Die Schaufensterpuppen sind alle abgeräumt, der Blick auf die Fläche von draußen ist frei; drinnen lotst eine Absperrung mit Flatterband die Kund:innen direkt zu den Rolltreppen und verweist Stammkäufer:innen ein paar Meter weiter nach rechts: „Unsere neue Beauty-Abteilung findet ihr neben der Uhren/Schmuck-Abteilung“, steht auf einem Schild. Andere Plakate kündigen an, dass es „Zeit für etwas Neues“ ist.
Wer derzeit bei Galeria am Berliner Hermannplatz einkauft, läuft für die kommenden Wochen an einer Baustelle vorbei. Noch steht da nicht, was genau passieren soll.
Aber der neue Galeria-Partner Lidl hat’s in der vergangenen Woche schon offiziell gemacht: „noch in diesem Jahr“ wolle man zwei neue Innenstadtfilialen eröffnen – und zwar „jeweils im Erdgeschoss der Galeria-Standorte am Berliner Kurfürstendamm und am Hermannplatz“.
Wie genau das aussehen soll, ist noch nicht bekannt. Lidl sagt, man wolle für die Standorte „maßgeschneiderte Filiallösungen“ entwickeln, um „eine angenehme und moderne Einkaufsatmosphäre“ zu schaffen. Gleichzeitig heißt es, die Flächen böten „genügend Platz für das umfangreiche Sortiment aus rund 4.300 Einzelartikeln“. In Berlin wolle man insbesondere das Bio-Frischesortiment und vegane Produkte in den Vordergrund rücken. Self-Checkouts sind geplant. Und:
„Die Verkaufsfläche wird sowohl über eigene Eingänge verfügen als auch über die Galeria-Fläche zugänglich sein.“
Konzentration auf Kernsortimente
Wie das aussehen wird, lässt sich zumindest erahnen: Der Galeria-Ausgang zur Hasenheide im Süden des Komplexes ist derzeit gesperrt; höchstwahrscheinlich werden dort nach Abschluss des Umbaus Discount-Kund:innen empfangen. (Sofern die die sich nicht vom „Puffer Imbiss“ direkt davor abschrecken lassen, der auch schon bessere Tage gesehen hat.)
Schon seit längerem war über eine entsprechende Kooperation der beiden Unternehmen spekuliert worden. Für Lidl ist das eine gute Möglichkeit, an neue Standorte in Innenstadtlagen zum kommen. Laut „Lebensmittel Zeitung“ würde der Discounter gerne in bis zu 14 Galeria-Häuser einziehen. (Dazu gibt es bislang keine Bestätigung.)
Und für die neuen Eigentümer der Kaufhauskette, ein Konsortium aus dem US-Investor Richard Baker und dem deutschen Unternehmer Bernd Beetz, ist damit nicht nur die Hoffnung verbunden, jüngere Kundschaft in die nach wie vor sanierungsbedürftigen Häuser zu locken („Das Herz der Innenstadt“) – sondern auch die, überschüssigen Platz an externe Partner zu vergeben, um sich auf die Kernsortimente konzentrieren zu können (laute „LZ“ sind das Beauty, Schuhe, Handtaschen, Wäsche, Fashion, Home und Freizeit).
Gleichzeitig könnte das eigene Geschäft mit Lebensmitteln, das derzeit unter dem Namen „Markthalle“ läuft, bestehen bleiben, sich aber auf Wein, Spirituosen und Feinkost konzentrieren.
dm ist auch schon da
Ganz so neu, wie es in einigen Medienberichten nun suggeriert wird, ist die Idee freilich nicht. Denn in der Vergangenheit haben die unter Galeria zusammengeführten Kaufhausketten Karstadt und Kaufhof schon des öfteren versucht, den Lebensmitteleinzelhandel für sich zu gewinnen, um von dessen Frequenz zu profitieren.
Ein Beispiel: Freiburg. Dort war Karstadt vor über einem Jahrzehnt in der Rolle des Expansionsnachbars für die Schweizer Handelsgenossenschaft Migros, die (in Gestalt der Migros Basel) im benachbarten deutschen Markt Fuß fassen wollte, das aber nach nur wenigen Jahren (und Märkten) 2013 wieder aufgab (Abo-Text).
Die Fläche im Untergeschoss fand später in Rewe einen interessierten Nachmieter. Der Freiburger Kaufhof beherberge damals schon den Supermarkt eines selbstständigen Rewe-Kaufmanns (siehe dazu beide Male Supermarktblog von 2014).
