Im Streit zwischen großen Supermarktketten und internationalen Markenherstellern werden gerade allerhand Grundsätzlichkeiten in Frage gestellt. Und diesmal sieht es so aus, als würde wirklich keiner der Beteiligten zuerst blinzeln (bzw. nachgeben) wollen.
Große Konzerne bestehen gegenüber Handelsunternehmen auf höheren Preisen für ihre etablierten Markenprodukte. Die Händler wiederum inszenieren sich – wie Edeka – als „Anwalt der Kundinnen und Kunden“ und lehnen Erhöhungen, die sich ihrer Meinung nach nicht (mehr) durch gestiegene Rohstoffpreise rechtfertigen lassen, ab. Kommt es zu keiner Einigung, stellen viele Hersteller die Belieferung ein und verzichten (zumindest vorübergehend) auf teils erhebliche Umsätze. Der Händler riskiert derweil, Kund:innen an die Konkurrenz zu verlieren, bei der begehrte Marken weiter angeboten werden.
Dieses Spiel ist nicht neu, es wurde in den vergangenen Jahren nur zunehmend öffentlich ausgetragen. (Insbesondere durch die aggressivere Kommunikationspolitik der Handelsketten.)
Neu ist allerdings das Ausmaß, indem es derzeit zu Lieferstopps und Auslistungen kommt.
Druck auf die Gegenseite
Ende April erklärte Edeka-Vorstand Markus Mosa, dass (zum damaligen Zeitpunkt) 17 große Konzerne ihre Ware vorübergehend nicht mehr an Edeka lieferten, u.a. Procter & Gamble, Mars, Pepsi sowie „Teile“ von Henkel, Schwartau und Unilever. Bei vier Konzernen habe man „teilweise einen Bestellstopp verhängt,“, heißt es in Medienberichten. Das Verhältnis zur Industrie scheint zerrüttet. (Kleinere Hersteller nimmt Edeka von seiner Kritik explizit aus.)
Gleichzeitig hat der Streit erheblichen Einfluss darauf, wie Kund:innen Lebensmittel einkaufen (können), zumal die Händler ihre Strategien als Reaktion auf die Liefer- und Bestellstopps teilweise anpassen.
Eine zeitlang war es üblich, an leer bleibenden Regalen mittels Hinweisschildern zu informieren, dass man sich mit dem betroffenen Hersteller nicht über den Preis für ein oder mehrere Produkte einig geworden sei.

Dieses Öffentlichmachen gescheiterter Verhandlungen sollte vermutlich den Druck auf die Gegenseite erhöhen, der Händlerposition nachzugeben; gleichzeitig demonstrierte das Handelsunternehmen auf diese Weise Zuversicht, die Lücke bald wieder schließen zu können – weil leere Regale verschenkten Platz und Verzicht auf einkalkulierte Umsätze bedeuten.
Umsatzexplosion der Eigenmarken
Das ändert sich gerade massiv. Hinweisschilder suchen Kund:innen inzwischen vielerorts vergebens – vermutlich auch, weil die Regale angesichts der parallel zueinander ausgefochtenen Streits sonst vor lauter Klebezetteln überhaupt nicht mehr einsehbar wären.
Lücken im Regal gibt es aufgrund zahlreicher nicht gelieferter oder erstellter Produkte zwar weiterhin, z.B. bei Edeka:


Im Zweifel aber auch, weil Kund:innen verstärkt zu anderen Marken oder Eigenmarken greifen, die deswegen schneller ausverkauft sein können.
Edeka meldete fürs vergangene Jahr einen „massiven“ Anstieg des Umsatzes mit Eigenmarken: plus 11,1 Prozent. (Markenartikelumsätze sanken trotz Preiserhöhungen um 1,9 Prozent.) Dieser Trend verstärkt sich weiter: Eigenmarken-Verkäufe seien „explosionsartig“ gestiegen, zitierte die „Lebensmittel Zeitung“ Edeka-Chef Mosa, der auf einer Tagung in der vergangenen Woche sprach. Im ersten Quartal 2023 habe das Eigenmarken-Plus bei 19,6 Prozent gelegen; im März schon bei 24,1 Prozent (im Vergleich zum Vorjahresmonat).
Und das ist ja auch kein Wunder, weil in vielen Regalen der Edeka-Supermärkte vor allem Eigenmarken liegen.
Vorübergehende Neuverteilung?
Es sei eigentlich „nicht unser Anspruch“, nur Produkte unter eigenen Labels zu verkaufen, erklärte Mosa weiter; man sei aber „bereit, statt austauschbaren Marken junge, regionale Produkte in die Regale zu bringen“.

Bzw.: Marken befreundeter (oder sagen wir: nicht aktiv konkurrierender) Handelsketten wie der Schweizer Migros, deren neues Kaffeepressklopssystem Coffee-B Edeka gerade in Deutschland zu etablieren versucht (siehe Supermarktblog) – mit hochwertigen Regaleinsätzen und Aufstellern, die zur Rabattaddition einladen.




