Amazons Eigenmarken-Chaos: Kichererbsen sind keine App-Updates

Amazons Eigenmarken-Chaos: Kichererbsen sind keine App-Updates

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Fortwährend erfindet Amazon neue Lebensmittel-Eigenmarken, benennt vorherige um, stampft sie ein oder wechselt Preisstrategien. Ohne klare Positionierung im Markt ist das zum Scheitern verurteilt. Ein Praxistest zeigt außerdem: Bei Zustellung und Produktqualität hapert es gewaltig.

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📊 Das Wichtigste in Kürze:

  • Rebranding-Wahn: Amazon launcht in den USA „Amazon Grocery“ als nächste neue Eigenmarke für Alltagsprodukte, in Deutschland wird „Our Essentials“ zu „by Amazon“
  • Der Testeinkauf enttäuscht: zerdellte Dosen, überparfümierte Duschgels, zweitägige Lieferung trotz Prime
  • Fehlende Strategie: Amazon ist weder günstiger als Aldi, noch besser als Rewe, noch schneller als Flink

→ Warum das wichtig ist: Das Eigenmarken-Chaos zeigt exemplarisch, warum Amazon im Lebensmittelhandel scheitert – Vertrauen entsteht durch Beständigkeit, nicht durch permanentes Rebranding.

Nichts funktioniert bei Amazon so gut wie die Ankündigung bahnbrechender Neuigkeiten, die eigentlich keine sind. Anfang des Monats verkündete der Konzern mit gewohntem Pathos die Einführung einer neuen Lebensmittel-Eigenmarke für den US-amerikanischen Markt: „Amazon Grocery“ soll über 1.000 Produkte zu günstigen Preisen bieten, „mit der Qualität, die unsere Kunden erwarten und verdienen“, wie es in der offiziellen Ankündigung heißt.

Die Bandbreite reicht von Milch über Olivenöl, Obst und Gemüse bis zu Fleisch und Meeresfrüchten. Alle Artikel sind in schlichtes Weiß gehüllt, erhältlich auf Amazon.com und in den eigenen Fresh-Supermärkten.

Außerdem vereint die neue Marke Produkte aus den bisherigen Amazon-Lebensmittel-Eigenmarken „Fresh“ und „Happy Belly“ unter einem Dach – und auf den ersten Blick sieht das nachvollziehbar und vernünftig aus.

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Das Ganze nochmal in Rot

Zumindest wenn man schon wieder vergessen hat, dass der vorherige Eigenmarken-Launch nicht einmal ein Jahr her ist: Im September 2024 verkündete man in Seattle mit gewohntem Pathos die Einführung einer neuen Lebensmittel-Eigenmarke für den US-amerikanischen Markt: „Amazon Saver“ sollte über 100 Produkte zu besonders günstigen Preisen bieten – von Cookies über Konserven bis zu Würzmitteln. „Affordable grocery essentials at a great value“, die den Kund:innen beim Sparen helfen sollten. Gehüllt in knalliges Rot – wie eine amerikanische Variante von „Jeden Tag“, erhältlich in den Fresh-Supermärkten und auf Amazon.com, wo manche als frühere Happy-Belly-Artikel gekennzeichnet sind.

Worin genau die Unterschiede zwischen Amazon Saver („affordable staples without the frills“) und Amazon Grocery („the favorites you love for less“) bestehen, erklärte der Konzern in der jüngsten Ankündigung nicht.

Und das fasst schon ganz gut zusammen, wie konsequent Amazon die Planlosigkeit seiner Vorstöße in den Lebensmitteleinzelhandel von den Ladenformaten auf die Eigenmarkenstrategie übertragen hat.

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Das kann so nicht funktionieren

In Europa ist die Verwirrung nicht kleiner. Vor einigen Jahren führte Amazon hierzulande die Eigenmarke „Our Essentials by Amazon“ ein – eine Preiseinstiegsmarke für Lebensmittel, Drogerie- und Haushaltsartikel, die zunächst konsequent die Preise der Discounter kopierte, bevor die Artikel plötzlich mehr kosteten als bei Aldi, Lidl & Co. Was nicht funktionieren kann, wenn man einigermaßen kapiert hat, wie die handelskettenübergreifende Discountschiene im deutschen LEH funktioniert.