Bereits unter den vorherigen Eigentümern mühte sich die Warenhauskette zudem, Flächen an Partner aus dem Lebensmittel- und Drogerieartikelhandel abzugeben. Im Potsdamer Stadtpalais ist dm seit fast einem Jahrzehnt Warenhausnachbar auf zwei Etagen (die gerade renoviert wurden); und auch im Berlin-Neuköllner Haus betreibt dm schon seit geraumer Zeit einen eigenen Markt – direkt unter der nun umzubauenden Fläche, auf der noch das in die Jahre gekommene Warenhausparkett glänzt und Bauarbeiter derzeit zuerst die Decken öffnen.
Lieber nicht ins Untergeschoss
Neu ist, dass Galeria bereit zu sein scheint, auch Flächen im Erdgeschoss freizuräumen, um Partner von einer Zusammenarbeit zu überzeugen. (Zumindest für einige der verbliebenen 83 Filialen; vor fünf Jahren waren es noch 173.)
Dass die sich nicht mit dem Untergeschoss begnügen wollen, sondern lieber obendrüber einziehen wollen, liegt nahe: einerseits, weil sich so in der Regel ein direkter Eingang umsetzen lässt. Genauso wie beim Rewe-Markt, der Ende 2023 in der Leipziger Innenstadt ins Erdgeschoss des umgestalteten Karstadt-Warenhauses (jetzt: „NEO“) an der Petersstraße gezogen ist, „damit unsere Kundinnen und Kunden schnell und ohne Umwege zu uns kommen können“ (der Marktleiter zur „Leipziger Volkszeitung“).
Und andererseits, weil eine Etage tiefer oft noch eindrücklicher als überall sonst zu beschauen ist, wie sehr das bisherige Geschäftsmodell und die Einrichtung der Warenhauskette in die Jahre gekommen sind.
Im Berliner Hermannplatz-Galeria quetscht sich der Drogeriepartner unter die Rolltreppen zwischen einen Altberliner Kneipentresen und eine verlassene Verkaufstheke, die bislang vergeblich nach neuen Betreiber:innen sucht („Diese Fläche können Sie mieten!“), während grauenhafte Fliesen Kund:innen in die düstere „Markthalle“ ziehen sollen, die ihren Frischeanspruch ganz vorne mit MHD-nahen Convenience-Salaten des bisherigen Lieferpartners Rewe vergeblich zu demonstrieren versucht. Ein daneben gelegener Direkteingang zum U-Bahn-Knotenpunkt ist verwaist: Der ÖPNV spuckt hier keine potenzielle Kundschaft mehr aus.
„Kulinarikwelten“ mit U-Bahn-Anschluss
Es ist ein trauriges 80er-Jahre-Spektakel, das eigentlich nur durch den Komplettumbau gerettet werden könnte – wenn denn feststünde, dass dann wieder ausreichend Leute zum Einkaufen kämen.
Umso wichtiger wäre der erfolgreiche Neuanfang eine Etage höher, bei dem – Medienberichten zufolge – auch Ikea mit einer Möbelabholstation eine Rolle spielen könnte. Bis dahin steht die Frage im Raum: Sind Warenhäuser und Lebensmitteleinzelhändler tatsächlich die perfekten Partner? Die einen haben den Platz, und die anderen sorgen für Kundschaft.
Eine andere Kooperation versucht es im Süden der Republik vorzumachen: C&A und Edeka. Im vergangenen Jahr konnte der Eigentümer der Immobilie am Ludwigsplatz den Vollsortimenter für die Idee begeistern, mitten in die belebte Nürnberger Innenstadt zu ziehen, unter den Hauptmieter C&A. Anfang Januar 2024 war Eröffnung der „Edeka Kulinarikwelten“, mit denen die aus Fürth stammende Kaufmannsfamilie Stengel sich vorrangig an Kund:innen richtet, die auf dem Weg nachhause noch einiges einkaufen wollen. Und im Zweifel auch bereit sind, dafür ein bisschen mehr Geld auszugeben.
Eingang durch die Dämmerlichthölle
Denn auf den 2.050 Quadratmetern Verkaufsfläche gibt es nicht nur eine eigene Schnippelküche, die stetig neue Bowls und Salate produziert, sondern auch eine „Schatzkammer“ mit teuren Spirituosen, einen Schinkenschrank, etliche Regalmeter mit Kuriositäten und Spezialitäten aus Asien und den USA sowie eine riesige Backtheke mit 80 Sorten Brot aus acht Nürnberger Handwerksbäckereien.
