holyEATS #10: Wenn Deliveroo wie Lieferando wird, und Lieferando wie Deliveroo – wann wird dann Delivery Hero nervös?

holyEATS #10: Wenn Deliveroo wie Lieferando wird, und Lieferando wie Deliveroo – wann wird dann Delivery Hero nervös?

Foto: Lieferando
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Der Trend im Delivery-Markt geht eindeutig zur Alleskönnerei.

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Bevor’s losgeht: Bitte bewundern Sie kurz, wie elegant dieser britische Deliveroo-Fahrer den Jubel über den WM-Viertelfinaleinzug der Engländer vor zwei Tagen zu unterstützen weiß. Ja, hervorragend.


Deliveroo erweitert die Restaurant-Auswahl massiv

Anfang dieser Woche hat Deliveroo damit begonnen, die Zahl seiner Partner, bei denen Kunden online Essen bestellen können, massiv auszuweiten. Bis Ende des Jahres sollen 5.000 neue Restaurants dazu kommen – alleine im britischen Heimatmarkt. Auch in Italien, Belgien, den Niederlanden, Australien, Hong Kong und den Vereinigten Arabischen Emiraten werde die Auswahl in der App um bis zu 50 Prozent gesteigert.

Möglich macht das ein „Marketplace+“ getaufter Strategiewechsel. Anstatt (wie bisher) ausschließlich mit Restaurants zusammenzuarbeiten, die über keine eigene Lieferlogistik verfügen, holen die Briten nun auch Partner auf die Plattform, die ihre Essen selbst zum Kunden bringen. Ob diese Restaurants für Deliveroo-Bestellungen eigene Fahrer oder Deliveroo-„Rider“ losschicken, bleibt ihnen selbst überlassen. Aus London heißt es, Gastronomen könnten auf diese Weise Kundschaft und Lieferzeiten erweitern. Deliveroo wiederum profitiert, indem der Kreis der Partner wächst. Gleichzeitig werden Gastronomen auf die Plattform gelockt, die bereits Übung darin haben, Bestellessen zu (niedrigen) Preisen anzubieten. Deutschland ist bei der Umstellung zunächst nicht dabei: Für den Start gebe es „noch kein genaues Datum“, erklärt eine Sprecherin auf Nachfrage.

Mit diesem Schritt entfernt sich Deliveroo ein ganzes Stück vom Gründungskonzept. Er passt aber zur derzeitigen Wachstumsstrategie, die sich längst nicht mehr nur auf das eigene Rider-Netzwerk verlässt. Das Unternehmen baut Lieferküchen-Parks und kündigte gegenüber Investoren an, künftig auch selbst als Mahlzeitenanbieter in Erscheinung treten zu wollen. (Das operationelle Know-How hat man sich im vergangenen Jahr praktischerweise mit dem in New York gescheiterten Lieferessen-Start-up Maple eingekauft.)

Ohnehin ist eine Konzentration auf die eigene Lieferflotte im Laufe der Zeit zum Risiko geworden: In zahlreichen Märkten sieht sich Deliveroo (zurecht) mit dem Vorwurf konfrontiert, die Rider seien keine selbstständig operierenden Vertragspartner, sondern quasi Angestellte – und müssten entsprechend behandelt werden. In Großbritannien hat sich die Independent Workers Union damit gerade vorläufig vor Gericht durchgesetzt. Wäre Deliveroo tatsächlich dazu gezwungen, seine Rider fest zu beschäftigen, dürfte das die bisherige Kalkulation ziemlich auf den Kopf stellen. Da kommen Partner, die die Lieferung im Zweifel selbst erledigen können, gerade recht.


Lieferando baut mit Scoober eigene Lieferflotte auf

Auch die niederländische Takeaway.com-Gruppe befindet sich in einer grundlegenden Transformation – wenn auch aus umgekehrter Richtung. Takeaway.com ist derzeit in zehn europäischen Ländern (sowie Vietnam) aktiv und will mit einer zentralen Marke pro Land den kompletten Markt versorgen („One Company, One Brand and One IT Platform“). In Deutschland ist das Lieferando, gestartet als Bestell-Aggregator für Restaurants, die ihre Lieferangebot digitalisieren und einem erweiterten Kundenkreis zugänglich machen wollten. Inzwischen sind auf den Straßen aber immer öfter auch Radler mit orangefarbenen Quadratrucksäcken unterwegs, die Bestellessen im Auftrag von Lieferando direkt ausfahren.

Vor zwei Jahren sicherte sich Takeaway.com dafür die Technologie des Berliner Logistik-Start-ups Food Express (ehemals MyLorry), nachdem ausgerechnet Konkurrent Delivery Hero als bis dahin größter Gesellschafter kein Geld mehr geben wollte. Takeaway.com integrierte das System in seine Abläufe und baut seitdem eine eigene Lieferflotte auf, zunächst unter dem Namen „Lieferando Express“. Intern ist der Lieferservice inzwischen unter dem Namen „Scoober“ bekannt.