„Our Essentials“ werden gerade zu „by Amazon“-Produkten; Foto: Smb

Parallel dazu waren in den britischen Fresh-Minisupermärkten (die nun alle geschlossen werden) Produkte unter dem einfacheren Label „by Amazon“ erhältlich. Auf diesen Namen scheinen nun auch die „Our Essentials“-Artikel umgestellt zu werden; auf Amazon.de steht derzeit ein munterer Mix der beiden Varianten im virtuellen Regal.

Damit scheint man den ursprünglich (vielleicht) mal geplanten Eigenmarken-Dreiklang aus Preiseinstieg, Mittelmarke und Premium aufzugeben – auch wenn weiter einzelne höherwertig positionierte Artikel von „Our Selection by Amazon“ (Weine und Kaffeespezialitäten) erhältlich sind.

Friedhof der Eigenmarken

Die abgeschafften Eigenmarkennamen reihen sich ein in ein ganzes Archiv an Amazon-Brands, die entweder aussortiert, umgebrandet oder nie richtig marktübergreifend positioniert worden sind:

  • „Wickedly Prime“ war eine der ersten Lebensmittel-Eigenmarken, die Amazon auch in Deutschland verkaufte – Popcorn, Nüsschen, Cookies. Ein Restbestand hat überlebt und wurde wohl auf „Fresh“ umgestellt, das jetzt zu Amazon Grocery wird.
  • „Mama Bear“, „Solimo“, „Presto!“ und „Aplenty“ waren Eigenmarken, die kaum als solche erkennbar (oder merkbar) waren.
  • „Amazon Kitchen“ war der Versuch, in Großbritannien Ready Meals unter einer Eigenmarke zu verkaufen – ein bisschen was davon ist noch da.
  • „Amazon Go“ – Produkte der gleichnamigen Eigenmarke aus Amazons kassenlosen Convenience Shops in den USA – wieder weg.
  • „Happy Belly“ war über Jahre die zentrale Snack- und Lebensmittel-Eigenmarke von Amazon, vor allem in den USA – wird seit längerem umgestellt.
  • „365 by Whole Foods Market“ – die Bio-Eigenmarke der 2017 von Amazon übernommenen Supermarktkette Whole Foods: in den USA sehr erfolgreich, in Europa außerhalb Großbritanniens (trotz Andeutungen und kurzen Versuchs) nie angekommen.

Vertrauen braucht Beständigkeit

Amazon scheint die wichtigste Grundregel der Branche nicht verstanden zu haben: Vertrauen entsteht durch Beständigkeit, nicht durch permanentes Rebranding.

Das Marken-Chaos ist dabei mehr als nur ein Marketing-Problem. Es steht sinnbildlich für die Art und Weise, wie der Tech-Konzern seit Jahren versucht, in einem wichtigen Sektor Fuß zu fassen – und dabei immer wieder scheitert, während man sich gleichzeitig rühmt, massive Umsätze in der Warenkategorie zu generieren.

„I think some folks don’t realize how large a grocery business Amazon has today (…) – if I just exclude Whole Foods Market and Amazon Fresh, we did over $100 billion in gross sales in our grocery business on these items last year alone“,

erklärte Amazon-CEO Andy Jassy in diesem Frühjahr.

Und wir werden vermutlich nie erfahren, was alles möglich wäre, wenn dahinter eine konkrete Strategie stünde.

Zehn Jahre zurückgebeamt

Was bedeutet dieses Chaos für Kund:innen? Und vor allem: Braucht es überhaupt Lebensmittel und Drogerieartikel unter Amazon-Namen?

Momentan scheint Amazon den Plan zu verfolgen, die Lieferung so genannter Fast Moving Consumer Foods (FMCG) in seine bestehende Logistik zu integrieren: Bananen, Pasta und Seife kommen (wahrscheinlich) aus den selben Warenlagern wie alles andere, das sich auf Amazon.com ordern lässt. In den USA weitet man dafür den Dienst „Same Day Grocery“ aus (siehe Supermarktblog).

