holyEATS #42: Espresso House baut schneller um, Coffee Fellows setzt auf Mehrmarken-Strategie, Coca Colas Streetfood-Irrweg

holyEATS #42: Espresso House baut schneller um, Coffee Fellows setzt auf Mehrmarken-Strategie, Coca Colas Streetfood-Irrweg

Foto: Alesia Kazantceva/Unsplash
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Wer hat die cleverste Taktik zur Coffeeshop-Expansion?

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Espresso House erhöht Umbautempo und bringt Bezahl-App

Wenn man die Knie unters Kinn zieht und die Füße auf dem Stuhl hockend bis an die Heizung schiebt, über die ein schmaler Tisch ins Fenster montiert ist, gelingt es ganz gut, nicht zu sehr im Weg zu sitzen, wenn sich dahinter weitere Gäste durch den schmalen Spalt vor den großen Ledersesseln schieben. Das Kaffeetrinken wird dadurch leicht erschwert. Aber für ein schönes Ambiente muss man manchmal eben Opfer bringen. Und zu denen scheint Espresso House wild entschlossen zu sein, seitdem die Kaffeekette nicht mehr nur Balzac-Altfilialen mit Platz im Überfluss auf ihr Konzept umstellt – sondern auch sehr viel kleinere.

Nach dem Start in Hamburg war Anfang Juli Espresso-House-Premiere in Berlin, und niemand wird nach dem Umbau des ersten Ladens behaupten wollen, dass die neue Einrichtung mit der langen Glastheke, den schicken Holzmöbeln und dem aus dem Gemeinschaftstisch herauswachsenden Baum keine drastische Verbesserung der vorherigen Endneunziger-Café-Tristesse sei. Um möglichst viele Design-Elemente unterzubringen, haben die Ladengestalter allerdings ein Ungleichgewicht in Kauf nehmen müssen. Alle anderen, die ihren frisch gebrühten schwedischen Kaffee nicht to go genießen wollen und keinen Sessel abbekommen haben, müssen sich dazwischen falten und können dort im Zweifel jeden zur Toilette eilenden Gast persönlich abklatschen. Wehe, wenn dann noch ein Kinderwagen untergebracht werden muss.

Nach einem „Feinschliff“ des Konzepts, den Espresso-House-Deutschland-Chef Nikolas Niebuhr Anfang des Jahres im holyEATS-Gespräch angekündigt hat, sieht das eher nicht aus. Eher nach Platznot. Die Gäste scheint’s aber nicht zu stören: Der Laden läuft offensichtlich prächtig. (Wobei es ohnehin erst richtig gemütlich wird, wenn in wenigen Wochen aus Temperaturgründen die neu bestuhlte Außenterrasse wegfällt.) In der kommenden Woche öffnet die zweite Berliner Espresso-House-Filiale am Naturkundemuseum. Im Oktober folgen Steglitz und der Potsdamer Platz, im Dezember Charlottenburg. Kurz vor Weihnachten wird dann den Göttingern ihr erstes Espresso House beschert. Dann sind nach rund einem Jahr 17 Balzacs (von rund 40) umgebaut.

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Anfang Oktober will Espresso House in Deutschland zudem ihre erste eigene App veröffentlichen, die als digitale Bonuskarte inklusive Bezahlmöglichkeit funktioniert. Wer – mit hinterlegter Kreditkarte – per App zahlt, kriegt 10 Prozent Rabatt und sammelt digitale Stempel, die in Gratisgetränke eingelöst werden können; mit eigenem To-go-Becher werden doppelte Punkte und zusätzlich 25 Cent gutgeschrieben. Außerdem sollen „My Espresso House“-Mitglieder individualisierte Angebote erhalten.


Coffee Fellows will mit Campus Suite wachsen

Während man in Hamburg daran arbeitet, sein Markenportfolio zu verkleinern (die Balzac-Zweitmarke World Coffee ist in Deutschland bereits Geschichte), schlägt die Konkurrenz aus München den gegenteiligen Weg ein: Coffee Fellows hat angekündigt, die Hamburger Studi-Coffeeshops von Campus Suite zu übernehmen. Die Filialen sollen unter eigenem Namen weiterbetrieben werden. Im Interview mit dem Branchenmagazin „Food Service“ hat Coffee-Fellows-Gründer Stefan Tewes zudem erklärt, mit dem Neuerwerb auch außerhalb der bisherigen Stammregion in Norddeutschland expandieren zu wollen. Campus Suite unterscheide sich von Coffee Fellows vor allem durch seine stärkere Food-Fokussierung und brauche „keine Ecklage in Bestlage“, so Tewes, sondern funktioniere auch „in B-Lagen mit fairen und kleinen Mieten“, etwa an Universitäten, in Bürovierteln und Kliniken. Zehn neue Standorte seien bereits geplant, „darunter auch Flächen in Mittelstädten“. Darüber hinaus deutet Tewes an, Campus Suite auch als Franchise-Marke zugänglich machen zu wollen.

