Als Tegut im Spätsommer des vergangenen Jahres die ersten Produkte seiner neuen Bio-Eigenmarke in die Regale stellte, fielen die dort sofort wegen zwei Besonderheiten auf: dem Preis – und der Verpackung. Anstatt Eierspätzle, Erdbeerkonfitüre, Sonnenblumenöl und Dosentomaten in erwartbares Wohlfühlgrün zu tunken, bekam jedes Produkt seine eigene Farbe verpasst.
Das schlichte Markenlogo steht auf einem Hintergrund in Kartonoptik. Die Artikelnamen sehen aus als hätte sie der kalligrafisch begabte Teil der Marktmitarbeiter:innen selbst auf die Verpackungen draufgeskribbelt. Selbst die Produktabbildungen sind gezeichnet. Eher untypisch für eine Bio-Eigenmarke im Lebensmitteleinzelhandel. Genau das war ja auch die Absicht.
Die Produkte sollten „jünger, urbaner, stylischer aussehen, um im Regal sofort eine Auffälligkeit zu erzielen“, sagt Tegut-Einkaufsleiter Robert Schweininger im Supermarktblog-Gespräch.
Und er erklärt, warum die hessische Handelskette es überhaupt für notwendig hielt, sich eine zweite Bio-Eigenmarke zuzulegen, die ihre beiden Grundversprechen schon im Namen trägt:
„Viele Händler – vom Discount bis zum klassischen Vollsortimenter – versuchen derzeit, die Bio-Kompetenz im Preiseinstieg an sich zu reißen. Wir haben das lange diskutiert, aber für Tegut war die logische Schlussfolgerung dieser Entwicklung, ebenfalls alle Preise abzubilden und deshalb die Marke ‚Bio zum kleinen Preis‘ an den Start zu bringen. Das ist ein Schritt, der viel Arbeit macht, letztlich aber zur Stamm-DNA von Tegut gehört.“
Keine Kampfpreise mit „Tegut Bio“
Tegut hat schon viel, viel Bio verkauft, als das bei Wettbewerbern noch kein großes Thema war. Eigenen Angaben zufolge beläuft sich die Zahl der Bio-Artikel im Sortiment auf rund 3.800. Im vergangenen Jahr stieg der Anteil von Bio-Lebensmitteln am Gesamtumsatz erstmals auf über 30 Prozent.
Diese Kompetenz wollten sich die Hess:innen nicht streitig machen lassen, erst recht nicht von den Discountern, die sich zunehmend als Bio-Allrounder inszenieren (siehe Supermarktblog) und dafür gesorgt haben, dass die Preise für viele ökologisch erzeugte Produkte nach EU-Bio-Standards gesunken sind.
Die Drogeriemarktkette dm hat mit dem Start von „dm Bio“ dabei kräftig mitgeholfen. Das hatte wiederum Auswirkungen auf die Bio-Eigenmarken der Supermärkte, deren Preise z.B. bei Edeka ebenfalls abgesenkt wurden. Die Kund:innen gewöhnen sich zunehmend daran, dass sich Bio auch verhältnismäßig günstig einkaufen lässt.
Dem wollte Tegut nicht tatenlos zusehen. Zwar verfügt die Handelskette im selben Segment bereits über eine etablierte Eigenmarke: „Tegut Bio“, das aber von Anfang an Produkte mit höheren Herstellungsstandards kennzeichnet.
Robert Schweininger erklärt:
„Unserer Absicht war, mit einer derart qualitätsgeprägten Eigenmarke wie ‚Tegut Bio‘ keinen Schritt zurückzugehen, sondern unter diesem Namen weiterhin ausschließlich Bio-Verbandsware von Demeter, Bioland, Naturland und Biokreis anzubieten. Das gilt insbesondere auch für Fleisch.“
Ein Bio-Basissortiment für alle
Also hat man sich in Fulda dazu entschlossen, das Angebot aufzusplitten: Tegut Bio für hörwertige Produkte, und Tegut Bio zum kleinen Preis für EU-Bio-Artikel mit Preisen wie überall. Man wolle den Kund:innen „transparent darstellen, dass es auch bei Bio Qualitätsunterschiede zwischen den verschiedenen Marken gibt – ganz genau wie im konventionellen Sortiment“, sagt Schweininger.
Wieviele Artikel die Neuentwicklung konkret umfassen soll, verrät man in Fulda nicht. Ursprünglich war mal von 60 die Rede, später knapp 70. All zu genau will sich Schweininger aber nicht in die Karten schauen lassen. Aktuell verfügbar sind bislang etwa 40: Konfitüren, Aufstriche, Wurst, Weich- und Schnittkäse, Öle, Müslis, Joghurt, Kaffee, Tomaten in Stücken, frische Nudeln, H-Milch, frisches Gemüse, Brot.
„Wir werden ‚Bio zum kleinen Preis‘ überall dort positionieren, wo es Sinn ergibt, und mit diesem strategischen Sortiment auch darauf reagieren, wie sich der Wettbewerb entwickelt. Die Zahl der Artikel wird dynamisch sein.“
Die Produkte sollen „in den meisten Vertriebsformaten“ von Tegut angeboten werden, „allerdings nicht bis in die kleinste Filiale hinein“.
