Zu den Grundprinzipen des erfolgreichen Lebensmittel-Discounts aus Deutschland gehört es seit jeher, die Kund:innen während des Einkaufs möglichst viel selbst erledigen zu lassen, um Kosten und Personal zu sparen. Nur am Ladenende haben sich die selbst ernannten Erfinder von Günstig das lange nicht getraut. Stattdessen laufen aufgezeichnete Ansagen, die bei drohender Überfüllung von der Einräumung weiterer Bezahloptionen künden:
„Wir öffnen Kasse zwei für Sie. Bitte legen Sie Ihre Waren aufs Kassenband und warten Sie, bis die bzw. der Mitarbeitende einmal quer durch den ganzen Laden gehetzt kommt, obwohl sie bzw. er gerade mutmaßlich etwas völlig anderes zu tun hat.“
Technologien, die es möglich gemacht hätten, das zu umgehen, sind zwar schon seit Jahrzehnten auf dem Markt. Doch SB-Kassen suchte man bei Aldi und Lidl lange Zeit vergebens.
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Bin ich jetzt im Fernsehen?
Das hat sich schon vor einer Weile geändert. Inzwischen stellen auch Discounter großflächig Self-Checkout-Geräte auf, an denen Kund:innen sich selbst abkassieren – können. Und die zentrale Frage lautet: Wird daraus in naher Zukunft ein Müssen? Es spricht einiges dafür.
Die Gründe dafür, dass das Selbstbedienbezahlen auch bei bislang skeptischen Marktteilnehmern in den Fokus rückt, sind vielfältig. Zum einen haben die Supermärkte vorgelegt und mit der zunehmenden Integration von SB-Geräten nicht nur entsprechende Gewohnheiten, sondern auch eine gewisse Erwartungshaltung bei der Kundschaft geprägt (siehe z.B. Supermarktblog von 2020).
Zum anderen scheint das Diebstahl- und Betrugsrisiko, das lange als gravierendes Problem der SB-Kassen galt (bzw. immer noch gilt) und wie ein nicht mehr zu entfernendes Preisetikett an deren Image klebte, zunehmend beherrschbarer. Handelsketten setzen gut sichtbare Videoüberwachung ein, die Kund:innen das Live-Bild teilweise direkt auf dem Kassenbildschirm zeigt. Und sie bauen Auslassschranken, die nur nach Abschluss des Zahlvorgangs mit dem Code auf dem Kassenzettel geöffnet werden können (siehe Supermarktblog).
Wer nicht scannt, wird höflich erinnert
Beides bietet keinen hundertprozentigen Schutz gegen Diebstahl. Aber dank der neuen KI-Systeme lassen sich zumindest noch ein paar Prozentpunkte draufsatteln (siehe Supermarktblog): versehentliche Fehler und absichtliche Täuschung beim Scannen werden seltener, weil die Künstliche Intelligenz sie erkennt und Kund:innen aktiv darauf hinweist, dass sie bitte alle an die Kasse mitgebrachten Waren auch zu scannen haben.
In Großbritannien testet z.B. Lidl derzeit in zwei Filialen eine solche „Non-Scan Detection“-Technolgie, berichtet „The Grocer“ (Abo-Text, Zusammenfassung hier): Wer etwas zu scannen vergisst, kriegt den zuvor aufgenommenen exakten Moment nochmal von der Kasse im Replay vorgespielt. Wer dann nicht einlenkt, hat zügig die Kassenaufsicht neben sich stehen. Gesichtserkennung nutze man dabei keine, heißt es vom Unternehmen. Ob Lidl die Technologie auf andere Filialen auszuweiten plant, ist bislang unklar.
Angenehmer macht das den SB-Kassen-Einkauf aus Kund:innensicht zwar nicht – aber vielleicht muss man sich trotzdem schon mal dran gewöhnen, wenn man künftig Discount-Kund:in bleiben möchte.
Aldi Suisse stellt landesweit SB-Kassen auf
In der Schweiz hat Aldi Suisse jüngst bekannt gegeben, Self-Checkouts landesweit in allen 150 Filialen verbaut zu haben. „Positives Feedback“ in der Testphase habe den Entschluss, auf die neuen Terminals zu setzen, forciert. „Sie ermöglichen ein flexibles, effizientes Einkaufserlebnis und reduzieren die Wartezeiten“, argumentiert Aldi Suisse. Die Bezahlung ist ausschließlich bargeldlos möglich. Bedienkassen gibt es weiterhin.

