Wer bei Eigenmarken aus dem Supermarkt ans Sparen denkt, der hat natürlich recht; und wer stattdessen an eine 360-Grad-Nutzwertinszenierung mit Promi-Unterstützung: auch. Spätestens seitdem Rewe vor einem Monat, eine neue Eigenmarke unter dem Namen „Rewe Geheimzutat“ in den Verkauf zu bringen, die in Kooperation mit Tim Mälzer entstanden ist.
Dass diese Initiative bislang ein wenig unter dem Radar geflogen ist, könnte natürlich daran liegen, dass potenzielle Adressat:innen nicht gleich zweimal nacheinander veräppelt werden wollten: Am 1. April hatte Rewe-CEO Lionel Souque via LinkedIn den angeblichen Start der neuen TBC-Eigenmarke „Rewe Highle Welt“ angekündigt – ein Witz, natürlich. Am 2. April folgte dann direkt die nächste Eigenmarkenvorstellung, eben Mälzers „Geheimzutat“ – die es aber tatsächlich in die Supermarktregale geschafft hat.
Was einerseits als hübsches Lehrbeispiel für unglückliche Markenkommunikation in PR-Seminare Eingang finden könnte.
Andererseits aber auch ein hervorragendes Experiment dazu ist, wie sich das Eigenmarkenuniversum der Handelsketten weiterentwickeln lässt.
„Frischeküche“ statt Microwelle
Die Grundidee der Mälzer-Kooperation ist: Die allermeisten Leute haben wenig Zeit zum Kochen, wollen sich aber trotzdem nicht allein durch Tiefkühlpizza und Microwellenessen ernähren. Die „Geheimzutat“ soll den Beteiligten zufolge deshalb „eine Art Türöffner zur Frischeküche“ sein: „Gerichte sind schnell zubereitet und schmecken dennoch frisch und lecker“, lässt sich Mälzer zitieren.
Bislang gibt es Produkte in drei Kategorien: Würzpasten, Tomatensughis, Salatdressings. Die Durchnummerierung („No. X“) signalisiert aber, dass zu den bisherigen Artikeln weitere hinzukommen sollen. (In welchen Kategorien hat Rewe bislang nicht kommuniziert.)
Das Gemüseschnippeln, Fleischanbraten, Reis-und-Nudeln-Kochen usw. können Rewe und Mälzer ihrer Zielgruppe zwar auch nicht abnehmen – aber die Produkte „vereinfachen Arbeitsprozesse in der Küche enorm“, heißt es. Worüber sich streiten lässt, weil: so wahnsinnig viel Zeit spart ja jetzt auch niemand, wenn beim Kochen das Würzen der Tomatenbasis wegfällt.
Interessanter wird’s, wenn man den Auftritt der neuen Eigenmarke als Ganzes betrachtet: Mälzer sagt, er wolle nicht nur sein Gesicht auf die Packungen drucken, sondern habe entscheidenden Einfluss darauf, welche Produkte tatsächlich ins Regal kommen. Gleichzeitig hater für Rewe eine Reihe an Empfehlungen entwickelt, welche Gerichte sich mit den „Geheimzutaten“ im Nu kochen lassen.
Für jede:n ein Rezept dabei
Zur Bewegtbild-Rezeptillustration haben die Partner einen kleinen Baukasten an Mälzer-Videoschnipseln gedreht, um Vorkochen:innen aus der Zielgruppe anzumoderieren, wie sie unter Verwendung der „Geheimzutat“ in wenigen Schritten ein leckeres Essen vom Herd auf den Tisch bringen.
„Hallo liebe Leute, heute begeben wir uns kulinarisch zurück in die Zukunft: Es gibt Tradition mit dem modernen Twist. Scharfe Erbsensuppe mit Panko-Garnele“, mälzert der Namensgeber los, bevor „Günter“ (Kocherfahrung: 1/4) demonstriert, wie easy das geht.
„Wer kennt es nicht: Der Kühlschrank ist voll, der Kopf ist leer!“, heißt es, bevor Amira (2/4) Grünes Gemüsecurry mit Kokos gelingt.
Bei erfahreneren Köchinnen wie Aylin (3/4) appelliert Mälzer: „Zuviel Stress im Beruf und Alltag? Gönn dir eine Auszeit! Wellness für den Gaumen: Pilzrisotto und Gorgonzola.“
„Die Meute hat Hunger. Vaddi und Muddi haben aber keine Zeit. Fast-Fast-Food, aber ohne schlechtes Gewissen: Chicken Nuggets mit Gurkensalat“ – Jutta (3/4) ist schon dran und cruncht die Cornflakes für die Panade.