Gleichzeitig will Coffee Fellows von der Entwicklungskompetenz der neuen Kollegen profitieren. Campus-Suite-Gründer Frank Stebisch soll den Gästen der Hauptmarke neue Mahlzeiten auftischen, unter anderem Bircher Müsli und Pasta. Seine Entscheidung, gemeinsame Sache mit den Fellows zu machen, ließe sich auch als Reaktion auf die Aufwertung bei der Hamburger Coffeeshop-Konkurrenz werten; offiziell heißt es aber, die Partnerschaft ermögliche es, „auch außerhalb Norddeutschlands“ zu wachsen. Dass Campus Suite im vergangenen Geschäftsjahr laut „Food Service“ trotz drei neuer Filialen ein Umsatzminus von 3,7 Prozent zu verzeichnen hatte, dürfte aber vermutlich auch nicht ganz unentscheidend gewesen sein. Es wird interessant zu beobachten sein, welches der beiden System sich im deutschen Coffeeshop-Markt leichter durchsetzen lässt – das zunehmend zentralisierte von Espresso House (wo man Balzac ja ebenfalls als Marke für kleinere Standorte hätte behalten können) oder der Mehrmarkenansatz von Coffee Fellows.


Spacious und das Niedrigpreis-Coworking in Restaurants

Vor allem in Großstädten sind Coffeeshops ja nicht nur Anlaufstelle für kuchenverzehrende Kaffeegenießer und verschnaufpausensuchende Touristen – sondern auch Ersatzarbeitsort für Freelancer. In Berliner Kaffeekettenfilialen entstehen nicht nur regelmäßig neue Ausgaben ganzer Gastro-Newsletter; manches Start-up, das seine hart erworbene VC-Knete nicht unnötig für profane Raummieten verschießen will, lädt dort sogar Bewerber:innen zum (öffentlich beobachtbaren) Vorstellungsgespräch. Dass z.B. Coffee Fellows von sich aus separate Flächen explizit fürs Coworking vermietet, nutzt da wenig – insbesondere, wenn man sich nebendran auch für den Gegenwert eines Cappuccinos ins WLAN einloggen und sitzen bleiben kann, bis endlich das Projekt fertig (oder der neue Praktikant gefunden) ist.

Das lernen gerade auch die Profi-Coworker von WeWork, Pardon: The We Company. Das an die Börse strebende Start-up mit der Milliardenbwertung und dem un-ver-zicht-baren Gründer testet in New York City eine Kombination aus öffentlich zugänglichem Coworking, Café und Merchandise-Shop. Die meisten Freelancer, die sich am Broadway mit ihren Macs zum Partner Bluestone Lane Coffee verirren, setzen sich aber zum Arbeiten lieber ins Schaufenster. Ein paar Meter dahinter wird sonst nämlich die WeWork-Tagesflatrate von üppigen 65 Dollar fällig. (Für die sich viel, viel Kaffee trinken lässt.)

Dabei hat die Konkurrenz längst gemerkt, dass auch Freelancer eine gewisse Arbeitsruhe schätzen und bereit sind, dafür Geld auszugeben. Spacious zum Beispiel schließt sich dafür mit Restaurants zusammen und vermietet deren Gasträume tagsüber, wenn sie ohnehin nicht genutzt werden, an Freelancer zum Arbeiten. Die Gastronomen profitieren von zusätzlichen Einnahmen, unabhängig vom Hauptgeschäft. Und vielleicht bleibt ja eine:r nach der Arbeit auch gleich zum Dinner. Die Motivation, aus dem Restaurant zu arbeiten, bringt TechCrunch auf den Punkt: „Customers, who may have otherwise worked from coffee shops, liked the arrangement because it was more affordable than WeWork.“ Für zwei Tage „WeWork Now“ am Broadway gab’s bei Spacious nämlich schon fast eine Monats-Flatrate. Es kam, wie’s kommen musste: Ende August hat The We Company den Wettbewerber übernommen und erklärt, den Dienst weiterzuentwickeln. In einem ersten Schritt scheint, ähm, die Website offline genommen worden zu sein. Dabei wäre der Spacious-Ansatz auch außerhalb New Yorks hoch interessant – z.B. für deutsche Gastronomen, die über „Flexible On Demand Coworking Spaces“ zu bezahlbaren Preisen ganz neue Möglichkeiten zur Gegenfinanzierung ihrer Fixkosten hätten. Kann aber natürlich sein, dass dann die Großstadt-Coffeeshops mit einem Schlag alle leer sind.