Ebenso wie bei Lidl in Polen, wo die Experimentierbereitschaft aber schon zwei Schritte weitergeht. Dort hat der Discounter in manchen Filialen bis zu 20 Self-Checkouts verbaut. Berichten des Handelsanalysten Sebastian Rennack zufolge sind zwar auch reguläre Kassen vorhanden, die aber – zumindest zeitweise – geschlossen sind, sodass die Kundschaft unmittelbar zum Self-Checkout umgeleitet wird, wo dann eine Assistenz als Scan-Hilfe und Aufsicht tätig ist.
In Tschechien setzt Lidl ebenfalls stark auf Self-Checkout. Selbst in kleinen Filialen, wie hier in Prag, wo sich Einkäufe an neun regulären SB-Kassen und drei „XXL“-Varianten mit größerer Ablagefläche scannen lassen (Titelfoto) – die konsequente Vorbereitung darauf, nicht mehr nur kleinere Einkäufe über den Self-Checkout abzuwickeln.
Dafür hat Lidl am Ende sogar zwei Auslass-Gates aufgestellt, durch die der Laden verlassen werden kann. (Die verbliebene Bedienkasse war bei meinem Besuch aber ebenfalls in Betrieb.)



Werbung, Bezahlen, Gewinnspiel
Völlig selbstverständlich nutzt Lidl in Tschechien die Screens seiner Self-Checkouts auch für Zusatzzwecke: Vor Beginn des Kassiervorgangs wird Produktwerbung eingeblendet, nachher ein QR-Code, mit dem man online die Filiale bewerten soll, um an einem Gewinnspiel teilzunehmen („Scannen Sie einfach den QR-Code und füllen Sie den Online-Fragebogen aus“) – ein kleiner Ausblick auf das, was auch hierzulande bald gängig sein könnte.


Impulsartikel sind in schmalen Gitterkörben auf Augenhöhe neben dem Bildschirm platziert.
All diese unterschiedlichen Initiativen arbeiten – wenn auch auf unterschiedliche Weise – an der Optimierung des Self-Checkouts. Und man muss sich schon sehr große Mühe geben, das nicht als Versuch zu interpretieren, das Selbstscannen in Zukunft als neuen Standard im Lebensmittel-Discount zu etablieren, während Bedienkassen vorübergehend weiter vorhanden sind, aber immer seltener auch mit Personal besetzt.
Können wir uns das sparen?
Aus Sicht der Discounter gibt es dafür mehrere ökonomischen Vorteile:
- Die Fläche, die sonst von zwei Bedienkassen belegt wird, lässt sich mühelos für zehn SB-Geräte nutzen, um lange Schlangen zu vermeiden und den Bezahlprozess zu beschleunigen. (Wenn mal einer oder zwei Kund:innen besonders langsam scannen, ist das bei einer hohen Zahl an verfügbaren Geräten verschmerzbar.)
- Für Aufsicht und Betreuung sämtlicher Kassen muss dauerhaft vermutlich nur ein:e Mitarbeiter:in eingesetzt werden – und niemand mehr quer durch den Laden hetzen, um eine Zusatzkasse zu öffnen. Die Arbeitszeit des Personals lässt sich entweder anderweitig einsetzen – oder einsparen.
Wie groß die Versuchung ist, zeigt Aldi in Deutschland mit seinem Experiment, zumindest zeitweise Self-Checkout als einzige Bezahllösung anzubieten – auch auf die Gefahr hin, damit den Unmut mancher Kund:innen auf sich zu ziehen (siehe Supermarktblog).
Der Aufsicht-Scan-Hilfe-Bezahl-Tresen
Wettbewerber Lidl arbeitet derweil daran, die Kassenzone ein Stück weit neu zu denken: In der Filiale am Berliner Ku’damm, integriert ins Erdgeschoss einer Galeria-Warenhausfiliale (siehe Supermarktblog), war bei meinem Besuch am Morgen ebenfalls keine klassische Bedienkasse mit Förderband geöffnet.
Die Aufsicht der zentral platzierten Self-Checkout-Zone mit mehreren SB-Terminals stand allerdings direkt neben dem Auslass-Gate hinter einem schmalen Tresen, in den auch eine reguläre Kasse integriert war – wer also partout nicht selbstscannen wollte, konnte sich dort anstellen.

Das hat den praktischen Effekt, dass Lidl den Hauptteil der Kund:innen erstmal an die SB-Geräte führen kann, die anderen aber nicht verprellen muss – und die aufsehende Kassenkraft je nach Bedarf zwischen SB-Unterstützung oder Oma-Abkassieren wechseln kann, während sie von ihrer Position aus den ganzen Bereich im Blick hat.

