Als die ersten Tester Anfang Mai ihre Urteile veröffentlichten, war der kleine Milchreis-Eklat nicht mehr aufzuhalten: „Sieht aus wie Milchreis, schmeckt nach nichts“, schrieb einer. Ein anderer bemängelte „ekligen Geruch“. „Nicht cremig genug“ und „geschmacksneutral“ kritisierten die nächsten. Weniger höfliche Bewertungen lauteten: „muffig“, „pappig“ und „abartig“. Am Ende aber waren sich die meisten Kommentatoren einig: „Kaufen würd‘ ich mir das nicht.“ Spätestens da muss den Marketingleuten von Reis Fit klar geworden sein, dass ihr neuer Milchreis für die Mikrowelle im Supermarkt kein besonders großer Hit werden würde.
Die Entwickler bedankten sich höflich bei den Testern für ihre Einschätzung und erklärten, diese ernst nehmen zu wollen:
„Daher arbeiten wir aktuell mit Hochdruck an einer verbesserten Rezeptur, um den Milchreis so zu gestalten wir ihr es euch gewünscht habt.“
Mit einer derart brutalen Ehrlichkeit der Konsumenten haben Danielle Fontaniello und Johannes Nielsen vielleicht nicht gerechnet, als sie vor drei Jahren ihr Start-up Brandnooz für so genanntes „Empfehlungsmarketing“ gründeten. („Brand“ steht für Marke, „nooz“ ist die hippe Schreibweise für „News“.) Aber zumindest zeigt der kleine Milchreis-Eklat, dass ihre Idee funktioniert. In manchen Fällen halt nur anders als gedacht.
Fontaniello hat bei Coca Cola im Marketing gearbeitet, Nielsen war Fachverkäufer in der Lebensmittelabteilung des KaDeWe, und ihre ursprüngliche Idee ist eine Art online-basiertes Vorkostersystem für Neugierige, das gleichzeitig als Promotionplattform für Hersteller funktioniert.
Regelmäßig verschickt Brandnooz Kostproben an Leute, die sich nachher dazu befragen lassen, ob’s ihnen geschmeckt hat. Seit April geht das auch per Abo: mit der Brandnooz-Box. Für zehn Euro wird einmal im Monat ein Paket mit ungefähr zehn neuen Produkten geliefert. Drin ist zum Beispiel: ein neuer Fruchtdrink, eine Kekssorte oder ein ungewöhnlicher Snack. In einer Online-Umfrage erkundigt sich Brandnooz nachher, was gut angekommen ist und ob die Tester ein Produkt wiederkaufen oder sogar weiterempfehlen würden.
Nielsen sagt: „Wir bieten den Verbrauchern die Möglichkeit, neue Produkte auszuprobieren, und den Unternehmen den Zugang zu einer konsumfreudigen und meinungsführenden Zielgruppe, die bereit ist, im Monat 10 Euro auszugeben, um sich überraschen zu lassen.“
Und um danach damit bei Freunden und Arbeitskollegen anzugeben. Zumindest kalkulieren die Hersteller damit, dass die Testesser unbewusst zu „Markenbotschaftern“ werden. (So hat’s die „Lebensmittelzeitung“ formuliert.) 15 Cent zahlt ein Unternehmen pro Paket, um ein neues Produkt in der Box zu platzieren. Wenn es eine etwas ausführlichere Marktforschung im Anschluss sein soll, auch mehr. Derzeit haben 3000 Neugierige die Box abonniert.
Für Markenhersteller werden solche Wege der Kundenansprache immer wichtiger. Nicht nur, um rauszukriegen, ob ihr Milchreis ein Flop ist. Sondern, um überhaupt eine Chance zu haben, ein neues Produkt zu etablieren.
Jährlich kommen in Deutschland laut GfK etwa 30.000 neue Produkte auf den Markt. 70 Prozent davon sind ein Jahr später gefloppt. Die GfK weiß auch, wie sich das vermeiden lässt: Indem ein Hersteller die so genannten „Innovatoren“ unter den Kunden für sich gewinnt. Und indem er alles unternimmt, sein Produkt möglichst schnell an möglichst vielen Stellen verfügbar zu machen. Das Problem ist nur: In den meisten Supermärkten ist gar nicht genug Platz, um 600 neue Produkte pro Woche in die Regale zu stellen. Viele Ketten verringern den Platz für Markenprodukte sogar, weil sie ihren Eigenmarken den Vorzug geben.
