Machen Kassenlos-Supermärkte kurzen Prozess mit Scan & Go?

Machen Kassenlos-Supermärkte kurzen Prozess mit Scan & Go?

Foto [M]: Aldi UK, Smb
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Statt Selbstscannen lieber Garnichtscannen: In zahlreichen Städten lassen Handelsketten ihre Kund:innen inzwischen per automatisierter Warenerfassung einkaufen und bezahlen. Die Technologie könnte dennoch einigermaßen friedlich mit den parallel erprobten Scan-&-Go-Initiativen koexistieren – zumindest vorerst.

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Spätestens seit Georg Büchners Drama „Dantons Tod“ von 1835 steht die Revolution bekanntermaßen unter akutem Kannibalismusverdacht. Und 187 Jahre später ist es zu klären an der Zeit, ob das womöglich auch für die technologische Moderne im Lebensmitteleinzelhandel gilt, weil: Wenn dem so wäre und sie ihre eigenen Kinder fräße, dann hat sie wohl gerade schon ihr Frühstück zu sich genommen und schielt auf ein leichtes Mittagessen.

Ende des vergangenen Jahres hat die niederländische Handelskette Albert Heijn bestätigt, ihr erst drei Jahre zuvor gestartetes Digitalbezahlsystem „Tap to go“ nicht weiterzuverfolgen. Mit Tap to go konnten Kund:innen in einigen Convenience-Läden des Konzerns ohne Umweg über die Kasse einkaufen, indem sie ihr Smartphone mit der passenden App ans digitale Preisschild des gewünschten Produkts hielten.

Tap to go ist bei Albert Hein schon wieder Geschichte; Foto: Smb

Im Hintergrund wurden die Produkte in einem virtuellen Warenkorb gesammelt und der Käuferin bzw. dem Käufer nach zehn Minuten automatisch in Rechnung gestellt (vermutlich nur kurz bevor die allermeisten auf diesem Weg eingekauften Sandwiches bereits verzehrt waren).

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Das war praktisch und funktionierte augenscheinlich prima (siehe Supermarktblog) – aber im AH-Hauptquartier in Zandaam muss man bereits geahnt haben, dass es sich dabei nur um eine Zwischenlösung handeln würde: Im großen Stil ist Tap to go nie ausgebaut worden; nichtmal die ursprünglich vorgesehene Verbreitung in den AH-to-Go-Märkten dürfte vollständig umgesetzt worden sein.

Achtung, Regal wiegt mit

Womöglich, weil sich schon abgezeichnet hatte, dass dem Lebensmitteleinzelhandel eine Lösung bevorsteht, die es den Kund:innen erlauben würde, noch einfacher einzukaufen, ohne am Ende an eine Kassenrunde absolvieren zu müssen.

Inzwischen vergeht fast keine Woche mehr, in der nicht mindestens ein neuer Kassenlos-Supermarkt eröffnet, der verspricht, die aus den Regalen genommenen Artikel per Computer Vision und Regalwaagen automatisch zu erkennen und den Kund:innen für eine Bezahlung zuzuordnen, um den Betrag vom hinterlegten Konto abzubuchen – so wie einst bei Amazon Go.

Amazon eröffnet gerade regelmäßig neue Märkte mit seiner erprobten Just-Walk-Out-Technologie, Tesco und Sainsbury’s haben in Großbritannien entsprechende Kassenlos-Supermärkte an den Start gebracht, Rewe experimentiert in Köln, und selbst den Discountern schwant, dass dieser Kelch nicht gänzlich an ihnen vorübergehen wird: Netto (ohne Hund) macht’s in München („Ohne Kasse, ohne Anstellen“), Aldi Süd in London, Aldi Nord demnächst in Utrecht.

Selbst wenn es sich dabei bislang nur um einzelne Filialen handelt, stellt sich die Frage, ob das „Pick & Go“ getaufte Prinzip künftig zum neuen Standard wird – zumindest für Standorte, an denen ein besonders schneller Einkauf gefragt ist.

Superstar oder One-Hit-Wonder?

Oh ja, und natürlich: ob das die schleichende Terminierung alle der anderen Technologien bedeutet, auf die der Handel bislang setzt, um seiner Kundschaft den Aufenthalt im Laden zumindest vordergründig zu verkürzen – Scan & Go zum Beispiel.

