„Hotspots“ für Draußenbesteller: Pizza im Park, Sushi am Strand
Da bist du ja endlich, schönes Wetter“, flötete Deliveroo Mitte Mai seinen Kunden per Mail zu und empfahl: „Bestelle dir jetzt köstliches, frisches Essen direkt an deinen Lieblingsplatz im Freien“. Dabei ist schönes Wetter bekanntlich der größte Feind jedes Lieferessen-Unternehmens. Weil selbst treue Dauerbesteller, die sonst hungrig zuhause sitzen, plötzlich rausgehen. Und dort auf die Idee kommen könnten, sich ihr Lunch direkt am Foodtruck zu besorgen oder auf der Sonnenterrasse des Restaurants um die Ecke Platz zu nehmen. Ohne dass irgendein Liefervermittler mitverdient. Deshalb beginnt, sobald es draußen wärmer wird, die Lieferpicknick-Saison – jedes Jahr ein bisschen früher.
2017 hatte sich Deliveroo noch bis Mitte Juni Zeit gelassen, um zu verkünden, künftig auch ganz offiziell in Parks zu liefern. Konkurrent Foodora verteilte schon vor zwei Jahren an Parks seinen „Picnic Guide“, in dem feste Treffpunkte an örtlichen Grünflächen verzeichnet waren, wo Kunden ihr Lieferessen von den in Magenta gekleideten Fahrern entgegen nehmen sollten.
Davon ließ sich offensichtlich auch der Wettbewerber inspirieren. Valentina Slaviero, Head of Marketing Germany bei Deliveroo, erklärte im Vorjahr: „Durch die Festlegung von über 50 Picknick-Plätzchen in Deutschland können wir eine unkomplizierte Lieferung sowohl auf Kundenseite für alle Picknick-Spots als auch für unsere Kuriere seitens der Lieferung gewährleisten.“ (Der entsprechende Blogeintrag auf deliveroo.de ist inzwischen gelöscht.)
Doch das scheint nicht so wahnsinnig gut geklappt zu haben. In diesem Jahr ist – jedenfalls bislang – keine Rede von festen „Picknick-Spots“. Stattdessen rät das Liefer-Start-up seinen Kunden zum kreativen App-Gebrauch: „Schreibe ‚Besteck‘ in das Feld ‚Allergiehinweis‘ und schreibe ‚Picknick‘ in das Feld ‚Fahrer-Hinweis’, um einen reibungslosen Ablauf gewährleisten zu können.“ Der exakte Treffpunkt kann bei der Bestellung per Pin auf der in der App angezeigten Karte festgelegt werden. (So ist’s im Vorjahr auch schon in London gelaufen.) Und die Rider werden sich sicher freuen, künftig nicht mehr nur Klingeltableaus und Hinterhofeingänge nach dem richtigen Empfänger des Transportessens absuchen zu dürfen. Sondern auch öffentliche Plätze und grillschwadendunstige Parks.
So schnell scheint das nicht mehr wegzugehen. Im April erklärte Domino’s, größte Pizzakette der Welt, in den USA ab sofort ebenfalls nach draußen zu liefern – an festgelegte „Hotspots“ am Strand, aufs Sportfeld, mitten in die Stadt. Discount für Erstbesteller inklusive. Einzige Bedingung: Die Pizza wird per vorab per App bezahlt. Mit schlappen „50 Picknick-Plätzchen“ wollte sich Domino’s allerdings nicht zufrieden geben – und hat die Zahl der festgelegten „Hotspot“-Adressen großzügig aufgerundet: auf landesweit 150.000.
BackWerk wandelt sich zum Komfort-Snack-Anbieter
Wer schnell was essen will, braucht dabei nicht zwangsläufig besonders schön zu sitzen – so lautete über viele Jahrzehnte eine ungeschriebene Regel im Brutalismus-afifinen Fastfood-Business. Auffällig viele Unternehmen verabschieden sich derzeit schrittweise davon. McDonald’s hat sein „Restaurant der Zukunft“-Konzept entwickelt, um moderner auszusehen. Und in den USA kündigt Rivale Wendy’s an, seine Filialen so grundlegend aufzumöbeln, dass sie kaum noch als klassische Schnellrestaurants erkennbar sind – inklusive glasverkleideter Burgerküche und Handwaschbecken direkt im Essbereich. (Skift Table zeigt, wie das genau aussieht.)
Die vielleicht wichtigste Änderung ist aber eine andere. Während Wendy’s sein starres Restaurantkonzept bislang überall dort aus dem Boden stampfte, wo genügend Platz dafür war, passt sich das neue Design künftig sehr viel stärker den zur Verfügung stehenden Flächen an. Dafür wurden vier verschiedene Prototypen mit unterschiedlichen Sitzkapazitäten (30, 40, 55, 65) entwickelt, deren Einrichtung an die jeweilige Nachbarschaft angepasst werden kann. Mit dieser Flexibilität lässt sich nämlich sehr viel leichter auf Flächen expandieren, die andere Mieter gerade frei machen: stationäre Händler und Banken zum Beispiel.