„In unseren Teo-Märkten sehe ich die Marke wegen der ohnehin begrenzten Artikelzahl derzeit eher nicht.“
Mit der neuen Eigenmarke geht Tegut quasi den entgegengesetzten Weg der Discounter, die ihr Bio-Basisangebot zunehmend mit höherwertigeren Produkten ergänzen. Beide Strategien sind der Versuch, sich der steigenden Nachfrage im Markt für Bio-Lebensmittel anzupassen – und den Kund:innen die Wahl zu lassen, für welche Qualitätsstufe sie sich entscheiden wollen.
Widersprechen Niedrigpreise der Bio-Idee?
Knapp 20 Prozent unter dem Niveau der ebenfalls von Tegut angebotenen Alnatura-Eigenmarkenprodukte sollen die Bio-zum-kleinen-Preis-Artikel teilweise liegen, berichtet „Über Bio“. Auf Nachfrage bleibt Schweininger allgemein:
„Wir rechnen jeden Artikel mit spitzem Bleistift und orientieren uns dabei am Discountpreis.“
(Was natürlich auch geht, weil die Spanne eines Artikels nicht wie bei Alnatura mit einem weiteren Handelspartner geteilt werden muss.)
Insbesondere für einen Bio-Pionier wie Tegut ergibt sich daraus allerdings die Frage, ob man sich damit einem Mechanismus aussetzt, von dem die Bio-Branche stets betont hat, ihn vermeiden zu wollen. Anders gefragt: Setzen niedrigere Preise für Bio-Lebensmittel die Hersteller:innen, Bäuerinnen und Bauern mittelfristig genau so unter Druck wie in der konventionellen Landwirtschaft, von der man sich abheben will? Schweininger sagt:
„Ich kann nachvollziehen, dass etwa der Bio-Fachhandel mit der derzeitigen Entwicklung nicht zufrieden ist, weil er noch vor zehn, fünfzehn Jahren mit völlig anderen Margen kalkuliert hat. Diese Zeiten haben sind vorbei, die Margen teilweise vergleichbar mit denen konventioneller Produkte. Aber zahlt dafür wirklich der Landwirt? Wir glauben: nein.“
Im Umkehrschluss würde das bedeuten: Händler verzichten auf einen Teil der bislang für Bio-Produkte gewohnten Marge, um im Wettbewerb mithalten zu können.
Die ursprüngliche Intention der Bio-Pioniere sei es doch gewesen, dass biologische Landwirtschaft für Mensch und Natur am besten verträglich ist, ergänzt der tegut-Einkaufschef:
„Also müssen Bio-Lebensmittel für alle verfügbar und bezahlbar werden. Ich bin der Überzeugung: Die Bio-Landwirtschaft sollte dabei an ihren Werten festhalten, zugleich aber an ihrer Effizienz arbeiten.“
Regal-Dämmerung für Mittelmarken
Gleichzeitig wird hochinteressant zu beobachten sein, welche Auswirkungen die wachsende Eigenmarken-Auswahl im Bio-Sortiment aufs übrige Angebot haben wird. Mehr Platz ist in den Supermarktregalen ja nicht. Muss Tegut zu Gunsten der Neuentwicklung andere Produkte aussortieren? Oder wird das übrige Bio-Basissortiment zusammengestrichen? Nein, behauptet Schweininger:
„Wenn morgen ein Artikel nicht mehr funktioniert, wird er geprüft und gegebenenfalls ersetzt – wie bisher auch. Es gibt aber keine Pläne, zum Beispiel absatzstarke Alnatura-Artikel in großem Stil auszulisten. Daran gibt es nichts zu rütteln.“
Gleichwohl scheint man in Fulda aber mit Verschiebungen zu rechnen:
„Unsere Beobachtung nach entscheiden sich Kund:innen beim Einkauf, wenn ihnen eine günstige Alternative zur konventionellen, aber vielleicht profillosen Marke im Mittelpreissegment angeboten wird, oftmals für die geringfügig teurere Bio-Variante. Für manche, die sich vielleicht schon vorgenommen haben, ihre Einkaufsgewohnheiten zu ändern, kann dieser geringe Preisabstand ein letzter Anstoß sein, zu Bio zu wechseln. Auf diese Weise gelingt es uns, Bio tatsächlich für alle anzubieten – auch junge Familien und Student:innen der ‚Generation Greta‘.“
Das bedeutet: Wenn sich Tegut Bio zum kleinen Preis als Bio-Basis etabliert, könnte das bei manchen Kund:innen zu nachhaltig veränderten Kaufgewohnheiten führen – im Zweifel zu Lasten konventioneller Markenhersteller, wenn zum Beispiel statt deren Marmelade plötzlich die Bio-Alternative gekauft wird.
Vorsicht, Selbstkannibalisierung
Natürlich funktioniert das auch andersherum: Hat Tegut keine Sorge, damit im Zweifel die konventionelle Tegut-Eigenmarke zu entwerten? Schweininger gibt sich gelassen:
„Es ist – nach meiner Auffassung – in allen Belangen immer besser, ein biologisch erzeugtes Produkt zu kaufen als ein konventionelles.“
Auch wenn das zur Selbstkannibalisierung führt?