Im deutschen Lebensmitteleinzelhandel ist das Selbstscannen mit mobilen Geräten – am Ladeneingang zur Verfügung gestellten Handscannern, aufgerüsteten Einkaufswagen oder Smartphone-App – verhältnismäßig spät angekommen, gilt aber branchenintern mancherorts gerade als heimlicher Superstar (der sich noch als One-Hit-Wonder entpuppen könnte).

Self-Scanning hätte im deutschen Handel „rasant zugenommen“, analysierte das EHI Ende des vergangenen Jahres in seiner jährlichen Kassenzählung – und addierte insgesamt 244 Läden, die ihrer Kundschaft ein selbst angeschafftes Gerät für den autonomen Einkauf zur Verfügung stellten, bzw. knapp 600, in denen Scannen per App möglich ist. Im gesamten deutschen Lebensmitteleinzelhandel mit seinen knapp 38.000 Verkaufsstellen.

So richtig aus dem Quark sind die Händler mit Scan & Go nicht genommen – auch wenn es manchmal anders aussieht.

Schleppende Umsetzung

Ausprobier-Pionier Penny hat seine Scan-&-Go-Funktion drei Jahre nach dem ersten Test Ende des vergangenen Jahres in seine Haupt-App integriert und andeuten lassen, die Funktion „schrittweise“ in alle der mehr als 2.000 Filialen in Deutschland bringen zu wollen. Bislang handelt es sich aber um Tippelschrittchen: Auf der Penny-Website sind bislang bundesweit rund 180 Märkte genannt, in denen Scan & Go genutzt werden kann – nicht mal 10 Prozent des Filialnetzes.

Penny umwirbt „Schnellzahler:innen“, aber bislang nur in weniger als 200 Märkten bundesweit; Foto: Smb

Rossmann lässt seit vergangenem Jahr ebenfalls mobil selbstscannen – und hat sich in diesem Monat dazu durchgerungen, drei (!) weitere Testfilialen in Berlin und Bad Oeyenhausen mit der Funktionalität auszustatten. Insgesamt sind es jetzt sechs (von 2.200).

Kaufland mochte zuletzt nicht mal zugeben, sein „K-Scan“ getauftes Self-Scanning-System offiziell in Deutschland gestartet zu haben, obwohl die Scanner in den ersten Filialen nutzbar sind (siehe Supermarktblog). Inzwischen gibt es online immerhin eine kurze Erwähnung – eine Übersicht der teilnehmenden Märkte sucht man aber vergeblich („K-SCAN ist bereits in einigen ausgewählten Filialen verfügbar“).

Lidl sorgte kurz für Schlagzeilen, als im Sommer des vergangenen Jahres die App Lidl Go auftauchte, mit der ein einer Londoner Testfiliale per Smartphone gescannt werden konnte – inzwischen ist Lidl Go aber wieder aus den App-Stores verschwunden und keine Rede mehr davon. Dafür scheint der Discounter Scan & Go relativ geräuschlos in Portugal und Frankreich zu testen. Dafür gibt’s die App „Lidl Shop&Go“, die auch komplett ins Deutsche übersetzt wäre, falls morgen in der Bad Wimpfener Chefetage der Blitz mit der Erkenntnis einschlüge, alle Deutschland-Filialen damit auszurüsten („Self-Scanning – So einfach geht es!“).

Screenshots: Lidl/Smb

Für die Nutzung wird eine Anmeldung im Filial-WLAN sowie ein Benutzerkonto voraussetzt. An der Kasse wird dann nur noch der generierte QR-Code zum Bezahlen vorgezeigt. (Die letzte App-Aktualisierung ist aber auch schon zwei Jahre her.)

Statt Selbstscannen lieber Garnichtscannen

So richtig überzeugt scheint – bis auf Frühstarter Globus – aber bislang keine der Handelsketten zu sein, dass diese Zukunftstechnologie der Vergangenheit in großem Stil für die Gegenwart gebraucht wird.