In Deutschland wäre das auch möglich. Im Moment versendet Amazon hier ausschließlich haltbare, ungekühlte Alltagsbedarf-Artikel, darunter auch die seiner Eigenmarke. Und wenn man sich (als nostalgische Erinnerung an Amazon Pantry) darauf einlässt, wird man zehn Jahre zurück in die Anfänge des Lebensmittelversands gebeamt.

Papier in Pappe verpackt mit Papier gepolstert

Ich habe für diesen Blogtext eine Zufallsauswahl von 22 „by Amazon“-Artikeln bestellt: von Müllbeuteln und Handcreme über Espresso und Tomatenmark bis hin zu Chips und Waschmaschinen-Anti-Kalk-Tabs. Trotz Prime-Mitgliedschaft brauchte mein Einkauf zwei Tage, um in insgesamt vier Pakete unterteilt komplett anzukommen.

So geht Lebensmitteleinkauf heute – bei Amazon; Foto: Smb

In den klassischen Amazon-Kartons lagen Lebensmittel teilweise ungesichert neben Drogerieartikeln und Reinigungsmitteln; manche Konserven waren schon ordentlich zerdellt; Toilettenpapier und Küchenrolle aus Papier kamen in Pappkartons, deren Lücken zusätzlich mit Papier ausgestopft waren.

Auf den Produkten selbst sind keine Hersteller angegeben, lediglich Amazon Europe in Luxemburg als Auftraggeber. Viele der haltbaren Lebensmittel – Dosentomaten, Mais, Kichererbsen – werden in Italien produziert. Drogerieprodukte kommen aus Polen, einzelne Artikel aus China. Chips werden „in Deutschland abgepackt“. Produktangaben stehen u.a. in Englisch, Deutsch und Spanisch auf den Verpackungen, die billig designt wirken.

Bitte gleich doppelt bestellen

Die (subjektiv von mir wahrgenommene) Produktqualität hielt sich in Grenzen: teilweise mit fauligem Stiel verarbeitete Dosentomaten. Massiv überparfümierte Deos, Handcreme und Duschgel. Alles in allem wenig vertrauenserweckend.

Wer regelmäßig Aldi- oder Lidl-Eigenmarken kauft, weiß: Auch im Discount können Kund:innen längst sehr gute Qualität erwarten. Die Amazon-Produkte werden diesem Standard auf den ersten Blick nicht gerecht.

Besonders ärgerlich: Für viele Artikel gilt nach wie vor die lästige Pflicht, Zwei- oder Viererpackungen zu bestellen. Bei vielen Lebensmitteln oder Drogerieprodukten bedeutet das, dass man im Zweifel einen doppelten Vorrat von Artikeln zu Hause hat, die einem gar nicht zusagen. Was den Erstkauf nicht gerade attraktiv macht.

Nur für Hardcore-Prime-Fans

Auf der eigenen Seite bewirbt Amazon die „brandneue“ Eigenmarke mit „Qualität, auf die Sie sich verlassen können“ – aber ohne zu verraten, was genau das bitte schön bedeuten soll.

Screenshot: amazon.de

Oder für wen das eigentlich gedacht ist: Für absolute Hardcore-Prime-Nutzer:innen, die wirklich alles, was sie brauchen, bei Amazon ordern, weil sie keinen Discounter in der Nähe haben, der sie mit seinem Warenangebot zu Niedrigpreisen verführen könnte? Und die auch kein Probleme darin sehen, mehrere Tage auf ihre zerdellten Dosentomaten zu warten, deren Zustellzeitfenster erst am Nachmittag der Lieferung per App kommuniziert wird, damit man wirklich den ganzen Tag darauf warten kann?

Wer, bitte schön, kauft so Lebensmittel ein?

Und wieso merkt niemand in einem riesigen Konzern, der sich die Perfektion des Einkaufserlebnisses seiner Nutzer:innen auf die Fahnen geschrieben hat (aber ja auch schon grandios an einem konsistenten Kund:innenservice scheitert), dass da was schiefläuft?

Die Grenzen des Amazon-Prinzips

Bei Elektronik, Büchern und vielen anderen Produktkategorien mag das Amazon-Prinzip funktionieren. Im Lebensmittelhandel ist es wiederholt an Grenzen gestoßen. Auch weil man Eigenmarken eben nicht einfach wie App-Updates behandeln kann.