Auch hierzulande schwärmen Snack-Anbieter plötzlich für eine ganz neue Aufenthaltsqualität. Zur Eröffnung seiner 350. Filiale in Bochum kündigte BackWerk, das seit dem vergangenen Jahr zum Schweizer Convenience-Spezialisten Valora gehört, gerade eine „strategische Neuausrichtung“ an (PDF). Die manifestiert sich zum einen in einem erweiterten Sortiment, das nicht mehr nur auf klassische Brotsnacks setzt, sondern auch frisch gepresste Säfte und Smoothies an einer eigenen „Saftbar“ beinhaltet („Fast Food war gestern, Feel Good Food ist heute“).
Und zum anderen in einem Ladendesign, bei dem jeder Möbelhauskataloggestalter sich noch was abgucken kann.
Oder wie BackWerk-Geschäftsführer Karl Brauckmann sagt: „Wir möchten den Gästen ein emotionales Besuchserlebnis bieten und dazu gehört selbstverständlich auch eine entsprechende Innenarchitektur.“ Dass das als SB-Discountbäcker gestartete Unternehmen mal gesteigerten Wert auf eine „urbane, moderne und einladende“ Einrichtung legen würde, war bei der Gründung 2001 alles andere als absehbar. Es zeigt aber hervorragend, wie anpassungsfähig vor allem jüngere Food-Konzepte bleiben müssen, um auf Marktveränderungen und neue Kundengewohnheiten zu reagieren.
Guru war gestern: Keatz will Ghost Restaurants in ganz Europa
Langsam wird’s schwierig, den Überblick zu behalten, was beim Berliner Lieferessen-Start-up Green Gurus öfter wechselt: das Geschäftsmodell, die Strategie oder der Name. 2016 als Blitz-Lieferservice für frische Salate gestartet, wandelte sich das Unternehmen im vergangenen Jahr zum Ghost-Restaurant-Betreiber und verpasste sich unter dem Namen Guru Collective eine neue Identität, um deutschlandweit zu expandieren. Im März wurde überraschend der eigene Webshop beerdigt und die dafür benötigte E-Scooter-Lieferflotte stillgelegt (siehe holyEATS #1). Seit Mitte Mai heißt Green Gurus alias Guru Collective nun: Keatz. Gegenüber Gründeszene.de hat Guru-Erfinder Paul Gebhardt verraten, dass „der bisherige Name nicht modern genug für eine internationale Expansion“ gewesen sei.
Besagte „internationale Expansion“ ist ebenfalls neu. Ende des vergangenen Jahres wollte Guru Collective zunächst noch innerhalb Deutschlands wachsen. „Wir schauen uns gerade nach neuen Küchen und Produktionsstandorten in Hamburg, Frankfurt und Köln um“, erklärte Co-Guru Dimitrios Ploutarchos damals. Jetzt haben u.a. Amsterdam, Paris, London und Mailand Vorrang, weiß Wiwo.de. In Madrid und Barcelona ist Keatz bereits mit eigenen Küchen vertreten.
Erstmal zu beweisen, dass man eine angekündigte Strategie länger als zwölf Monate am Stück durchzuhalten vermag, war offensichtlich nicht notwendig: Die bisherigen Investoren Project A und Atlantic Food Labs haben noch mal zusätzliches Geld für die Europatour locker gemacht. Neu dazu gekommen sind die spanischen Wagniskapitalgeber K Fund und JME Venture Capital sowie der italienische VC U-Start. Sechs Millionen Euro konnte Keatz auf diese Weise zusätzlich einsammeln. Ihre Überzeugungskraft gegenüber Investoren macht den Gründern so schnell keiner nach. Fürs Bestellessen der fiktiven Restaurantmarken gilt das bisher dummerweise noch nicht.
Nachschlag
- Londons Bürgermeister Sadiq Khan will Werbung für ungesundes Essen aus Bussen und U-Bahnen verbannen (BBC).
- Endlich Drei-Gänge-Menüs im Flugzeug genießen ohne den lästigen Beförderungsquatsch? Kein Problem, reservieren Sie einfach ein Tischchen in der Boeing 737 von Plane In The City. Einziger Nachteil: Sie müssten erstmal nach Kuala Lumpur kommen. (Business Insider).
- Amerikanische Salatketten schnippeln ihren Kunden die Bestellungen nicht mehr klein – und die drehen durch, weil sie plötzlich kauen sollen (Bloomberg, New York Post).
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