Illusion oder Vorbild? Österreichs Supermärkte und das (zu) perfekte Regional-Versprechen

Illusion oder Vorbild? Österreichs Supermärkte und das (zu) perfekte Regional-Versprechen

Inhalt:

Mit rot-weißen Herzen, Regal-Kennzeichnungen und einer panierten Republik im Schaufenster beherrschen Lidl, Billa, Hofer & Co. die Regionalitäts-Inszenierung perfekt. Dahinter steckt mehr als nur Marketing. Aber reicht es auch, um kleinbäuerliche Strukturen zu retten, die die Mehrzahl der Kund:innen beim Einkauf im Kopf hat?

Austria
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umdasch The Store Makers

Regionale Lebensmittel sind der neue Star im Supermarkt“, stellt ZDF-Reporter Andraes Stamm in seinem aktuellen Film für die Mediathek fest – und meint mit „neu“ vermutlich: seit vielen, vielen Jahren. Aber weil der Lebensmitteleinzelhandel in einer Tour Werbekampagnen lanciert, aus denen es Obst, Gemüse, Molkereiprodukte und Fleisch von vor der Haustür in die Regale hineinregnet, und das auch noch idyllisch mit Landwirt:innen in Latzhosen und glücklich dreinblickendem Nutztier bebildert wird, ist das Thema quasi daueraktuell.

Für besagte Folge aus der ZDF-Reihe „Greenwashed?“ hat man sich in Mainz, der deutschen Hauptstadt für televisionäre Supermarkt- und Discounter-Checks, mit den Bemühungen von Aldi (Süd) auseinandergesetzt, das seit dem vergangenen Jahr „Bestes aus der Region“ verspricht.

Das Ergebnis: Die Handelskette strengt sich durchaus an, regionale Lebensmittel in ihre Läden zu bringen; aber auch trotz mehrfacher Nachfrage wollte Aldi Süd partout keine konkreten Zahlen und Umsatzanteile nennen.

Und das, obwohl sich die Kund:innen im Laden förmlich durch einen Dschungel an Kennzeichnungen schlagen müssten, die heimische Erzeugung zusagen bzw. suggerieren: „Qualität aus Deutschland“, „Ernte aus Deutschland“ und „Regionalfenster“, dazu die Aldi-Erfindungen „Einfach regional“, „Unser Bayern“, „Unser Franken“.

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Ins Schaufenster hineinpaniert

Der Großteil der Artikel, mit denen Aldi seinen Umsatz mache, habe „mit Regionalität gar nichts zu tun“, meint Foodwatch kritisch; eine klare Definition der Aldi-Süd-Regionalität fand der Sender auch nicht. Und die kecke Off-Stimme äußerte die (trotz Halo-Effekt) gewagte Annahme: „Ein bisschen Heimat auf dem Preisschild und schon denkst du, der ganze Laden ist ein Bio-Bauernhof.“

Gut, dass Stamm für seinen Film nicht auch noch im österreichischen Handel unterwegs war; sonst hätte er beim Einkauf dort vermutlich einen leichten Herzinfarkt erlitten angesichts der Regionalitätsplakatierung, mit der die Ketten Vertrauen für den Nahrungsmittelerwerb einzuwerben versuchen.

Zum Beispiel Lidl: Seinen Filialen zwischen Vorarlberg und Wien hat der Handelsriese einen ganz besonderen Hingucker in die Schaufenster hineinpaniert – ein riesiges, goldbraun gebratenes Schnitzel in den Landesumrissen, neben dem das unübersehbare Versprechen steht:

„Deine erste Wahl: REGIONAL“

Darunter heißt es etwas konkreter: „Unsere exklusive Marke Wiesentaler: zu 100% aus Österreich.“

Lidl Österreich reserviert seine kompletten Schaufenster für die Regionalitäts-Werbung; Foto: Smb

„A guade Jause“ aus der Nähe

In den Läden geht die Regional-Inszenierung nahtlos weiter: Käse, Wurst und Frischfleisch schmücken sich mit rot-weißen Herzen und sind „zu 100% AMA zertifiziert“. (Das AMA-Gütesiegel der Agrarmarkt Austria ist quasi das österreichische Pendant zum deutschen QS-Siegel – allerdings mit strengeren Vorgaben: Es garantiert, dass alle landwirtschaftlichen Zutaten des Produkts aus Österreich stammen und dies durch unabhängige Kontrollen überprüft wird.)

