Trend oder Seifenblase: Frisst der Handel seine Unverpackt-Revolutionär:innen?

Trend oder Seifenblase: Frisst der Handel seine Unverpackt-Revolutionär:innen?

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Große Handelsketten wie Kaufland entdecken Unverpackt-Stationen und neue Mehrweg-Systeme für sich – nur: für wie lange? Kleinere Anbieter, die den Trend am Markt etabliert haben, geraten so oder so unter Druck. Wer übrig bleiben will, muss womöglich Kompromisse eingehen.

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Immer wenn im deutschen Lebensmitteleinzelhandel ein Winzling einen Riesen schubst, passiert erstmal – nichts. Der Winzling macht weiter seine Winzlingsdinge und vergisst vielleicht, was war. Bis dem Riesen ein paar Jahre später auffällt, dass er sich kratzen muss – und er, oft ohne konkrete Absicht, im selben Zug das an der Zwickstelle aufgebaute Winzlingswerk abräumt.

Acht Jahre ist es her, dass Milena Glimbovksi mit der Eröffnung ihres per Crowdfunding unterstützen Unverpackt-Supermarkts in Berlin den deutschen Lebensmitteleinzelhandel geschubst hat. (Ähnlich wie Laden-Gründer:innen in anderen deutschen Städten.)

„Wir alle sind ein bisschen faul geworden beim Einkaufen“, erklärte sie damals im Supermarktblog-Gespräch, warum sie einen Laden aufmachen will, in dem man Produkte ohne separate Verpackungen erwerben kann. „Aber wenn sich genügend Leute überlegen, das anders machen zu wollen, muss sich der Handel darauf einstellen.“

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Tja, und das scheint er gerade so langsam zu tun: z.B. mit Unverpackt-Stationen, die in bestehende Supermärkte integriert werden, und an denen man jetzt Nudeln, Couscous und Nüsse in selbst mitgebrachte Behälter abfüllen kann, um sich die Einwegverpackung zu sparen. Tegut testet schon seit längerem, Edeka ist mit dabei, selbst Bio-Ketten wie Denn’s und Bio Company haben mal einen Trend nicht komplett verpasst.

Unverpackt-Station bei Edeka; Foto: Supermarktblog

Große Ketten entdecken die Nischen

Nur Original Unverpackt, wie der mit großer Medienaufmerksamkeit begleitete Laden in Berlin-Kreuzberg heißt, scheint von der sich ausbreitenden Bereitschaft zum verpackungsarmen Einkauf nicht ausreichend profitiert zu haben. Im Juni wurde bekannt, dass der Markt Insolvenz angemeldet hat.

Nach „deutlichen Umsatzeinbußen“ während Corona seien Probleme wegen der steigenden Inflation und des Krieges gegen die Ukraine dazu gekommen, erklärte Glimbovksi gegenüber RBB 24. Derzeit bemühe man sich um neue Investor:innen bzw. Käufer:innen, um Original Unverpackt vor der Schließung zu bewahren.

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Und so sehr das dem Ladenprojekt – wie allen unabhängigen Lebensmittelhändler:innen – zu wünschen wäre: Es wird nicht einfach sein. Vor allem, wenn die einstige Nische zunehmend von den klassischen Handelsketten entdeckt und zumindest teilweise assimiliert wird, wie es schon bei vielen Trend-Themen der Fall war. Vor einem Jahr hat sich selbst der Großflächen-Discounter Kaufland dazu entschlossen, Unverpackt-Stationen mit gleich 40 Grundnahrungsmitteln als Ergänzung in seinen Läden zu testen.

Zunächst wurden diese an zwei Standorten aufgebaut (Pfungstadt und Steinheim). Im Februar sind sechs weitere Märkte (in Berlin, Hamburg, Heidelberg, Köln, Leipzig, München) hinzugekommen.

Unverpackt vorm Brötchenknastrondell

Die über Eck an den Rand der Obst- und Gemüseabteilung vor das üppige Brötchenknastrondell gebauten Spender machen im Laden einen ganz guten Eindruck. Partner ist der Produzent und Importeur Ecoterra, der das System inklusive Ware zuliefert. Ob die Initiative ausgerechnet zur Kaufland-Kundschaft passt, die sonst eher mit Niedrigpreisen bezirzt werden, steht allerdings in Frage.

Im Zuge der verschärften Anlockung von Bio-Kund:innen, die in den Regalen inzwischen auch Ware des Anbaupartners Demeter finden (und demnächst auch mit Bioland-Siegel aufgewertete K-Bio-Artikel), könnte die Unverpackt-Ecke aber als zusätzliches Lockinstrument zumindest an einzelnen Standorten sinnvoll sein. Und sei es bloß zu Marketing- bzw. Positionierungs-Zwecken.