„Coke Food Festival“ entlarvt sich als Marken-Brainwash

In zahlreichen Unternehmen (und Agenturen) scheint es das Missverständnis zu geben, Marketing sei nur dann gelungen, wenn der Zielgruppe möglichst oft die betreffende Marke ins Sichtfeld geschoben wird. Das ist – Unfug. Niemand demonstriert das derzeit anschaulicher als Coca Cola. Um seine im Außer-Haus-Markt verkauften Getränke in der 0,2-Liter-Glasflasche zu bewerben, hat der Softdrinkhersteller im vergangenen Jahr eine YouTube-Reihe produzieren lassen, in der Küchenchefs beliebter Restaurants aus deutschen Großstädten über ihre gastronomischen Philosophien plaudern dürfen. Als tendenziell überflüssige Ergänzung der unzähligen immer gleich ablaufenden Food-Dokus auf Netflix könnte man das auch so durchgehen lassen. Dass in den Filmchen permanent irgendwo eine gut sichtbare Flasche Coke im Vordergrund herumsteht oder beim Kurztrip ins inspirierende Ausland die dortige Coca-Cola-Leuchtreklame zwischengeschnitten wird, ist allerdings hochgradig peinlich.

Wie sich das steigern lässt, hat der Konzern in den vergangenen Wochen mit seinem „Coke Food Festival“ bewiesen, einem Streetfood-Markt, für den kooperierende Restaurants aus der Webserie im Auftrag des Initiators auf Städtetour gingen, um Gäste außerhalb der eigenen Küchen zu verköstigen – eiskalte Coke inklusive, versteht sich.

Am vergangenen Wochenende machte der kleine Gastrozirkus (nach München und Köln) Station in der Alten Münze in Berlin, und es ließ sich nicht auf Anhieb klären, wer da eigentlich in der Überzahl war: die freiwilligen Besucher:innen oder doch eher die „Coca Cola Crew“-Mitglieder, von denen offensichtlich die Hälfte den Auftrag hatte, jede ausgetrunkene 0,2-Liter-Glasflasche augenblicklich wegzuräumen. (Die sehr viel angenehmeren 0,33-Liter-Pendants gab’s zwar auch – aber nur als Blumenvasen auf den Tischen.) In der Marktmitte glänzte eine zur Coke-Flasche verformte Discokugel auf einem Pfahl. Selbst die Schilder an den Gastroständen waren Coke-rot eingefärbt. Wer sich von der beachtlichen Security-Dichte nicht abschrecken ließ, wurde nach Einlass mit einem Suchspiel für (nur marginal) vorhandene fleischlose Speisen überrascht – ausgerechnet in der europäischen Vegan-Hauptstadt. Das sonst am anderen Ende der Alten Münze geöffnete, charmante Café The Greens – Coffee & Plants war aus Absperrgründen dicht und musste sich mit einem Kaffeestand am Eingang begnügen. Alles in allem: eine atmosphärische Vollkatastrophe, immerhin mit dem Bewusstsein, dabei ökologisch korrekt sein zu wollen. Statt Einweg- gab’s Mehrweggeschirr, immerhin ein kleiner Pluspunkt.

Natürlich steht es jeder Restaurantbetreiberin und jedem Restaurantbetreiber frei, ihre bzw. seine gastronomischen Kompetenzen in den Dienst eines solchen Markenpräsenz-Overkills zu stellen. (Auch auf die Gefahr hin, dass Gäste dies als Indiz dafür nutzen, wo sie demnächst besser mal nicht essen gehen sollten.) Warum aber bei Coca Cola keiner merkt, dass das alles nicht zusammenpasst, ist mir schleierhaft. Kann ja sein, dass in der Deutschland-Zentrale das große Zittern ausgebrochen ist, weil immer mehr junge Gastronomen ihren Gästen lieber lokale Limonandenalternativen anbieten als „Das Original“. Aber um dagegenzuhalten, wäre eine sehr viel filigranere Vorgehensweise von Nöten. Und kein Cola-Brainwash im Streetfood-Markt-Mantel.

(Ob der Konzern die an Gäste einzeln für 1,80 Euro verkauften 0,2-Getränke nachher auch den teilnehmenden Gastronomen in Rechnung gestellt hat, die Inklusivpreise für ihre Gerichte mit Getränk verlangen mussten, wollte die zuständige Presseagentur auf Anfrage übrigens nicht sagen.)


Nachschlag

Starbucks schränkt die Zahl der Zusatzwünsche ein, die App-Besteller in den USA in ihren Wunschkaffee kippen lassen können – auf zwölf pro Topping. Mehr über die „Nightmare Drinks“ („Eater“): bei „Business Insider“.

Die Gutscheinschleuder Groupon erwägt laut „Wall Street Journal“, die Gastro-Bewertungsplattform Yelp zu kaufen, die zunehmend unter Druck gerät, weil viele Smartphone-Nutzer inzwischen Google Maps deutlich praktischer finden, um neue Restaurants in ihrer Nähe zu entdecken.

McDonald’s kauft weiter Technik ein, diesmal ein Start-up Spracherkennungskompetenz für Drive-Thru-Bestellungen.

Die britische Bäckereikette Gregg’s will ihre meistverkauften Produkte künftig auch in einer vegetarischen Variante anbieten.

Und Sie erraten niemals, welche Marke mit diesem Video ihr Kund:innen-Versprechen in Szene setzen lässt. Oder?

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