„Heißzeit“ ist seit vergangenem Freitag das offizielle „Wort des Jahres 2018“, da lässt sich nichts mehr dran rütteln. Weil die Gesellschaft für deutsche Sprache aber erneut versäumt hat, ein Pendant für den Lebensmitteleinzelhandel zu küren, holen wir das an dieser Stelle exklusiv nach. Das „Supermarktwort des Jahres 2018“ heißt – tataaa!:
„modular“
Bisschen unspektakulär? Abwarten.
Eingereicht wurde der Begriff (quasi) vom frisch bis 2023 verlängerten Rewe-Chef Lionel Souque („super Jahr, am Ende“). Der antwortet damit in Interviews gerne auf die Frage, was das neue Rewe-Ladendesigns „Supermarkt 2020“ so besonders macht. (Ist doch klar: „modular“!) Und zwar, weil das Konzept unterschiedliche „Module“ für Obst und Gemüse, für Wein, für Frische-Bedienung und für Gastro vorsieht, die je nach Standort miteinander kombiniert werden können. Klingt einleuchtend.
Laut FAZ sollten im zu Ende gehenden Jahr „180 Märkte umgebaut und 120 Filialen neu eröffnet werden“ – allesamt mit dem neuen Design, das Rewe vor zwei Jahren quer übers Land verteilt in verschiedenen Märkten und Varianten getestet hat. Das war durchaus eindrucksvoll (siehe Supermarktblog 1 und Supermarktblog 2); die entscheidende Frage ist aber, ob es auch im Einkaufsalltag funktioniert bzw. was davon übrig geblieben ist.
Weniger als wünschenswert gewesen wäre nämlich. Zumindest scheint einer der größten Vorteile der von Souque gelobten „Module“ zu sein, dass man sie in der praktischen Umsetzung, wenn’s zu kompliziert oder zu teuer wird, einfach weglassen kann.
Das bedeutet nicht, dass die Umbauläden nicht modern aussehen würden. Im Gegenteil: Mit dem „2020“-Design hat die Kölner Handelskette eine sehr gute Grundlage für ein modernes Supermarktkonzept geschaffen. Und dafür Elemente – Pardon: Module aus allen Testmärkten zu einer Art Best-of vereint. Wobei sich das u.a. in der Münchener Hopfenpost und in Berlin-Lichtenberg getestete Design als Favorit durchgesetzt zu haben scheint, wenn auch in einer abgespeckten Variante.
Das Basisdesign: Es werde weiß!
In den vergangenen Wochen hab ich mir neu umgebaute Märkte in Berlin, Hamburg, Leipzig und Südhessen angeschaut, die alle eines gemeinsam haben: ein sehr viel helleres Basisdesign als es bisher bei Rewe Standard war. Auf weißer Holzverkleidung stehen große Sortimentshinweise in der aktuellen Rewe-Kampagnenschrift an der Wand: „Gemüse“, „Tiefkühlprodukte“, „Süßwaren“.
Über der Obst- und Gemüseabteilung hängen dezente Korbflechtlampen.
Also, manchmal.
Die Regale in den Mittelgängen sind in schlichtem Schwarz gehalten, verfügen (u.a. für Feinkost und Drogerie) über metallene Trenner und haben Produktkategorien an die Stirn getackert bekommen, um mit ihren Regalkumpeln „Wer bin ich?“ spielen zu können.
Gleichzeitig wohlgestalt und praktisch sind die neuen Kühlböcke für Aktionsware, Spezialitäten und Sofortessen, die auf hölzernen Füßen stehen und dafür sorgen, dass man nicht mehr Gefahr läuft, in die Truhe zu fallen, wenn man einen Artikel rausholen möchte. Die Rundum-Verglasung sorgt außerdem für mehr Übersichtlichkeit.
Das „deli am Markt“ scheint (zumindest in Städten) zur Standardausstattung zu gehören und ist in der Regel am Ladeneingang an den stark erweiterten Brötchenknast angedockt, der vom Thekenpersonal mitbefüllt werden kann und jetzt endgültig auf den öden Namen „Brot & Mehr“ getauft wurde.
Selbst im neu eröffneten Stadtteilsupermarkt in Leipzig-Plagwitz hat Rewe dafür Platz gemacht. Viel Platz.
Bei genauerem Hinsehen fällt aber auch auf, worauf die Handelskette für die nationale Umsetzung alles verzichtet hat.
Frischetheken: Da fehlt doch was
Bisschen schade ist’s schon, dass sich das schwarz verkachelte Frischetheken-Quadrat aus Berlin-Niederschönhausen mit der schicken Wandverzierung nicht durchgesetzt hat – das sah schon ziemlich edel aus. Stattdessen hat sich Rewe für die schlichtere Design-Alternative entscheiden: Theken auf Holzfüßen, weiße Kacheln dahinter, Deckenquadrate mit Lichtspots, Holzregaldeko mit eingebauten Aktionsbildschirmen – nur nicht ganz so detailreich beschmückt wie in den Testmärkten.