Student:innen wie Abdul (1/4) werden derweil zur günstigen Selbstversorgung ohne teure Gewürzschrankausstattung angeleitet – Pilz-Rahm-Pasta im Handumdrehen: „Du bist jung, du hast kein Geld fürs Essen? Zeig deinen Eltern, dass du dein Leben im Griff hast!“
„Leckerleckerleckerlecker“
Bei jedem neuen Arbeitsschritt blinkt im Video am Bildschirmrand die Aufforderung: „Anhalten und mitkochen!“ Als Gimmick schiebt sich zwischendrin ein Mini-Mälzer ins Bild, reibt sich den Bauch, reicht ein Büschel Koriander herein, wirft eine Handvoll Reis in die Luft, klopft sich selbst auf die Schulter oder flambierbrennert aus dem Bildausschnitt, bevor es zum Schluss heißt: „Wer sagt’s denn? Kochen ist sooo einfach!“ Oder: „Leckerleckerleckerlecker.“ Oder einfach: „Guten Appeti-hit!“
Und das Beste ist: Nachher hat man wirklich einfach Lust, mal was Neues zu kochen.
Dass Supermärkte mit aus dem Fernsehen bekannten Köchen kooperieren, ist keine Neuerung. Jamie Oliver hat in Großbritannien für unterschiedliche Initiativen schon mit diversen Handelsketten angebandelt. Auch in Österreich sind derartige Partnerschaften etabliert: Mittels Co-Branding verkauft Marktführer Spar frische Salate und Bowls seiner „Spar enjoy“-Eigenmarke gemeinsam mit dem österreichischen Spitzenkoch Didi Maier, von dem die Kreationen stammen.
Und Rewe-Ableger Billa hat jüngst den steirischen Haubenkoch Richard Rauch Gerichte für eine „Wirtshausküche de luxe für zuhause“ unter dem „Billa Genusswelt“-Label entwickeln lassen.
Jüngere lieben Eigenmarken
Eigentlich war’s längst überfällig, dass sich auch deutsche Supermarktketten nach Partnern aus der hierzulande ja auch nicht ganz kleinen Promiköche-Szene umschauen. Die Rewe-Mälzer-Initiave ist aber gleich in mehrfacher Hinsicht ein gelungener Aufschlag.
Weil sie zwar mitten im Mainstream angesiedelt ist, aber weit über die klassischen Promi-Konterfei-Produkte (wie z.B. Edekas „Baywatch Berlin“-Tiefkühlpizza) hinausgeht; Rewe wird fest als Markenabsender verankert und Mälzer sorgt mit der Kochmotivation in dem ihm eigenen Tonfall sowie der videobegleiteten Mini-Rezeptwelt für Glaubwürdigkeit und Nutzwert.
Damit geht Rewe auf einen Trend ein, den die GfK gerade als „kulturellen Wandel der Wahrnehmung von Handelsmarken“ bezeichnet hat (PDF), welcher insbesondere von jüngeren Kund:innen vorangetrieben wird:
„Sie greifen gern und oft auf Handelsmarken zurück, die für sie Markenstatus haben, da sie nicht mit den ‚vor ihrer Zeit‘ konkurrenzlosen Traditionsmarken groß geworden sind. Ihre emotionale Bindung zu den meisten etablierten Herstellermarken ist sehr viel schwächer als die Bindung der Älteren zu diesen Marken.“
Kaufste dreimal, kaufste immer
Handelsmarken seien in der jungen Zielgruppe nicht nur „eine echte, preislich günstigere Alternative“ beim Einkauf, auf die aus finanziellen Gründen zurückgegriffen werde; sondern vielmehr eine gewissermaßen gleichwertige Alternative zu den Produkten etablierter Hersteller.
Für die Supermärkte ist das auch deshalb relevant, weil sich dadurch das Kaufverhalten nachhaltig beeinflussen lässt: Laut GfK falle es etablierten Markenprodukten über alle Warengruppen hinweg sehr schwer, bisherige Käufer:innen zurückzugewinnen, wenn die zuvor dreimal in Folge eine ähnliche Handelsmarke gekauft hätten, weil das den „Anfang einer möglichen neuen Habitualisierungsphase des Kaufes in der Kategorie“ markiere.
Mit seiner jungen Inszenierung und der Unterstützung eines in der Zielgruppe bekannten Kochs wie Tim Mälzer ist „Rewe Geheimzutat“ als Eigenmarke genau auf diese Entwicklung zugeschnitten.
Und könnte, sofern sich die Umsatzzahlen positiv entwickeln, Vorbild für eine ganze Reihe ähnlicher Promi-Markenkooperationen großer Lebensmittelhandelsketten sein.
3 Euro für gewürzte Tomatensauce
Ob das gelingt, lässt sich derzeit noch schwer abschätzen. Denn zum einen müssen Kund:innen wiederholt bereit sein, die zusätzlichen Euros für die vermeintliche Kocherleichterung locker zu machen. (So richtig eigenmarkengünstig sind die „Geheimzutaten“ schließlich nicht: 1,29 Euro für 90 Gramm Würzpaste; 1,89 Euro für 200 ml Dressing; und satte 2,99 Euro für 350 ml gewürzte Tomatensauce).