Auf Nachfrage bestätigen die Niederländer: „Wir beschäftigen derzeit rund 3.000 Rider in insgesamt 30 Städten.“ (In Deutschland ist Takeaway.com mit Lieferando in 13 Städten aktiv; im deutschsprachigen Raum kommen Wien, Graz und Zürich unter den Marken Lieferservice.at und Takeaway.com dazu.) Das ist – noch – kein Vergleich mit den 35.000 Fahrern, die Deliveroo international zu beschäftigen angibt. Aber ein klares Statement, dass man sich von der früheren Strategie als reine Vermittlerplattform verabschiedet hat. Welcher Anteil der Restaurantpartner den zusätzlichen Service in Anspruch nimmt, kommuniziert Takeaway.com nicht, erklärt aber: „Die meisten Bestellungen werden weiterhin von den Restaurants selbst ausgeliefert. 2017 machten Scoober-Bestellungen rund 2 Prozent aller Order aus.“ Entscheidend ist allerdings etwas anderes: Der Service steht potenziell allen Takeaway.com-Partnern zur Verfügung.

Womit wir bei Delivery Hero wären. Der deutsche Rocket-Internet-Ableger hatte lange damit zu tun, den 2017 vollzogenen Börsenstart zu wuppen. Derzeit verabschiedet sich das vor allem durch Zukäufe gewachsene Unternehmen aus diversen Märkten, in denen wenig Aussicht besteht, Marktführer zu werden (Hungryhouse in Großbritannien wurde an Just East verkauft; Takeaway.com hat Foodarena in der Schweiz übernommen).

Eine schlüssige Weiterentwicklung des Geschäftsmodells blieb vor allem im Heimatmarkt bislang auf der Strecke. In Deutschland betreiben die Berliner mit Pizza.de, Lieferheld und Foodora nach wie vor ein ganzes Delivery-Markensammelsurium. Zwei der Anbieter verfolgen als Bestellvermittler im Wesentlichen dasselbe Modell, der dritte agiert mit eigener Lieferflotte. Aber keiner kann Gastronomen gebündelt das anbieten kann, was die Konkurrenz in Türkis und Orange (künftig) schafft. Ist aber kein Grund, gleich nervös zu werden. So lange keiner den Aktionären Bescheid sagt.


Taster, Kitchen United und der Lieferküchen-Schub

Während also der Trend im Delivery-Markt bei den Großen eindeutig zur Alleskönnerei geht, schaut sich die nächste Unternehmer-Generation einfach die vielversprechendsten Elemente ab, um sich damit zu spezialisieren. Von Berlin aus will Keatz (ehemals Guru Collective) mit seinen Lieferküchen seit neustem bekanntlich auch Spanien, die Niederlande und Frankreich erobern. In Paris bereitet sich derweil der Mitbewerber Taster (ehemals Mission Food) auf die Expansion seiner virtuellen Restaurants – u.a. Mission Saigon – vor und will demnächst in Großbritannien aufschlagen. Die Kohle dafür kommt Bloomberg zufolge u.a. von einem alten Bekannten: Rocket Internets Global Founders Capital.

Derweil kümmert sich Kitchen United in den USA um Gastronomen, deren Priorität nicht vornehmlich darin besteht, sich fancy klingende Restaurantnamen auszudenken, sondern eher, anständig zu kochen – und verspricht, beim Rest zu helfen. In Kalifornien hat das Unternehmen kürzlich seine erste Lieferküchen-WG eröffnet. In der ist Platz für acht bis zwölf „Restaurants“ bzw. Personal, das sich dort ausschließlich Aufträge für Lieferessen zubereitet. Die Küchen sind allesamt fertig eingerichtet, es muss bloß noch jemand den Herd anmachen. Die Mietgebühr wird pro Stunde berechnet, bei 85 Dollar geht’s los. Wer sich Küchenplätze mit anderen teilt, spart Geld. Auf Wunsch kauft man einen Spülservice dazu. Worauf warten Sie noch?

Also: außer vielleicht auf eine schlüssige Strategie, mit der man sich als Nachwuchsgastronom so fulminant treue Kunden erkocht, dass die beim nächsten Hunger nicht einfach den nächsten Liefer-Newcomer ausprobieren. (Der wahrscheinlich den Herd nebenan gemietet hat.) Kitchen United glaubt fest daran, dass das möglich ist. Bis Ende 2019 wollen die Amerikaner 50 Mietküchen für reine Lieferrestaurants eröffnet haben, weiß „Restaurant Hospitality“.


Nachschlag:

  • Weil die Betreiberin eines kleinen amerikanischen Restaurants Donald Trumps Pressesprecherin (nach dem Essen) hinaus komplimentierte, gab’s im Netz anschließend einen Riesen-Shitstorm. Wired macht sich Gedanken, welche Rolle der Missbrauch von Bewertungsplattformen wie Yelp bei derartigen Eskalationen spielt.
  • Auf der K5 Berlin erklärte Nicolas von Sobbe, Director Digital bei McDonald’s Deutschland, in dieser Woche, dass es für die Restaurantkette eine völlig neue Erfahrung sei, nicht mehr wie bisher einmal im Jahr die Kassensoftware zu updaten – sondern für die Digitalisierung der Bestellabläufe permanent neue Software-Fixes einzuspielen. Das dürfte auch erklären, warum sich an den schicken McDonald’s Bestell-Terminals derzeit aus technischen Gründen weder Wasser noch Apfelschorle bestellen lässt. (Food Service)
  • Schon etwas älter, aber immer noch treffend und lustig: „What Happens When Your Favorite Delivery Spot Turns Out to Be a Shithole“. (Vice.com)
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