Expedition ins Altbekannte: Was die Rückkehr der Rennstrecke für Aldi Nord bedeutet

Expedition ins Altbekannte: Was die Rückkehr der Rennstrecke für Aldi Nord bedeutet

Foto: ALDI Einkauf GmbH Co. oHG / D. Koke
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Dauerbaustelle Discount (3): Dreieinhalb Jahre nach dem Start der Modernisierung aller Märkte sortiert Aldi Nord Obst und Gemüse wieder wie früher in Längsregalreihen ein. Das ist kein gutes Omen für eine künftige Weiterentwicklung.

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Man kann sich die vergangenen Jahre im deutschen Lebensmittel-Discount wie eine Expedition vorstellen – eine Reise der Formatpioniere an die Ränder ihrer Welt, um zu ergründen, wie weit sie darüber hinaus gehen können, ohne runterzufallen. Mit moderneren Läden, erweiterten Sortimenten, neuen Services. Während Aldi Süd und Lidl sich punktuell weiter auf unerforschtes Terrain wagen (bzw. Wettbewerber wie Norma gar nicht erst aufgebrochen sind), ruft Aldi Nord sein Expeditions-Team gerade zurück nachhause: Genug geforscht, die Ergebnisse gefallen der Kernzielgruppe nicht.

„Eins muss man den Verantwortlichen bei Aldi Nord lassen: Wenn die sich einmal für etwas entschieden haben, dann bleibt das auch stehen – notfalls über Jahrzehnte“, stand vor vier Monaten an dieser Stelle im Blog über die weitgehend geräuschlos verlaufende Ausbreitung des „ANIKo“-Formats („Aldi Nord Instore-Konzept“).

Das war: ein Irrtum.

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Längsregale sind wieder Standard

Kurz vor Weihnachten, zur Eröffnung der neuen „Verkaufsstelle Nummer 1“ in Essen-Schonnebeck um die Ecke des einst ersten Aldi-Markts, gab die Zentrale bekannt, eines der Grundprinzipien ihres modernisierten Ladendesigns endgültig abzuschaffen und wieder zur früheren Lösung zurückzukehren: Ab sofort werden sämtliche Sortimente in Aldi-Nord-Filialen wieder ausschließlich in Längsregale sortiert.

Bereits vor anderthalb Jahren hatte der Discounter die neuen Querregale zwischen den Flächen für Saisonware und Frische zurückgebaut. Nun trifft dieses Schicksal auch den „Marktplatz“ für Obst und Gemüse, der bis lang in zwei Querregalinseln vor der Kühltheke am Ladenende platziert war. Paprika, Gurken, Äpfel, Tomaten und Karotten müssen sich dort wieder längs einreihen. Dreieinhalb Jahre nach Beginn des Filialnetzumbaus ist die Rennstrecke von einem zum anderen Ende des Ladens wieder da.

In diesem Zuge fallen auch zahlreiche Regalenden – so genannte „Gondelköpfe“ – weg, an denen der Discounter bislang neue Artikel oder Aktionsware hervorgehoben hat.

Die Anpassungen seien dennoch „keine Abkehr von unserem Filialkonzept“, erklärt ein Aldi-Nord-Sprecher auf Supermarktblog-Anfrage, „sondern eine punktuelle Weiterentwicklung“. Der Fokus der modernisierten Märkte solle nach wie vor „auf einer hellen und freundlichen Einkaufsatmosphäre mit mehr Platz und breiteren Gängen sowie einem vergrößerten Angebot an frischem Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch und Backwaren“ liegen. Aber:

„Discount nach ALDI-Verständnis ist die Konzentration auf das Wesentliche und die Kunst des Weglassens. Immer vor der Frage, was für den Kunden sinnvoll ist, aber auch mit Blick auf die Arbeitsprozesse unserer Mitarbeiter.“

Insbesondere der Aufwand für die Regalpflege war mit der „ANIKo“-Einführung offensichtlich deutlich gestiegen – und mit ihm die Personalkosten. Dem versucht Aldi Nord entgegen zu arbeiten. An den verbleibenden Regalenden kann Ware künftig einfach auf Paletten abgestellt werden. Mit einer „nennenswerten Erweiterung der Angebotsfläche“ gehe das aber nicht einher, heißt es in Essen auf Anfrage.

