Abhol-Einkauf und Kostenlos-Lieferung: Wie Aldi wider Willen zum Online-Händler wird

Abhol-Einkauf und Kostenlos-Lieferung: Wie Aldi wider Willen zum Online-Händler wird

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In Großbritannien testet der Discounter derzeit gleich mehrere Wege, Lebensmittel auch online zu verkaufen – nicht aus Leidenschaft. Sondern quasi unter Zwang, um keine Kund:innen zu verlieren. Eine Bestandsaufnahme.

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Ich weiß natürlich nicht genau, wie stark Ihre Affinität zum Okkultismus ausgeprägt ist, aber die regelmäßigen Dämonenbeschwörer:innen unter uns wissen, dass Tischerücken als spiritistsche Handlung keine kleine Bedeutung bei der Verbindungsaufnahme zu Verstorbenen einnimmt.

In Abwandlung dieser Tradition versucht sich Aldi Nord hierzulande bekanntlich gerade im Regalerücken, um den schwächer gewordenen Kontakt zur innovationsresistenten Stammkundschaft wieder zu stärken – mit dem Unterschied, dass das ganz und gar nichts Paranormales hat. Sondern eher als Zeichen einer interessanten Prioritätensetzung verstanden werden muss (siehe Supermarktblog).

Dass die Väter des Discounts auch ganz anders können, wenn sie denn unbedingt müssen, demonstrieren sie – wie an dieser Stelle bereits des öfteren erwähnt – im europäischen Ausland. Und weil die Anpassung dort erstaunlich temporeich vonstatten geht, lohnt sich ein genauerer Blick.

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In Großbritannien testet Aldi (Süd) derzeit bekanntlich gleich mehrere Wege, Lebensmittel auch online zu verkaufen. Einer davon ist die Kooperation mit dem Restaurantessen-Lieferdienst Deliveroo (siehe Supermarktblog), der seinen Kund:innen seit längerem auch Produkte von Kooperationspartnern zustellt.

Foto: Aldi UK

„Leicht höhere Preise“ als im Laden

In Irland haben Aldi und Deliveroo gerade bekannt gegeben, Online-Einkäufe ohne Lieferkosten zuzustellen. Die Aktion ist (zunächst) örtlich und zeitlich befristet: Bis zum 11. Februar kommen Kund:innen, die in Liefernähe eines teilnehmenden Aldi-Markts in den Städten Dublin, Cork, Galway und Limerick wohnen, in den Genuss. Und auch die restlichen Sternchentexte zum Angebot sind hochinteressant – weil sie eine Ahnung davon vermitteln, wie sich Discounter ein Format erschließen könnten, das eigentlich gegen ihre Natur geht, an dem sie aber trotzdem nicht so recht mehr vorbeikommen.

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Die Bestellung des Aldi-Blitzeinkaufs, der innerhalb von 30 Minuten geliefert sein soll, erfolgt über die Deliveroo-App – und zwar zu „leicht höheren Preisen“ als im Laden, wie die Handelskette online informiert, „um die zusätzlichen Kosten abzudecken“.

Die Produkte müssen schließlich im Laden vom ohnehin in überschaubarem Maß eingesetzten Personal kommissioniert und zur Abholung bereitgestellt werden – genau das Gegenteil also, für das der Discount ursprünglich mal gegründet worden war.

Ein Viertel aller UK-Märkte bietet Abholservice

Dazu kommt ein Mindestbestellwert von 25 Euro, der sich beim Bestellen – wie Kund:innen anmerken – vor allem deshalb als Problem herausstellt, weil zugleich aus lediglich 300 Artikeln ausgewählt werden kann, von denen zahlreiche häufig auch noch als ausverkauft angegeben werden. (Im Zweifel lässt Aldi wahrscheinlich Restbestände für die Kund:innen im Laden stehen.) Gleichzeitig darf der Bestellwert 75 Euro nicht überschreiten. Bestellungen sind vormittags erst ab 11 Uhr möglich, dann aber durchgehend bis 20 Uhr abends.

Das sind eine Menge Regeln, die einerseits die Komplexität der Bestelleinkäufe reduzieren sollen – und Kund:innen wahrscheinlich gar nicht erst auf die Idee bringen, Deliveroo-Kurierfahrer:innen mit riesigen Warenkörben durch die Stadt fahren zu lassen. (Vor allem, während Brexit-bedingt bei manchen Handelsketten die Regale leer bleiben.)

Für die Abwicklung größerer Online-Einkäufe setzt Aldi in England, Wales und Schottland auf einen eigenen Abholservice (Click & Collect). Der wurde erstmals im vergangenen September getestet (siehe Supermarktblog) und inzwischen auf rund 220 Märkte ausgeweitet. Das entspricht knapp einem Viertel der 900 Märkte, über die Aldi in Großbritannien verfügt. Und es demonstriert, in welch beachtlichem Tempo der Discounter ein neues Konzept ausrollen kann, wenn er denn glaubt, dass es notwendig sein könnte, um seine Wachstumsgeschichte im britischen Markt fortzuschreiben.

