Kleine Ewigkeiten in der Kassenschlange – und was sich dagegen unternehmen lässt

Kleine Ewigkeiten in der Kassenschlange – und was sich dagegen unternehmen lässt

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Sehen Sie beim Warten in der Kassenschlange vor sich öfter mal ein kleines Mädchen mit lockigen Haaren, das ein bisschen schlafmützig guckt, lumpig gekleidet ist und eine Schildkröte auf dem Arm hat, die in die Zukunft schauen kann? Dann will Ihr Unterbewusstsein Ihnen womöglich mitteilen, dass Ihr Terminkalender zu voll ist. Oder Sie lesen beim Schlafengehen zu viele Kinderbuchklassiker vor. Oder Sie sind eine Romanfigur und irgendwann aus Versehen mal in die Wirklichkeit abgebogen. (Tut mir leid, dass Sie’s auf diesem Weg erfahren mussten.)

Dabei ist die Assoziation ja eigentlich richtig. Nirgendwo sonst haben wir so viel Zeit für uns wie beim Anstehen im Supermarkt, wobei die Minuten, die wir aufs Bezahlenmüssen warten, gefühlt eher Stunden sind, die uns niemand mehr zurückgibt.

Dafür braucht es nicht einmal graue Herren, die unsere Zeit in der Pfeife rauchen. Es reicht auch das Kassenpersonal im weißen Kittel. Vor dem sind alle Menschen gleich – vor allem aber: gleich gelangweilt. Deshalb lassen sich die Supermärkte immer neue Ideen einfallen, um der Kundschaft die kleinen Ewigkeiten in der Kassenschlange wenigstens ein bisschen zu erleichtern. Drei aktuelle Beispiele zeigen, wohin das führt.

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1. Großbritannien: Die Legehennenbatterie

Wahrscheinlich hat es der Erfinder der SB-Kasse (SB für Selbstbedienung) nur gut gemeint mit seiner Apparatur, die Kunden zu Kassierern macht, damit sie sich nicht langweilen. In Deutschland sammelt bisher vor allem Real Erfahrungen mit SB-Kassen, andere Unternehmen halten sich zurück. Im Supermarktzukunftsland Großbritannien allerdings haben sich die so genannten „Self-Checkouts“ längst durchgesetzt. Die britischen Versionen sind oftmals deutlich kleiner als die bei Real und stehen vor allem in Innenstadtmärkten, weil viele Kunden dort eh nur ein paar Produkte kaufen, um sich ein schnelles Mittagessen zusammenzukippen.

Das hat aber auch ein paar unschöne Folgen: Marks & Spencer Simply Food – das man gleichzeitig loben und verfluchen kann für sein Angebot an frischem Sofortessen – zum Beispiel hat in große Filialen wie die im Londoner Stadtteil Covent Garden ganze Kassenbatterien eingebaut (Foto oben). Dort stehen so viele Mini-SB-Kassen nebeneinander, dass das Kundengewusel dazwischen aussieht wie eine Legehennenbatterie, in die sich ein Fuchs verirrt hat. Vereinzelt stehen Angestellte dazwischen, um von Kassenzelle zu Kassenzelle zu hopsen und Probleme zu beheben. Wahrscheinlich würde sich niemand wundern, wenn die Mitarbeiter demnächst, ausgestattet mit Trillerpfeifen, bei Freiwerden einer Zelle den nächsten Kunden antrillern. Muss ja alles seine Ordnung haben.

Stressrisiko: enorm. Zeitersparnis: gut. Wohlfühlfaktor: sehr witzig.

2. Deutschland: Die Klinik

Die modernste Kasse Deutschlands steht nicht in Hamburg, Berlin oder München, sondern – im nordrheinwestfälischen Zülpich. In einem seiner Märkte testet Rewe dort seit kurzem erstmals eine Apparatur, die ein bisschen so aussieht als könnte jeden Moment Dr. House dahinter auftauchen, um einen Patienten aufs Förderband zu schieben und eine komplizierte Diagnose einer höchst seltenen Krankheit zu erscannen, die wenige Minuten danach verworfen werden muss, weil die Sendezeit noch nicht rum ist.

