holyEATS #35: Turboexpansion für Veggie Pret, Jamie Oliver’s Restaurant-Pleite als böses Vapiano-Omen, Delivery Hero wird Ghost-Gastronom

holyEATS #35: Turboexpansion für Veggie Pret, Jamie Oliver’s Restaurant-Pleite als böses Vapiano-Omen, Delivery Hero wird Ghost-Gastronom

Inhalt:

Kleine Systemgastro-Krise: Ist das noch zeitgemäß oder kann das weg?

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Pret kauft Wettbewerber EAT zur Veggie-Vervielfältigung

Hui, das war (auch) systemgastronomisch eine turbulente Woche in Großbritannien. Wenige Tage nach der Bestätigung von Amazon, sich monetär mit Deliveroo zu verbünden (siehe holyEATS #34), hat die Sandwichkette Pret bestätigt, den Wettbewerber EAT zu kaufen. Zu den rund 400 in Großbritannien betriebenen Filialen kommen 94 bisherige EAT-Stores dazu, die mehrheitlich auf „Veggie Pret“ umgeflaggt werden sollen. Viel mehr Details haben die Briten bislang nicht bekannt gegeben. Pret-CEO Clive Schlee nennt jedoch die „wachsende Nachfrage der Konsumenten nach vegetarischen und veganen Produkten“ als Motivation. Mit der Expansion des Konzepts, mit dem in ausgewählten Filialen ausschließlich fleischlose Sandwiches und Salate angeboten werden, hat sich die Kette zuletzt schwer getan. Drei Jahre nach dem (erfolgreichen) Start gibt es lediglich vier „Veggie Prets“: drei in London, eins in Manchester, darunter nur eine Eröffnung an einem neuen Standort.

Womöglich ist das ein Hinweis darauf, warum es nicht schneller voran ging. Offensichtlich will es sich Pret nicht mit denen verscherzen, die weiterhin Chicken und Bacon zwischen zwei Sandwichhälften lunchen möchten – und tut sich entsprechend schwer, existierende Standorte zu konvertieren. Neue geeignete Lagen zu finden ist hingegen schwer. Die Ausweichmöglichkeit über EAT klingt deshalb ideal – und ist wohl der Investitionsbereitschaft des neuen Pret-Eigentümers JAB zu verdanken, der die Ressourcen zur Verfügung stellt, um sein internationales Kaffeeketten-Imperium (siehe holyEATS #8) auch in Europa zu stärken.

Dass nebenbei ein Wettbewerber im hart umkämpften Lunch-Markt verschwindet und sich Pret besser gegenüber dem Konkurrenten Costa positionieren kann, ist ein praktischer Nebeneffekt. Gleichzeitig lässt sich das Aus für EAT als eindringliche Warnung an alle Systemgastronomen lesen, die glauben, ihre Kaffee- und Lunch-Konzepte seine immun gegen sich ändernde Kundenvorlieben. Zumindest für EAT hat sich das als existenzieller Irrtum erwiesen.

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Jamie Oliver’s Restaurant-Pleite: ein böses Omen für Vapiano?

Das weitaus prominentere Beispiel für Modernisierungsversagen heißt freilich: Jamie Oliver. Mitte der Woche hat die Fast-Casual-Restaurant-Gruppe des britischen Promi-Kochs endgültig Insolvenz angemeldet. 22 von 25 britischen Restaurants werden geschlossen, 1.000 Arbeitsplätze fallen weg. (Die im Ausland betriebenen Franchise-Betriebe sind nicht betroffen.) Dass Gruppe schon länger in Schwierigkeiten steckt, war kein Geheimnis. Im vergangenen Jahr hatte Oliver der „Financial Times“ erzählt, wie er das Unternehmen kurz zuvor mit eigenem Geld schon einmal vor der Pleite retten musste (siehe holyEATS #14). Das scheint den Kollaps aber nur verzögert zu haben. (Um diesen Fehler nicht zu wiederholen, ist wohl auch die Münchner Aurelius-Gruppe, die gerne eingestiegen wäre, nicht zum Zug gekommen ist, schreibt die „Times“; via Eater.)

Zu den Gründen des Scheiterns gibt es unterschiedliche Theorien. Die naheliegendste ist, dass die Briten angesichts der ungewissen Brexit-Aussichten ihren Konsum eingeschränkt bzw. verlagert haben. Wer zuhause online einkauft, braucht danach auch nicht mehr essen zu gehen – sondern ordert im Zweifel bei Deliveroo oder JustEat. Gleichzeitig sind für Gastronomen die Ausgaben für Personal und Mieten gestiegen. Das hat nicht nur Jamie’s Italian, sondern auch andere Konzepte zu Schließungen gezwungen. (Sky News hat einen guten Überblick der Betroffenen.)

