mit Struktur. Der Aufwand ist minimal: wenige Minuten bei der Schichtübergabe, einmal wöchentlich das Plattform-Update.
Schritt 3: Lokale Förderung mit System 🧑🤝🧑
Hier bedienen: Budnis „Budnianer Hilfe“ unterstützt bereits systematisch Kinder- und Jugendprojekte im Umfeld der eigenen Filiale und macht das dort transparent.
So besser machen: Konsequent wäre, aktiv bei der Kundschaft nachzufragen: „Welche Nachbarschaftsinitiative sollen wir als nächstes unterstützen?“ Das System: Quartalsweise würde Aldi 1.000 Euro pro Kiez-Filiale ausschreiben – genug für konkrete Projekte im Sportverein, für das Straßenfest, eine Urban-Gardening-Fläche vor dem Markt, Jugendarbeit. Die Nachbar:innen entscheiden über eine transparente Abstimmung via Nachbarschafts-Brett. So könnte der Fußballverein um die Ecke neue Trikots kriegen, das Altenheim hätte einen Zuschuss zum Sommerfest, die Grundschule pflanzt einen Schulgarten, die Jugendgruppe könnte den Spielplatz aufhübschen. Keine anonymen Großspenden, sondern sichtbare Hilfe für Menschen, die täglich im Laden einkaufen.
Der Zeitaufwand: einmal pro Quartal zwei Stunden für die Projektauswahl, einmal monatlich eine Stunde für Kontaktpflege mit Gewinnern. Die Bindung zur Nachbarschaft: unbezahlbar.
Kann sich das rentieren?
Im Moment beschränkt sich das Prinzip des Nachbarschafts-Discounts meist auf zentrale Standorte und günstige Preise. Eine echte Anpassung an die jeweilige Nachbarschaft passiert selten, oder höchstens zufällig. Penny mag da sein, wo andere nicht sind – aber den Filialen durch markante Plätze oder Bauwerke in der Nähe bloß lokal anmutende Namen zu verpassen, macht noch lange keine echte Nachbarschaftlichkeit aus.

Gleichzeitig erfahren die Handelsketten, dass jeder Innenstadt-Standort spezifische Herausforderungen mit sich bringt: Die mit großem Stolz am Münchner Isartor eröffnete Lidl-Filiale etwa hat seit anderthalb Jahren wieder geschlossen – nach Medienberichten, auch weil sich die Anliefersituation (baustellenbedingt) so schwierig gestaltete, dass die Handelskette die zusätzlichen Komplikationen nicht dauerhaft in Kauf nehmen wollte. (Denn’s Biomarkt als Nachmieter auf der Fläche scheint sich damit eher arrangieren zu können.)
Ob sich ein Discounter-Standort, an dem vor allem Kleinkäufe getätigt werden, trotz höherer Mieten dauerhaft rechnen und als rentabel erweisen kann, steht noch mal auf einem ganz anderen Blatt.
Wer macht’s im Alltag?
Und trotzdem: Aldi hätte die Chance, es anders zu machen – nicht nur nah zu sein, sondern dazuzugehören. Ohne echte Ressourcen allerdings wird’s bloß ein oberflächlicher Lokalitäts-Anstrich, der im schlimmsten Fall den gegenteiligen Effekt haben könnte. Deshalb bräuchte es innerhalb des Teams bestenfalls einen „Nachbarschafts-Manager“ als offizielle Teilzeit-Position – zehn bis 15 Stunden pro Woche für Brett-Pflege, Partner:innen-Betreuung und Community-Events. Nicht als Extra neben dem normalen Job, sondern als fester Bestandteil des Filialbetriebs.

Durch höhere Kund:innenbindung könnte sich ein solches Experimental-Investment rechnen. Ein echter nachbarschaftlicher Aldi wäre einer, bei dem die Anwohner sagen: „Das ist unser Aldi“ – weil er sich (trotz Konzernzugehörigkeit) sichtbar im Sinne der Gemeinschaft engagiert.
Neben der Idee, wie Aldi UK ein Local-Format zu entwickeln, aber nicht konsequent zu kommunizieren, und der Tendenz deutscher Aldis, sich örtlich anzupassen, aber ohne System, wäre es eine dritte Option: Nachbarschaftlichkeit als echte Geschäftsstrategie zu verstehen. Mit einem Konzept fürs jeweilige Viertel, das den Namen verdient hätte – und den Unterschied zwischen Marketing-Versprechen und echter Community-Strategie zeigen müsste.
Die Ironie dabei: Die Discount-Effizienz würde lokale Nähe sogar verstärken – weil man sich auf das Wesentliche konzentriert, statt mit hohlen Versprechen zu überfrachten. Manchmal ist authentische Nachbarschaft eben die beste Strategie.
Danke an Marcel für die Themeninspiration!







hoch anrechnen muss man aber, dass Aldi in den Innenstadtläden keine höheren Preise verlangt, obwohl man es z.B. in der Altstadt in Düsseldorf durchsetzen könnte
auch am Sonntag verlangt Aldi im HBF Essen trotz Security und Zuschlägen die Standartpreise
Gute Ergänzung, danke!
Was auch für andere Händler wie Lidl in Sonntagslagen, an Touribrennpunkten usw. gilt. Da sind schon viele Kunden froh, wenn es eben nicht nur den altbackenen Edeka-/Rewe-Hochpreismarkt (gern noch ohne Eigenmarken) gibt (der dafür z.B. auf Kleinfläche nicht einmal ein tieferes Sortiment auffährt) 😉