In der vergangenen Woche hat Amazon im Londoner Stadtteil Ealing seinen ersten kassenlosen Supermarkt unter dem Amazon-Fresh-Banner eröffnet. In der Nähe von Fulda, im hessischen Rasdorf, wurde von der Supermarktkette Tegut gerade der zweite Teo-Minimarkt in Betrieb genommen. Und überall in Europa experimentieren Handelsketten mit neuen Technologien und Läden, die ohne klassische Kasse bzw. (weitgehend ohne) Personal auskommen.
Die Discounter wollen dabei offensichtlich nicht mehr länger zusehen.
Auf dem Bildungscampus der Dieter Schwarz Stiftung in Heilbronn testet die Schwarz-Gruppe derzeit ein Modell, dessen Funktionsweise stark an die von Amazon Go erinnert: einen Convenience-Markt unter dem Namen „shop.box“. Betreiber ist weder Lidl noch Kaufland, sondern die Schwarz Restaurantbetriebe GmbH & Co. KG in Neckarsulm.
Für den Einkauf wird die shop.box-App benötigt, für die sich derzeit lediglich Student:innen und Mitarbeiter:innen des Bildungscampus mit ihrer ID registrieren können. Der Einlass erfolgt – wie bei vergleichbaren Formaten – per QR-Code. Auch Freund:innen oder Familienmitglieder dürfen mitgenommen werden. Im Laden können die gewünschten Artikel einfach aus dem Regal gegriffen – oder wieder zurückgelegt – werden; das Smartphone wird nicht mehr benötigt.
Stattdessen soll die Abrechnung automatisch erfolgen. Voraussetzung dafür ist die zuvor erfolgte Verknüpfung mit einem Account des Zahlungsanbieters Klarna.
Erfassung mit Kameras und Sensoren
Während des Einkaufs erfasst das System über Kameras mittels so genanntem „Skeleton Tracking“ die Bewegungen der Kund:innen (und ihrer Begleitperson), wertet sie automatisiert aus und übersetzt sie in Kombination mit Sensoren-Daten bei der Regalentnahme in einen digitalen Warenkorb. Gegenüber registrierten Kund:innen heißt es:
„Zu keinem Zeitpunkt wird ein Mensch die Videoaufnahmen sichten. Es werden auch keine Videoaufnahmen von Ihnen gespeichert, bei denen Sie als Person als solche erkennbar wären.“
Videobilder würden „nach kurzzeitiger Speicherung im Arbeitsspeicher (max. eine Stunde) gelöscht“, „generierte virtuelle Szenen (Bewegungen innerhalb des Stores und Entnahmen von Waren) […] einen Tag nach Erstellung der Aufnahme“.
Kund:innen werden aufgefordert, Artikel im Laden nicht anderen Einkäufer:innen zu übergeben, da die automatisierte Produktzuweisung bei der Entnahme aus dem Regal erfolgt; außerdem dürfen keine Produkte am Boden abgestellt werden, da sie sonst nicht aus dem Warenkorb entfernt werden. Für mangelhafte Artikel soll es ein Ablagefach in der Nähe des Ausgangs geben.
Die Rechnung für den Einkauf kann in der App abgerufen werden. Wie Echo24.de berichtet, sollen „Milchprodukte, kleine Snacks, Wurst, aber auch Ketchup und andere Warengruppen“ angeboten werden, „ein abgespecktes Lidl-Angebot“.
Abholeinkauf per App
Eine zweite App – die „collect.box“ – erlaubt es, Einkäufe auf dem Smartphone zusammenzustellen und an einem Terminal abzuholen. Der im Hintergrund (vermutlich automatisch kommissionierte) Einkauf, der ebenfalls über Klarna abgerechnet wird, kann einem Ausgabefach entnommen werden. In der App-Beschreibung heißt es:
„Du möchtest dir in deiner Mittagspause einen Snack besorgen oder nach einem langen Tag noch schnell alles Nötige einkaufen? Dann ist collect.box genau das Richtige für dich.“
Einen vergleichbaren Service hatte zuletzt Edeka in Kooperation mit der Deutschen Bahn am Bahnhof in Renningen in Betrieb genommen. Die Technologie stammt vom Start-up Smark, dessen Robotiksystem auch im kassenlosen Abholmarkt von Typy in Düsseldorf genutzt wird. Naheliegend wäre, dass sich für die „collect.box“ auch Schwarz der Lösung bedient.
Welche Technologiepartner – außer Adyen/Klarna – an der „shop.box“ sonst noch beteiligt sind, ist bislang unklar. Skeleton bzw. Skeletal Tracking wird u.a. von Intel RealSense angeboten.
Formulierungen aus den Datenschutzbestimmungen legen nahe, dass „im Zuge von Wartungsaufgaben und ähnlichen Arbeiten Datenzugriffe aus den USA oder China erfolgen“ können, u.a. von Microsoft und ShanghaiBlozi Intelligence Technology Co. Reuters hatte bereits 2018 gemeldet, dass der US-Softwarekonzern an einer ähnlichen Technologie arbeite, wie sie für Amazon Go eingesetzt wird; in diesem Zuge seien auch bereits Gespräche mit mehreren Handelsunternehmen aufgenommen worden.
Auch Amazon will seine „Just Walk Out“-Technologie nicht ausschließlich in eigenen Läden nutzen, sondern sie an Partner lizenzieren; in den USA wurde dafür zunächst der Conveninence-Markt-Betreiber Hudson gewonnen. Der erste „Hudson Nonstop“ getaufte kassenlose Markt eröffnete gerade am Dallas Love Field Airport.
Die Schwarz-Gruppe hat sich auf eine telefonische Anfrage am Donnerstag nicht zu „shop.box“ und „collect.box“ geäußert. Die Adressen shopbox.schwarz und collectbox.schwarz sind bereits registriert, werden bislang aber nur für Support-Anfragen verwendet.
Nachtrag, 16. März: Inzwischen hat die Schwarz-Gruppe eine – ziemlich dünne – Pressemitteilung zum Projekt herausgegeben. Mehr zum Thema steht zudem bei Location Insider.