Das hätte Frischepost in Deutschland und Farmdrop in Großbritannien ja auch mal jemand sagen müssen, bevor die beiden Start-ups im vergangenen bzw. vorvergangenen Jahr Insolvenz anmelden bzw. den Betrieb einstellen mussten: Dass es doch noch eine Option gegeben hätte, die Vision eines modernen Lieferdiensts für Produkte direkt von regionalen Erzeuger:innen in die Zukunft zu retten. Nämlich: Filialgründung.
Hört sich kurios an. Aber das österreichische Frischepost-Pendant Markta hat sich trotzdem dazu entschieden, es auszuprobieren, um (wieder) wachsen zu können und seine Grundidee mehr Menschen zugänglich zu machen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Den Versuch ist’s wert – vor allem, wenn das Ergebnis so hübsch nicht nach klassischem Supermarkt aussieht.
Dahin, wo die Konkurrenz ist
Markta wurde 2018 in Wien als digitaler Bauernmarkt gegründet und beliefert seitdem österreichische Kund:innen vorrangig mit Produkten, die von kleineren Betrieben hergestellt werden. Anfangs verschickten die ihre Artikel noch selbst; inzwischen verfügt Markta aber über ein eigenes Warenlager, aus dem online bestellte Einkäufe heraus kommissioniert und zugestellt werden. (Während des Sommers nur an den stärksten Bestelltagen Donnerstag und Freitag.)
Die Filialeröffnung ist auch eine Reaktion auf die veränderte Ausgangslage nach der Pandemie. Gegenüber Supermarktblog.com erklärt Markta-Kommunikationsmanager Julian Sparrer:
„markta erlebte während Covid einen enormen Boom auf etwa das 20-fache der bisherigen Bestellmenge. Seit den Öffnungen sind die Bestellungen, zwar nicht auf das Niveau vor der Pandemie, aber doch deutlich zurückgegangen.“
Außerdem buhlen Wettbewerber wie Gurkerl mit der Strategie als rollendem Hofladen um eine ähnliche Kundschaft. Dem „Retail Startup Report“ des Österreichischen Handelsverbands erklärte Markta-Gründerin Theresa Imre kürzlich, man sei „profitabel auf der Bestellung, aber trotzdem ist es zu wenig, um eine ganze Firma zu betreiben“.
Also geht das Team um die studierte Betriebs- und Sozio-Ökologische Volkswirtin sowie ehemalige Foodbloggerin jetzt ins Risiko – und versucht, neue Kund:innen dort anzusprechen, wo auch die Konkurrenz ist. Direkt in der Stadt.
Einladung zum Testschmecken
Im Palmenhaus im Wiener Burggarten testete Markta im vergangenen Jahr den „Bauernmarkt unter Palmen“ noch als „Event“. Jetzt geht’s in die eigenen vier Wände: Der erste Markta-Laden befindet sich in der Alser Straße im 9. Wiener Gemeindebezirk in einer ehemaligen Bankfiliale (das scheint in Österreich irgendwie ein Ding zu sein). Seit Anfang Juli lässt sich schon reinschnuppern, am 14. September ist dann offiziell Eröffnung.
Wenn es nach Imre geht, kommen anschließend regelmäßig Kund:innen aus der Nähe vorbei, um „köstliche regionale Lebensmittel“ einzukaufen, ihre Online-Bestellungen abzuholen oder an den Sitzgelegenheiten im Schaufenster einen Kaffee zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen.
Gleichzeitig hat sich Markta vorgenommen, einiges anders zu machen als die großen Lebensmitteleinzelhändler. Die könnten ein bisschen Konkurrenz tatsächlich gut gebrauchen: Über 90 Prozent des österreichischen Markts sind in der Hand von nur drei Unternehmen (Spar, Rewe International und Hofer/Aldi).
Imre sieht das als Chance – weil man sehr viel beweglicher sein könne, besser auf Kund:innenwünsche reagieren und unkonventioneller im Auftreten. Im Laden soll es regelmäßig Veranstaltungen und Verkostungen geben; mitten auf der 400 Quadratmeter umfassenden Verkaufsfläche steht ein riesiger Holztisch mit Bänken, an dem sich Markta-Kund:innen mit Produzent:innen zusammensetzen können, um einen Einblick in deren Arbeit zu erhalten.
