Einladung zur Entspannung: Planet Organic und die Neuerfindung des Stadtsupermarkts in London

Einladung zur Entspannung: Planet Organic und die Neuerfindung des Stadtsupermarkts in London

Inhalt:

Mitten in London hat Planet Organic einen Stadtsupermarkt eröffnet, der gar nicht mehr wie einer aussieht – weil er sich konsequent an den Bedürfnissen der vorbei eilenden Kunden orientiert.

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Das erste, was Kunden im Planet-Organic-Flagshipstore in der Londoner Tottenham Court Road am Eingang sehen, ist ein Aufgang: eine riesige Treppe, die aus dem Supermarkt herausführt. Und auf der, bevor sie sich in entgegengesetzte Richtungen teilt, die Drohung steht:

„Eat Well, Live Better“

Aber das ist halb so schlimm, weil es im Umkreis von zehn Metern glücklicherweise trotzdem Chips, Kaffee und Pizza zu kaufen gibt. In einem Stadtsupermarkt, wie er zeitgemäßer kaum sein könnte. Obwohl – oder vielleicht gerade: weil – dort nicht einmal der meiste Platz für den Verkauf von klassischen Lebensmitteln genutzt wird.

Auf zwei Geschossen mit vier ineinander übergehenden Bereichen macht der zweitausendfünfzehn eröffnete Laden seinen Kunden drei Angebote: Einkaufen. Essen mitnehmen. Ausruhen. (In welcher Reihenfolge, bleibt jedem selbst überlassen.)

Das Erdgeschoss teilen sich Kühlwände und Verkaufsregale auf der linken Seite …

… mit zwei langen „Food to Go“-Theken auf der rechten. An denen kriegt man eine Lunch-Box nach Wunsch befüllt (mit Salaten und vegetarischen Mini-Gerichten) oder kann ein Stück Pizza, einen frisch gepressten Saft und einen heißen Kaffee mitnehmen.

Die Auswahl ist nicht riesig, aber ausreichend – das sorgt dafür, dass es zur Mittagszeit in der Schlange einigermaßen zackig vorangeht.

Wer in kühleren Monaten lieber was Heißes löffeln möchte, bedient sich selbst an der Suppen-Bar – und steht dann schon mitten im Supermarkt, der bis in den hinteren Marktteil hineinreicht, aber von den insgesamt 470 Quadratmetern allerhöchstens die Hälfte abbekommen hat.

Das meiste, was zuhause im Vorratsregal fehlt, gibt’s trotzdem zu kaufen. Jedenfalls wenn man auf das Angebot normaler britischer Supermärkte zu verzichten bereit ist. Schließlich wendet sich Planet Organic mit seinem Sortiment vorrangig an Leute, die Wert auf Bio, vegetarische Ernährung und (tendenziell) gesundes Essen legen (siehe Supermarktblog von 2015). Was sich – zusätzlich zur prominenten Lage – auch in den Preisen am Regal widerspiegelt.

Im Kühlregal gibt’s abgesehen von Pasta, Milchersatzprodukten und Gemüse auch schon vorgebaute Lunch-Boxen und Salate. Dazwischen ist Platz für Produkt-Premieren wie das vegane Sushi und die veganen Sushi-Burritos von Newcomer Ima.

Platz für eine traditionelle Kassenzone war im Laden nicht mehr. Wer alles hat, was er braucht, geht einfach an einen der Tresen unter der Treppe, zahlt – und wird automatisch Teil einer wissenschaftlichen Studie, mit der herausgefunden werden soll, wieviele Menschen standhaft bleiben können, wenn zwischen ihnen und dem Kassenbildschirm eine Phalanx an Nuss- und Fruchtriegeln geräumt ist, die mit der Klassiker-Vergünstigung Buy-One-Get-One-Half-Price lockt. (Sozusagen die Quengelzone für Erwachsene.)

Wer’s eilig hat oder Gekühltes nachhause retten mag, kann sich anschließend verabschieden. Alternativ lässt sich das bezahlte Mittagessen aber auch eine Etage höher an Tisch oder Tresen sofortverzehren (während nebendran das Smartphone wieder auflädt).

Das Wasser zum Lunch gibt’s an der „Water Bar“ umsonst aus dem Hahn.

Bloß die Naturkosmetik-Abteilung daneben wirkt im Obergeschoss ein bisschen arg in die Ecke gezwängt; weil das alternative „Body Care“ aber fest zum Konzept der Minikette gehört, ist’s verständlich, dass Planet Organic darauf in seinem bislang schicksten Laden nicht verzichten wollte.

Der ist erst Nummer sieben im Filialreich der Londoner, und im Bau offensichtlich deutlich teurer geworden als ursprünglich geplant – jedenfalls war die Neueröffnung mit dafür verantwortlich, dass Planet Organic im vorletzten Geschäftsjahr erstmals rote Zahlen schrieb und daran auch im darauf folgenden nichts ändern konnte. Zuletzt berichtete der „Telegraph“, die Gründer würden sich um Investoren bemühen.

Davor war bereits die britische Alternativ-Supermarktkette Holland & Barrett an einen russischen Milliardär verkauft worden.

Es wäre den Planets sehr zu wünschen, dass sich ein Partner findet, der sie weiter soviel ausprobieren lässt wie bisher. Ein Laden wie der in der Tottenham Court Road wäre von einer klassischen Supermarktkette vermutlich nicht gebaut worden – weil es dort immer noch zum Grundverständnis gehört, in erster Linie Händler zu sein, anstatt Ladenformate zu entwicklen, die sich den Bedürfnissen der Kunden am jeweiligen Standort anpassen.

Genau das ist Planet Organic in der Londoner Stadtmitte hervorragend gelungen, weil der Markt dort nicht darauf festgelegt ist, mich einmal durch die Regalreihen, zur Kasse und wieder raus zu schicken. Sondern sich darauf einstellt, dass alle, die hier vorbeikommen, entweder schnell was mitnehmen oder ein kurzes Päuschen machen wollen.

(Und dabei was essen, das ihnen nachher auf dem weiteren Weg durch die Stadt nicht die besondere Schwerkraftzuneigung des eigenen Magens demonstriert.)

Das heißt nicht, dass das Experiment automatisch ein Selbstläufer ist. Vielleicht nimmt die Treppe mittendrin doch zu viel Platz weg; vielleicht ist die versteckte Naturkosmetik-Ecke immer so schlecht besucht wie zu den Zeiten, in denen ich dort zum Lunchen war; vielleicht bummeln viele Touristen auch lieber durch die Regalreihen anstatt was zu kaufen.

Aber als Beleg dafür, dass Supermärkte für die Stadt gar nicht mehr aussehen müssen wie Supermärkte, hat der Laden seinen Zweck schon jetzt erfüllt.

Fotos: Supermarktblog"

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