Das hört sich auf den ersten Blick alles wahnsinnig gut an – und sieht unheimlich schick aus. Es hat aber auch so seine Tücken.
Zuallererst die Eingangssituation: Draußen an der Fassade weist zwar ein riesiges Banner auf den neu eingezogenen Untermieter hin; und darunter hängen die Logos der beiden Händler quasi gleichberechtigt übereinander. Beim Vorbeilaufen sind die Kulinarkwelten für Passant:innen sonst aber quasi unsichtbar, weil sie den Platz im Untergeschoss benötigen, um sich voll entfalten zu können.
Wer einkaufen will, muss entweder im Warenhaus die Rolltreppe herunterfahren; oder kommt alternativ über den Eingang zur U-Bahn an der daneben gelegenen Station Weißer Turm. Die ist, wie es U-Bahn-Zugänge so an sich haben, nicht gerade eine Visitenkarte für einen Laden, der sich Wohlfühlatmosphäre und Genuss auf die Fahnen schreibt, seine Kundschaft aber zu allererst durch die Fliesen-, Pinkel- und Dämmerlichthölle des örtlichen ÖPNV-Zustiegs schickt.
8 Euro für einen Supermarktsalat
Der Kontrast zwischen edler Backtheke mit automatisch arbeitendem Kaffee- und Mocktail-Roboter auf der einen und grau-baruner U-Bahn-Tristesse auf der anderen Schiebetürseite könnte jedenfalls kaum größer sein. Und wirkt wie eine Barriere, die erstmal überwunden werden muss.
Dazu kommt, dass der rund zehnmonatige Umbau der Fläche unter erschwerten (Planungs-)Bedingungen erfolgte. Statiker:innen hatten laut einem Bericht der „Nürnberger Nachrichten“ (Abo-Text) festgestellt, dass der Kaufhausboden nicht für die Traglasten ausgelegt war, die der Betrieb eines Supermarkts mit sich bringt (z.B. schwere Paletten mit Mehl und Zucker). Deshalb musste die Fläche erst mit neuen Verstrebungen und Beton verstärkt werden.
Diesen Aufwand kann man betreiben – wenn man als Händler sehr sicher ist, einen gut funktionierenden Standort gefunden zu haben.
Ob das in Nürnberg der Fall ist, müssen die Kulinarikwelten erst noch unter Beweis stellen: Weil dort wegen fehlender Parkplätze fast niemand mit dem Auto einkauft, sind die Kassenbons eher niedrig; schwere Waren werden seltener gekauft. Und so lobenswert es ist, dass Gemüsevariationen frisch zubereitet werden: 8 Euro für einen Supermarktsalat sind sehr viel Geld und bedeuten fast schon Konkurrenz mit der örtlichen Gastronomie.
Verschenktes Potenzial
Dabei ist der Convenience-Schwerpunkt des – ziemlich stylischen – Markts nicht mal schlüssig zu Ende gedacht: Bereits am frühen Morgen halten die Kulinarikwelten zwar handgefertigte Süßspeisen zum Mitnehmen bereit. Aber an einen frischen Quark, Obstsalate, Joghurt-Varianten mit Müsli und Crunchy, sattmachendes Porridge, frisch belegte Toasties oder Sandwiches bzw. ähnliche Frühstücksvarianten als Alternative zur Standardwurstsemmel, die Kundschaft beim Umsteigen aus der nahen U-Bahn in den Laden lenken könnten, hat bei der Bestückung der meterlangen Frischetheke im „vollversorgenden Citymarkt“ („LZ direkt“) bei meinem Besuch im Sommer niemand gedacht. Was für ein verschenktes Potenzial! (Für mittags gibt’s zumindest Suppe zum Selbstabschöpfen für 4 Euro.)
Potenzial, um Kooperationen von Warenhausbetreibern und Supermärkten erfolgreich sein zu lassen, ist durchaus vorhanden. Stolpersteine bei der Umsetzung entsprechender Konzepte gibt es aber auch.