Bestimmte Deckenelemente und Steckschilder seien reduziert oder ganz abgeschafft worden, Food- und Non-Food-Bereiche noch klarer voneinander getrennt. Die Non-Food Aktionsangebote – u.a. Kleidung, Werkzeuge oder Gartenartikel – seien künftig gebündelt in einem Gang zu finden.

„Das alles dient dem Zweck, den Einkauf für unsere Kundinnen und Kunden noch einfacher zu gestalten. Unsere Mitarbeiter profitieren von kürzen Wegstrecken im Markt und vereinfachten Arbeitsschritten beispielsweise beim Einräumen der Ware.“

Die Weiterentwicklung sei Konsequenz einer „umfassenden Analyse“ des hauseigenen „Data Analysis Competence Center“, in dem Kundenbefragungen und -verhalten ausgewertet sowie „prozessuale Erkenntnisse unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ berücksichtigt worden seien.

Vor anderthalb Jahren hatte man die teilweise Abschaffung der Querregale damit begründet, es habe sich gezeigt,

„dass der Kundenfluss in Längsstellung der Regale noch besser und homogener verläuft. Zudem können unsere Kunden durch die einheitlichere Struktur noch besser navigieren.“

In einer neuen Mitteilung zur Filialeröffnung in Essen heißt es nun, man verbessere die Orientierung und mache den Einkauf „noch komfortabler und unkomplizierter als je zuvor“. Zusammengefasst heißt das wohl: Früher war alles besser.

Kein gutes Omen

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Mitbewerber – insbesondere im Discount – gerade in die entgegengesetzte Richtung steuern: Lidl baut Filialen derzeit (zumindest testweise) so um, dass sich Obst und Gemüse am Eingang umgekehrt L-förmig zusammenziehen lässt (siehe Supermarktblog). Dafür wird die bislang in Standardfilialen übliche Rennstrecke aufgelöst. Und nach der österreichischen Tochter Hofer hatte zuletzt auch Aldi Süd eine stark modernisierte Anordnung eingeführt und frische Ware dafür erstmals in den vorderen Marktbereich geholt (siehe Supermarktblog).

Dass der Norden nun einen anderen Weg einschlägt und sich auf Vergangenes zurückbesinnt, mag die Komplexität des Formats wieder ein Stück zurückdrehen und Anhänger:innen des klassischen Discounts befrieden. Die Entscheidung, sich vorrangig den Gewohnheiten der bisherigen Kernzielgruppe zu ergeben, lässt sich aber auch problematisch sehen: Weil sie kein gutes Omen für die notwendige Weiterentwicklung des in die Jahre gekommenen Discount-Modells ist.

Hat diese bei Aldi Nord überhaupt eine Chance, wenn man schon daran scheitert, Kund:innen daran zu gewöhnen, dass Märkte nicht mehr funktionieren müssen wie vor zwanzig Jahren?

Ein Aldi-Sprecher bestätigt, dass tatsächlich sämtliche Aldi-Nord-Filialen auf das angepasste Design umgestellt werden:

„Märkte, die wir neu eröffnen, gestalten wir bereits im neuen Store-Layout – das gilt europaweit. Im Bestand ist der Aufwand überschaubar. In Filialen, die bereits auf ANIKo umgestellt sind, dauert die Anpassung meist einen Tag. Ein Großteil der rund 2.200 Märkte wird auf das neue Store Layout umgestellt. Wir denken, dass wir bis Q3/Q4 2021 damit fertig sein werden.“

Das Unternehmen versäumt damit vor allem die Chance, sein Ladenformat flexibler zu gestalten, ohne sich von der grundlegenden Standardisierung trennen zu müssen. Es ist schwer vorstellbar, dass sich wirklich alle Aldi-Nord-Kund:innen in sämtlichen Märkten nach einer Rückkehr in die Vergangenheit sehnen; zumal die Querregalierung auf größeren Verkaufsflächen eher dabei half, das Obst- und Gemüse-Sortiment herauszuheben und besser zu präsentieren als das auf der Rennstrecke möglich ist.