Ganz einfach online einkaufen

Auch die Website groceries.aldi.co.uk ist durch und durch Discount und beschränkt sich aufs Allernötigste. Das ist aber ganz angenehm: Nach einer einmaligen Registrierung sucht man als Nutzer:in die Wunschfiliale aus, anschließend kann der Einkauf direkt beginnen. Zeitfenster-Auswahlbingo musste ich bei dem von mir gewählten Markt in London nicht spielen. Stattdessen wurde eine einfache Sieben-Tage-Übersicht mit einstündigen Abholfenstern über den ganzen Tag angezeigt.

Termine am Morgen und Abend scheinen besonders beliebt zu sein, nachmittags ist am wenigsten los. Sogar sonntagmorgens kann man sich seinen Einkauf direkt ans Auto auf dem Parkplatz bringen lassen, wo Parkbuchten speziell für Click-&-Collect-Kund:innen gekennzeichnet sind. Kosten: 4,99 Pfund (rund 5,60 Euro).

Discount-Einkauf online erledigen und kofferraumfertig übergeben lassen? Aldi in Großbritannien macht’s möglich; Foto: Aldi UK

Wer strengstes Social Distancing zu praktizieren wünscht, kriegt die Tüten auf Wunsch sogar direkt in den Kofferraum gestellt, erklärt die Discountkette. Das ist ein erstaunlicher Service, insbesondere, wenn man’s nochmal so schön auf den Punkt bringt, wie das britische Gratisblättchen „City A.M.“, das seine Leserschaft an das eigentliche Kernkonzept des Discount-Pioniers erinnert:

„Aldi offers an offline supermarket experience.“

Der Markt zwingt Aldi zu handeln

Dass jetzt doch ein bisschen Online dazu kommt, passiert quasi unter Zwang. Lange hat Aldi die traditionellen britischen Supermarktketten dazu gezwungen, ihren Kund:innen qualitativ gute Eigenmarken zu besseren Preisen anzubieten, um mit dem Herausforderer aus Deutschland mithalten zu können. Corona hat dafür gesorgt, dass es nun anders herum läuft: Während etablierte Handelsketten davon profitieren, über die Jahre ihr eigenes Online-Geschäft zur Zustellung von Lebensmitteln aufgebaut zu haben, sah sich plötzlich Aldi zum Handeln gezwungen, um keine Kund:innen zu verlieren.

Foto: Supermarktblog

Wettbewerber Tesco meldete in den vergangenen Tagen eine „beispiellose Nachfrage“ im Markt für Liefer-Lebensmittel. Alleine über die Weihnachtszeit seien sieben Millionen Zustellungen mit 400 Millionen Produkten erfolgt. Im vorigen Quartal und über Weihnachten bis in den Januar hinein sei der Umsatz im Online-Kanal (inklusive Click & Collect) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 80 Prozent auf eine Milliarde Pfund gestiegen. Tesco-CEO versprach:

„We’re in great shape to keep delivering in 2021 and beyond.“

Konkurrent Sainsbury’s verzeichnete für seinen Lieferdienst ein Plus von 128 Prozent; 18 Prozent der Umsätze über Weihnachten seien mit Online-Bestellungen erzielt worden (im Vorjahreszeitraum waren es 7 Prozent). In den 10 Tagen vor dem Fest seien doppelt so viele Zustellungen wie 2019 erfolgt.

Aldi liefert – in Deutschland aber bisher nur Kram

Das kann auch der angriffslustigste Discounter nicht mehr so einfach ignorieren. Einer YouGov-Umfrage unter Aldi-affinen Kund:innen erklärten zudem 68 Prozent, online einzukaufen würde ihr Leben einfacher machen.

Und tatsächlich: Die Click-&-Collect-Initiative scheint aufzugehen. Für die vier Wochen vor Weihnachten meldete Aldi UK kürzlich ein Umsatzplus von 10,6 Prozent, an dem laut dem britischen Fachmagazin „Grocer“ (Abo-Text) auch der neue Abholservice seinen Anteil hatte.

In Deutschland hat Aldi Nord gegenüber der „Lebensmittel Zeitung“ (Abo-Text) erklärt, man sehe online „enormes Potenzial, den einfachen, schnellen und bequemen Einkauf“, den die Kund:innen gewohnt seien, auszuweiten. Was das genau zu bedeuten hat, ließ man offen. Bislang versendet der Discounter hierzulande lediglich Kram über seine Website „Aldi liefert“. Lebensmittel gehören noch nicht dazu.

Danke wieder an @starflyergold für den Irland-Hinweis!

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5 Kommentare
  • Eine Lieferung mit „leicht höheren Preisen“ ist natürlich keineswegs lieferkostenfrei. Vielmehr zahlen die Kunden mit den großen Bestellungen teilweise die Kosten jener mit kleineren Warenkörben. Seltener, dafür aber koordinierter bestellen wird also praktisch bestraft. Das wäre mir als Kunde auf Anhieb unsympathisch.

  • Könnte die Lieferzeit ab 11:00 nicht etwas mit den gewöhnlichen Arbeitszeiten der Lieferfahrer zu tun haben? Die dürften doch wohl gewöhnlich erst zur Auslieferung von Mittagessen in die Pedale kommen, dafür aber eben bis tief in die Nacht. Lieferung von Frühstück(sbüffet) dürfte doch wohl eher selten vorkommen.

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