Rabatte statt Abfalltonne: Warum KI schlauer ist als das MHD

Rabatte statt Abfalltonne: Warum KI schlauer ist als das MHD

Foto [M]: Jonathan Hefner/Smb
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Algorithmen erkennen längst, ob die Gurken im Supermarkt noch knackig sind – trotzdem werden gute Lebensmittel weiter viel zu oft weggeschmissen. Oksana Lukyanenko zeigt, wie Wasteless, Ocado und Walmart versuchen, das mit KI-Systemen zu ändern – und warum das MHD als Steuerungstool ausgedient hat.

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Ein Drittel aller Lebensmittel landet im Müll, produziert, um nie gegessen zu werden, lässt sich offiziellen Zahlen der UNO entnehmen. Klingt absurd. Ist es auch. Und trotzdem Alltag. Rund zehn Prozent aller weltweiten Treibhausgase entstehen durch Essen, das zwar hergestellt, aber nie verkauft oder verzehrt wurde.

Im deutschen Einzelhandel stapeln sich jedes Jahr Hunderttausende Tonnen an Lebensmitteln auf dem Müll, nicht, weil sie verdorben wären, sondern weil sie zu spät reduziert, falsch bestellt oder schlicht übersehen wurden. Ein Großteil der Ware verlässt den Laden, ohne je das Kassenband gesehen zu haben.

Das Tragische daran: Händler wissen das. Seit Jahren. Und trotzdem bleibt alles, wie es ist. Bis jetzt vielleicht.

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KI greift ein, bevor das MHD zuschlägt

Denn es gibt längst Systeme, die mitdenken, bevor das MHD zum Henker wird. Kameras, Algorithmen, KI. Sie erkennen, was menschliche Kolleg:innen oft nicht (mehr) sehen wollen: ob die Gurke noch knackig oder die Banane schon am Ende ist. 

Ziel: Weniger Abschriften. Mehr Marge. Weniger Müll.

Anstelle veralteter Bestellroutinen und historischer Daten, die mehr raten als wissen, können KI-Systeme in Echtzeit reagieren. Und bevor jetzt wieder jemand „Black Box!“ ruft: Auch hier gilt, was ich schon in meiner A101-Kolumne geschrieben habe: KI ersetzt kein sauberes Planen. Aber in Kombination mit klugem Ordermanagement ist sie ein echter Gamechanger.

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Dynamic Pricing: Rabatte statt Container

Wie gut das bereits funktioniert, zeigt zum Beispiel das Start-up Wasteless. Dort regelt eine KI die Preise dynamisch, also in Abhängigkeit vom Produktzustand und der verbleibenden Haltbarkeit. Ergebnis in den Pilotmärkten (laut Unternehmensangaben): 32,8 Prozent weniger Abfall, 6,3 Prozent mehr Umsatz. Das kann sich sehen lassen. Und rechnet sich. Für alle.

Ocado, Walmart, Cognitiwe: Wenn Algorithmen das Sagen haben

Wasteless ist kein Einzelfall. Auch bei Ocado ist KI längst Teil des Tagesgeschäfts, dort trifft sie täglich Millionen mikrokleiner Entscheidungen: bestellen, reduzieren, auslisten. Ergebnis laut Unternehmenserhebung: Nur ein Artikel von 2.600 landet im Müll. Muss man erstmal nachmachen.

Start‑ups für smarte Frischekontrolle im Handel 🧠

Cognitiwe (Türkei / Estland): Visual‑KI, die mit bestehenden Decken‑ oder Regal‑Kameras die Frische im Regal überwacht – keine neue Hardware nötig. In Erprobung bei Migros und MAF Carrefour, wo laut Hersteller bereits messbare Verluste gesenkt wurden.

Wasteless (Spanien/Niederlande): Dynamisches Preissetzen je nach Produktfrische und MHD.

Afresh (USA): KI‑gestützte Bedarfsplanung zur Vermeidung von Überbeständen und Verderb in Supermärkten.

Too Good To Go (Europa): Keine KI, aber App-basierte Resteverwertung – Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden, finden über Nutzer ihre Abnehmer.

Walmart lässt seit Jahren seine Frischebilderkennung „Eden“ entscheiden, was noch ins Regal darf und was lieber rabattiert wird. Das spart nicht nur Arbeitszeit, sondern sollte nach den Plänen des Unternehmens innerhalb von fünf Jahren über zwei Milliarden US-Dollar an Verlusten verhindern. Nicht schlecht für ein bisschen Smarten-Gurken-Check.

