Was ist orange und weiß und sorgt dafür, Teilnehmer:innen im Straßenverkehr um Baustellen und Markierungsarbeiten herum zu führen? Genau, der Leitkegel.
Was ist ebenfalls orange und weiß und sorgt dafür, Teilnehmer:innen im Lebensmitteleinzelhandel zu demonstrieren, dass man auch unter dem Druck größter Konkurrenz noch Neues ausprobieren kann und muss? Genau, die Fuldaer Supermarktkette Tegut.
Im vergangenen Jahr haben die Hess:innen zahlreiche Experimente auf den Weg gebracht, die allesamt als Reaktion auf das sich verändernde Einkaufsverhalten der Kund:innen zu verstehen sind. In Südhessen liefert Tegut seit dem Spätsommer taggleich Lebensmittel mit Amazon Prime Now (siehe Supermarktblog). Ende des Jahres eröffnete außerdem der erste Teo-Minisupermarkt ohne Personal, in dem man per App einkaufen kann (siehe Supermarktblog).
Gerade hat Tegut bekannt gegeben, wo der zweite Teo stehen soll: in Rasdorf nahe Fulda an der hessisch-thüringischen Grenze (mit rund 1.500 Einwohner:innen). Damit löst das Unternehmen seine Ankündigung ein, das Format auch außerhalb von großen Städten zu testen, wo sich reguläre Filialen sonst womöglich nicht oder nur eingeschränkt rentieren würden.
Im Laufe des Jahres soll es im Raum Fulda „bis zu zehn“ Minimärkte ohne Bedienkasse geben.
Start für neues City-Konzept
Teo ist allerdings nicht das einzige Experiment, das in den kommenden Monaten verfolgt wird. Der „Fuldaer Zeitung“ ist aufgefallen, dass die Handelskette in ihrer osthessischen Heimat einen zentral gelegenen Laden für ein weiteres neues Konzept angemietet hat. Dieser befindet sich in der Fuldaer Bahnhofsstraße in der Nähe eines klassischen Tegut-Markts; auch der erste Teo ist nicht weit entfernt. Die gerade einmal 340 Quadratmeter umfassende Verkaufsfläche war zuvor von Rossmann genutzt worden.
Tegut bestätigt, dass es sich um ein Angebot handeln werde, das es in dieser Form noch nicht in den bisherigen Märkten gebe. Die „Fuldaer Zeitung“ spekuliert, dass der Markt sich insbesondere auf „Produkte zum Sofortverzehr“ spezialisieren könne: Smoothies, Kaffee, belegte Brote und Brötchen sowie frische Backwaren.
Inzwischen ist klar, dass das neue Format auf jeden Fall einen eigenen Namen bekommen wird: „Tegut Quartier“.
„[W]as sich genau hinter tegut… QUARTIER verbirgt, werden wir im Rahmen der Eröffnung im März verraten. Nur so viel: Das Grün im Logo soll in der Tat ein Indiz für das Sortiment sein. tegut… QUARTIER bringt nämlich vor allem Frische ins Viertel!“,
erklärt Thomas Stäb, dessen Zuständigkeit als Leiter Vertrieb Convenience Märkte bei Tegut bereits Rückschlüsse auf die Formatneuerung zulässt.
Tegut Quartier ergänzt die übrigen Formate
Aller Wahrscheinlichkeit nach geht es den Hess:innen darum, zusätzlich zu den großen Supermärkten (mit über 1.200 Quadratmetern und 20.000 Produkten ) und Nahversorgermärkten (600 bis 1.200 Quadratmeter, zwischen 5.000 und 7.000 Produkte) bzw. Teo-Minimärkten (50 Quadratmeter, 950 Produkte) eine zusätzliche Lösung für Hochfrequenzlagen auszuprobieren, wo Kund:innen Artikel für den täglichen Bedarf einkaufen wollen, aber auch Verzehrfertiges für die Mittagspause.
Genau dafür dürften Tegut Quartier an den Start gehen: Frischmärkte bis zu 400 Quadratmetern, auf denen es bis zu 5.000 Produkte und allerhand zubereitetes Sofortessen zu kaufen gibt. Die entsprechende Marke hatte Tegut bereits im vergangenen Jahr angemeldet.
Erst Freppy, jetzt Daily
Gleichzeitig scheint man die Neuerung in Fulda mit einer Neuauflage bzw. Erweiterung seines Angebots verzehrfertiger, mitnahmebereiter Speisen ergänzen zu wollen (die auch in regulären Supermärkten angeboten werden könnten). Vor wenigen Monaten erst hatte Tegut To-Go-geeignete Produkte unter dem Namen „Freppy“ vereinheitlicht (was für „fresh“ und „happy“ steht): Salate, Wraps und Sandwiches, aber auch vorgeschnittenes Gemüse zum Sofortkochen.
Zum Start von Tegut Quartier könnten die Hess:innen noch mal nachschärfen. Nach Supermarktblog-Informationen befindet sich derzeit nämlich eine weitere neue Eigenmarke in Vorbereitung: „Tegut Daily“.
Unter diesem Namen dürften bald verschiedene Salate und Bowls sowie Milchdesserts, Säfte, fertige frische Mahlzeiten wie Thai-Curry sowie geschnittenes Snack-Gemüse angeboten werden, ebenfalls in grün-weiß verpackt. (Womöglich beschränkt sich Freppy dann aufs so genannte „Ready to Cook“-Sortiment.) Tegut wollte sich dazu auf Anfrage noch nicht äußern.
