Noch vor wenigen Jahren war die Vision: 260 Märkte bis Ende 2024. In Hochglanz-Broschüren wurde nicht weniger als die Neuerfindung des Supermarkts versprochen. Am Ende wurde die Amazon-Idee schneller abgesetzt als diese eine Prime-Serie nach der ersten Staffel, die zwar alle kannten, aber keiner je wirklich gesehen hat.
Warum es gescheitert ist:
Nicht an der Technik. Die Kameras funktionierten. Aber in den Regalen lagen vor allem Snacks und schnelle Mahlzeiten, genau das, was andere Anbieter schon lange besser und günstiger können. Für den großen Einkauf fehlte die Auswahl, für den kleinen Hunger gab es längst bequemere Alternativen.
Regelmäßig kamen nur die Tech-Journalist:innen wieder und machten Fresh jahrelang zur Bühne für die „Zukunft des Einkaufens“. Für echte Kund:innen aber kein Grund, regelmäßig wiederzukommen. Fresh zeigt auch, am Ende zählt im Handel immer noch: Sortiment sticht Technik.
Dazu kamen die Standorte: Innenstadt-Flaggschiffe – zentral, glänzend, prestigeträchtig, aber am Bedarf vorbei. Wer in London schnell etwas zu essen braucht, geht längst zu Tesco Express oder Pret. London verzeiht keine Experimente: Wer nicht auf Anhieb liefert, verschwindet. Immerhin: Fünf der Filialen überleben als Whole-Foods-Märkte. Premium statt Zukunftsversprechen, auch das ist ein Rückzug, aber mit Bio-Siegel.
Amazon Fresh

Amazon Fresh startete in Großbritannien im März 2021 mit dem ersten kassenlosen Laden in Ealing, London, als Teil einer ambitionierten Expansion von physischen Supermärkten. Trotz des innovativen Konzepts blieben die Umsätze hinter den Erwartungen zurück, die Zahl der Filialen stagnierte bei zuletzt 19. 2023 baute Amazon erstmals reguläre Kassen in britischen Fresh-Filialen und ersetzte den bis dahin verpflichtenden Check-in per App durch einen Che–ck-out. Im Frühjahr 2024 verabschiedete sich der Konzern von seiner „Just Walk Out“-Technologie in den US-Filialen von Fresh. Im September 2025 folgte der Beschluss, alle britischen Fresh Stores zu schließen.
Warum Amazon dennoch nicht gescheitert ist:
Läden eröffnen, groß trommeln, wieder dicht machen, das ist Teil der Amazon-Kultur. Abhaken, weitermachen, im Hintergrund wachsen. Keine Niederlage, sondern Methode. Für UK heißt das: Mehr als 80 Prozent der Prime-Kund:innen bekommen Zugang zu mindestens einem, oft mehreren Lebensmittel-Partnern: Morrisons, Co-op, Iceland oder Gopuff. Obst, Gemüse, Kühlware, alles same day vor die Tür. Während alle noch über die geschlossenen Läden lachen, baut Amazon längst das Netz dahinter aus.

Und in Deutschland?
Hier ist Fresh seit Ende 2024 Geschichte. In die Innenstädte mit eigener Ladenfront hat sich Amazon nie getraut – zu teuer, zu voll, zu riskant. Der Lieferdienst wurde eingestellt, offiziell um das Logistiknetz neu zu ordnen. Bemerkenswert ist das schon: In Interviews betont Amazon regelmäßig, dass Deutschland nach den USA der wichtigste Markt sei – und zieht sich gleichzeitig beim eigenen Frischeangebot zurück.
Geblieben sind Partner wie Tegut oder Knuspr und der stille Ausbau der Infrastruktur. Nicht sichtbar im Stadtbild, dafür spürbar an der Haustür: Wer längst Energy-Drinks, Katzenfutter oder Waschmittel über Prime bestellt, ist nur noch einen Klick von der Milch im Kühlschrank entfernt.
Währenddessen: Żabka Nano
Aus Polen schiebt sich still ein Wettbewerber nach Deutschland: Żabka Nano, die kassenlosen Mini-Stores. Amazon schlägt in London die Tür zu – Żabka macht hier eine auf. Der Beweis: Das Konzept ist nicht tot.
Und die Regulierung spielt dem polnischen 7-Eleven in die Karten: Mehrere Bundesländer, darunter Baden-Württemberg, Brandenburg und Rheinland-Pfalz, wollen die Sonntagsöffnung für Self-Service-Stores erleichtern. Was für klassische Händler seit Jahren ein Politikum ist, könnte für Żabka Nano zum Türöffner werden. 24/7 und Sonntageffekt: ein Wettbewerbsvorteil, den Amazon in Deutschland so nicht ausgespielt hat.
Żabka ist wendiger, agiler, und in Polen ohnehin omnipräsent. Hier könnte das Modell genau in die Lücken stoßen, die Amazon bewusst offenlässt.
Fazit
„Den Supermarkt neu erfinden“ hat stationär nicht funktioniert. Aber Amazon wollte nie ein besseres Tesco sein. Die eigentliche Innovation läuft im Hintergrund und klingelt längst an der Tür.
Für Händler und Hersteller heißt das:
- Sortiment schlägt Technik.
- Standort bleibt ein gnadenloser Kostenfaktor.
- Wer Amazon nur an gescheiterten Stores misst, unterschätzt die stille Macht seiner Infrastruktur und die Lock-in-Effekte, die Prime-Kund:innen längst an die Plattform binden.
- Und: Während Amazon abgelenkt wirkt, hat Żabka längst still, aber unübersehbar den Hut in den Ring geworfen.
Über die Autorin

Oksana Lukyanenko war bis März 2025 Deutschland-Chefin des Lieferdienstes Wolt, den sie von der Restaurant-Bestellplattform zum Allround-Lieferdienst für Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs weiterentwickelt hat. Zuvor war sie u.a. als VP International Markets bei Delivery Hero tätig und verantwortete als International Expansion Manager die Entwicklung des türkischen Delivery-Pioniers Yemeksepeti. Für das Supermarktblog analysiert sie aktuelle Entwicklungen im europäischen Lebensmitteleinzelhandel







Interessanter Ansatz mit Zabka. Wird Rewe oder Edeka da nicht früher oder später nachziehen müssen? Wirkt irgendwie, wie aus der Zeit gefallen was wir in Deutschland machen, wenn man sich anschaut, wie innovativer Länder wie Polen sind.