Und das klingt natürlich irgendwie verlockend: ein Laden, der für mehr Produktvielfalt sorgt, indem er den Platz, der bislang für Artikel reserviert war, die es fast überall zu kaufen gibt, neu verteilt. Die Frage ist bloß: für wie lange?
Unter Edeka-Kaufleuten ist bereits von Verstimmungen die Rede, weil man Stammkund:innen nicht zu Wettbewerbern ziehen lassen wolle, die deren Lieblingsprodukte noch führen. Die Marken werden teilweise durch Großhändler beschafft, was wiederum die Position der Zentrale sabotiert.
Dazu kommt, dass der Handel sämtliche Gelegenheiten, die sich in der Vergangenheit boten, Sortimente weniger abhängig von großen Markenartikelproduzenten aufzustellen, stets verstreichen haben lassen.
Meterweise Ariel
Nachdem der Zoff zwischen Kaufland und Unilever vor einigen Jahren lautstark über die Öffentlichkeit ausgetragen worden war (siehe Supermarktblog), und die Produkte wieder ins Regal zurückkehrten (siehe nochmal Supermarktblog), war nachher alles wie immer. Also: bis vor kurzem. Inzwischen liegt Kaufland mit Unilever wieder im Clinch, und Produkte von Marken wie Axe, Magnum, Dove und Pfanni werden entweder rar oder sind schon nicht mehr verfügbar. Gleiches gilt für Henkel, das sonst u.a. Persil, Spee und Pril liefert.
Lücken im Regal will Kaufland dieses Mal aber offensichtlich um keinen Preis riskieren, auch auf Hinweise zu gescheiterten Preisverhandlungen gegenüber den Kund:innen verzichtet die Handelskette. Stattdessen werden meterweise Produkte von Wettbewerbern platziert. Das hier z.B. ist kein aktuelles Foto aus einem Ariel-Shop, sondern die Waschmittelabteilung bei Kaufland, in der die Henkel-Marken fehlen.

Pril hat man derzeit ebenfalls nicht zu bieten. Suchen Sie sich einfach das Fit-Spülmittel mit ihrer Lieblingsfarbe raus.

Wenn Sie fix sind, können Sie sich noch den Axe-Restbestand aus dem Duschgel-Regal sichern: gaaaanz weit unten auf der linken Seite.

Und Kartoffelpüree von Pfanni ist wohl schon aus, jetzt muss es die Eigenmarke K-Classic richten.

Etablierte Abhängigkeit
Auf Supermarktblog-Anfrage möchte sich Kaufland zur aktuellen Situation ebenso wenig äußern wie zur (Nicht-)Kommunikationsstrategie gegenüber Kund:innen. Eine Sprecherin erklärt allgemein:
„Wir bieten unseren Kunden eine große Auswahl an Lebensmitteln und alles für den täglichen Bedarf, darunter unserer attraktiven Eigenmarken sowie anderer beliebter Marken. Aufgrund unseres großen Sortiments ist die Warenversorgung für unsere Kunden immer sichergestellt. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir zu unseren Lieferantenbeziehungen darüber hinaus grundsätzlich keine Auskunft geben.“
Die Umbauarbeiten sind in jedem Fall nicht ganz unanstrengend für die Händler, die sich zudem überlegen müssen, wie langfristig Ersatzlösungen sein sollen, um zu vermeiden, dass ihre Regale wie Schweizer Käse aussehen.
So richtig vorstellbar scheint mir das derzeit noch nicht zu sein, dass die derzeitigen Dissenzen zu einer anhaltenden Sortimentsumstellung in größerem Stil führen – dafür haben sich Industrie und Handel doch zu sehr in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit miteinander eingerichtet.
Aber wenn die Kämpfe dafür sorgen, dass zumindest für einige der jungen, alternativen Marken der Weg in den Lebensmitteleinzelhandel geöffnet bleibt, den man sonst mühsam über viel Jahre aufstemmen müsste, dann hätte sich das ganze Spektakel ja zumindest dafür gelohnt.
Vielen Dank an Torsten F. für Hinweis und Inspiration!
Heißt die Kaufland-Eigenmarke nicht „K-Classic“ (statt „K-Basic“)?
Ja, danke!
Man kann als Verbraucher fast nur gewinnen wenn all die langweiligen Platzhirsche mal rausgeschmeissen werden und Platz für Neues gemacht wird.
In den Supermärkten liegen schon seit Jahrzehnte die ewiggleichen Produkte. Totale Langeweile in den Supermärkten. Kein Wunder, das die Märkte ein Hort der Konservation darstellen auch im Hinblick auf Bezahlsysteme.
Gerade Kaufland fährt in allen mir bekannten Filialen schon immer die Strategie, dass Lücken im Regal Teufelswerk und sofort zu füllen sind, egal womit. Auch wenn dann eben meterweise Krautsalat im Kühlregal steht, wo immer noch die Preisschilder den Kartoffelsalat bewerben; das hat sicherlich schon bei manchen Kunden zuhause zu Überraschungen geführt… Verbunden mit der schon in guten Zeiten spürbar reduzierten Markenauswahl (manch früher noch lautstark kommunizierte Ausdünnung, äh, „Fokussierung“ wurde nach wenigen Wochen zurückgenommen) verärgert das Kunden wie mich massiv, da so die Produktsuche beim Einkauf immer länger dauert.
Und wo ich schon beim missgelaunten Kunden bin: Wie ich schon vor einigen Tagen an anderer Stelle hier im Blog schrieb, mag ich mir nicht vorschreiben lassen, was ich einkaufen soll! Ich brauche keinen selbsternannten Verbraucherschützer Edeka oder Kaufland oder wer-auch-immer, der mich vor den überhöhten Herstellerpreisen schützen will, wenn *ich* ein Produkt nun einmal kaufen möchte. Treibt mich jedenfalls nicht zu den Eigenmarken, sondern eher zu Lieferdiensten oder eben zur Direktbestellung beim Hersteller. Ätsch!
(Hoffentlich liest das mal jemand von Edeka & Co.!)