Am Würstel-behangenen Gondelkopf für „A guade Jause“ glänzt die Seitenaufschrift „Von heimischen Lieferanten“.

Und die Auswahl veganer Fleischersatzprodukte der Eigenmarke Vemondo – veganes Faschiertes, vegane Burgerpatties, vegane Speckwürfel, vegane Kaaas-Griller, Rostbratwürstel, Schnitzerl, Nuggets auf Erbsenprotein-Basis sowie VeGanelen – ist nicht nur doppelt so groß wie in Deutschland sondern auch: „Hergestellt in Österreich“ (allerdings: mit „Erbsenprotein aus der EU“).

Der Diskonter kommuniziert auch offensiv, welchen Stellenwert regionale Lebensmittel in seinem Sortiment haben: Nach Unternehmensangaben sind über 50 Prozent aller verkauften Lebensmittel von heimischen Lieferanten, das entspreche rund 500 Millionen Produkten pro Jahr.

(Genau das hätte das ZDF wohl gerne auch von Aldi gewusst – war aber auch zu lazy, für interessante Vergleichszahlen mal über die Landesgrenze hinaus zu schauen.)

Besser oder bloß aufdringlicher?

Lidl erklärt zudem, mit etwa 300 österreichischen Lebensmittelbetrieben und mehr als 1.700 Landwirt:innen zusammenzuarbeiten. Besonders stark sei der regionale Fokus bei Frischfleisch (siehe Schaufenster-Schnitzel); auch bei Molkereiprodukten der Marke „Alpengut“ werde ausschließlich österreichische Milch verwendet. Beim Brot und Gebäck stamme der Großteil von regionalen Lieferant:innen, die zu 100 Prozent österreichisches Getreide verarbeiten.

Und dann gibt’s auch noch die Besser-Bio-Eigenmarke „Ein Gutes Stück Heimat“, mit der man sich ebenfalls ganz der Unterstützung heimischer Produzent:innen verpflichtet sowie Christiana Stürmer als Testimonial an den gedeckten Tisch gesetzt hat: „Heimische Qualität zum super Preis hol ich mir bei Lidl. Und du?“

Screenshot: lidl.at

Können die Österreicher:innen Regionalität einfach besser als der deutsche Lebensmitteleinzelhandel? Oder werben sie bloß (noch) aufdringlicher damit?

Die Antwort darauf ist nicht so einfach – bzw.: vermutlich nicht einfach genug, um daraus eine zackige Halbstunden-Reportage für die Mediathek zu machen.

Regionaler als die Nachbarländer

Fakt ist: Österreich liegt beim Verkauf regional erzeugter Lebensmittel im europäischen Vergleich vorne. Einer Studie des österreichischen Handelsverbands zufolge ist der Anteil heimischer Produkte im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel jedenfalls deutlich höher als in den direkten Nachbarländern. Bei den untersuchten Produktgruppen Brot, Eier, Frischmilch, Gemüse sowie Rind- und Schweinefleisch lag der Anteil heimischer Ware in den Jahren 2018-2021 durchschnittlich bei 83,8 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 78,2 Prozent, Tschechien kam auf 71,2 Prozent, die Slowakei und Slowenien nur auf 63,1 und in 60,4 Prozent.

Besonders hoch war der Anteil regionaler Produkte bei Grundnahrungsmitteln wie Frischmilch, Eiern und Brot (über 90 Prozent). Bei Gemüse erreichte Österreich einen Regionalitätsanteil von 84 Prozent, bei Fleisch rund 70 Prozent.

Die Vorteile laut Studie: eine zusätzliche jährliche Wirtschaftsleistung von 460 Millionen Euro, mehr Vollzeit-Arbeitsplätze sowie die Einsparung von CO2 durch kürzere Transportwege und weniger Lebensmitteltransporte aus dem Ausland.

Klar definiert am Regal

Gleichwohl ist da die Sache mit der Definition: Regionalität an sich ist (immer noch) kein geschützter Begriff. Er wird nicht allgemeingültig eingesetzt und kann somit unterschiedliche Dinge bedeuten. Also: Es sei denn, Handelsunternehmen kümmern sich aktiv darum, für mehr Klarheit zu sorgen.

