Mittagsknick statt „Frischekick“: Tegut Quartier verspricht mehr als es halten kann

Mittagsknick statt „Frischekick“: Tegut Quartier verspricht mehr als es halten kann

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Mit seinem Frische-Supermarktkonzept Quartier will Tegut von Fulda aus die Innenstädte erobern. Doch die Expansion läuft schleppend. Und in der Frankfurter City stehen Quartier-Kund:innen mittags schon mal vor komplett leeren Convenience-Regalen. So wird das nix.

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Entgegen landläufiger Annahmen handelt es sich bei den Fantastic Four des deutschen Lebensmitteleinzelhandels weder um eine alternde Hip-Hop-Band noch um eine Gruppe im Weltall kosmischer Strahlung ausgesetzter Wissenschaftler:innen. Superkräfte haben sie aber trotzdem:

AUSWAHL blendet Kund:innen im Laden mit der schieren Masse verfügbarer Artikel, die sie dazu bewegen soll, nicht noch andere Supermärkte aufzusuchen; REGIONALITÄT gibt ihnen das gute Gefühl, Produkte aus der Nähe einzukaufen, um die Vergangenheitsillusion kleinbäuerlicher Idylle zu bewahren; AKTIONSPREIS sorgt mit vermeintlichen Schnäppchen für ordentlich Betrieb im Markt; und FRISCHE dafür, mit vitaminhaltigem Obst und Gemüse im Einkaufswagen den Erwerb der daneben liegenden Süß- und Salzwaren zu rechtfertigen.

Wobei niemand hierzulande die Superkräfte von FRISCHE zuletzt so sehr bemüht hat wie Tegut mit seinem neuen Supermarktkonzept „Tegut Quartier“.

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Mit dem könnte die schweizerisch-hessische Supermarktkette eigentlich das perfekte Modell für die nachpandemisch nach draußen drängende Unterwegsgesellschaft an der Hand haben.

So viele wohlklingende Versprechen

„Es versorgt Menschen mit frischen Trend-Gerichten und Snacks, die sie direkt oder mit kurzer Zubereitungszeit, warm oder kalt, im Büro, nach Feierabend oder direkt vor Ort genießen können – als kleine Auszeit vom bewegten Alltag oder wertvoller Energiebringer und Frischekick“,

versprach Tegut zuletzt geradezu lyrisch. Und stellte der Quartier-Kundschaft „belegte Brötchen und Brote, geschnittene Früchte, Gemüsesnacks mit passenden Dips, Snackschalen, aber auch frisch zubereitete Säfte, Smoothies und Menüschalen für die Zubereitung im Backofen oder in der Mikrowelle“, „frische Paninis, komplette SalatBowls, Sushi“, „Desserts und Kuchen“ sowie („als besonderes Highlight“) „täglich wechselnde warme und kalte Mittagsgerichte“ in Aussicht, damit sich jede:r „ganz einfach, frisch und ausgewogen ernähren“ könne.

Quartier-Projektleiter Maximilian Klußmann ließ sich zudem mit dem Versprechen zitieren, man lege in den Läden großen Wert auf „eine angenehme Einkaufsatmosphäre“, um „die Kunden auch nach dem Kassiervorgang noch zum Verweilen einzuladen“, der zudem dank Scan-&-Go-App superfix gehe:

„So wird der Einkauf zur einfachsten Nebensache der Welt.“

Der vor zwei Jahren in der Fuldaer Innenstadt eröffneten Pilotfiliale (siehe Supermarktblog) sind bislang jedoch erst zwei weitere gefolgt: eine am Frankfurter Flughafen und in diversem Frühjahr eine in der Frankfurter Innenstadt. Dabei sollte sich Quartier ursprünglich „nach und nach im gesamten tegut… Verbreitungsgebiet als Ergänzung zum bestehenden Supermarktkonzept in Hochfrequenzlagen“ einreihen.

Es gibt hier nichts zu kaufen, bitte gehen Sie weiter

Wenn sich das Format so positioniert wie bei meinem nachpfingstlichen Besuch im bislang jüngsten Markt zwischen Frankfurter Bahnhof und Zeil, wird das allerdings schwierig.