„Nach meiner Erfahrung muss sich ein Händler immer auf die verändernden Wünsche seiner Kund:innen einstellen. Das ist die Grundaufgabe jedes Kaufmanns und jeder Kauffrau. Angenommen, es kommt, wie Sie sagen: Gemüsekonserven im Glas, hergestellt nach dem Tegut-Reinheitsversprechen, sind morgen nicht mehr so gefragt, weil die Kund:innen verstärkt Bio kaufen wollen – dann werden wir genau daran arbeiten.“
Eine völlig andere Sache ist, ob die Kund:innen die erweiterte Auswahl am Supermarktregal überhaupt zu schätzen wissen – oder ob sie von immer neuen Marken, die immer schwerer voneinander zu unterscheiden sind, eher irritiert werden. Bei Tegut ist man eher vom Gegenteil überzeugt:
„Kund:innen kommen in der Regal schon mit einem Fokus ans Regal: Preiseinstieg oder Marke? Bio oder nicht Bio? Damit wird die Auswahl automatisch eingegrenzt.“
Die Markenindustrie verfüge nach wie vor über eine „enorme Werbe-Power“, die dazu führe, dass bestimmte Artikel im Regal gesetzt sind, weil die Kund:innen sie dort erwarten. Als Händler sei Tegut bereit, diesen Wunsch zu erfüllen. Gleichzeitig könnten Handelsmarken das gesamte Preisspektrum abbilden und durch unterschiedliche Rezepturen und Inhaltsstoffe verschiedene Zielgruppen ansprechen.
Qualitätsstufen für Convenience
Um das besser herauszustellen, bekommt auch die Ursprungsmarke Tegut Bio derzeit eine neue Optik verpasst – ebenfalls ohne die Bio-Basisfarbe Grün, stattdessen mit hochwertigen Produktabbildungen und einem Logo auf Lederschlaufenoptik.
„Tegut Bio ist unser Premium-Produkt Nummer eins, das wir unseren Kund:innen anbieten wollen, und das soll sich sofort im neuen hochwertigen Verpackungsdesign spiegeln, bei dem das Produkt immer im Vordergrund steht.“
Nicht nur bei Bio, auch in anderen Sortimenten setzt die hessische Handelskette mit ihrem Eigenmarkenangebot zunehmend auf Qualitätsabstufungen – zum Beispiel bei Convenience-Artikeln zum Sofortessen. Für die gibt es bereits seit anderthalb Jahren die Eigenmarke „Tegut Freppy“, unter der sich Nussmixe, frische Salate, Sandwiches und geschnittenes Gemüse kaufen lassen (siehe Supermarktblog).
Zur Eröffnung der ersten Tegut-Quartier-Filiale, die mit fertig zubereiteten Mahlzeiten auf die Schnellversorgung in Innenstädten zielt, kam außerdem „Tegut Daily“ dazu. Für diese Strategie hat sich Tegut bei seiner Schweizer Muttergesellschaft, Migros Zürich, inspirieren lassen, sagt Einkaufsleiter Robert Schweininger:
„In der Schweiz ist die Unterscheidung im Convenience-Sortiment zwischen klassischen Produkten und Ultrafrische schon gang und gäbe, so wie bei Migros mit ‚Anna’s Best‘ und ‚Migros Daily‘. Mit ‚Tegut Freppy‘ und ‚Tegut Daily‘ wollen wir daran anknüpfen.“
Gesünderes Sofortessen dank „Daily“
Als „ultrafrisch“ werden in der Branche Produkte bezeichnet, die in der Regel am gleichen Tag zubereitet wurden und mit kurzen Haltbarkeitsdaten für den sofortigen Verzehr bestimmt sind, z.B. in der Mittagspause.
Als Upgrade könnten bald schon Bio-Zutaten zum Einsatz kommen. Zugleich nennt Tegut den Anspruch, dem Zusatzstofftheater vieler Sofortessen-Produkte ein Ende zu bereiten:
„Unser Ziel mit ‚Tegut Daily‘ ist es, dafür zu sorgen, dass Convenience-Artikel gesünder und verträglicher sind, und damit als Problemlöser für Kund:innen zu funktionieren, die sich unterwegs gesund ernähren wollen. Gleichzeitig haben wir es geschafft, Tegut Freppy-Artikel nach unserem Reinheitsversprechen zu produzieren, zum Beispiel ohne künstliche Farbstoffe oder Aromen.“
Eine der wichtigsten Aufgaben der Handelskette wird nun, ihren Kund:innen all diese Unterschiede nachvollziehbar zu erklären – auch solchen, die es im Laden eher eilig haben. Wenn das funktioniert, dürfte es bloß eine Frage der Zeit sein, bis auch andere Handelsketten nachziehen und ihre Eigenmarkenauswahl vergrößern, um unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden.
Kingt spannend. Hoffe das wird so angenommen. Langfristig könnten tatsächlich die konventionellen Markenpodukte Marktanteile verlieren.