(Noch dazu benötigt die neue alte Lösung in der „Verkaufsstelle Nummer 1“ in Essen-Schonnebeck eine dritte halbe Längsregalreihe, um dort Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch und Kräuter in vollem Umfang unterzubringen.)

Die Rückbesinnung auf die Schlichtheit des Discounts klingt vor allem dann plausibel, wenn man davon ausgeht, dass sich auch die Grundbedürfnisse der Kund:innen nicht ändern. Das könnte sich wiederum für Aldi Nord noch als bedauerlicher Irrtum erweisen. Der durch Corona wirtschaftlich unsicheren Zeit zum Trotz haben viele Deutsche in den vergangenen Monaten oftmals lieber im Supermarkt eingekauft, weil ihnen das dortige Angebot und Preisgefüge wichtiger zu sein schien als das gleichzeitig veranstalte Preistheater der Discounter.

Kund:innen erwarten neue Angebote

Und in Großbritannien merkt Aldi (Süd) gerade, was es bedeutet, wesentliche Marktentwicklungen zu ignorieren, um sich vorrangig auf die ursprüngliche Stärke des Formats zu verlassen.

Der Dezember war nach Angaben der Marktforschung Kantar der bislang umsatzstärkste Monat im britischen Lebensmitteleinzelhandel, auch Aldi hat seine Umsätze steigern können – gleichzeitig verlor der Discounter erstmals Marktanteile, weil zahlreiche Kund:innen auf die Lebensmittel-Lieferdienste der großen Anbieter ausweichen, um sich Bestellungen nachhause bringen zu lassen. Aldi UK versucht erstmals, mit einem neuen Click-&-Collect-Angebot gegenzuhalten (siehe auch Supermarktblog).

Dass man sich in Deutschland Ähnliches trauen könnte, wirkt zunehmend unwahrscheinlicher, je fester man sich in Essen ans Früher klammert. Mal sehen, ob das hauseigene „Data Analysis Competence Center“ rechtzeitig bemerkt, dass es so auf Dauer schwer sein könnte, Kund:innen für sich zu gewinnen, die beim Einkauf nicht ausschließlich auf Niedrigstpreise schauen wollen.

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8 Kommentare
  • „Discount nach ALDI-Verständnis ist die Konzentration auf das Wesentliche und die Kunst des Weglassens.“

    Ja, merk ich beim neuen Aldi um die Ecke, der nix hat, also kaum Gemüse das über den Standard hinausgeht, kaum vegetarisches, aber halt Pizzen in drölfhundert Sorten.

  • Zitat „die Kernzielgruppe gefällt es nicht“ ?!? – Diese Gruppe kennt sich nicht mal mit dem Internet aus… Hauotsache Oma Gerda sieht vom Eingang aus, ob es die Angebote noch gibt… – Traurig ist dies, denn so kam Aldi endlich in der Zukunft an und war nicht so langweilig. Meiner Meinung sind auch orignelle Konzepte ideal um den Einkaufsstress zu vergessen. So bekommt man wieder den „Hals“, weil wieder nur eine Kasse offen ist und die Schlange bis hinten geht…..

    • Sehen Sie, das ist bei mir genau andersherum. Bei mir kommt der Einkaufstress erst auf, wenn die Produkte meines Basiswarenkorbes in jeder Filiale woanders stehen und ich irgendwelche abteilungsfremden Aktionsangebote und doppelte Positionen umschiffen muss. Ich bin zwar kein Kunde bei ALDI Nord, kann mir aber durchaus vorstellen, dass es auch dort außer Oma Gerda noch ein paar andere Kunden gibt, die sich über einen zeitsparenden und störungsfreien Ablauf des Discounter-Wocheneinkaufs freuen – schon alleine vielleicht deshalb, weil sie für die drei Extras danach wieder 2 Stunden und 5 überfragte Rotkittel im REWE nebenan durchbringen werden.