Ob eine Ausweitung bereits in Aussicht steht, will Kaufland auf Supermarktblog-Anfrage nicht sagen. Eine Sprecherin erklärt:

„Unsere Kunden nehmen das Angebot an unverpackten Lebensmitteln in Bio-Qualität gerne an. Am Häufigsten werden Nüsse, schokolierte Nüsse oder Früchte gekauft.“

Das Angebot sei in allen acht Filialen identisch. Die Stationen würden täglich gereinigt und desinfiziert, bei Bedarf auch mehrmals am Tag.

„Bei erfolgreichem Testverlauf soll das Konzept als filialindividueller Sortimentsbaustein in weiteren geeigneten Kaufland-Filialen ausgerollt werden.“

Was freilich noch nicht ausgemacht ist. In Großbritannien hat Wettbewerber Aldi seine einzige bislang aufgebaute Unverpackt-Station nach dem Ende des Testzeitraums erstmal wieder abgebaut – angeblich, um vor weiteren Entscheidungen die Ergebnisse auszuwerten. Was nur eine clever verpackte Absage an eine eigene Unverpackt-Initiative sein dürfte, sonst bräuchte man ja nicht erst noch überlegen.

Mehrwegglassortiment per Paket

Bis zur letzten Konsequenz mag auch Kaufland seinen Versuch nicht ausreizen: An den Stationen stehen Papiertüten und Einwegplastikbehälter für Kund:innen bereit, die keine Mehrwegvariante mit in den Laden gebracht haben – und im Zweifel dann mehr Verpackung für Ihren Einkauf benötigen, als wenn sie einen regulär verpackten Artikel gekauft hätten

Konkurrenz hat der Trend zur fest installierten Station inzwischen durch Anbieter bekommen, die Lebensmittel aus dem Trockensortiment in Mehrweggläser abfüllen, ohne dies den Kund:innen selbst zu überlassen (siehe Supermarktblog). Wie bei Joghurt und Milch werden die Gläser gegen einen Pfandbetrag ausgegeben, der bei Rückgabe zurückerstattet wird.

„Gerne Ohne“ in München war im vergangenen Jahr so überzeugt davon, sich mit dieser Idee durchsetzen zu können, dass die drei Gründer einen eigenen Onlineshop starteten, in dem sich ein durchaus umfangreiches Lebensmittel-Sortiment direkt nachhause bestellen ließ. Der Versand war ab 69 Euro kostenfrei, Pfand wurde erst berechnet, wenn die Gläser nach einem Monat nicht retourniert wurden.

Ein Crowdfunding, das die Anschaffung einer eigenen Etikettier- und Abfüllmaschine hätte finanzieren sollen, stieß im Frühjahr aber nur auf geringes Interesse bei potenziellen Unterstützer:innen. Vom bei 40.000 Euro liegenden Funding-Ziel wurden gut 5.400 Euro erreicht.

Wer sich nicht anpasst, hat’s schwer

Im Mai kommunizierte Gerne Ohne noch eine Kooperation mit dem Partner Hey Circle, über den Bestellungen künftig in wiederverwertbaren Transportboxen verschickt worden wären. Nur wenige Wochen später allerdings folgte per Social Media das überraschende Aus:

„Leider müssen wir heute verkünden, dass wir unseren Shop zu Ende Juni schweren Herzens schließen werden.“

Gerne Ohne will sich ohne eigenen Shop neu ausrichten; Foto: Gerne Ohne / foto.von.hagen

Zu den exakten Gründen hat man sich bislang nicht äußern wollen. Auf eine Supermarktblog-Anfrage erklärt Gerne-Ohne-Mitgründer Michael Sixl, dass man sich bis Herbst „strategisch neu ausrichten“ wolle. Weiterhin erhältlich sind die Produkte beim zügig expandierenden Lebensmittel-Lieferdienst Knuspr (offenbar aber nur in München). Ob man dauerhaft zur Mehrweg-Marke für den klassischen (Liefer-)Handel werden will, ist derzeit nicht ganz klar. (Wird im abschließenden Facebook-Post aber zumindest als Wunsch angedeutet.)

