Die kleinen Preise müssen fetter werden

Die kleinen Preise müssen fetter werden

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Als Edeka 2007 den Discounter Plus vom Konkurrenten Tengelmann übernahm, war das ein harter Schlag für die Population der kleinen Preise, die Plus bis dahin als Maskottchen dienlich waren (und die es eine Zeitlang sogar als Plüschversion zu kaufen gab, weil alle sie so niedlich fanden).

Mit dem Umbau der Märkte in Netto-(ohne Hund)-Filialen wurde auch das Habitat der orangefarbenen Sympathieträger stark eingeschränkt. Aus der Fernsehwerbung verschwanden sie sofort. In den Läden waren sie noch eine Zeitlang geduldet, aber lediglich, um für gestellt wirkende Bilder ihren gelb eingefärbten und mit Netto-Logo entstellten Kompagnons die Hand zu schütteln und eine Symbiose zu suggerieren, die es nicht mehr lange geben sollte.

Heute haben sich die wenigen noch existierenden kleinen Preise auf die Website des Plus-Onlineshops zurückgezogen, wo lediglich zum Download angebotene Bildschirmschoner noch an frühere Glanzzeiten als sympathisches Einzelhandelsmaskottchen erinnern.

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Immerhin können sie dort ungestört ihrem Lebensabend entgegenkieksen.

Den Überläufern ist es nicht ganz so gut ergangen. Jedenfalls ist ein Teil der Kleinpreisgemeinschaft, womöglich gelockt durch falsche Versprechungen, beim neuen Filialherrn Netto (ohne Hund) verblieben, in den vergangenen Monaten aber durch fehlende Pflege und Mangelernährung ganz schwarz, klein und runzelig geworden. In den unteren Ecken der Preisschilder an Regalen und Kühltruhen fristen sie ihr Dasein und sind, gänzlich ihrer Fröhlichkeit beraubt, kaum noch wiederzuerkennen.

Dieser unwürdigen Existenz will die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ein Ende bereiten. Mitte August entschied das Landgericht Nürnberg-Fürth nach einer Klage der Verbraucherzentrale, dass die schrumpeligen Minipreise auf den Schildern in Netto-(ohne Hund)-Märkten „nicht deutlich lesbar“ seien, deshalb gegen die Preisangabenverordnung (PAngV) verstoßen – und fetter werden müssen.

Die PAngV regelt zwar nicht in erster Linie die artgerechte Haltung von Discountermaskottchen (obwohl das durchaus notwendig wäre), aber immerhin, wie Handelsunternehmen ihre Waren auszeichnen müssen, um größtmögliche „Preiswahrheit“ und „Preisklarheit“ für ihre Kunden zu erreichen. In §2 der PAngV steht zum Beispiel der lustige Bandwurmsatz:

„Wer Letztverbrauchern gewerbs- oder geschäftsmäßig oder regelmäßig in sonstiger Weise Waren in Fertigpackungen, offenen Packungen oder als Verkaufseinheiten ohne Umhüllung nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche anbietet, hat neben dem Endpreis auch den Preis je Mengeneinheit einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile (Grundpreis) in unmittelbarer Nähe des Endpreises gemäß Absatz 3 Satz 1, 2, 4 oder 5 anzugeben.“

Und jetzt nochmal im Klartext: Das, was im Supermarkt verkauft wird, muss nicht nur mit einem Kaufpreis ausgezeichnet sein, sondern auch mit dem Durchschnittspreis pro Kilogramm oder Liter, damit die Letztverbra… – Entschuldigung: die Kunden diesen „Grundpreis“ mit dem „Grundpreis“ ähnlicher Produkte vergleichen können. Weil sie dann unabhängig von der Verpackungsgröße wissen, wie günstig oder teuer etwas ist.