Von der Decke baumeln keine Holzbrettchen, im Regal stehen keine Flaschen und Töpfe, sondern bloß Rewe-Papiertüten – und auch wenn das Kleinigkeiten sind, schmälern die den Wow-Effekt des ursprünglichen Designs doch deutlich.
Die Fischtheke mit den blau-türkisen Kacheln ist ein hübscher Kontrast, findet aber in vielen Läden keinen Platz. Und dass die in München getestete Confiserie eine Ausnahmeerscheinung bleiben würde, war anzunehmen.
Leider hat es auch die Käse- und Antipasti-Insel in keinen der von mir angeschauten Märkte geschafft. Das ist einerseits verständlich, weil die Konstruktion zusätzliche Arbeit verursachen dürfte, die in der Basisbesetzung von den Mitarbeitern nur schwer zu leisten sein wird.
Andererseits ist die 360-Grad-Universaltheke, die je nach Bedarf (und Personalauslastung) für Bedienung und Selbstbedienung genutzt werden kann, derart besonders, dass sie den kompletten Markt aufwertet. Zumal die Sortimentskombi aus Käse , Antipasti, Feinkost und besonderen Eigenmarken-Produkten hervorragend zusammen passt. Das fehlt, wenn’s fehlt.
Und ist vor allem deshalb ärgerlich, weil auf der Verkaufsfläche stattdessen immer genug Platz war, dem Billigfraß einen „deli am Markt“-Tempel zu errichten oder einen der schwarzen Sushi-Würfel einzubauen, für den der Partner eat happy vermutlich extra Miete bezahlen dürfte. (Obwohl sich frisches Sushi deutlich platzsparender in eine Universaltheke integrieren ließe.)
Sortimentstrennung: Fließender Übergang
Es bisschen hat man in den neuen „2020“-Märkten den Eindruck, Rewe habe unbedingt Umbaukosten sparen wollen – und dafür einfach Elemente zur Sortimentstrennung weggelassen, damiut es nicht so auffällt. Eine abgesetzte Decke mit Lichtspots war z.B. in Berlin-Lankwitz (eine der von Rewe übernommenen Kaiser’s-Filialen) nicht drin, zur Ablenkung hängt ein schlichtes Lampen-Ensemble etwas unmotiviert von der Decke.
Auch die Drogerie ist (in den von mir besuchten Märkten) nicht mehr separat schwarz abgehoben und fügt sich an der Grenze zur Unsichtbarwerdung zwischen die übrigen Sortimente ein.
Regionale Produkte: Adieu, Produktfelsen!
Im ursprünglichen Design-Test hatte Rewe einen Produktfelsen mit anschiebbaren Holzklippen und Kühlböcken prominent zwischen Gemüse und Frischetheken platziert, um damit Kompetenz im Regionalitätstheater auszustrahlen. Die Neuerung scheint es ebenfalls nicht ins reguläre Design geschafft zu haben. Regionale Produkte spielen in den Märkten zwar weiter eine große Rolle, sind aber auf die regulären Plätze verräumt: In normale Kühlböcke, über denen der Kundschaft auf Schildern die freundlichen Erzeuger vorgestellt werden. Und in die Gondelköpfe am Regalende.
Fazit: Ein guter neuer Standard
Keine Frage: Mit dem „Supermarkt 2020“-Konzept ist Rewe ein zeitgemäßer Auftritt gelungen – vor allem im Vergleich mit dem vorherigen Standard, nach dem noch Ende des vergangenen Jahres neue Märkte eröffnet wurden (siehe Supermarktblog), und mit dem Rewe sehr bald das Problem bekommen hätte, hinter die modernisierungswütige Discount-Konkurrenz zurückzufallen. (Die inzwischen auch ziemlich moderne Läden bauen kann.)
Der Verzicht auf – scheinbar – unnötige Deko-Elemente, vermutlich um Kosten zu sparen, scheint erstmal nicht weiter tragisch zu sein. Er sorgt aber dafür, dass die jetzt umgebauten „2020“-Rewes sehr viel weniger Marktplatz-Ambiente ausstrahlen als es nach Vorgabe der Test-Designs möglich gewesen wäre.
Das mag auch den sehr unterschiedlichen Strukturen der einzelnen Läden geschuldet sein. Und am Ende kann Rewe auf der neu geschaffenen Basis zweifellos „emotionale“ Supermärkte bauen, in denen Einkaufen sehr viel mehr Spaß macht. Letztlich hat jedoch der Mut gefehlt, gelernte Strukturen und Sortimentsanordnungen so aufzubrechen, dass ein wirklich unverwechselbares Einkaufserlebnis entsteht. Mit Besonderheiten, die die Konkurrenz so schnell nicht nachmachen wird. Eine verpasste Chance.
Ebenso wie die, in den neu gestalteten Läden in größerem Stil für den eigenen Lebensmittel-Lieferservice als Teil der Rundumversorgung zu werben, wie es anderswo längst üblich ist.
Der „Supermarkt 2020“ ist ein guter neuer Standard. Aber einer, bei dem nach 2020 womöglich schneller wieder nachgebessert werden muss, als das den Verantwortlichen in Köln lieb sein kann.