Rewe International hat z.B. bei seiner Supermarkt-Tochter Billa vor drei Jahren eine klare Unterscheidung eingeführt:

  • Produkte, die als „lokal“ gekennzeichnet sind, werden „max. 30 Kilometer rund um den Markt“ hergestellt,
  • „regional“ bezeichnet das jeweiliges Bundesland
  • und „österreichisch“ die Landesebene.

Das wäre ein Prinzip, das auch deutsche Handelsketten leicht für sich anwenden könnten. Zumal das auch am Regal gut aussieht und unmittelbar Transparenz schafft:

„Lokal“ steht bei Billa direkt am Regal – und auch, was das bedeutet: aus maximal 30 km Umgebung; Foto: Smb

(Billa erklärt, man verkaufe derzeit „über 25.000 heimische Artikel von über 2.500 regionalen und lokalen Lieferant:innen“.)

Auf den Maßstab kommt es an

Gleichzeitig offenbart das Verfahren, wie sehr es auf den Maßstab ankommt – und wie schnell der sich verschieben kann. Zum Beispiel im Vergleich zum benachbarten Bayern, das mit einer Fläche von gut 70.000 Quadratkilometern nur unwesentlich kleiner ist als Österreich (fast 84.000 Quadratkilometer). Produkte, die in Bayern erzeugt werden, gelten dennoch als „regional“, weil sie ja aus dem eigenen Bundesland kommen – während sie im Billa-Supermarkt bei den Nachbar:innen wohl schon nicht mehr diese Bezeichnung tragen dürften.

Umgekehrt ist’s ähnlich kompliziert: Obwohl die österreichischen Lebensmitteleinzelhändler offensichtlich schon sehr viel Regionalität versprechen, geht das etwa Theresa Imre nicht weit genug.

Deshalb gründete sie 2018 den Wiener Regionalsupermarkt Markta, bei dem sich derzeit etwa tausend Artikel von landwirtschaftlichen Kleinbetrieben aus der näheren Umgebung kaufen lassen (aus welchem Umkreis genau verrät aber auch Markta nicht; siehe auch Supermarktblog).

Die Marktmacht der Großen

Imres Hauptkritik ist: Regionalität ist zwar prima – aber nicht, wenn sie nur von wenigen großen Supermarktketten bestimmt und gesteuert wird, wie das in Österreich nunmal der Fall ist (siehe Supermarktblog). Für sie sei das „eine ganz schwierige Fehlstellung im Markt, denn auf der anderen Seite stehen 160.000 bäuerliche Familienbetriebe in Österreich. Und diese Zahl sinkt aber jährlich um fast 3000 Betriebe, weil so viele zusperren müssen unter diesem Marktdruck“, hat sie in einem Beitrag für die Initiative „Wir leben nachhaltig“ formuliert.

„Heimische Qualität zum super Preis“, wie sie etwa Lidl verspricht – geht sich das womöglich gar nicht so gut miteinander aus?

Markta soll eine Alternative zu klassischen Supermarktstrukturen schaffen, die es kleinen Betrieben ermöglicht, Produkte direkt zu vermarkten. Dabei soll den Produzent:innen ein deutlich höherer Anteil vom Verkaufspreis bleibt; nach Imres Angaben etwa fünfmal so viel wie bei einer Lieferung an reguläre Supermärkte. Das geht aber nur, wenn Konsument:innen bereit sind, mehr zu zahlen.

Markta kommt nicht recht voran

Den Beweis dafür hat Markta bislang (noch) nicht erbringen können. Zum zweiten stationären Markt, der schon seit längerer Zeit innerhalb Wiens eröffnen sollte, gibt es auch ein Jahr nach der Ankündigung keine konkreten Informationen. Und bei meinem erneuten Besuch im (nach wie vor atmosphärisch großartigen) Laden im Alsergrund standen sich die Kund:innen auch nicht gerade gegenseitig auf den Füßen.

Gleichzeitig hat Markta im Frühjahr seinen Online-Shop vorübergehend eingestellt, in erster Linie vermutlich aus Kostengründen. Ein Neustart mit angepasstem Modell ist versprochen – lässt aber ebenfalls schon seit Monaten auf sich warten.

