Supermarktkunden kaufen gerne regionale Lebensmittel. Damit sie dabei nicht von cleveren Marketingexperten übers Ohr gehauen werden (wie an dieser Stelle bereits berichtet), hat die baldige Ex-Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner das „Regionalfenster“ entwickeln lassen: ein viereckiges Schild, das Produkte kennzeichnen soll, die tatsächlich aus der Region stammen und diese Region klar benennen.
Auf der Mettwurst im Glastopf, die es im Berliner Testmarkt zu kaufen gibt, steht zum Beispiel:
„Schweine zu 100 % aus Brandenburg;
verarbeitet in 14827 Wiesenburg“
Und beim Apfelgelee:
„Äpfel zu 100 % aus Brandenburg;
Verarbeitet in 14806 Hagelberg“
(Für die erste Angabe ist immer entscheidend, woher die Hauptzutat stammt.)
„Uns geht es vor allem um Information und Transparenz“, sagt Axel Wirz vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frankfurt, wo das Gutachten für das „Regionalfenster“ erarbeitet wurde. Der jetzige Test läuft bis April in 20 Märkten, von Kiel bis Stockach am Bodensee. Im Februar startet in diesen Läden eine Befragung der Kunden, die sagen sollen, ob sie das Schild und seine Angaben nützlich finden. Dann entscheidet das Landwirtschaftsministerium über eine landesweite Einführung.
Kritiker wie die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch bemängeln, dass es sich beim „Regionalfenster“ um eine freiwillige Zusatzerklärung handelt, und nicht um eine gesetzlich vorgeschriebene. Das Ministerium und die Gutachter halten dagegen, dass solche Vorschriften nur auf EU-Ebene machbar seien, und dass das „Regionalfenster“ als Alternativlösung funktionieren solle. Wirz meint:
„Wenn sich das ‚Regionalfenster‘ durchsetzt, entsteht dadurch ein Standard, bei dem sich die Hersteller fragen lassen müssen: Warum habt ihr das noch nicht für eure Produkte? Das erzeugt auf dem Markt mehr Druck als gesetzliche Regelungen.“
In der Praxis hat die „Zusatzdeklaration“ (die explizit kein Siegel sein soll, also keine Qualitätsangabe liefern) aber doch ein paar Tücken, und die allergrößte ist, dass auch das „Regionalfenster“ das wichtigste Problem beim Verkauf regionaler Lebensmittel nicht lösen kann: dass es nämlich keine genaue Definition dafür gibt, was „regional“ ist – und was nicht.
Das wissen auch die Forscher, die aus der Not deshalb ein Prinzip gemacht haben. Wirz erklärt:
„Jeder Hersteller kann seine Region selbst beschreiben, er muss sie nur genau definieren – zum Beispiel mit einem Radius um einen bestimmten Produktionsstandort, angegeben in Kilometern. Oder mit der Angabe administrativer Grenzen: Landkreise, Regierungsbezirke, Bundesländer. Der Verbraucher kann entscheiden, ob ihm das jeweilige Produkt regional genug ist, oder ob der Hersteller die Grenzen zu weit gefasst hat.“
Wie genau die jeweiligen Regionen definiert sind, lässt sich im Internet bei regionalfenster.de nachsehen: ziemlich unterschiedlich nämlich. Es gibt verhältnismäßig große Regionen, zum Beispiel ganze Bundesländer. Mit dem „Oldenburger Münsterland“ sind hingegen ganz speziell die Landkreise Vechta und Cloppenburg gemeint; und die „Metropolenregion Hamburg“ braucht vier Absätze, um sich einzugrenzen. „In Befragungen sagen manche Verbraucher, dass ihre Region 150 bis 200 Kilometer weit reicht“, sagt Wirz. „Aber setzen Sie diesen Radius jetzt mal bei sich in Berlin an. Dann kommen Sie bis Rügen oder bis nach Dresden, und das würden die wenigsten Berliner als Region begreifen.“
Die freie Definition bedeutet aber auch, dass ein Hersteller aus Bayern, der seine Produkte in Berlin verkaufen will, ebenfalls das „Regionalfenster“ auf seine Waren kleben kann – sofern er denn wahrheitsgemäß angibt, dass die Waren viele hundert Kilometer entfernt hergestellt wurden. Wirz geht davon aus, dass das niemand versuchen wird. Eine Grenze haben die Gutachter deshalb nicht festgelegt.