Käufer:innen sollen auch die Möglichkeit haben, die Qualität der angebotenen Produkte zu testen und zu kosten. In der Werbung zur Filial-Neueröffnung heißt es u.a.:
„Den Geschmack von frischem Bio-Fisch aus einem Gebirgssee kann man nicht beschreiben. Komm vorbei und überzeug dich selbst.“
Erlebensmittel-Laden mit Online-Shop
Damit versucht sich Markta sozusagen als modern designte Alternative zum Lebensmittel-Triopol bzw. als Erlebensmittel-Laden mit überdachtem Marktplatz plus Online-Shop. (Wer offline eingekauft hat, kriegt per Einkaufsbon einen 10-Prozent-Gutschein für seine erste Online-Bestellung.)
Welchen Umsatzanteil das Ladengeschäft künftig beisteuern soll oder ob es vorrangig zur Neukund:innengewinnung ausgelegt ist, sagt Markta so genau nicht. Sparrer bilanziert die ersten Wochen:
„Es kommen sowohl bestehende markta Kund:innen als auch interessierte Neukund:innen, die sich das Geschäft anschauen wollen oder über das regionale Angebot in der Nachbarschaft erfreut sind. Viele Kund:innen sind seit dem ersten Besuch regelmäßig in der Filiale. Die Filiale und alle möglichen weiteren Filialen sind neben dem Online-Shop mit Abo sowie dem B2B-Angebot zukünftig ein wichtiger Vertriebskanal.“
Strategisch scheint noch einiges offen zu sein: Ob die die Abholung online bestellter Einkäufe im Laden für Kund:innen eine Gebühr kosten wird, könne man „derzeit noch nicht beantworten“. Sparrer:
„Wir erhalten jede Woche neue Erkenntnisse durch den Pilotbetrieb, weil sich bei einem physischen Geschäftslokal andere Herausforderungen ergeben als in einem Online-Shop. Wir nutzen die Erkenntnisse momentan, um an Schrauben zu drehen, das Sortiment zu vervollständigen und das Einkaufserlebnis in der Filiale noch besser zu machen.“
Luftige Warenpräsentation
Tatsächlich ist es gelungen, einen Lebensmittelladen zu designen, der nicht aussieht und sich nicht anfühlt wie die meisten anderen. Das mag bei meinem Besuch Mitte Juli auch daran gelegen haben, dass die meisten Regale zunächst eher überschaubar gefüllt waren – das versprochene Vollsortiment mit rund 1.000 (auch im Webshop verfügbaren) Produkten wird erst im September zur Verfügung stehen.
Höhere Regalbretter waren mit Markta-Versandkartons dekoriert, um nicht leer zu wirken; mancherorts wiesen Schilder darauf hin, dass die freien Plätze noch gefüllt werden – oder Kund:innen sich wünschen können, was sie hier künftig kaufen wollen.
Gleichwohl gab es ausreichend Produkte, um sich damit mit den gröbsten Notwendigkeiten für die kommenden Tage einzudecken. Und die Luftigkeit der Warenpräsentation gehört für Markta zum Konzept – anders als bei der Konkurrenz, bei der eng gestellte Regalreihen in Stadtfilialen oft die Regel sind.
Erdäpfelraritäten und Donaustadt-Melanzani
Gleich am Eingang, wo anderswo die Hausordnung hängt, empfängt Markta seine Kundschaft mit einem tafelgeschriebenen „Manifest“, in dem grundlegende Prinzipien erläutert werden: die Förderung kleinbäuerlicher Strukturen, faire Entlohnung und Transparenz entlang der ganzen Wertschöpfunsgkette, schonender Anbau für mehr Klimaschutz, hohe Qualität und Tierwohl, überall wo möglich Mehrwegverpackungen.
Hohe Regale stehen nur an den Wänden, Obst und Gemüse sind in schulterhohen Schütten platziert, die hinterste Wand ist für Kühlartikel reserviert.