Gescannt werden im „Tunnelscanner“ (Foto oben) allerdings – wie bisher – nur die eingekauften Produkte, dafür aber wie von Geisterhand. Denn wenn der Einkauf einmal auf dem Band liegt und unter den beiden Metallarmen durchgefahren wird, erkennen die darin angebrachten Abtaster die Strichcodes auf den Verpackungen automatisch, egal in welcher Position. (Wenn Sie auch so ein Ding haben wollen: dieses Video wird Sie endgültig vom Kauf überzeugen.) Bezahlt wird danach (anders als im Film) wie gewohnt bei einer Kassiererin aus Fleisch und Blut. Bis zu 60 Produkte sollen im Schnitt pro Minute gebucht werden, die Abtastgenauigkeit des Geräts liegt angeblich bei 98 Prozent liegen. (Wobei die interessante Frage natürlich ist, wie oft die restlichen 2 Prozent vorkommen.)

Noch ist’s nur ein Test. Aber wenn der bestanden ist, freut sich Rewe schon darauf, „Kassenprozesse beschleunigen und Warteschlangen erheblich reduzieren“ zu können. Also: vorausgesetzt, den Kunden macht es nichts aus, wenn es im Supermarkt plötzlich so ähnlich aussieht wie im Krankenhaus.

Stressrisiko: akzeptabel. Zeitersparnis: naja. Wohlfühlfaktor: optisch gering.

3. Finnland: Der Kurort

Wer einmal der Angst ins Auge sehen will, der muss gegen halb sieben am Abend in einem gewöhnlichen Supermarkt in die Gesichter anstehender Kunden blicken, vor denen in der Schlange eine ältere Dame dem Kassierer gerade ihre seit Jahrzehnten angesparten Kleingeldvorräte in die Hand kippt und sagt: „Ich hab’s passend.“ Ein ähnliches Bedrohungspotenzial entfalten Kunden, denen kurz vor dem Bezahlen einfällt, dass sie die Hälfte vergessen haben und noch einmal losstürmen, „ganz kurz nur“ – um erst wieder aufzutauchen, nachdem die Marktleitung eine Suchaktion mit Hundestaffel bis zur Käsetheke veranlasst hat. Und natürlich Leute, die bloß Filtertüten auf Vorrat einkaufen, damit sie mit der Kassenfrau ausdiskutieren können, wohin die gemeinsamen Bekannten gerade schon wieder in Urlaub hin entschwunden sind.

Die finnische Supermarktkette K-Citymarket hat eine Lösung für solche Problemfälle gefunden – und sie einfach zur Regel gemacht.

In einer Filiale im südfinnischen Espoo gibt es seit Anfang Oktober eine Langsamkasse („Elä hättäile“). Anstatt hektisch Tüten vollzupacken, können sich die Kunden dort jede Menge Zeit lassen. Das Personal hilft sogar dabei, die Produkte vom Einkaufswagen aufs Kassenband zu legen, räumt alles in die mitgebrachten Taschen. Und wer noch nicht dran ist, nimmt so lange in einem Sessel neben der Kasse Platz.

Kein Witz, das Projekt gibt es tatsächlich. In Zusammenarbeit mit der Universität Aalto testet der Handelskonzern Kesko, wie sich Supermärkte verändern müssen, um für alle möglichen Zielgruppen attraktiv zu bleiben. (Und dass K-Citymarket dadurch auch gute Presse hat, stört nicht weiter.) Die Langsamkasse richtet sich explizit an ältere Kundschaft, aber auch an behinderte Kunden, deren Erfahrungen beim Einkaufen ausschlaggebend für den Test waren. In einem vorherigen Projekt mit behinderten Jugendlichen aus Espoo hatten die Uniforscher nämlich herausgefunden, dass das Einkaufen für viele absoluter Höhepunkt der Woche ist, aber der Stress an der Kasse alles kaputtmacht.

Die Resonanz auf die Langsamkasse war schon in den ersten Wochen so gut, dass sich Kesko entschlossen hat, weiterzumachen. Bald soll es auch eine Spielecke geben, wo Kinder auf ihre Eltern warten können, und für die Erwachsenen Kaffee. Wenn jetzt noch ein Masseur engagiert wird, lohnt sich’s eigentlich kaum noch nachhause zu gehen.

Stressrisiko: ei mitään. Zeitersparnis: auf keinen Fall! Wohlfühlfaktor: riesig.

Fotos: Supermarktblog, Rewe, Kesko

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