Die Markenhersteller müssen sich deshalb neu überlegen, wie sie ihre Produkte verkaufen können. Zum Beispiel online. Nestlé versucht es mit seinem „Marktplatz“. Für den mittelständischen Quark-Produzenten würde es sich aber kaum lohnen, eine eigene Seite aufzubauen. Der bräuchte eine Plattform, die herstellerübergreifend funktioniert. Start-up-Gründer Fontaniello macht kein Geheimnis daraus, dass es seinem Start-up genau darum geht: „Unser Ziel ist es, dass die Produkte aus der Box auch über Brandnooz im Internet gekauft werden können.“
Zunächst einmal soll aber der Abonnentenkreis erweitert werden. An kreativen Ideen dafür mangelt es schon mal nicht. Geplant ist unter anderem eine Themen-Box, bei der die Produkte alle zueinander passen. Im Oktober wird erstmals eine Kühl-Box über einen Spezialversender verschickt, deren Inhalt von Kühlpads frischgehalten wird, die sich wiederverwerten lassen. Zumindest wenn die Lieferung wie versprochen innerhalb von 24 Stunden klappt.
Bisher hapert’s daran noch sehr. Offensichtlich kriegt es der beauftragte Lieferdienst Hermes bisher nur selten hin, die Boxen alle einigermaßen rechtzeitig zu ihren Empfängern zu bringen. Wer nicht zuhause ist und das Pech hat, seine Box beim Nachbarn abholen zu müssen, kann zufrieden sein, wenn er sich nicht wegen einer fehlenden Benachrichtigung über eine teure 0900er-Nummer bei Hermes Auskunft über den Abgabeort erbetteln muss. Bei Facebook ärgern sich Abonnenten darüber, dass ihre Lieferung spät dran ist und sie dann schon von anderen Nutzern wissen, was drin steckt.
Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil die Box als „Wundertüte“ funktionieren soll, wie Nielsen es formuliert: „Es weiß niemand vorher, was drin ist. Für viele ist das deshalb jedes Mal wie Geschenkeauspacken zu Weihnachten.“ Diese Emotionalität sei der Branche abhanden gekommen. „Im Supermarkt gehen die Leute ihre Liste mit den üblichen Produkten durch, und für viele Hersteller ist es ungeheuer schwer, überhaupt auf den Einkaufszettel zu kommen.“
Selbst wenn die Chancen mit dem Probierabo steigen: Als schmatzend vor sich hinplapperende Reklametafeln wollen sich die Abonnenten trotz des Geschenkekitzels auch nicht behandeln lassen. Im Gegenteil: Die „meinungsführende Zielgruppe“, die sich Brandnooz geangelt hat, schaut ziemlich genau hin und ist sehr kritisch.
Bereits nach der ersten Box gab es Beschwerden in Blogs (hier, hier und hier zum Beispiel), dass viele Produkte überhaupt nicht neu seien, sondern schon seit Monaten auf dem Markt. Fontaniello und Nielsen haben reagiert und schreiben seitdem den exakten Regalstart auf die beiliegenden Übersichtskarten. Damit sich niemand übers Ohr gehauen fühlt. An der Kombination soll sich aber nichts ändern. „Rechtlich gesehen darf ein Produkt sechs Monate lang als ’neu‘ bezeichnet werden“, sagt Fontaniello. „Aber oft ist es so, dass die meisten Leute das Produkt in diesem Zeitraum noch nie in der Hand hatten. Oft dauert es Jahre, bis etwas Neues überall verfügbar ist.“ Sein Geschäftspartner erklärt: „Die Hersteller haben natürlich auch ein Interesse daran, Produkte in die Box zu bringen, die es schon zu kaufen gibt, um deren Absatz zu steigern.“ Inzwischen werden solche Produkte als „Tipp“ gekennzeichnet. (Und das Versprechen „Immer als Erster probieren“ ist in „Immer etwas Neues probieren“ verändert worden.)
So richtig klar ist nicht, wer im Geschäftsmodell der Brandnooz-Gründer den Vorrang hat: Werden die neuen Produkte der Hersteller an die Kunden verkauft – oder doch zuerst die Kunden an die Hersteller? Wahrscheinlich besteht die Kunst darin, beiden Seiten zu vermitteln, das Angebot richte sich jeweils ganz nach ihren Bedürfnissen.
Fontaniello und Nielsen riskieren in jedem Fall, mit ihrer Box als verlängerter Arm der Industrie dazustehen, wenn sie dabei assistieren, neue Trends im Markt durchzudrücken. In den ersten drei Brandnooz-Boxen waren stets Produkte, die das erst kürzlich in der EU zugelassene Süßungsmittel Stevia enthalten, das zwar kalorienarm ist, aber – unter anderem wegen seines Eigengeschmacks und Diskussionen über mögliche Risiken – kein besonders gutes Image bei den Verbrauchern hat. Die Industrie will Stevia trotzdem durchsetzen. Und Brandnooz liefert die Testgelegenheiten dazu: die Stevia-Halsbonbons, das Stevia-Süßungspulver, die Stevia-Marmelade.