Säulen sind schlau mit schmalen Zusatzregalen umbaut, die nach vorne zu Tischen werden.
Im Design wechseln sich schwarzes Metall und hochwertiges Holz ab. Überall ist ausreichend Platz, um die Partner:innen vorzustellen, von denen die Ware bezogen wird: Erdäpfelraritäten vom kleinen Kartoffelhof, Bio-Kichererbsen aus dem Mittelburgenland, Pralinen aus der Salzburger Familien-Chocolaterie, Melanzani aus der familienbetriebenen Donaustadt-Gärtnerei, die seltene Sorten anbaut. (Das ist der Vorteil in Österreich: alles, was im eigenen Land hergestellt wurde, ist quasi als regional definierbar.)
Wie edukativ kann Einkaufen sein?
Und wenn mal was aus ist, weil eine:r der Partner:innen nicht liefern kann? Dann ist das so, meint Imre, die im Online-Shop gute Erfahrungen mit dem Verständnis der Kund:innen gemacht hat, wenn die erklärt kriegen, warum: „Beim Einkaufen sollen die Leute auch spüren, wie es eigentlich der Landwirtschaft da draußen geht“, hat sie der „Presse“ erzählt, von der sie 2002 zu einer der „Österreicherin:nen des Jahres“ (in der Kategorie Start-up) gewählt wurde.
Es ist ganz unbedingt wünschenswert, dass Imre Recht behält – und gleichzeitig ein bisschen naiv.
Denn so angenehm Marktas Alternativsupermarkt für Online-Besteller:innen und Soforteinkäufer:innen auch klingt: Er hat ein paar entscheidende Stolperfallen.
Die Regale mögen sich bis zur endgültigen Eröffnung noch weiter füllen, aber künftig wird Markta im Tagesbetrieb sehr genau darauf achten müssen, den Laden nicht zu sehr wie einen reinen Showroom für Lebensmittel wirken zu lassen, durch den man zwar gerne mal hindurchschlendert – ohne dabei aber auf die Idee zu kommen, hier seinen Wocheneinkauf zu erledigen. Denn der wird aller Wahrscheinlichkeit nach notwendig sein, um die Kosten des stationären Betriebs zu decken.
Wieviel zahlt die Kundschaft für den Regio-Bonus?
Das von Imre genannte – sagen wir: edukative Element könnte sich dabei als Risiko erweisen. Zumindest werden sich Kund:innen kaum damit zufrieden geben, beim Einkauf gespürt zu haben, wie es eigentlich der Landwirtschaft da draußen geht, wenn zum wiederholten Mal die benötigten Zutaten fürs geplante Abendessen gefehlt haben und man deswegen doch noch mal woandershin muss.
Und dann die Preise: Nun sind österreichische Kund:innen ohnehin gewöhnt, für Lebensmittel mehr auszugeben als z.B. im Nachbarland; und wer bei Markta kauft, entscheidet sich bewusst, den Erzeuger:innen faire Preise für ihre Ware zu zahlen, die u.a. dank kurzer Transportwege manchmal sogar unterhalb denen konventioneller Produkte lägen, betont Markta.
Die meiste Zeit aber halt nicht.
Im Zweifel wollen viele Kund:innen auch in der derzeit angespannten wirtschaftlichen Situation weiter regional einkaufen; sie dürften sich aber – wie bei Bio – verstärkt nach günstigeren Produkten umschauen. 260 Gramm frische Gnocchi für 5,20 Euro und regional hergestellte Dumplings für 14 Euro pro 440 Gramm wirken da auf viele wohl eher wie ein verzichtbarer Luxus.
Dazu kommt, dass auch die großen Supermarktketten den Stellenwert regionaler Lebensmittel für sich erkannt haben, ihr Angebot nicht nur entsprechend erweitern, sondern es auch massiv bewerben – so wie Rewe International mit seinen Vertriebslinien. Und Erzeuger:innen-Porträts gehören inzwischen selbst im Diskont zum Standard.