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass insbesondere Jamie’s Italian als gastronomisches Konzept drastisch an Attraktivität verloren hat. Gäste fragten sich, warum sie verhältnismäßig hohe Preise für einfache Gerichte bezahlen sollten, wenn die Restaurantkette mit dem prominenten Namensgeber ihre Zutaten beim selben Lieferanten einkaufte wie eine bekannte, Pub-Kette, bei der es sich sehr viel günstiger essen lässt. Noch dazu, wenn der Gründer gleichzeitig als „Botschafter“ für eine große Supermarktkette wie Tesco auftritt, um Kund:innen zu demonstrieren, wie es sich zuhause einfach, gesund und preiswert kochen lässt. Dass sich Oliver Medienberichten zufolge für eine Beratung mit McDonald’s-Verantwortlichen getroffen haben soll – ausgerechnet der Kette, auf die er sonst öffentlich schimpfte – und sein Gesicht auch noch an den Mineralölkonzern Shell vermietete, wird auch nicht geholfen haben. Man muss schon sehr auf überteuerte Pasta stehen, um weiter zu dem Typen essen zu gehen, der einem sonst weismachen will, dass man für einen „delicious bite to eat“ am besten seine „local Shell service station“ aufsuchen soll.

In Köln kann man nur beten, dass der Zusammenbruch des Restaurant-Imperiums nicht in erster Linie an der langweiligen Menü-Auswahl von Jamie’s Italian gelegen hat. Denn genau da will Vapiano-Geschäfsführer Cornelius Everke ja mit seiner ebenfalls rettungsbedürftigen Kette wieder hin (mittels „Anpassung der Menükarte und der Orientierung auf die Vapiano Klassiker“; siehe holyEATS #27). Banken und Großaktionäre haben gerade 30 Millionen Euro locker gemacht, um das zu bewerkstelligen. Und dafür im Gegenzug hoffentlich eine detailliertere Planung als das vorgelegt bekommen, was bislang öffentlich bekannt ist (und sich nicht gerade nach einer Strategie anhört).

Die allermeisten Journalisten sind hierzulande weiterhin damit beschäftigt, in Erklärstücken aufzuschreiben, warum das mit Vapiano ja gar nicht gut gehen konnte. Ohne sich freilich die Mühe zu machen, die Chancen für eine Neupositionierung einzuschätzen. Die „WiWo“ () hat lieber noch mal ganz von vorne angefangen und, um ihre öde Niedergangsnacherzählung aufzupeppen, irgendjemanden aus Kempen am Niederrhein zum allerersten Mal zu Vapiano geschickt, damit der dort entgeistert feststellen konnte: „Es war wie in einer Kantine. Ich stand an, musste mir alles selbst holen und die Wartezeiten waren viel zu lang.“ Ach? Wer hätte das denn ahnen können!


Delivery Hero baut virtuelle Restaurantmarke „Noah’s Green Kitchen“ auf

Mit dem Ausverk… – Pardon: Transfer seiner deutschen Marken auf den Wettbewerber Lieferando hat Delivery Hero Anfang April in Deutschland nicht nur das Liefergeschäft vollständig eingestellt (siehe holyEATS #31). Sondern auch seine Tests mit virtuellen Restaurants, mit denen die Berliner über mehrere Monate heimlich Erfahrungen gesammelt haben. Unter dem Namen „Noah’s Green Kitchen“ waren auf Foodora in mehreren deutschen Städten frisch zubereitete Bowls, Salate und Wraps bestellbar. Dass das #healthyfood von Delivery Hero direkt stammte, wussten Kunden u.a. in Berlin, Bremen, Köln, Leipzig und Münster aber vermutlich nicht.

Mit dem Rückzug aus dem Heimatmarkt sind hierzulande auch die virtuellen Noah-Restaurants verschwunden. An der Marke scheint Delivery Hero aber festhalten zu wollen: Gerade haben die Berliner Markenschutz für ihre Gastro-Arche beantragt. Und z.B. in Schweden und Finnland ist Noah’s Green Kitchen auf Foodora weiterhin aktiv – wenn auch in der falschen Jahreszeit. (Auf der Karte stehen noch „Autumn Salad“ und „Autumn Wrap“.) Auf holyEATS-Anfrage bestätigt Delivery Hero den Betrieb und dass die Marke in Deutschland eingestellt worden sei. Zu möglichen Expansionsplänen in anderen Märkten heißt es: „Der genannte Service ist derzeit ein Testbetrieb.“ Allerdings einer, der ebenso wie die Übernahme des schwedischen Wettbewerbers Hungrig.se darauf hindeuten könnte, dass Firmengründer Niklas Östberg in seiner skandinavischen Heimat weiter unternehmerisch aktiv bleiben möchte. Darüber hinaus ist Noah’s Green Kitchen gerade in Lateinamerika gestartet, wo Bowls, Salate und Wraps über die dort betriebene PedidosYa-PLattform geordert werden können, z.B. in Buenos Aires.

Mit der Initiative folgt Delivery dem Trend, dass Lieferplattformen zunehmend selbst gastronomisch tätig werden. Bislang beschränken sich Kontrahenten wie Deliveroo und Uber Eats jedoch vornehmlich darauf, Infrastrukturen für Restaurantpartner aufzubauen. Das dürfte sich im Laufe der kommenden Monate aber ändern.


Nachschlag

  • Die zur Enchilada-Gruppe gehörende Kette Burgerheart legt als einer der ersten Systemgastronomen in Deutschland fleischlose Patties von Beyond Meat auf den Grill, Lidl bringt sie testweise ins Kühlregal. (Franchiseportal, Lidl)
  • „Laktose gegen Intoleranz“: Wie Milchshakes zum Mittel des politischen Protests wurden. (New Statesman, Guardian, Eater London)
  • Pizza Spaghetti Hawaii? Ab sofort bei Domino’s. Aber nur in Neuseeland. (KITV)
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