Papp-Klose gegen Fußball-Schlumpf: Warum im Supermarkt so viel gesammelt wird

Papp-Klose gegen Fußball-Schlumpf: Warum im Supermarkt so viel gesammelt wird

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Geht’s Ihnen gut? Keine Beschwerden? Sie sind nicht ein bisschen nervös wegen Samstag? Dann gehören Sie vermutlich zu den wenigen Deutschen, die eine seltene Sammelimmunität besitzen. Oder zu denen, die ihr Album schon komplett haben.

Seit Mitte Mai verteilt Rewe an der Kasse wieder Spieler der deutschen Nationalmannschaft an seine Kunden. Natürlich nicht die echten. Die haben gerade anderes zu tun als im Supermarkt rumzuhängen. Aber den meisten Leuten reichen die Fußballer auch in der Pappversion* – als Sammelkarte zur Europameisterschaft. Für jeweils 10 Euro Einkaufswert gibt’s eine in Silberfolie eingeschweißte Spielerkarte, die in ein separat erhältliches Album geschoben werden kann, wo sie dann ihrer zukünftigen Vergilbung entgegenfristet.

An diesem Wochenende geht die Aktion zu Ende. Geschätzte 140 Millionen Karten wurden bis dahin verteilt. Facebook und Ebay sind vorübergehend zu Tauschbörsen umfunktioniert worden; es gab eigene Tauschtage, die deutschlandweit in Rewe-Märkten veranstaltet wurden; und haufenweise Leute können an nichts anderes mehr denken als ihren doppelten Gomez gegen den fehlenden Klose auszuwechseln einzutauschen.

Was zur Hölle ist da los?

Am besten ist, man fragt Jörg Croseck, Geschäftsführer von The Continuity Company Düsseldorf (TCC), wo die Aktion für Rewe ausgedacht wurde. Croseck sagt:

„Unsere Kalkulation geht davon aus, dass der größte Teil der Familien, die teilnehmen, ihr Sammelalbum auch tatsächlich voll bekommen. Das Ziel ist es ja nicht, die Leute zu frustrieren – sondern im Gegenteil: die Kunden zu belohnen.“

Puh, dann ist ja gut. Und jetzt noch mal genauer: Warum drehen die Leute plötzlich durch, bloß weil sie ein paar kostenlose Pappkärtchen mit aufgedruckten Fußballern geschenkt kriegen, Herr Croseck?

„In unseren Studien haben wir herausgefunden, dass die Sammelaktionen im – für die meisten Leute relativ monotonen – Einkaufsprozess eine extrem positive Abwechslung sind. Die Kunden empfinden die Aktionen als nette Geste ihres Einzelhändlers, der sie für ihre Treue belohnt.“

Weil der Panini-Effekt bei Rewe vor zwei Jahren zur WM schon mal sehr gut funktioniert hat, jagt seitdem eine Sammelkartenaktion die nächste: Wenn gerade mal kein Fußball-Event ist, werden WWF-Tiersticker oder Karten mit Popstars und Gratisdownloads verteilt. Und in den Regionen Südwest, Rhein-Ruhr und Nordbayern/Sachsen/Thüringen sammeln Edeka-Kunden beim Einkaufen gerade Schlumpfpunkte, die in einen Sammelpass eingeklebt werden, um für jeweils vier Punkte einen Fußball-Schlumpf abzustauben (Stürmer-Schlumpf, Torwart-Schlumpf, Trainer-Schlumpf und – ähem – Fan-Schlumpfine).

Die Aktionen sind Abwandlungen der klassischen Kundenbindungsprogramme, die von den Supermärkten gerne als „Treuaktionen“ verschlumpft werden – wobei, genau betrachtet, dabei weniger die bisherige Treue gemeint ist, sondern vor allem die mit der Aktion künstlich erzeugte. Die Programme eignen sich nämlich hervorragend, um den Händlern ein ordentliches Umsatzplus zu bescheren – zwischen 5 und 10 Prozent, erklärt TCC Global. Geschäftsführer Croseck sagt: „Im Gegensatz zu den klassischen Kundenkarten haben unsere Aktionen einen genauen Anfang und ein genaues Ende. In dieser Zeit sind die Prämien bestenfalls so attraktiv, dass die Kunden häufiger in den Laden gehen und dort ihre Ausgaben konzentrieren, um an die Prämien zu kommen.“

Das heißt: Manche Leute kaufen mehr als sonst. Andere gehen seltener zur Konkurrenz und kaufen stattdessen alles im Sammelkarten-Markt.