Edeka hat es gerade sogar fertig gebracht, sein auf eigene Faust entwickeltes Self-Scanning für Smartphones wieder zurück zu pfeifen: die Weiterentwicklung ist laut einem Bericht der „Lebensmittel Zeitung“ „vorerst gestoppt“, um „Alternativen“ zu diskutieren. Was sogar in den eigenen Reihen bei selbstständigen Kaufleuten für Ärger sorgt. (Dazu haben sich die beiden Regionalgesellschaften Minden-Hannover und Hessenring auch noch zwei unterschiedliche Einkaufswagen-basierte Self-Scanning-Systeme ans Bein gebunden, bei denen die Hardware vermutlich schneller in die Jahre kommen dürfte als so mancher Wocheneinkaufskorb gescannt und bezahlt ist.)

Und das lässt sich einerseits natürlich der gewohnten Scheu zuschreiben, hierzulande rechtzeitig in Lösungen zu investieren, die den Einkauf in den Läden effizienter– oder sogar angenehmer – gestalten könnten.

Es könnte diesmal aber auch den Nebeneffekt haben, nicht jetzt noch auf eine Technologie zu setzen, die vor ein paar Jahren bei flächendeckendem Einsatz eine großartige Lösung für viele Kund:innen gewesen wäre, die das Kassenanstehen leid sind. Weil sich abzeichnet, dass sie ohnehin bald von einer Innovation wie Pick & Go abgelöst werden könnte, wenn Käufer:innen nämlich Läden den Vorzug geben, in denen sie für den Schnelleinkauf statt Selbstscannen Garnichtscannen müssen.

Die Scan-&-Go-Problemzone

Wird Scan & Go deshalb von Pick & Go zum Lunch verputzt? Ja – und nein; die Sache ist schwierig. Zumindest wäre es illusorisch, anzunehmen, dass in den nächsten Monaten ein regulärer City-Supermarkt nach dem nächsten auf Computer Vision umstellt – weil die Technologie (obwohl sie für die Händler zunehmend leistbarer und schlanker zu werden scheint) immer noch sehr viel höherer Investitionen bedarf als die Abschaffung eines vielerprobten Systems zum mobilen Self-Scanning.

Aber vielleicht zeichnet sich in dieser Zeit dafür ab, ob die unterschiedlichen Technologien nicht auch für unterschiedliche Standorte geeignet sind (und sich möglicherweise ergänzen).

Amazon mag sich inzwischen zutrauen, auch große Supermärkte mit Just-Walk-Out-Technologie auszustatten; branchenübergreifend dürfte die automatische Produkterkennung aber zunächst weiter für klassische Convenience Stores von Relevanz sein – dort, wo Kund:innen schnell ein paar Artikel aus dem Regal ziehen und wieder raus wollen, anstatt geduldig durch die Gänge zu bummeln.

Genau in solchen Nutzungssituationen scheint Scan & Go bislang so seine Problemchen zu haben – zumindest bei Rewe. In der Vergangenheit hat sich die Handelskette mit der eher schusseligen Integration seines Scan-&-Go-Systems in manche Läden keinen Gefallen getan (siehe Supermarktblog).

Falscher Einsatzort für Selbstscanner?

Inzwischen scheint sich aber abzuzeichnen, dass die Technologie eher nicht in den Läden funktioniert, von denen man es vorher angenommen hat.

Rewes Scan & Go scheint nicht in allen Filialtypen so funktionieren wie gedacht; Foto: Smb

Anfang des Monats berichtete die „Dresdner Zeitung“ (Abo-Text), dass Scan & Go im Rewe City um die Ecke des Dresdner Zwingers nach wenigen Monaten wieder abgeschafft worden ist. Dass dies wegen einer erhöhten Diebstahlquote geschehen sein, bestreitet der zuständige Filialleiter auf Anfrage der Zeitung. Es sei vielmehr so, dass zahlreiche Kund:innen des Markts statt eines Wagens einen Korb für ihren kleinen Einkauf nähmen – und wenn dann Produkte aus dem Regal genommen würden, sei eben keine Hand mehr zum Scannen frei. Pro Woche hätten deshalb lediglich zwischen 40 und 50 Kund:innen Scan & Go genutzt.