Richtig konsequent ist das natürlich nicht, wenn doch eigentlich für mehr Transparenz gesorgt werden soll. Weil es eben nicht reicht, den blauen Aufkleber zu erkennen, um ein Produkt aus der Nähe zu identifizieren – sondern jedes Mal eine individuelle Einschätzung des Kunden nötig ist, nachdem der mit dem Handy im Laden die Definitionen im Netz abgerufen hat.
Bisschen umständlich beim Einkaufen.
Die Testphase, in der ja die Nützlichkeit des Aufklebers getestet werden soll, ist anlässlich der Grünen Woche von Aigner in der vergangenen Woche zwar mit großem Tamtam und Medienbegleitung gestartet worden. Aber hier in Berlin muss man schon ziemlich genau hinsehen, um im Testmarkt überhaupt über die Produkte zu stolpern, die sich in einem Holzkarren vorm Bioregal verstecken. (Noch dazu ist die Regionalproduktekompetenz des Ladens sonst beschämend: Es gibt keinerlei Obst und Gemüse aus der Region; in der Frischetheke findet sich exakt ein regional hergestellter Käse.)
In Baden-Württemberg sei hingegen die komplette Edeka-Regionalmarke „Unsere Heimat“ für Obst und Gemüse mit von der Partie, erklärt Wirz.
Insgesamt handelt es sich um gerade einmal 150 verschiedene Produkte , die in den 20 Märkten mit den Aufklebern versehen wurden. Also: nicht pro Markt, sondern insgesamt.
Vor allem in Berlin und Brandenburg ist das nur mitteleffektiv, weil sich dort die Regionalmarke „Von Hier“ an dem Test beteiligt, die den meisten Kunden durch die Werbung in Läden und Prospekten sowieso schon als Regionalmarke bekannt ist – und deren Produzenten auf der Verpackung längst mit den genauen Herstellungsort angeben. Der ist ja schließlich ihr Vermarktungsvorteil. Auf dem Glas mit den sauren Gurken steht jetzt also gleich zweimal drauf, dass sie in 03222 Lübbenau verarbeitet wurden: einmal auf dem Etikett, und einmal im „Regionalfenster“, wo man sich prompt bei der Postleitzahl vertippt hat.
(Interessanter ist die Zusatzangabe zugegebenermaßen für die Eigenmarken der Supermärkte, die sonst immer nur draufgedruckt haben, dass sie für den Laden hergestellt wurden, in dem der Kunde gerade steht.)
Einen Vorteil hat das „Regionalfenster“ dann aber doch: dass die Herstellungsangaben nämlich „neutral geprüft“ sind, und zwar über bereits existierende Kontrollsysteme, um die Kosten gering zu halten. Bei der Biokontrolle stellt ein Prüfer zum Beispiel zwei, drei Zusatzfragen, um die Regionalität eines Produkts zu verifizieren, sagt Wirz.
Für dieses bisschen Klarheit ist der Aufwand allerdings ganz schön enorm.
Fotos: Supermarktblog
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass das Bayerische Landwirtschaftsministerium (?) das Siegel „Qualität aus Bayern“ kürzlich um ein „Regional-Fähnchen“ ergänzt hat, das die Produzenten freiwillig übernehmen können.
Auch hier stellt sich das Problem der regionalen Abgrenzung, da einerseits recht kleine Regionen (z.B. „Altmühltal“), andererseits der halbe Freistaat unter „Franken“ abgedeckt werden.
Wenn’s von der Aigner kommt, kann man sich sicher sein, dass es für den Verbraucher vollkommen nutzloser Firlefanz ist, dafür aber direkt in ihre persönliche Vita wandert.
Statt solche Label zu erfinden (Die bestimmt mal wieder eine 6-stellige Summe gekostet haben) sollte man einfach mal Dinge wie die „Mark Brandenburg“ mit westfälischer Milch verbieten.
Bleibt also alles wie bisher: Im Supermarkt nicht von den bunten Fähnchen.. ähm.. Fensterchen veräppeln lassen und den Kopf einschalten. Dann klappt’s auch.
… nicht nur den Kopf, sondern auch die Geschmacksnerven. Einen Hinweis auf die Herkunft der jeweiligen Lebensmittel fände ich nicht schlecht, wobei mir die Heimat egal ist.
[…] genauer angesehen und fragt: „Wie durchsichtig ist Ilse Aigners Regionalfenster?“ Supermarktblog, Ministerium zum […]