(Anders als Kassenkräfte in regulären Lidl-Filialen, die derzeit teilweise mit dem Rücken zur SB-Zone an der Bedienkasse sitzen, was in jeglicher Hinsicht superunpraktisch ist: bei Scan-Fehlern müssen Kund:innen dem Personal auf den Rücken tippen; gleichzeitig wirkt die Zone auf potenzielle Diebe trotz Videokameras arg unbeaufsichtigt.)
Ein ganz schmaler Grat
Der Lidl-Tresen sieht nach der idealen Kombilösung aus, um Self-Checkout im Discount zum Standard werden zu lassen, verbleibende Skeptiker:innen weiter mitbedienen zu können und nach wie vor Gutscheine, Zigaretten usw. zu verkaufen – und irgendwann auf die platzintensiven Förderbandkassen komplett zu verzichten. Zumindest würde eine solche Strategie auf die Grundprinzipien des Lebensmittel-Discounts – größtmögliche Effizienz und Sparsamkeit – einzahlen.
Vielleicht sind die aktuellen Umgewöhnungsmaßnahmen also der Beginn vom schleichenden Ende klassischer Bedienkassen.
Obwohl der Grat zwischen Wirtschaftlichkeit und Kund:innenverärgerung trotz KI und Gedöns immer ein sehr, sehr schmaler bleiben wird: Im vergangenen Jahr räumten die britischen Supermarktketten Asda und Morrisons, die stark auf den Ausbau von Self-Checkouts gesetzt hatten, nacheinander öffentlich ein, es damit womöglich etwas übertreiben zu haben („This had the advantage of driving some productivity. However, some shoppers dislike it, mainly when they have a full trolley“).
Morrisons wollte die „Balance“ zwischen SB- und regulären Kassen nachträglich in etwa 20 Filialen korrigieren.
Discount nur noch für SB-Kassierer:innen?
Das heißt nicht, dass bei Aldi und Lild das gleiche passieren muss. (Zumal ja bereits die Doppelkassen von Aldi Süd massiven Ärger und Boykottbeteuerungen bei manchen Kund:innen provozieren; siehe dazu z.B. Kommentare im Supertmarktblog.)
Im Zweifel sind die Handelsketten bereit, das Risiko einzugehen, wenn Diebstahlfrequenzen gesenkt und Personalkosten gespart werden können – auch auf die Gefahr, einige Kund:innen an die Konkurrenz zu verlieren, die sich dem nicht beugen wollen.
Am Ende könnte es so sein, dass alle, die künftig beim Einkauf den Hauptfokus aufs Sparen richten wollen, sich schlicht und einfach mit dem Selbstabkassieren anfreunden müssen – wenn es aus Sicht der Discounter die für sie wirtschaftlichste Variante ist.
Dann werden nur noch sehr, sehr alte Menschen irgendwann davon erzählen, wie sie früher bei Aldi und Lidl mal ihre Waren auf ein schwarzes Band gelegt haben, um dann fürs Bezahlen anzustehen. Und damit bei den Generationen Beta und Gamma ungläubiges Kopfschütteln auszulösen.
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Also Aldi in Ratingen Mitte hat vor 2-3 Monaten die „normale“ Kasse nicht mehr geöffnet und erst auf mehrfaches Nachfragen der Kunden wieder besetzt. Oder wenn die Schlange so lang war das die Leute den Laden wieder verlassen haben. Sonst waren nur die 3 SB-Kassen offen und eine Behelfskasse ohne Band. Diese ist direkt im Gang vor den SB-Kassen. An der Behelfskasse wird direkt im Wagen von einem Mitarbeiter die Artikel gescannt. Da ein Großteil der Kunden nicht die SB-Kasse nutzen will kam es schon morgens um 8:20 zu einer langen Schlange. Durch die lange Schlange konnte man die SB-Kasse nicht erreichen, was die Sache nur verschlimmerte. Das scannen im Wagen dauert viel länger. Wenn man die Kassierer darauf hingewiesen hat, dass das System offensichtlich nicht funktioniert bekam man zu hören das dies so „von oben“ verlangt wird and man des selbst nicht gut findet. Nach einer Reihe von Beschwerden (ich habe mich auch per Email beschwert und nach 2 Wochen ein inhaltslose Antwort erhalten ) wurde die „normale“ Kasse nach ca. 4 Wochen wieder besetzt. Jetzt kann man auch die SB-Kassen wieder benutzen. Sollte Aldi ernsthaft die „normalen“ Kassen nicht mehr besetzten hat man einen Kunden weniger. Auch wenn die Filiale direkt vor meiner Haustüre ist.
Der REWE am Stuttgarter Marienplatz hat seine SB-Kassen direkt vor den Augen der Kassiererin der fast immer besetzten Schnaps-, Vapes- und Zigarettenkasse plaziert und schafft da einen ganz guten Durchsatz vor allem mit dem Publikum der umliegenden Schulen und Büros.