Zum anderen läuft die Markeneinführung bislang nicht unbedingt optimal: Laut Rewe sollte es die Mälzer-Produkte „zunächst in allen teilnehmenden REWE Märkten in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Ost-Westfalen“ geben, „bevor ein nationaler Vertrieb startet“. Ausnahmen sind Rewe-Center und der Rewe-Lieferservice, wo die Artikel schon jetzt bundesweit erhältlich sein sollen.
Die tatsächliche Verfügbarkeit unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland bislang aber massiv. In Berlin hat Rewe die noch überschaubare Zahl an Produkten bislang nur in einen einzigen Markt geräumt; und deren Kategorienzuordnung ist auch ein Rätsel: Die Würzpasten stehen nicht bei vergleichbaren Würzmitteln, sondern unterhalb der zu den Tomatensoßen geräumten Tomatensughis (wo sie durch ihre Buntheit im Regal immerhin sofort auffallen). Die Salatdressings hab ich gar nicht ausfindig machen können (jedenfalls nicht im Regal mit den Salatdressings).
Entwicklung aus dem Rewe-Norden
Sobald es eine größere Vielfalt an „Geheimzutat“-Artikeln gibt, würde es sich vermutlich empfehlen, damit (auch) in die Sonderplatzierung zu gehen – idealerweise mit Mälzer-Aufsteller im Markt, um potenzielle Verwender:innen direkt für das Grundprinzip zu gewinnen und mehrfach zuschlagen zu lassen.
Eine Besonderheit ist „Rewe Geheimzutat“ derweil nicht nur, weil sie das gelernte Gefüge der Supermarkt-Eigenmarken aufbricht und keiner klassischen Schiene (Preiseinstieg, Mittelmarke, Premium) zuzuordnen ist; sondern auch, weil die Entwicklung nicht aus der Zentrale, sondern von der (auch sonst umtriebigen) Rewe-Region Nord verantwortet wurde.
Deren Geschäftsleiter Jochen Vogel war mit Mälzer schon länger über die Idee im Gespräch, „Produkte zu erschaffen, mit denen man schnell und mühelos Gerichte in Restaurantqualität im eigenen Zuhause erstellen kann“.
(Das erklärt auch, warum die neue Marke zunächst primär im Norden Deutschlands verfügbar sein wird.)
Kreativer Freiraum
So ist die Initiative bereits das nächste Signal dafür, dass die Rewe-Regionen – ähnlich wie beim Rivalen Edeka – zunehmend experimentelle Eigenständigkeit entwickeln, die das Potenzial haben, auch regionenübergreifend Relevanz zu entwickeln. Das im April in Berlin eröffnete vollständig vegane Supermarktkonzept „Rewe voll pflanzlich“ geht (wie berichtet) auf eine Initiative der Rewe-Region-Ost zurück.
Offensichtlich tut es Rewe gut, Themen nicht immer nur von Köln aus anzugehen, sondern auch den sechs Regionen kreativen Freiraum zu lassen, Supermarkt-relevante Themen neu zu denken.
Oder wie’s beim Eigenmarkenmitschöpfer Mälzer wahrscheinlich einfach hieße: „Guten Appeti-hit!“
Nachtrag, 23. Mai: Der empfohlene Aussteller für die „Geheimzutat“-Produkte steht hier in Berlin inzwischen, sogar direkt am Markteingang. (Keine Ursache.)
Die Salatdressings würde ich alleine auf Basis der Flaschenform im Kühlregal bei den Salatbeuteln suchen – weil die in gleicher Flasche abgefüllten frischen Dressings von REWE Feine Welt dort auch stehen. Und gleichzeitig macht genau das in meinem Kopf auch, dass im Zweifel einfach nur REWE Feine Welt umgelabelt wurde statt was wirklich neues zu schaffen.
Erstaunlich, dass jetzt neben dem Mälzer-Eis „Mälzer&Fu“ (exklusiv bei Rewe) auch in einer ganz anderen Kategorie so großflächig mit Tim Mälzer kooperiert wird. Im Norden hätte ich eher eine Kooperation Mälzer und Edeka erwartet.
Nicht nur Junge, sondern auch Alte, bin 88 J, und habe durchaus keine Lust, immer wie „früher“ zu essen, aber auch keine Lust, stundenlang Rezepte zu lesen, alles zusammen zu suchen und dann habe ich schlichtweg das Wichtigste aufgrund meines Alters auch noch vergessen. Dann kostet es halt mal ein bißchen mehr und hat geschmeckt (vielleicht mit etwas mehr Salz?) usw.