Die Handscanner sollen jetzt in einer Rewe-Filiale am Stadtrand wieder aufgebaut werden und Kund:innen zur Verfügung stehen, die dort tendenziell ihre Wocheneinkäufe erledigen.

In einem anderen Rewe-Markt an vergleichbarem Standort funktioniere das bereits sehr gut; dort würden bereits 3 bis 4 Prozent des Umsatzes mit Scan & Go erzielt.

In friedlicher Koexistenz

Im Zweifel ist Scan & Go – obwohl die Technologie verlockend klingt, um kleine Einkäufe zu beschleunigen – also eher für größere Supermärkte geeignet; in Innenstadtlagen käme der Handel den Bedürfnissen der besonders eiligen Kundschaft wohl sehr viel besser entgegen, wenn er auf automatische Warenerfassung setzen würde. (Zumal die Technologie dort mittelfristig auch sehr viel leichter beherrschbar sein dürfte.)

Das würde Scan & Go zumindest vorübergehend vom Speiseplan der technologischen Moderne nehmen; selbst wenn das vermutlich bloß bedeutet, irgendwann noch mal als Nachtisch darauf zurück zu kehren, falls Pick & Go tatsächlich branchenweit zum neuen Standard würde.

Also: Es sei denn, der deutsche Lebensmitteleinzelhandel hält an seiner lieb gewonnenen Gewohnheit fest, Innovationen immer erst dann umzusetzen, wenn sie schon längst keine mehr sind.

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5 Kommentare
  • Danke für diesen Artikel! Darauf, dass Scan & Go in großen Filialen am Stadtrand funktioniert, hätte Rewe schneller kommen können, wenn sie sich im Ausland umgehört hätten. Zum Beispiel bei ICA in Schweden: Dort wird Scan & Go seit Jahren in den Maxi-Märkten angeboten, während innerstädtisch darauf verzichtet wird – eben wegen der Handhabung mit den Körben.

  • Ist mir ohnehin ein Rätsel wie Selbstscannen mit einem schönen Einkaufserlebnis verbunden werden soll. Warum soll ich dem Handel noch mal Arbeit abnehmen ? Ich kaufe gerne ein, die 2 Minuten Zeitersparnis schenke ich dem LEH mit Freude.

    Im krassen Gegensatz bietet mein Edeka seit letztem Jahr auch die App für den Einkaufswagen an. Anstatt mal schnell einen Euro in den Wagen zu stecken, soll man sich eine App auf das Mobiltelefon laden und den Wagen freischalten. Und schon wären sie weg, die 2 Minuten die ich beim Selbstscannen wieder hereinholen könnte. Man muss wirklich nicht jeden Mist zur Praxistauglichkeit prügeln.

    • Nachdem die meisten Supermärkte das Selberwiegen von Obst & Gemüse abgeschafft haben (sehr zu meiner Erleichterung), wirkte es in der Tat eher wie ein Rückschritt, wenn man nunmehr alles selber scannen müsste – einerseits. Andererseits ist das Aus- und Einladen des Einkaufswagens an der Kasse ein Schritt, auf den ich nicht unbedingt mit nostalgischen Gefühlen zurückblicken würde. Schon gar nicht unter aldimäßig gehetzten Bedingungen.

  • Mir scheint, dass kaum ein Kunde je einen Bedarf nach solchen »Lösungen« verspüren würde, wenn nur die Kassen ausreichend besetzt wären. Aber das ist wohl die eine Idee, auf die niemand kommt. Die Überproduktion von Scannern und anderer Hardware mit eingebautem Verfallsdatum wäre übrigens auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu diskutieren.

  • Für den, der keine Lust auf Anstehen an der Kasse hat und mehr als nur eine Handvoll Artikel kauft (was der Usecase der Self-Check-Out-Kasse oder des kassenlosen Einkaufs wäre), ist der mobile Scanner die schnellste Lösung.
    Selbst scannen per App und Smartphone-Kamera ist nach meiner Erfahrung deutlich langsamr als das Scannen mit dafür gebauterr Hardware.

    Und natürlich ist die Diebstahlquote bzw. auch das unabsichtliche Nicht-Erfassen, neben den Regeln für Jugendschutz, in jedem Fall mit Aufwand für den Markt verbunden

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