Denn der ist zwar klar strukturiert und modern designt, war zur allerbesten Mittagessenszeit aber leider schon ziemlich leer geräumt. Was in diesem Fall kein bisschen übertrieben ist:

Das Letzte seiner Art; Foto: Smb
  • In der Kühlinsel am Eingang, wo Tegut Quartier direkt mit frisch belegten Brötchen, Baguettes und Salaten beeindrucken will, war die Auswahl auf drei verbliebene Tütensemmeln zusammengeschrumpft, die dort angeführt von einer „Rhönweck Frikadelle“ für 2,79 Euro ihr trauriges Restedasein fristeten.
  • Frische Salatbowls gab es gar keine mehr. Eine der Kühlinseln war komplett abgehängt.
  • Die davor stehenden Körbe mit dem Dessert-Angbot: leer.
  • In der „Vitaminbar“ daneben gab’s statt frisch gepresster Säfte nur noch Eiswürfeldekoration.
  • In der Kühltheke mit den Tegut-Fertigsalatschalen standen drei Restexemplare herum; zwei davon waren seit mehreren Tagen abgelaufen. Dressings dafür musste man sich als Kund:in ohnehin woanders im Laden besorgen.
  • Im Brötchenknast (albern als „Brot Bar“ betitelt) war die Auswahl schon merklich ausgedünnt; Bio-Backwaren fehlten fast vollständig.
  • Und die Selbstbedienungs-Salatbar hatte auch schon üppigere Zeiten gesehen.

In der Bedientheke, an der man gleichzeitig fürs Bezahlen an der Bedienkasse ansteht, lagerten noch übrige „Chicken Rip“-Baguettes und unter Röstzwiebeln beerdigte „Lange Ritter“ zu 3,49 Euro neben warmgehaltenen Hähnchen-Sticks sowie Puten-Cordonbleu, Bockwurst und Leberkäs, dem deutschen Mittagspausen-Snacktriumvirat.

Ein Bottich Tagesgericht, bitte

Dafür war vom warmen Mittagstisch des Tages – Nudeln vegetarisch „Thai Style“ –, noch ein ganzer Bottich da: bis obenhin volgebrabst mit pampigem Pastagemüse, von dem, jede Wette, an diesem Tag keine einzige Portion mehr ausgegeben worden ist, so unappetitlich wie das laut Tegut „besondere Highlight“ präsentiert wurde. (Das hab ich in dieser Tristheit auch seit der Made-by-Rewe-Vollkatastrophe nicht mehr gesehen; obwohl das „Deli am Markt“ mancherorts noch nah rankommt.)

Das „Highlight“ von Tegut Quartier wartet im Warmhaltebottich auf seinen Verzehr: Nudeln „Thai Style“; Foto: Smb

Mit einer frischen ausgewogenen Ernährung hatte das Kalorienbomben-Resteessen, das Tegut den Quartier-Kund:innen hier an einem „optimalen Standort für das Konzept“ (Projektchef Klußmann) zumutete, ganz und gar nichts zu tun.

Was selbstverständlich daran gelegen haben kann, dass der Laden ein so voller Erfolg in der Büronachbarschaft ist, dass die an diesem Mittag alles schon weggekauft hat, bevor ich baff erstaunt vor der Regalödnis stand. In diesem Fall stellt sich allerdings die Frage, warum Tegut nicht für alle, die etwas später Pause machen, frische Sofortmahlzeiten nachproduziert. Immerhin steht dem Kühlmobiliar doch stolz an die Stirn geschrieben:

„Heute frisch vor Ort für dich zubereitet.“

Auf was genau sich das bezieht, will Tegut auf Supermarktblog-Anfrage nicht sagen; die (einzige) Kassenkraft im Quartier-Markt erklärt etwas undurchsichtig, es sei wegen des – mehrere Tage zurückliegenden – Feiertags nicht alles wie üblich angeliefert worden; viele Artikel würden ohnehin nicht in der ladeneigenen Küche produziert oder geschnibbelt.

Außer Gefecht gesetzte SB-Kassen

Und das an sich wäre schon ein schwerwiegender Makel für ein neues Konzept, das sich eigens Tüten drucken lässt, auf denen steht:

„Bringt Frische ins Viertel.“

Diese Tüte lügt; Foto: Smb

Aber das ist leider nicht das einzige Versäumnis, das der offensichtlich personell unterbesetzte Laden den Passant:innen zumutet, die trotz der maximal unscheinbaren Fassadengestaltung, von der nichts auf die Besonderheit des dahinter präsentierten Angebots weist, hineinfinden.