Den Berliner Kolleg:innen von Veganz dürfte vieles davon bekannt vorkommen: Vor über einem Jahrzehnt war Gründer Jan Bredack mit dem Ziel gestartet, vegane Lebensmittel in eigens dafür eröffneten Supermärkten zu verkaufen. Jede weitere Partnerschaft mit einer klassischen Handelskette führte jedoch dazu, dass sich Veganz als Supermarktkette selbst überflüssig machte.

Der Wandel zur Herstellermarke, die das zunehmende Eigenmarken-Sortiment regelmäßig durch neue vegane Trendprodukte ergänzt, war nachher unvermeidbar. Und scheint der richtige Entschluss gewesen zu sein.

Schleppende Sortimentsausweitung

Der Lebensmitteleinzelhandel frisst also mit schöner Regelmäßigkeit seine Revolutionär:innen – es sei denn, die sind bereit, sich entsprechend zügig anzupassen. Und auf Zügigkeit kommt es, wenn die Riesen mal aufgewacht sind, durchaus an.

Das ehemalige Oetker-Digital-Start-up Mehrwelt könnte das als nächstes erfahren. Gestartet sind die Berliner:innen mit einem ganz ähnlichen Vorhaben wie Gerne Ohne, bloß dass man von Anfang an auf selbst designte Mehrweggläser mit höherem Pfandpreis setzte. Und sich die Kosten für einen eigenen Onlineshop sparte, um direkt mit dem etablierten Handel zu kooperieren (siehe Supermarktblog).

Sortiment und Verfügbarkeit von Mehrwelt sind weiterhin stark ausbaufähig; Foto: Supermarktblog

Richtig voran scheint Mehrwelt damit derzeit aber nicht zu kommen: Trotz einer eigenen Abfüllungs- und Reinigungsanlage, die im Frühjahr in einem Dr.-Oetker-Werk in Betrieb genommen werden sollte, ist das Sortiment weiter sehr überschaubar und von 19 Produkten auf aktuell (beim Oetker-Partner Flaschenpost verfügbaren) 25 gewachsen.

Auf seiner Website weist Mehrwelt derzeit deutschlandweit gerade einmal 56 Verkaufsstellen aus – in der Regel die Märkte selbständiger Edeka- und Rewe-Kaufleute, die meisten im Südwestern und Süden, wenige in Berlin, kaum welche im Norden und Osten. Die Zahl der Handelspartner dürfte unter 50 liegen, weil von den Händler:innen viele mehrere Läden führen. Bisschen wenig für die erhoffte Revolution.

Auf Supermarktblog-Anfrage will sich Mehrwelt-Gründerin Juliane Wagner derzeit nicht zur weiteren Entwicklung äußern, was jetzt auch nicht unbedingt Euphorie signalisiert.

Verpackungsfrei – aber bitte ohne Aufpreis

Als unbekannte neue Marke hat es Mehrwelt aber naturgemäß schwer, in die Läden zu kommen – zumal man selbst einräumt, die Mehrweggläser nicht fürs Supermarktregal optimiert designt zu haben. Und die Händler werden es sich genau überlegen, ob sie Platz für ein System freiräumen wollen, von dem nicht ganz klar ist, ob die Kund:innen es überhaupt wollen. Große Oetker-Marken im Pfandglas könnten bei der Durchsetzung helfen. Aber die „Gespräche mit nahmhaften Markenherstellern“ (Wagner im Frühjahr gegenüber der „LZ“) laufen jetzt schon sehr, sehr lange ohne sichtbares Ergebnis.

Parallel dazu hat Alnatura einige Artikel, die Mehrwelt in Pfandgläser füllt, mit seiner eigenen Testmarke Pfandwerk schon wieder aus dem Sortiment genommen, weil diese im Glas nach eigenen Berechnungen keine bessere Umweltbilanz haben als in dünner Einwegverpackung – im Gegenteil (siehe Supermarktblog).

Und nochmal schlechte Nachrichten aus Großbritannien: Eben dort hat Tesco gerade seinen Test mit dem Mehrwegcontainer-System Loop (siehe Supermarktblog) wieder beendet und ließ durchblicken, dass die erhoffte Änderung des Einkaufsverhaltens bei den Kund:innen („a cultural and behavioural shift from customers“) ausgeblieben sei.

Die Aufgeschlossenheit mancher Kund:innen, verpackungsfreier als bisher einzukaufen, mag derzeit zwar größer sein als je zuvor. Unklar bleibt vorerst, ob die Zielgruppe für den klassischen Handel groß genug ist. Viele Verbraucher:innen werden jedenfalls kaum dauerhaft Aufpreise gegenüber denselben Produkten in Einwegverpackung zahlen wollen – erst recht nicht in der aktuellen Situation. Und womöglich sieht ein Großteil inzwischen ausreichend Initiativen im klassischen Handel, ohne ihren Einkauf zu einem Spezial-Shop – egal, ob on- oder offline – zu verlagern.