Galeria & Co. werden sich einiges einfallen lassen müssen, um Edeka, Lidl & Co. die Zusammenarbeit dauerhaft schmackhaft zu machen; zumal die Handelsketten an die begehrte Standorte im Zweifel natürlich auch dann kommen, wenn das Warenhausgeschäft in Deutschland sich endgültig erledigt hat, weil die Kund:innen fehlen und – wie in Leipzig – der bisherige Stammmieter auszieht.
Die go asia-Supermärkte haben sich auch in einigen Galeria-Untergeschossen eingenistet, in Augsburg sieht es aus als wurde ein Teil vom C&A-EG abgeknapst.
Beim Thema Galeria bin ich auf den Flagship Store am Berliner Alexanderplatz gespannt bei der Thematik Lebensmittel. Denn für viel Geld wurde da ein Durchbruch in die Kelleretage gebohrt, wo einst der Vorbesitzer sie neue „Frische Abteilung“ hinkommen sollte.
Ich kann nicht nachvollziehen, warum Lidl, Edeka, dm und Co. dieses Wagnis eingehen, da auch die letzten 83 Galeria-Warenhäuser gefühlt wöchentlich in die nächste Insolvenz und damit vielleicht in die endgültige Abwicklung rutschen könnten. Zwar sind die Häuser in Top-Lagen, allerdings ohne den Hauptmieter Galeria kaum noch attraktiv, und Nachmieter für die gesamten Riesenflächen sind kaum oder nicht schnell zu finden. Einige Beispiele, bezogen auf den bisherigen Standard der Lage im UG: In Duisburg ist Aldi Süd (ehemals Perfetto/Karstadt Lebensmittel) in einem Einkaufscenter-Karstadt Mieter, kann dort also sicher auch alleine gut überleben. In Bonn allerdings waren Aldi und dm bis zur Eröffnung des (zwischenzeitlich auch insolventen) Peek&Cloppenburg im UG einer abgedunkelten Ruine gefangen (Zugang über das leere Erdgeschoss des ehem. Karstadt), in Lübeck sind dm und Edeka in einem riesigen Haus alleine und man sieht kaum, dass dort tatsächlich noch Geschäfte warten (auch wieder im UG), ins UG des Karstadt Düsseldorf Shadowstraße quetschen sich go Asia, Aldi und die Galeria Markthalle, der Kaufhaus-Standort stand bis vor Kurzem erneut auf der Kippe.
Bezüglich Karstadt Düsseldorf Shadowstraße: „questschen“ trifft’s nicht ganz, zumindest Aldi und GoAsia sind überdurchschnittlich groß und meist gut besucht. Nur die „Galeria Markthalle“ ist eher klein, wohl zu klein für Rewe, die diesen Markt eine Zeitlang unter ihrem Namen betrieben. Angesichts der Gemüse- und Salat-Optik haben die immer noch zu wenig Kunden. Der Standort insgesamt ist aber wohl zumindest solange gesichert, wie es Galeria gibt, denn die Galeria-Hauptverwaltung soll ins Obergeschoß ziehen.
Im ehemaligen Karstadt (jetzt Primark) in der Stuttgarter Königsstraße war schon vor, glaube ich, 20 Jahren, ein Edeka im Untergeschoss. Wobei hier die Besonderheit besteht, dass der Laden durch die Hanglage einen ebenerdigen Ein-/Ausgang hatte. Jetzt ist da schon eine ganze Weile ein dm drin, der auch den Wechsel von Karstadt zu Primark unbeschadet überlebt hat.
Im ehemaligen Karstadt-Sport war eine zeitlang im Tiefgeschoss ein Go-Asia-Laden drin, was dem ganzen eine „besondere“ Atmosphäre verlieh, dass man erst durch das leere Erdgeschoss gehen musste, um dann mit der Rolltreppe ins Untergeschoss mit dem Asia-Laden zu kommen. Jetzt ist der Asia-Laden nach gegenüber ins Untergeschoss des Kaufhof umgezogen, wo Kaufhof früher ein eigenes Lebensmittelgeschäft hatte.
In Hannover hat sich C&A schon vor einiger Zeit bedeutend verkleinert. Das ist der Weg, den die zu große Stores gehen müssen. Von den Plänen kann man hier noch in der Immobilienzeitung lesen (https://www.iz.de/projekte/news/-ca-haus-in-hannover-wird-zur-multi-tenant-immobilie-1000079935 mit Bezahlschranke).
Da ist nun Rewe / Woolworth im Untergeschoss und im Erdgeschoss hat noch ein dm Shop eröffnet.