Wie Aldi und Lidl in Großbritannien abspecken, um wieder in ihre City-Filialen reinzupassen

Wie Aldi und Lidl in Großbritannien abspecken, um wieder in ihre City-Filialen reinzupassen

In britischen Stadtfilialen testet Lidl ...
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Mehr Produkte, mehr Komfort, mehr Platz: Am Stadtrand funktionieren die modernen Konzepte der beiden großen Discount-Moppel prima. Aber für Läden in der Innenstadt müssen Aldi und Lidl noch einmal umdenken.

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Der Kuchen hat über die Feiertage wieder besonders gut geschmeckt, das Essen mit der Familie war Gans lecker, und der Nachtisch hat gerade so noch obendrauf gepasst – nur mit der Agilität hapert’s jetzt im Januar ein bisschen?

Aldi und Lidl können nur zu gut nachvollziehen, wie sich Millionen Jahresendverdauer derzeit fühlen. Immerhin haben die beiden Kontrahenten in den vergangenen Jahren ganz ähnlich zugelegt. Die erweiterte Produktauswahl und der zusätzliche Komfort für die Kundschaft hat dazu geführt, dass die beiden Discount-Moppel mit ihren clever ausgetüftelten Modernisierungskonzepten jetzt nicht mehr in die schlanken City-Filialen passen, mit denen der nichtmotorisierte Teil der Bevölkerung von der Supermarktkonkurrenz weggelockt werden soll.

In Großbritannien haben sich die Discountketten deshalb Schlankheitskuren für die Innenstädte verordnet – mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen.

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Lidls Gottschlich-Diät

(seit vergangenem Herbst: Hartnagel-Diät)

Dem Low-Space-Prinzip folgend schränkt Lidl im Vereinigten Königreich die Quadratfuß-Aufnahme drastisch ein, um sich auf kleinere Flächen in Städten und Stadtteilzentren zu zwängen. Im Wesentlichen haben zwei Maßnahmen zum Erfolg geführt:

I. Die Beschleunigung der Kundentransaktion

Im Gegensatz zu Umsätzen und Warenvorräten können Discounter Kunden nicht dauerhaft speichern. Zu den Grundprinzipien der Gottschlich-Diät (jetzt: Hartnagel-Diät) gehört es deshalb, in kleinen Innenstadtfilialen so wenige Kunden wie möglich anzustauen. Das gelingt vor allem: mit SB-Kassen. In einer Filiale im Londoner Süden kassiert Lidl zwar weiterhin an den üblichen Kassenbändern ab, bietet den Self-Checkout-affinen Briten aber zugleich die Möglichkeit, sich wahlweise selbst zu bedienen.

Dafür verzichtet der Laden auf zwei klassische Kassen – und hat auf derselben Fläche sage und schreibe zehn (!) moderne SB-Kassen des Herstellers Wincor-Nixdorf installiert.

Kunden, deren Einkauf auf einen Arm passt, brauchen sich nicht in die Schlange der Wochenvorratseinkäufer zu stellen, sondern ziehen ihr Mittagessen kurz über den Scanner, bezahlen und sind sofort wieder raus aus dem City-Laden. Das würde auch so manchem deutschen Lidl-Markt gut zu Kasse stehen, wenn Kunden in den Hochfrequenzzeiten nach Feierabend lästige Rückstaus in den Verkaufsraum produzieren und Mitarbeiter permanent zwischen Lager und zusätzlicher Kassenöffnung pendeln.

Für eine artgerechte Kundenhaltung eignen sich freilich auch die Schnellkassen nur in geringem Maße: Der eigene Einkauf ist lediglich durch eine Plexiglaswand von dem des Nachbarn getrennt und von Dehnübungen während des Kassierprozesses kann wegen des knappen Plätzchens vor der Maschine nur abgeraten werden.

Noch dazu tendiert Lidl in alter Tradition dazu, den Schnellkassiervorgang mit Hindernissen in Form von Angebotspaletten zu verbauen.

Dafür müht sich der Discounter, sein Schlankheitsbestreben auf die Kundschaft zu übertragen, indem er die seitlich an die SB-Kassen gehängten Aktionskörbchen als „healthier“ (gesünder) schmückt, dort Taschentücher und Nüsschen als Mitnahme-Artikel anbietet und verspricht: „There are no naughties here“. (Dass gleich das erste Körbchen das Versprechen mit „Ritter Sport Nut Chocolate“ bricht, die direkt ausverkauft wurde, ist ein heitere Randnotiz fürs Ladenadieu.)