Noch effizienter denkt Cognitiwe: Das türkisch-estnische Start-up spart dem Händler sogar neue Kameras und wertet einfach aus, was ohnehin schon an der Decke hängt. Die KI analysiert die Frische direkt live im Regal. Erste Tests mit Migros und MAF Carrefour zeigen: Wer früh hinschaut, wirft weniger weg. So einfach ist das.

Fazit: Zeit, das MHD in Rente zu schicken

Das Mindesthaltbarkeitsdatum als Steuerungstool ist etwa so hilfreich wie ein Rauchmelder, der erst piept, wenn das Haus schon brennt. KI-Systeme erkennen früher, was zu retten ist und sorgen dafür, dass weniger in der Tonne landet. Das ist gut für die Umwelt. Und fürs Geschäft. Höchste Zeit, das MHD in den Ruhestand zu verabschieden.

Über die Autorin

Oksana Lukyanenko war bis März 2025 Deutschland-Chefin des Lieferdienstes Wolt, den sie von der Restaurant-Bestellplattform zum Allround-Lieferdienst für Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs weiterentwickelt hat. Zuvor war sie u.a. als VP International Markets bei Delivery Hero tätig und verantwortete als International Expansion Manager die Entwicklung des türkischen Delivery-Pioniers Yemeksepeti. Für das Supermarktblog analysiert sie aktuelle Entwicklungen im europäischen Lebensmitteleinzelhandel. Kontakt: LinkedIn.

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4 Kommentare
  • Verstehe ich nicht ganz: Gibt es interne MHDs für Obst und Gemüse? Als Kunde schaue ich mir die Produkte an und entscheide dann, ob ich kaufe oder nicht, mit ganz natürlicher Intelligenz. Wenn aber die KI hilft, die Bestellmengen zu optimieren und Artikelpreise rechtzeitig zu reduzieren, bevor alles vergammelt, ist das sicherlich sinnvoll. Lockt aber keine Kunden, die nach dem aktuellen Wochenangebots-Prospekt einkaufen.
    PS: Die Penny-Vorgehensweise der regelmäßigen Prüfung der Frische-Abteilung (mit sichtbarer Prüf-Uhrzeit am Eingang) bringt in einem gut geführten Markt auch sehr ansehnliche Ergebnisse.

  • Zumindest bei Frischeartikel – wie Obst und Gemnüse – sehe ich keine vernünftige Handhabe durch KI (abgesehen davon, das es kein O&G – MHD gibt). Keine KI kann erkennnen, ob eine Galiamelone überreif ist, und kurz davor steht,umzukippen. In den nmisten Fällen riecht sie einfach nur sehr süßlich, auch die Schale gibt nach. Von außen kann sie aber top aussehen. Und die (Bio)Gurke, deren Schale leicht ins gelbliche geht – ist sie ein Fall für die Entsorgung. Nein ist sie nicht. In den meisten Fällen jedenfalls.

    Auf kurzfristige Hypes kann ebenfalls kein Computer der Welt reagieren. Kann sich noch wer an das Theater um schwarzen Knoblauch erinnern? Der Hype war so schnell wieder weg, wie er kam.

    Es braucht nur einen großen Influencer, der der Meinung ist, Bananen sind gut für den Teint und die Frucht ensprechend anpreis. Schon werden die Läden geplündert.

    Oder als es hieß, die Graviola würde im Kampf gegeb Krebs helfen und dadurch Teilweise Nachfrage und Umsatz kurzfristig anstieg.

    Nein,zumindet im speziellen Fall Obt/Gemüse sehe ich keinen Nutzen durch eine KI!

    • Da schaust du m.E. zu sehr ins Kleinklein. Die Erkennung zielt eher auf den Zustand des entsprechenden O/G im Gesamten als auf einzelne Ausreißer (hier ein Apfel wurmstichig, da eine Zwiebel matschig etc.) ab.

      Kleine Anekdote: Solange durchs Ladenpersonal noch welke Salatblätter in Salamitaktik entfernt werden, um den (immer kleineren) weiter zum Ausgangspreis verkaufen zu können oder beispielsweise einzelne O/G-„Mängelexemplare“ zeit- und materialaufwändig umsortiert/neu verpackt/einzeln etikettiert werden, scheinen die Personalkosten keinen großen Brocken auszumachen 😉

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