Wie groß genau diese Angaben sein müssen, steht dummerweise nicht in der PAngV. Die einzige Vorgabe ist, dass die Hinweise „leicht erkennbar“, „deutlich lesbar“ oder „sonst gut wahrnehmbar“ sein sollen. Also handhabt das jedes Unternehmen unterschiedlich. Überall dort, wo die Auszeichnung nach Ansicht der Verbraucherzentrale NRW zu klein ausfällt (und damit aufgrund ihrer Unlesbarkeit ihren Zweck nicht erfüllt), mahnt sie Änderungen an, denn:

„Bei der Vielzahl an unterschiedlichen Packungsgrößen und der unüberschaubaren Anzahl an Herstellern ist die Grundpreisangabe für Verbraucher oft die einzige Möglichkeit, die Preise im Supermarkt zuverlässig zu vergleichen.“ (Pressemitteilung)

Netto (ohne Hund) ist in Berufung gegangen, um das Urteil des Landgerichts überprüfen zu lassen – und zwar, weil die beanstandete Preisgröße noch aus dem Jahr 2010 stamme, erklärt Sprecherin Christina Stylianou auf Supermarktblog-Anfrage:

„Unser Unternehmen hat bereits Ende 2010, Anfang 2011, unabhängig vom laufenden Gerichtsverfahren, im Sinne unserer Kunden die Grundpreisangabe systemseitig deutlich vergrößert.“

Die deutliche Vergrößerung sieht derzeit so aus:

Auch Kaufland hat sich gegenüber der Verbraucherzentrale verpflichtet, größere Grundpreise auf ihre Schilder zu drucken. Kaiser’s, das ja zum Kleine-Preise-Erfinder Tengelmann gehört, hat ebenfalls Anfang des Jahres eingelenkt. Die Verbraucherzentrale meldete damals:

„Das Unternehmen zeigt sich einsichtig und wird im Laufe der kommenden Monate seine Etiketten bundesweit austauschen und die Grundpreise deutlicher gestalten.“

Seitdem sind elf Monate vergangen, aber der Prozess des Etikettenaustauschens scheint ein äußerst mühsamer zu sein. Denn zumindest in vielen Berliner Filialen hängen – vor allem an Kühltheken und Gefriertruhen – noch haufenweise alte Schilder neben den neuen. Immerhin lässt sich so aber recht anschaulich darstellen, dass die bisherige Grundpreisangabe ausschließlich auf das überragende Sehvermögen einkaufender Mäusebussarde abgestimmt war.

(Géramont: neues Preisschild mit größerer Grundpreisangabe; Président: altes Preisschild mit winziger Grundpreisangabe.)

(Becel pro Activ: altes Preisschild mit winziger Grundpreisangabe; Becel Vital: neues Preisschild mit größerer Grundpreisangabe.)

Auf Nachfrage, wie lange Kaiser’s denn laut der Vereinbarung brauchen dürfe, um bundesweit alle Schilder auszutauschen und ob innerhalb des laufenden Jahrzehnts damit zu rechnen sei, zeigt sich die Verbraucherzentrale NRW überrascht. Rechtsanwältin Carolin Semmler erklärt:

„Die Firma Kaiser´s Tengelmann GmbH hat gegenüber der Verbraucherzentrale NRW eine Unterlassungserklärung abgegeben, in der sie sich verpflichtet hat, die in der Erklärung näher bezeichneten Preisschilder (die Grundpreisangaben dieser Preisschilder waren gerade mal 2 mm hoch) bis zum 01.08.2011 nicht mehr zu verwenden. Im Falle einer Zuwiderhandlung wird eine Vertragsstrafe fällig. Die Höhe dieser Vertragsstrafe wird dann von der Verbraucherzentrale NRW festgesetzt und im Streitfall über dessen Angemessenheit vom zuständigen Gericht überprüft.“

Vielleicht ließe sich mit dieser Vertragsstrafe ja ein Gnadenhof für aussortierte Discountermaskottchen gründen. Damit die kleinen Preise nicht länger leiden müssen.

Fotos: Supermarktblog

Nachtrag, 17. November: Plus.de versichert in den Kommentaren, dass es den kleinen Preisen zumindest auf der Plus.de-Website gutgeht.

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