II. Die konsequente Reduktion des Angebots

In kleinen Mengen sind Sonderangebotsartikel auch in Lidls City-Filialen erlaubt; um den Quadratfußspiegel dauerhaft niedrig zu halten, konzentriert sich der Discounter im Zweifel aber auf absolute Lebensmittelnotwendigkeiten – so wie in Tooting, wo die örtliche Lidl-Filiale lediglich aus drei Längsfluren besteht, an denen sich das stark geschrumpfte Sortiment konzentriert: ganz rechts die Kühlware, links davon Obst und Gemüse, daneben Getränke, am Ladenende eine winzige Backkorbstation.

Zurück geht’s vorbei an Schokolade, Knabberzeug und einer Mini-Tiefkühlinstallation zur SB-Kassenzone, die vollständig auf Bedienung verzichtet. Wer hier günstig einkauft, muss sich selbst abkassieren. Basta.

Das wäre auch für Lidls Express-Konzept, das demnächst in Berlin eröffnet, ein konsequenter Schritt.

In Tooting liegt’s aber auch daran, dass sonst wirklich nicht genug Platz im Laden ist. Und trotzdem eignet sich der Mini-Lidl hervorragend als Affront für den schräg gegenüber auf der High Street liegenden Mini-Aldi.

Aldis FDH-Methode (Ferkauf-auf-der-Häfte)

Dabei hat sich der Kontrahent dort schon mit einer erstaunlichen Weniger-ist-mehr-Diät auf seine Gründungsprinzipien zurückbesonnen. Mit gerade einmal 6200 Quadratfuß (580 Quadratmeter) ist Aldi in Tooting lediglich halb so groß wie die übrigen Läden, die inzwischen eröffnet werden – sondern zugleich die kleinste Filiale im Vereinigten Aldireich. Dennoch beschäftigt sie laut „Guardian“ doppelt so viele Mitarbeiter, um die Regale den ganzen Tag über gut gefüllt zu halten.

Das scheint zwar selbst in der Aufbackzone ganz gut zu gelingen …

… kann aber letztlich nicht über die merkwürdigen Prioritäten im verkorksten Ladendesign hinwegtäuschen. Die ohnehin hohen Regale hat Aldi in seiner City-Filiale mit Werbebotschaften bis fast zur Decke hochgemauert.

Die Regalenden werden nicht dafür genutzt, Produkte griffbereit zu legen, die fast jeder Kunde bei einem schnellen Einkauf gebrauchen könnte. Sondern für Hochglanz-Tafeln mit Produktbildern und hübschen Versprechen.

Das schafft zwar theoretisch Platz im Laden, um zu kritischen Zeiten Einkaufswagen-Auffahrunfälle zu vermeiden. Praktisch ist im City-Aldi aber so gut wie niemand mit Einkaufswagen unterwegs. Wozu auch, wenn alles in einen Korb passt?

Den Platz verschleudert Aldi dafür an den Kassen, die zwar zahlreich vorhanden sind, aber halt auch leer, weil an den meisten gar niemand dransitzt. Mag sein, dass das zu Stoßzeiten anders aussieht. Aber auf derselben Fläche, die Aldi in Tooting für seine stillstehenden Kassenbänder braucht, hat der Kassenspar-Lidl gegenüber eine repräsentable Frischeabteilung untergebracht.

Dafür kann sich Aldi eine üppigere Auswahl erlauben: mit gesunden Eigenmarken-Frischsüppchen, gekühlten (Schaum-)Weinen und schick verpackten Aufwärmmahlzeiten.


Am Ende sind die Discount-Schlankheitskuren für die Innenstädte freilich Teil eines kalkulierten Jo-Jo-Effekts, weil sowohl Aldi als auch Lidl sich an den Stadträndern weiter ordentlich aufmoppeln, um ihre schicker werdenden Konzepte zu präsentieren und die etablierten britischen Supermarktketten mit Niedrigpreisen zu nerven.

Ein bisschen was davon können sich die beiden aber ruhig für ihre deutschen Filialen abschauen, um damit den Kunden entgegenzukommen, die mitten in der Stadt anders günstig einkaufen wollen als dort, wo anschließend alles in einen riesigen Kofferraum gekippt werden kann.

Fotos: Supermarktblog

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