Was ist das? Von der Mainzer Straße aus ahnt man im Vorbeigehen nicht, dass sich hinter diesen Scheiben (theoretisch) ein Frische-Supermarkt verbirgt; Foto: Smb

Die gähnende Leere im Frische-Kühlregal war für das Marktpersonal zumindest kein Anreiz, mal die offensichtlich reinigungsbedürftigen Einlegeböden abzuwischen; die einzige im Laden aktive Fachkraft räumte stattdessen Standard-Molkereiprodukte in die gegenüberliegenden Kühlwände ein und stapelte die übrig bleibenden Kartons direkt im Hauptlauf des Markts unter die Kühltheke mit den Ablaufsalaten, wahrscheinlich als kleine Geschicklichkeits-Hürdenübung für Bürovielsitzer:innen.

Wischbedürfteige Einlegeböden, Ablaufsalate in der „Frische“-Kühltheke, Kartonsammlung im Hauptlauf; Foto: Smb

Am gegenüberliegenden Marktende hatten sich zwei von drei Selbstbedien-Kassen schon vor längerer Zeit selbst außer Gefecht gesetzt („Bitte wenden Sie sich an die Kassenaufsicht“, weinte die eine); während meines Besuchs gab es keinerlei Anstalten des Personals, die Fehler zu beheben. Zeit, die sich aus den Kassen bis weit in den Laden hinschlängelnden Bons zu beseitigen, hatte auch niemand.

Bongeschlängel an den außer Gefecht gesetzten SB-Kassen; Foto: Smb

Kontrolliert noch wer die Abaufware?

Und, mein Gott – ja: natürlich kann auch mal ein Supermarkt einen schlechten Tag haben; aber wenn man vorher großspurig ankündigt, Kund:innen eine „kleine Auszeit vom bewegten Alltag“ mit „Frischekick“ und „angenehmer Einkaufsatmopshäre“ bieten zu wollen, noch dazu in einem von nur drei Pilotstores, die über eine Ausweitung des Konzepts mitentscheiden könnten – müsste man dann nicht alles daran setzen, diese Läden so picobello sauber, aufgeräumt und zumindest zu Kerneinkaufszeiten mit leckeren Lunch-Angeboten gut regalberäumt zu halten, dass man nicht das Gefühl kriegt, in einem leergegrabbelten Bahnhofskiosk zu stehen?

(Zumal es für die reguläre Tegut-Filiale an der Frankfurter Konstabler Wache am selben Tag kein Problem war, ein halbwegs ansprechendes Convenience-Angebot mit Brötchen und Salaten am Eingang zu präsentieren.)

Wie vertrauenswürdig will Tegut mit Quartier denn Frische versprechen, wenn morgens nicht mal jemand die Ablaufware kontrolliert?

Und ich weiß ja nicht, aber: Der große Spender mit dem Einwegplastikbesteck neben der Mikrowelle fühlt sich im Jahr 2023 als Lösung für Mitnahmesnacks irgendwie auch falsch an. Macht nix: Einweg-Messer waren eh aus.

Die Rückseite des Quartier-Markts dockt an den darüberliegende Bürokomplex an und bietet Sitzplätze; Fotos: Smb

Die App ist kaputt

Außerdem, kleiner Bonushinweis, falls sich in Fulda jemand in den vergangenen Monaten gefragt haben sollte, warum bei Quartier so wenige Kund:innen ihren Einkauf mit dem Smartphone selbst scannen wollten, um den „Einkauf zur einfachsten Nebensache der Welt“ werden zu lassen: die dafür benötigte Fluxx-App ist kaputt! Zumindest die Android-Variante, auf deren Start-Screen sich nach der Installation auf meinem Smartphone weder eine Neuregistrierung noch eine Anmeldung anklicken ließ.

Dass ich mit diesem Problem nicht alleine war, hätte Tegut bei der Lektüre der Kommentare im Play Store auffallen können, wo sich seit über einem Jahr (!) Nutzer:innen über exakt dasselbe Problem in der seit Januar 2022 (!) nicht mehr aktualisierten App beschweren – bislang ohne Reaktion.

Die Anfrage eines Supermarktblog-Lesers beim Tegut-Kundenservice ergab nach längerem Warten die Auskunft, dass die App-Entwickler „nun bei uns zurückgemeldet“ hätten:

„Der Fehler ist bereits bekannt. Die Behebung wird noch im Juni erfolgen. Hierzu wird es ein App-Update geben. Bis dahin bitten wir Sie noch um etwas Geduld.“

„Noch“ im Juni – sechzehn Monate nach dem ersten „App funktioniert nicht“-Kommentar. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Texts war der Fehler noch nicht behoben. (Bei der iOS-Variante der App besteht das Problem nicht.)