    • Ich kaufe in drei verschiedenen Aldi-Süd-Filialen ein, und die sind alle drei anders. Andere Warenreihenfolge, andere Sortierung in den Regalen, auch andere Möblierung (Brotautomaten oder Brötchenknast, U-Bahn-TK oder Truhen, offenes Kühlregal oder Türen), alles längs oder auch quer. Und mir geht das extrem auf den Geist. Früher[TM] konnte man gefühlt in einer zufällig ausgewählten Filiale mit verbundenen Augen einkaufen, heute suche ich jedes Mal den Aufschnitt. Immerhin ist es immer noch sauberer als bei netto und Lidl.

  • Für mich war Aldi-Nord eigentlich immer der Primus unter den Discountern (Aldi-Süd kenne ich hier im Norden nicht), aber LIDL hat doch langsam und stetig das mittlerweile bessere Angebot. Ob Bioland, der deutlich bessere gelöste Aufbackbereich oder eben auch die Obst- und Gemüseabteilung. Da kommt Aldi leider nicht mehr mit. Der Umbau wundert mich deshalb nicht, er nähert sich dadurch der LIDL-Lösung an. Aber LIDL scheint mir immer noch einen Tick besser zu sein, was das Angebot und die Vielfalt angeht.

    Übrigens: Danke an Deine Berichte hier. Das ist sehr erfrischend mal was anderes.

  • Also ich kann diesen Wunsch nach Abschaffung der „Rennstrecke“ nicht nachvollzeihen. Klar sieht so eine L-förmige Ausstellung oder kleine Tisch-/Regalecken optisch deutlich besser aus, aber es erschwert meiner Meinung nach das Einkaufen schon erheblich, weil man nicht alles auf einen Blick sieht und unter Umständen die Regalgruppen mehrfach umrunden darf, bis man alles beisammen hat.

    Optik schön und gut, mir persönlich ist aber an einem schnellen Einkauf deutlich mehr gelegen. Ich bevorzuge daher die „alte“ Lidl-Rennstrecke deutlich mehr als dass ich bei Aldi Süd die ganzen Regalgruppen mehrfach umrunde, bis ich endlich alles beisammen habe.

  • Ich finde die Rückkehr zur Rennstrecke total gut, wobei die bei uns, Bremen, gar nicht in jedem Aldi abgeschafft war. Aber diese neuen Obst und Gemüseregale fand ich nervig.
    Allerdings kaufe ich bei Aldi wirklich kaum bis gar nicht ein, weil ich einfach nicht alles bekomme, was ich brauche. Und selbst, wenn mir der Preis wichtig wäre, könnte ich vieles (bis auf Obst und Gemüse) auch bei Nutzung der Ja! Produkte vom Rewe kaufen.
    Wir kaufen aus Bequemlichkeit fast alles bei Rewe, und ergänzen durch Produkte vom Bioladen (Aleco oder Alnatura).
    Was mir an Lidl und Aldi oft stört, wenn ich schon mal da bin (selten), ist es voll und eng. Lidl nutzen wir im Sommer öfter, weil einer beim Schrebergarten in der Nähe ist, aber der ist zu jeder Uhrzeit voll und eng (obwohl umgebaut). Das liegt vermutlich daran, dass in dem Stadtteil eher wenig Supermärkte bzw. erst zwei, drei Kilometer weiter welche gibt.

  • Hallo

    Aldi Nord in Kreuztal-Krombach hat das Obst und Gemüse auch am Eingang, L-Förmig und mittig dann ein normales Längsregal. So wie bei Lidl und Aldi Süd jetzt neu.
    Aber, man kann am Ende vom zweiten Gang wieder in die Obst- und Gemüseabteilung gehen. Bei Lidl und Aldi Süd ist dies nicht möglich, da dort ein Regal quer gestellt ist.

    Man kann sagen, dass Aldi Nord das Obst und Gemüse am Anfang vom ersten Gang, und am Ende des zweiten Gangs platziert hat.

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