Hier zählen Gewohnheit, Geschmack, Verlässlichkeit. Wenn meine Lieblingsmarmelade plötzlich unter neuem Namen verkauft wird, weiß ich nicht, ob es noch dasselbe Produkt ist. Wenn die Tomaten in der Dose beim letzten Mal zäh waren, kaufe ich die Marke kein zweites Mal – egal wie sie jetzt heißt.

Aber schön bunt sind sie: Artikel der Amazon-Eigenmarke(n); Foto: Smb

Eigenmarken leben von jahrelangem Vertrauensaufbau – oder brauchen für eine Neueinführung eine massive Kampagne, damit Kund:innen begreifen, was sie von den Produkten erwarten können. Amazon kauft Lebensmittel ein, klebt sein Label drauf und hofft, dass der Algorithmus und die Prime-Mitgliedschaft den Rest erledigen. Das ist keine Strategie – sondern ein Akt der Verzweiflung.

Was will Amazon eigentlich sein?

Grundlegende Fragen scheint man sich gar nicht erst zu stellen: Was will Amazon im Lebensmittelhandel eigentlich sein?

  • Der günstigste Anbieter? Geht nicht, wenn sich Aldi und Lidl permanent mit Preissenkungen in Kernsortimenten profilieren.
  • Der Beste? Dann müsste die Produktqualität überzeugen.
  • Wenigstens der Schnellste? Keine Chance: Dafür gibt’s Flink, Wolt, Lieferando und Knuspr.

(Was aber keineswegs bedeutet, dass es Sinn ergäbe, wenn Amazon jetzt Flink übernähme, wie es das „Handelsblatt“ gerade unter Auslassung wesentlicher Kernargumente spekuliert hat [Abo-Text].)

Brauchen Kund:innen Drogerieartikel und Papierwaren „by Amazon“? Foto: Smb

Amazon will im Lebensmittelhandel dabei sein, weil es ein riesiger Markt ist und regelmäßige Lebensmitteleinkäufe auch die Prime-Mitgliedschaft rechtfertigen würden. Aber der Konzern hat weder den Preisvorteil noch die Qualität noch die Geschwindigkeit noch das Sortiment, um langfristig zu überzeugen.

Im deutschen Lebensmittelmarkt ist und bleibt Seattle gegen Mülheim an der Ruhr und Bad Wimpfen bloß ein Scheinriese. Darüber wird auch das zehnte Eigenmarken-Rebranding nicht hinwegtäuschen.

💬 Mitreden!

Wer von euch kauft regelmäßig Lebensmittel bei Amazon – und warum? Nervt euch das Eigenmarken-Chaos, oder ist es euch egal, wie die Dose Tomaten heißt, solange sie (irgendwann) ankommt?

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3 Kommentare
  • In einer Großstadt brauche man Amazon als Lebensmittellieferant genauso wenig, wie andere Lieferanten.

    Innerhalb eines bequemen Radios befinden sich Aldi, Netto, ein großer Edeka, ein großer DM. Da sehe ich jedes Produkt real. Die Spannung „Wie und wann wird wohl Produkt x oder y aussehen / ankommen?“ brauche ich nicht wirklich.

  • Volle Zustimmung. Die Nudeln kaufe ich gerne mal als Zugabe, vor allem in Prime-freien Zeiten zum Erreichen des MBW. Von einem guten Lebensmittel- und Drogerie-Angebot ist Amazon insgesamt aber weit entfernt in Auswahl und Preis. An Pantry erinnere ich mich auch noch gerne, ebenso an dm bei Amazon. Und ganz allgemein ist Amazon mit seiner auch 2025 super hässlichen Website, dem immer schlechter werdenden Kundenservice und all den anderen miesen Neuheiten der letzten Jahre zwar oft alternativlos, aber längst nicht mehr sympathisch.

  • Ich habe mit Amazon noch nie Produktqualität oder Sortimentstiefe verbunden und kaufe dort auch nichts. Es ist ja nicht mal preislich attraktiv, auch nicht bei Aktionen. Verpackungsmüll beschämt mich, ich lasse mir nicht mal Pizza liefern. Menschen die zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen auf Lieferungen angewiesen sind, fahren mit dem Supermarkt vor Ort die bessere Strategie.

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