Fotos: Supermarktblog
Ein Glück, dass es wieder heller wird. Mir persönlich fehlen nur noch ein wirklich heller Bodenbelag. (Das sieht aus wie die Terracotta-Balkonfliesen meiner Eltern? Ist das wieder in? Muss wohl mal wieder eine „Couch“ kaufen…)
Leider kommt es zu spät für den letzte Woche endlich – nach gefühlt jahrzehntelanger Umbauzeit – wiedereröffneten REWE-Center im Frankfurter Nordwestzentrum. Er befindet sich nun in dem, was früher mal das Untergeschoss des dreistöckigen Toom-Marktes war, und es ist leider so schlimm geworden, wie ich befürchtet habe: Der tageslichtlose Markt mit einem einzigen Eingang aus dem unterirdischen Busbahnhof (das ist so attraktiv, wie es klingt) wurde leider eine mindestens genauso unangenehme Grotte, wie das vor einiger Zeit eröffnete und hier im Blog besprochene Pendant im Wiesbadener Lilien-Caree.
Immerhin wurde ein regionales Designelement aufgegriffen: Die dunkle, nicht abgehängte Decke erinnert stark an den heruntergekommenen Zustand der unterirdischen Frankfurter S-Bahn-Stationen. Was für eine Rückentwicklung gegenüber hellen, schönen Märkten der letzten Jahre, wie an der Bockenheimer Warte (helle Fliesen, weiße Wände!) oder dem nun drei Jahre alten Center in Frankfurt-Praunheim (Holz! Tageslicht!). Aber vielleicht bin ich auch aus der Zeit gefallen, weil ich nicht gerne mit der Taschenlampe einkaufe…
Ich finde sehr schade, dass bei dem Lobgesang auf Brötchenknast etc. vergessen wird, was das bedeutet. Die Verdrängung kleiner Unternehmen wie lokale/regionale Bäckereien/Bäckereiketten oder privat geführte Schnellrestaurants, die in den Märkten keinen Platz mehr finden. Vor allem Lidl hatte früher lokale Bäckereien als Mieter im Vorkassenbereich oder in separaten Räumlichkeiten. Hatte. Rewe hat immer seltener Platz und das scheint ja jetzt sogar das Konzept zu sein, Edekas Vorkassenbäcker gehören Edeka oft selbst und nur noch Kaufland vermietet konsequent an andere Unternehmen im Vorkassenbereich, wenn auch oft an sehr große regionale Unternehmen.
In den REWEs, in denen ich eingekauft habe, hat nicht der (ja bisher nicht besonders üppige) Brötchenknast die Bäcker verdrängt, sondern die wurden durch Systembäcker wie Kamps oder BackWerk schon vorher ausgebootet. Da könnten die Backvollzugsanstalten vielleicht sogar die Qualität wieder heben.
Ist wahrscheinlich regional sehr unterschiedlich. Ich kann mich nicht dran erinnern, dass Vorkassenbäcker jemals in größerem Umfang kleinere Bäcker waren. Einige sind wohl auf dem Weg zu größeren Ketten gewachsen. Vor ein paar Jahrzehnten waren es in München nach meiner Erinnerung überwiegend Müller, und seit der als eigener Großbäcker weg ist (Filialen inklusiv Vorkassenfilialen gibts aber unter dem Namen noch bzw. wieder), sind hier eh Edeka und Rewe die einzigen richtig Großen. Rewe hat das aber früher nicht vor der Kasse verkauft; erst in jüngerer Zeit ersetzt Pane Bavaria teilweise auch räumlich die Vorkassenbäcker. Beim Lidl war praktisch alles Ihle (ein paar gibts noch), der am stärksten auf die Vorkassen spezialisiert ist. Rewe hat auch öfters Bachmeier (der hier unter eigenem Namen Aldi Süd mit abgepacktem Brot beliefert) und mit Wimmer eine inzwischen auch größere Kette, die aber noch kein reiner Industriebäcker ist.
Hier bei „meinem“ (selbsändiger-Kaufmann-)REWE ist tatsächlich eine relativ kleine, regionale Bäckerei im Vorkassen-Bereich beheimatet (Eigenauskunft 24 Filialen insg). Der liefert wirklich Top-Qualität und ergänzt das REWE-Sortiment sehr gut. Im Laden selbst gibt es keine frischen Backwaren, nur abgepackte Schnitten, Vollkornbrot und ähnliches.
Die Bedienungs-Theke für Fleisch und Wurst wurde allerdings kürzlich erst geschlossen. Jetzt gibt es nur noch verpacktes aus der SB-Kühlung.
Ich find es übrigens gut, dass nicht jede abgehängte Decke und Sortimentshevorhebung in jedem Markt umgesetzt wird. Das kann nämlich weniger flippigen Gemütern auch schnell auf den Keks gehen.
Ordentlich fand ich den Ansatz bei den Edeka-Centern vor ungefähr einem Jahrzehnt: in der Mitte Haushalts- und Drogerieartikel in einer Gestaltung, außenrum der Rest (also größtenteils Lebensmittel und was dazugehört) in einem anderen Design.