Ganz so einfach sind die Österreicher:innen offensichtlich nicht davon zu überzeugen, dass es eine noch bessere Regionalität beim Einkauf braucht. Obwohl das vermutlich genau die ist, die alle meinen, wenn sie sich wünschen, ihre Lebensmittel vom Hof um die Ecke zu beziehen. Ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob das eigentlich in die Strukturen passt, in denen wir einzukaufen gewohnt sind.

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3 Kommentare
  • Wie immer eine sehr gute Analyse eines Dilemmas: Wenn ich nahe der z.B. niederländischen Grenze wohne, ist da der NL-Gouda nicht im Zweifel viel regionaler als der norddeutsche Schnittkäse? Und der Lidl-Fokus kann auch ganz schnell umschwenken: wenn man auf der österreichischen Lidl-Heimat-Seite nur weit genug von Christina Stürmer (wer?) nach unten scrollt, landet man ganz schnell auf dem „Weihnachten wird Deluxe“-Link und damit bei norwegischem Lachs, Crémeux de Normandie, britischem Cheddar, …

  • „Ein gutes Stück Heimat“ gab es hier in Bayern schon vor über 10-15 Jahren oder so, allerdings nur als reine Regionalmarke, nicht als Bio-Regionalmarke. Die Produktreihe gibt es auch immer noch, aber vor etlichen Jahren wurde daraus dann „Ein gutes Stück Bayern“.

    Die Auswahl ist aber auch heute noch deutlich geringer als bei der Österreich-Variante und Bio sind die wenigsten davon. Dafür haben die meisten aber ein Tierschutzlabel.

    Glaube auch nicht, dass die Marke eine sonderlich hohe Bedeutung für Lidl hat. Ich meine, dass die Marke (zumindest bei meinem früheren Lidl) ein eigenes Fleckchen im Kühlregal hatte, inzwischen aber nicht mehr. Und Fleisch scheint Lidl unter der Marke auch nicht mehr anzubieten.

    Wenn es in österreichischen Supermärkten einen höheren Regionalanteil hat: Werden solche Produkte in Österreich eventuell auch deutlich stärker nachgefragt als hierzulande?

    • Hallo Christian,
      Die Nachfrage nach inländischen Produkten in Österreich ist definitiv höher als in Deutschland. Woran das jetzt liegt, kann ich dir nicht sagen, es sicher ein Mix aus mehreren Gründen, die immer wieder im öffentlichen Diskurs genannt werden.
      – Man ist sich in Österreich schon bewusst, dass es als kleines Land in einem großen EU-Binnenmarkt für die Landwirte sicher von Vorteil ist, wenn es einen starken Binnenkonsum gibt. Die Landwirtschaft ist in Österreich immer noch kleinstrukturierter als in anderen westeuropäischen Staaten.
      – Die Vorgaben für Landwirte in Bezug auf Getreide sowie Gemüseanbau und teilweise auch Tierhaltung (die Regeln dort sind immer noch grottig, aber das ist wieder ein anderes Thema) sind in Österreich deutlich höher als die EU-Standards. Dadurch werden die heimischen Produkte als qualitativ hochwertiger wahrgenommen. Beispielsweise war die gentechnikfreie Fütterung von Tieren in Österreich schon über 25 Jahre ein Konsens, während die Diskussion in Deutschland dazu erst startete.
      – In den Medien und in der Gesellschaft wird es immer heiß diskutiert/thematisiert, wenn Produkte tierischens Ursprung (wie Milch, Eier und oft auch Fleisch), aus dem Ausland stammen und regulär oder als Aktionsware verkauft werden.
      So musste Spar einen Shitstorm auf Social Media und von der Boulevard-Presse erleben, als eine der Eigenmarkenbutter-Sorten plötzlich aus Bayern kam. Penny hatte 2022 oder 2023 deutsche Bodenhaltungseier als Aktionsware angeboten und damit die österreichischen Eier um 10 Cent unterboten. Das mediale Echo (sogar der nationale Rundfunk hat berichtet) war so groß, dass die Aktion gestrichen und die Eier aus den Verkaufsräumen entfernt wurden.
      Da kann man wieder den Vergleich zu Deutschland ziehen: niederländische Butter (zb die beliebte Frau Antje) oder niederländische Eier (als Eigenmarken verpackt) sind dort in den Geschäften eher akzeptiert in Österreich.

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