Weitere Läden in Planung
Anfang nächsten Jahres soll bereits der zweite Markta-Laden folgen. Die kommenden Monate werde man noch nutzen, „um Lehren aus unserer ersten Filiale zu ziehen und daraus abzuleiten, welcher Standort der beste für die zweite Filiale sein wird“, erklärt Markta-Kommunikator Sparrer.
Gegenüber der Presse sprach Gründerin Imre von „durchaus zehn“ Märkten, die für Wien geplant seien. Damit stellt sich allerdings die Frage, ob Markta nicht Gefahr läuft, die Ausbreitungssucht der großen Handelsketten, von denen man sich eigentlich abheben will, zu kopieren – und wie sich dieses Wagnis auf Dauer finanzieren lassen soll.
Mit Fabian Kaufmann sei ein strategischer Partner als Investor gefunden worden, „der sich langfristig zur Unternehmensausrichtung bekennt“, heißt es aus Wien. Und wieviele Filialen es letztlich werden, hänge auch davon ab, wie die ersten beiden Geschäftslokale ankämen, erklärt man gegenüber Supermarktblog.com.
Alternativ-Supermarktketten haben’s schwer
„Natürlich sind die laufenden Kosten für Geschäftslokale ein Faktum, doch Kund:innen haben wieder Lust darauf, einkaufen zu gehen und die Waren wieder zu erleben“,
gibt man sich bei Markta überzeugt. In anderen europäischen Ländern hatten es unabhängig betriebene Alternativsupermarktketten zuletzt trotzdem sehr schwer: In Großbritannien entkam der Bio-Spezialist Planet Organic in diesem Jahr nur sehr knapp der Insolvenz, nachdem diverse Übernahmemöglichkeiten geplatzt waren.
Und in den Niederlanden wurde (das hier im Blog in der Vergangenheit bereits gelobte) Marqt schon vor längerer Zeit – gegen den Widerstand seiner Gründerinnen – vom Wettbewerber Ekoplaza übernommen, die Marke ist in „Ekoplaza Foodmarqt“ aufgegangen. (Und in dieser ehemaligen Marqt-Vorzeigefiliale ist jetzt ein Jumbo City.)
„Es stimmt zwar, dass die Konkurrenz für kleine Supermarktketten hart ist, dennoch bringen Geschäftslokale mehrere entscheidende Vorteile mit sich: Kund:innen können die Waren sinnlich erleben, sie betrachten, riechen, befühlen, und erhalten so eine konkrete Vorstellung von ihrem Einkauf. Sie müssen nicht planen und können spontan zwischen ihren Besorgungen einen Einkauf tätigen. Und es gibt keine Barrieren wie Mindestbestellwerte oder Lieferkosten“,
argumentiert Julian Sparrer. Mit einem „schlüssigen Konzept regionaler Lebensmittel von hoher Qualität“ grenze Markta sich von der Konkurrenz ab.
„Und jedes neue Geschäftslokal kann das auf allen Sinnesebenen eindrücklich unter Beweis stellen.“
Lohnenswertes Experiment
Vielleicht läuft es in Wien ja tatsächlich anders; vielleicht sind die Voraussetzungen besser, weil die Bereitschaft vieler Kund:innen wächst, beim wöchentlichen Lebensmitteleinkauf Neues auszuprobieren.
Einfach dürfte das für Markta aber kaum werden. Wenn’s gelänge, wäre das allerdings ein großartiges Indiz dafür, dass Supermärkte gar nicht immer aussehen und funktioniert müssen wie wir das bislang gewohnt sind. Oder wie Markta auf den mit eigenem Logo bedruckten Baumwoll-Sackerln annonciert: „Gut Ding braucht Taten.“
Irgendwer muss damit ja mal anfangen.
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„Gut Ding braucht Taten“ – auch im Sinne einiger Finanzierungsrunden. Das Konzept klingt gut, sieht gut aus und wird auch entsprechend angepriesen. Nur von blumigen Argumenten kann das Unternehmen nicht überleben, bzw. großartig wachsen. Da bin ich doch eher eine alte Unke. Mehr als Showroom mit „Event-Shopping“ – Charakter und sehr überschaubaren MHD sehe ich da leider nicht.