Die Winzlinge müssen sich echt was einfallen lassen, wenn sie nicht plattgedrückt werden wollen.

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5 Kommentare
  • Kurz was anderes zum Thema Umweltschutz.
    Seit Juli 2021 sind doch alle Einmal-Plastik-Artikel in der EU verboten.
    Vor drei Wochen habe ich zum ersten Mal im sowieso sehr unangenehmen Norma eine fertige Salatschale aus der Sofort-Futter-Kühlung gekauft. In der Packung lag tatsächlich eine Gabel aus Plastik.
    In allen anderen Läden wird bei diesen Produkten entweder in der Packung oder am Regal separat Esswerkzeug aus Holz angeboten.
    Wie kommt es, dass Norma sich ein Jahr später (mal wieder) über alle geltenden Regeln hinwegsetzt?

  • Hier in Bretten das Gleiche: Der „Unverpackt eingepackt“-Laden hat nach 2 Jahren im Mai geschlossen (https://unverpackt-eingepackt.info/News/). Es hat nicht funktioniert. Preislich hat man sich mit dem großen Bio-Fachladen verglichen („Erst der letzte Test hat gezeigt, dass wir knapp 7€ günstiger sind als der große Biomarkt“). Was gegenüber dem Standardsortiment im Supermarkt halt immer noch sehr teuer ist.
    In einem großen Edeka in Eppingen gibt es auch eine große Unverpackt-Abteilung, mit Papptüten und -bechern mit Plastedeckel. Die allerwenigsten Artikel passen in mein Kaufschema, die wenigen die es tun sind hoffnungslos viel teurer (Faktor 3 – 4 ggü. ordentlicher Massenware). Entsprechend ist eigentlich nie jemand dort am Hantieren.
    Das Konzept hat viel Idealismus und wenig Erfolg.

  • Puh, da haben wir es wieder: Viele wissen um den gesellschaftlichen Vorteil von weniger Verpackung, einige handeln auch entsprechend – der Abstand zwischen „vielen die es wissen“ und „einigen die entsprechend handeln“ ist jedoch enorm.
    Was bleibt?
    Es feststellen. Und: Die spezielle Betriebsformen des LEH fördern – also für deren gesellschaftlichen Mehrwert, den sie ja schaffen, eine finanzielle Förderung bieten, die die betriebswirtschaftliche Lücke zwischen „wissen dass das gut ist“ und sich so verhalten schließt.
    Und ich glaube, wenn man das tut, dann vielleicht so, dass die „Unverpackt Läden“ auch, vielleicht sogar im Besondern auf das Land kommen, auf Dörfer und in Städte mit unter 30.000 Einwohner:innen. Denn: Hier sind die Wege kurz, hier ist es einfacher sich seine Verpackungen mitzunehmen und jene gut gefüllt wieder mit nach Hause zu nehmen. Und hier sind die Mieten für Läden echt gering – vielleicht sogar kostenlos.

    • In Deutschland scheint es im Bereich Handel entweder an so etwas wie „Entwicklungshilfe im Innern“ oder – was ich für unwahrscheinlicher halte – an der Berichterstattung darüber zu mangeln. Statt dem drölften Design- oder Gründerpreis fände ich strukturelle Finanzierung für F&E-Projekte im Handel sinnvoll, so wie es das ja in anderen Sektoren auch gibt. Von dementsprechenden Forschungszielen, die ja meistens gleich mehrere der 17 UN-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung betreffen, ist mir für Handel und Dienstleistung in Deutschland irgendwie noch nichts bekannt geworden, anders als in vielen ärmeren Ländern. Vielleicht meint man in Deutschland so etwas nicht mehr zu brauchen. Ich verstehe das nicht.

  • Auf Dauer werden solche Einrichtungen nur erfolgreich sein, wenn die unverpackt käuflichen Artikel entweder denselben, oder einen besseren Preis haben als die verpackten. Die nun wie die Fliegen sterbenden Unverpacktläden mit ihren unverschämten Preisen zeigen das sehr deutlich.
    Ich als Verbraucher mache mir sicher nicht die Mühe, im Supermarkt einen Mehraufwand zu betreiben (und mir im worst case auch noch MEHR Pfandgebinde ans Bein zu binden, als ich in Deutschland ohnehin schon habe), wenn ich am Ende dafür auch noch draufzahlen muss.

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