Standardsortiment ohne Bio-Bonus

Das alles wirkt so als hätte Tegut, wo man sich ja mit einem begrüßenswerten Ausprobier-Elan von Wettbewerbern abzuheben hofft, die eigenen Innovationsabsichten nur bedingt im Griff. Was im Falle von Quartier auch deshalb bedauerlich ist, weil das Format die Chance böte, durch eine konzentrierte Markenauswahl und eine von Tegut sonst stets betonte Schwerpunktsetzung auf Bio-Produkte tatsächlich ein neuartiges Schnellsupermarktkonzept zu schaffen, das sich so leicht nicht kopieren ließe.

Dazu ist das Sortiment zumindest in der Frankfurter Innenstadt-Filiale aber viel zu gewöhnlich: es gibt zwar Alnatura-Bio-Artikel zu kaufen, aber eine auf die ersten Blicke erstaunlich geringe Auswahl an Tegut-Eigenmarken; Tegut Bio zum kleinen Preis nicht viel, viel offensiver in den Regalen zu positionieren, ist eine zusätzlich vertane Chance.

Das gilt – zumindest in der oben beschrieben Form – leider für den ganzen Markt, der sich so kaum als Vorzeigeprojekt eignet und mit seinem Standard weit hinter den Ankündigungen zurückbleibt.

Die Superkräfte fehlen

Dabei gäbe es Möglichkeiten, Quartier als Konkurrent zu etablierten Lunch-Anbietern auch außerhalb des Lebensmitteleinzelhandels zu positionieren: Tegut bräuchte sich bloß das Konzept von Pret A Manger aus Großbritannien abschauen, wo täglich frische Sandwiches und Bowls in innenstadtnahen Küchen zubereitet werden, aus denen dann mehrere Filialen wiederholt per Rad beliefert werden, um der Nachfrage gerecht zu werden – und das mit seinem Supermarkt- und Bio-Know-How kombinieren; aber dafür bedürfte es einer ausgeklügelteren Planung als man sie in Fulda zu leisten bereit scheint.

Immerhin erklärt sich so, warum das neueste Tegut-Format bislang noch nicht an weiteren Standorten aufgeschlagen ist: Es fehlt hinten und vorn einfach an Superkräften.

Auf Fragen zu Tegut Quartier erklärt die Tegut-Pressestelle, sich „gegenüber dem Supermarktblog aktuell nicht äußern“ zu wollen.

Update vom 3. Juli: Nach Supermarktblog-Informationen kommt Tegut Quartier schon bald auch nach Heidelberg, später auch Stuttgart. Hier steht mehr dazu.

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2 Kommentare
  • Pret A Manger gibt es nun schon fast 40 Jahre und ist für mich (der ich mich oft in England aufhalte) nach wie vor der Standard im Bereich „schnell, frisch und gut“. Dass man es seitdem nicht geschafft hat, hierzulande etwas ähnlich verläßlich appetitliches auf die Beine zu stellen, kann doch unmöglich am prinzipiellen Unvermögen deutscher Manager liegen, sondern muss doch etwas mit der Struktur des hiesigen Marktes und der hiesigen Nachfrage zu tun haben – derselben Struktur, die die Tegut-Manager offensichtlich denken läßt, ohne warmen Leberkäse bräuchten sie gar nicht erst an den Start zu gehen, wobei Leberkäse doch gerade nicht zum Markenimage von Tegut gehört, auf dem sich doch aufbauen ließe. Es sieht wieder einmal so aus, als wolle man es allen recht machen, anstatt konsequent zu einem guten, eigenständigen Konzept zu stehen.

  • Was die schnelle gastronomische Versorgung (kleinere Speisen wie Suppen, Belegtes, Salate, Aufbackknastwaren, Süßes, teils regionale usw.) angeht, macht es „denns“ recht gut (und das trotz Bio und teilweise regionalen Lieferanten zu m.E. annehmbaren Preisen) vor (für den Blogbetreiber z.B. gut am Bf. Gesundbrunnen überprüfbar). Man denke sich einen auf Kleinflächen eingedampften Laden dazu und fertig wäre das „Pausenquartier“.

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