Noch ein Problem ist, dass Brandnooz bei den Empfängern schnell als Fast-Food- und Süßigkeiten-Box abgehakt werden könnte: weil bisher vor allem Zeug drinsteckte, das sich die Industrie in ihren Labors zusammenbraut. Einen Beitrag zur Debatte über gesunde Ernährung leistet Brandnooz mit Kaugummivariationen, Mikrowellenfutter und bunt verpackten Zuckerdrinks jedenfalls nicht. Das wird kaum ausreichen, um die Abonnenten dauerhaft zu halten. Weil man nach dem Probieren jedes Mal einen Tag Obstkur einlegen möchte, um den ganzen Zucker und die Geschmacksverstärker auszunüchtern. „Wichtig ist für uns vor allem, dass es emotionale Produkte sind – und die sind natürlich stärker mit Lebensmitteln verbunden, die für Genuss stehen“, erklärt Nielsen, ergänzt aber, dass das auch Bio-Lebensmittel leisten könnten. Eine Bio-Themenbox wäre zumindest eine willkommene Abwechslung. Weil Ehrlichkeit und Transparenz bei der Produktion offensichtlich auch für viele Tester ein großes Thema sind.
Das hat jedenfalls der Reis-Hersteller Gallo zu spüren bekommen, dessen Fertigrisotto der Juni-Box beigelegt war. Auf der Packung warb Gallo damit, ohne Zusatz von Mononatriumglutamat auszukommen. Weil in der Zutatenliste auf der Packungsseite aber Hefeextrakt aufgeführt ist, das denselben Effekt wie künstliche Geschmacksverstärker erzielt, fühlten sich viele Brandnooz-Tester veräppelt und brachten das in ihren Online-Bewertungen entsprechend zum Ausdruck.
Die Industrie sollte solche Kommentare ernst nehmen. Vielleicht ist die Brandnooz-Box für sie ja nicht nur eine Möglichkeit, neue Produkte zu etablieren und sich ein Stück von den Supermärkten zu emanzipieren – sondern auch eine Chance, endlich zu erkennen, dass die Konsumenten ernst genommen werden wollen und sich nur ungern täuschen lassen.
Foto: Supermarktblog
Das tolle daran: auch die letzte Mutti wird dadurch zum Produkttester und schreibt oftmals in ihrem Blog darüber. Viraler Effekt plus fleissig Links für die Marken-Artikel quasi gratis frei Haus. Mir gefällt das Konzept, keine Frage.
Wie? Die Leute bezahlen dafür, dass sie Produkttester spielen und danach noch Befragt werden? Oder erhält man die 10 €?
Ehrlich gesagt,finde ich die Idee sensationell. Oft genug wird ein Produkt über Meinungsforschungsinstitute getestet – und weil es dafür meist etwas umsonst gibt, kommt es immer wieder vor, dass die entsprechenden Beurteilungen nicht der tatsächlichen Meinung entsprechen und das Produkt floppt. Ein sehr teurer Irrtum.
Gut finde ich die Idee, Produkte unabhängig testen lassen zu können. Da der Tester die Ware sogar bezahlt, kann er es sich auch erlauben, hier die absolute Wahrheit zu sagen. Der Hersteller erhält ein überwiegend ehrliches Urteil und kann danach handeln und der Versender – hier Brandnooz – hat die Kunden kostenlos eine Arbeit tun lassen, die für die Industrie eminent wichtig ist. Dafür wird auch gezahlt. So hat Brandnooz eine absolute Win-Win-Situation und verdient mehrfach. Der Kunde kann sich entfrusten und klar seine Einstellung zum entsprechenden Produkt kundtun und kauft evtl. zusätzlich noch ein Produkt, das er sonst nie beachtet hätte.
Für alle Seiten geht es nicht besser. Was ich als bekennende Kundin aber bemängele: Ich finde es wichtig, dass es eine stärkere Kundenbindung seitens Brandnooz geben sollte – die Kundin möchte bitte gepäppelt und bei der Stange gehalten werden. Da passiert noch zu wenig.
Mir ist bewusst, wie wichtig mein Beitrag für die Industrie ist und ich habe eine Vorstellung davon, wie das entgolten wird. Nicht an mich – wohlgemerkt.
Man sollte sich mehr Mühe mit den Personen/Kunden geben, die der Firma eine sicherlich gute Existenz ermöglichen. Man ist nicht nur einmal im Monat neugierig und macht sicher gern weiter, wohlwollend außer acht lassend, dass man ganz schön ausgenutzt und selbst einen erheblichen Zeitaufwand zu bewältigen hat – OHNE Entgelt.
Das sollten sich die Brandnooz-Experten nachhaltig klar machen – wenn es schon kein Geld gibt, dann wenigstens öfter eine Extra-Entlohnung – da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Sonst könnte sich Frau doch recht bald ziemlich ausgenutzt fühlen.
Das Konzept finde ich wirklich sehr klug – ich bin gespannt, wann die nächsten auf diesen Zug aufspringen und wir mit solchen Boxen aus allen Bereichen überschwemmt werden. Die ersten Ausläufer gibt es ja schon.