Über die Pläne mit Tegut Quartier sagt Convenience-Leiter Stäb, man wolle zunächst einmal die Kund:innen in Fulda für das neue Konzept begeistern:
„Die Filiale ist sozusagen der Prototyp dieses neuen Konzepts, das nach und nach im gesamten tegut… Verbreitungsgebiet als Ergänzung zum bestehenden Filialnetz realisiert werden soll. Hier sammeln wir wertvolle Erfahrungen und Learnings von den Rückmeldungen unserer Kunden.“
Erste Filiale in München
Die Initiative passt in jedem Fall gut in die aktuelle Strategie, die darauf abzielt, sich stärker als Frische-Spezialist in Innenstädten zu positionieren, bei dem die Kundschaft auf dem Weg nachhause all das einkaufen kann, was sie sich nicht per Online-Lebensmittelkauf heimschicken lässt (siehe Supermarktblog). Gleichzeitig helfen die exponierten City-Lagen Tegut dabei, die Expansion in neuen Städten voranzutreiben, um die Marke schnell bekannt zu machen – und anschließend Nahversorgermärkte in anderen Stadtteilen zu eröffnen.
Seit Anfang Dezember betreibt die zur Migros Zürich gehörende Handelskette ihren ersten Standort in München: mitten in der Stadt in der Nähe von Hauptbahnhof und Stachus im „Elisenhof“. Mit 2.000 Quadratmetern Verkaufsfläche ist der Laden aber als klassischer Nahversorgermarkt positioniert. 2020 seien insgesamt sieben neue Märkte hinzu gekommen, fünf wurden von Grund auf modernisiert, meldete das Unternehmen in der vorvergangenen Woche.
Die Tegut-„Lädchen für alles“ scheinen im ländlichen Raum bisweilen einen schwereren Stand zu haben scheinen: Mitte Februar muss der Tante-Emma-Ersatz in Schweinfurt schließen – laut „Main Post“ (Abo-Text) wegen einer Mieterhöhung. „Lädchen für alles“ werden in der Regel mit bzw. von lokalen Kooperationspartnern und Einrichtungen betrieben.
Mehr Präsenz in Hochfrequenzlagen
Tegut Quartier wäre eine Möglichkeit, in Lagen mit viel Laufkundschaft stärker Präsenz zu zeigen und kleine Standorte zu belegen, die für einen regulären Supermarkt nicht in Frage kommen – ähnlich wie es Rewe to Go schon vor Jahren vormachen wollte, bevor das Konzept vorrangig als Tankstellenformat weiterexistierte.
Damit der Quartier-Ableger funktionieren kann, dürfte es allerdings notwendig sein, dass sich die derzeit weiter angespannte Corona-Lage nachhaltig beruhigt – mitten im Lockdown werden die Hess:innen in der von vielen Menschen seltener aufgesuchten Innenstadt nicht allzu viele Smoothies und Salate für den Sofortverzehr verkaufen.
Im europäischen Ausland hatten zuletzt u.a. Carrefour und Delhaize in Frankreich und Belgien Minimärkte mit Sofortverzehr-Schwerpunkt getestet und die Formate gleichzeitig als Abholstationen für online bestellte Lebensmittel zu etablieren versucht. Insbesondere Delhaizes Konzept „Fresh Atelier“ in Brüssel machte einen ziemlich guten Eindruck (siehe Supermarktblog).
Vor einigen Wochen kündigte Delhaize jedoch an, nicht nur auf die ursprünglich geplante Expansion verzichten zu wollen, sondern aufgrund des wegen Corona zurückgegangenen Unterwegs-Geschäfts auch bestehende Fresh-Atelier-Läden aufzugeben bzw. umzuwandeln. (Was sehr bedauerlich ist.)
Steigender Umsatzanteil mit Bio
Ob auch Tegut über eine Click-&-Collect-Ergänzung nachdenkt, ist unbekannt. Mit der fürs Frühjahr terminierten Eröffnung des ersten Quartier-Markts darf das Unternehmen aber darauf hoffen, dass sich mit einer wachsenden Zahl an Geimpften und über den klimatisch günstigeren Sommer der Betrieb in den Innenstädten wieder ein Stück weit normalisieren könnte.
Wie groß mittelfristig der Anteil derjenigen ist, die im Homeoffice bleiben und verzehrfertige Mahlzeiten eher in Wohnortnähe als an Verkehrsknotenpunkten einkaufen wollen, wird sich noch zeigen müssen.
Fest steht, dass Tegut auch 2021 Lust auf Experimente zu haben scheint, um Aldi, Edeka, Rewe, Lidl & Co. etwas entgegenzusetzen. 2020 war der Umsatz des Unternehmens um 17,7 Prozent auf 1,26 Milliarden Euro gestiegen; erstmals wurden mehr als 8.000 Mitarbeiter:innen beschäftigt. Zudem scheinen die Kund:innen zunehmend Gefallen am Tegut-Konzept zu finden, das auf einen großen Anteil an Produkten in Bio-Qualität setzt. Der Anteil von Bio am Gesamtumsatz stieg zuletzt von rund 28 auf 30 Prozent.
Mehr zur Tegut-Strategie steht hier im Supermarktblog.
Der Text wurde nachträglich mit dem Foto des Fuldaer Pilotmarkts ergänzt.