„Die primäre Zielgruppe der Sammelkarten-Aktion sind Kinder um die zehn Jahre“, sagt Croseck. Und die machen ihren Eltern dann nicht selten klare Ansagen, wo sie einkaufen sollen, um ein paar neue Karten zu kriegen. „Wobei es auch viele Erwachsene gibt, die sammeln, um ihrem Kind oder ihrem Enkelkind zu einem bestimmten Zeitpunkt ein vollständiges Sammelalbum schenken zu können.“

Das funktioniert nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern: Anlässlich ihres 50. Geburtstags hat die französischen Supermarktkette Carrefour kostenlose Plüschtiere an Sammelpunktesammler verteilt – insgesamt 1,5 Millionen; in den japanischen „7-Eleven“- Kiosken war eine ähnliche Aktion mit Hello-Kitty-Anhängern der Renner.

So empfindlich und empört wir sonst sind, wenn wir den Verdacht haben, beim Einkaufen beeinflusst zu werden – sobald es an der Kasse was kostenlos dazu gibt, scheint sich bei vielen Kunden vorübergehend das Hirn auszuschalten. Oder, anders formuliert: Wenn wir, anders als in der Steinzeit, schon unser Essen nicht mehr jagen müssen, wollen wir wenigstens das Sammeln nicht ganz aufgeben.

Die Programme, bei denen es kostenlose Prämien (oder Karten) gibt, funktionieren am besten, hat TCC herausgefunden. Und wer einmal mitgesammelt hat, ist offener dafür, beim nächsten Mal auch Treueherzchen zu bunkern und sich bei einer klassischen Aktion eine Pfanne oder ein Messerset zuzulegen, für das nochmal zugezahlt werden muss.

Die Zuzahl-Utensilien sind auch der Grund dafür, dass nach dem Ende einer Sammelkartenaktion meistens nicht sofort die nächste folgt. Die Händler wollten ihre Kunden nicht mit parallel laufenden Programmen überfordern, sagt Croseck. Um die 40 Wochen im Jahr würden schon jetzt mit verschiedenen Aktionen gefüllt. In der Zeit vor Weihnachten bis zum neuen Jahr ist meistens Pause, weil dann bei vielen Kunden kurzzeitig wieder der Jagdinstinkt wieder durchbricht und wie wild für die Feiertage eingekauft wird.

Der natürliche Feind der Sammelkarte ist übrigens, vielleicht haben Sie’s erraten: der Rubbelschnipsel. Mit solchen beglückt gerade die Discounter-Konkurrenz ihre Kundschaft: „Torjäger gesucht“ heißt die Aktion, für die Lidl in Werbespots (unter anderem vor der „Tagesschau“; siehe Foto) wirbt. Für 20 Euro Einkaufswert gibt es eine Karte, bei der drei „Tore“ freigerubbelt werden müssen, um Preise zu gewinnen. Als unmittelbare Konkurrenz sieht Croseck die Lidl-Rubbler aber nicht: „Es gibt zwei elementare Unterschiede: Der Händler braucht für solche Gewinnaktionen viele große, teure, hochattraktive Prämien: Häuser, Autos, Urlaube – das ist nicht immer wirtschaftlich. Und für die Kunden hat Gewinnen immer viel mit Glück zu tun. Bei den Sammelkarten kann jeder selbst seinen Erfolg bestimmen.“

Zumindest so lange bis der Kühlschrank wegen Überfüllung auseinanderbricht und noch bis zum Ende dieser Woche. Wer schon alle Karten hat, braucht mit dem Weitersammeln sicher nicht bis zur nächsten WM zu warten. Die Lizenzen für Kärtchen zum neuen „Ice Age“-Film und dem Spielehit „Angry Birds“ hat sich TCC schon gesichert. Aber: pssst – verraten Sie das Ihren Kindern besser noch nicht.

*Nachtrag: Mike weist in den Kommentaren darauf hin, dass die Rewe-Sammelkarten aus Plastik sind, nicht aus Pappe. Pardon.

Foto/Screenshot: Supermarktblog/Lidl

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