Der Flaschenpost-Flop – oder: Warum sich Dr. Oetker mit neuen Geschäftsmodellen schwer tut

Der Flaschenpost-Flop – oder: Warum sich Dr. Oetker mit neuen Geschäftsmodellen schwer tut

Foto [M]: Supermarktblog / Dr. Oetker, Oetker Digital
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Mit großem Ehrgeiz wollte die Oetker-Gruppe die Gastronomie erobern und sich mit Diensten wie Flaschenpost stärker direkt an Konsument:innen wenden. Jetzt muss wegen der Krise gespart werden. Und es ist unklar, was von den Vorhaben der Vergangenheit künftig noch Bestand hat.

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Im August vor zwei Jahren sah es für einen Moment so aus, als würde zwischen Bielefeld, Koblenz und Los Angeles eine völlig neue Ära beginnen: Der Pudding-Pizza-Back-Spezialist Dr. Oetker kündigte an, ins Restaurantgeschäft einzusteigen: gleich mit mehreren Konzepten auf einen Schlag. Auf den deutschen Markt zugeschnitten eröffnete in einem Edeka-Markt in Rheinland-Pfalz das erste „Frau Renate“-Bistro (eine Referenz an die Oetker-Werbeikone der 50er Jahre), wo aus eigenen Produkten hergestellter Porridge, Backwaffeln, Frühstücksbowls und belegte Teigfladen angeboten wurden – direkt zum Essen, ganz ohne Auftauen oder Anrühren.

Fast gleichzeitig startete jenseits des Atlantiks in Venice Beach das erste Pudding-Restaurant unter dem Namen „Pudu Pudu“, das den Amerikanern die deutsche Puddingkultur näher bringen sollte: mit dem „Heart Breaker“, dem „Sun Catcher“, „Butterfly in the Sky“ sowie anderen fantasievoll betitelten Pudding-Bowls auf der Karte.

Zuhause stand Dr.-Oetker-Deutschland-Chef Hans-Wilhelm Beckmann und sagte der Fachpresse den bemerkenswerten Satz: „Hersteller wie Dr. Oetker müssen ihre Rolle überdenken, Neues ausprobieren und mehr machen, als einfach nur Produkte für die Regale des Handels zu liefern.“

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Das klang, ganz ungewöhnlich für das 1891 gegründete Familienunternehmen, nach Aufbruch und Veränderung. Und zwar, nicht weil die Geschäfte für Oetker schlecht gelaufen wären.

Dahin gehen, wo die Konsument:innen sind

Ganz im Gegenteil: Mitten in der Corona-Krise hatte man zwar – wie die allermeisten Hersteller – mit Lieferkettenproblemen zu kämpfen. Gleichzeitig entdeckten die Kund:innen aber ihre Liebe zu bekannten Markenprodukten wieder, um daheim im Lockdown selbst zu backen und sich was zu gönnen. (Dass sich damals auch noch der 50. Geburtstag der Tiefkühlpizza ein Deutschland feiern ließ, war da natürlich ein Geschenk.)

Gleichzeitig hatte man am Unternehmenssitz in Bielefeld zu diesem Zeitpunkt erkannt, dass es eine schlechte Idee wäre, den Anschluss an die sich ändernden Gewohnheiten vieler Kund:innen bei Einkauf und Verzehr zu verpassen – und künftig alleine auf Gunst und Entgegenkommen der großen Handelsketten im sich zunehmend konsolidierenden Lebensmitteleinzelhandel zu vertrauen, die einen zunehmend raueren Ton gegenüber der Nahrungsmittelindustrie anschlagen.

Man müsse „dahin gehen, wo die Konsumenten sind“, hatte Oetker-Konzernchef Albert Christmann schon ein Jahr zuvor die Richtung vorgegeben: vorwärts! Und: „Wir müssen schauen, dass wir mit zukünftigen Geschäftsmodellen nicht zu kurz springen.“

Also hat Dr. Oetker genau das versucht: Das bislang nicht durch unnötige Abenteuer aufgefallene und in Medienberichten gerne als „grundsolide“ bezeichnete Familienunternehmen hat sich getraut – und ist gesprungen. Gastronomischen Konzepte sollten helfen, neue Zielgruppen zu erschließen und gleichzeitig die eigenen Produkte zu bewerben. Die weitgehend frei agierende Einheit Oetker Digital sollte die Unternehmen der Gruppe fit für die digitale Zukunft machen und durfte sich als Start-up-Entwickler gleichzeitig digital basierte Geschäftsmodelle ausdenken, die das Kerngeschäft ergänzten und die Unternehmenstradition fortführen sollten: „Building the future of the Oetker Group“!

Eine Idee nach der nächsten einkassiert

Aber das war, bevor schon die nächste Krise kam. Und die wird diesmal nicht so spurlos an Dr. Oetker vorbeiziehen. Sondern sorgt schon jetzt dafür, dass eine Zukunftsidee nach der nächsten wieder einkassiert wird.

Zuletzt ging alles Schlag auf Schlag: Bei „Pudu Pudu“ verabschiedete man sich nach nicht einmal zwei Jahren wieder von der zuvor umworbenen Pudding-Kundschaft:

„Thank you for welcoming us into the LA community. We loved pudding smiles on your faces every single day!“

Die „Frau Renate“-Theke in Koblenz wurde kommentarlos geschlossen. Und im Juli bestätigte Oetker, seine Ambitionen in der Gastronomie vollständig aufgegeben zu haben: wegen der „Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft“, der „anhaltend schwierigen Personalsituation“ und „massiven Kostensteigerungen in der Gastronomie“, wie es gegenüber der „Lebensmittel Zeitung“ hieß.

Nur kurze Zeit später erklärte man auf Supermarktblog-Anfrage, auch seinen ehrgeizigen Plan fallen zur lassen, mit der Oetker-Digital-Ausgründung Mehrwelt ein neues Pfandsystem für Lebensmittel in Deutschland etablieren zu wollen (siehe Supermarktblog):

„Die letzten Monate haben leider gezeigt, dass der strategische Mehrwert nicht ausreichend gegeben ist, um die Investitionen der Oetker-Gruppe zu rechtfertigen. Die aktuelle weltwirtschaftliche Lage, insbesondere die komplizierte Beschaffungssituation und der Einbruch des Biomarktes, erschweren weiteres Wachstum signifikant. Daher hat sich das Unternehmen dazu entschlossen, die Testphase abzuschließen und nicht fortzuführen.“

Wie spart man jährlich 250 Mio. Euro?

Ende September folgte schließlich die Bekanntgabe umfassender Sparpläne – sorgsam verpackt als „ambitionierte Wachstums-, Innovations- und Effizienzinitiative“ mit zusätzlichen Investitionen ins Digitale, für mehr Nachhaltigkeit, neue Produkte und Services, „die den Erfordernissen der Verbraucher entsprechen“. Gleichwohl plane man eine „Verschlankung von Strukturen und Prozessen“, bei der nicht auszuschließen sei, „dass auch Einschnitte beim Personal erforderlich sein werden“. (Zuletzt war u.a. bekannt geworden, dass die zu Oetker gehörende Radeberger-Gruppe ihren Brauereistandort in Frankfurt am Main schließen wird, wovon 150 Beschäftigte betroffen sind.)

„ Insgesamt sollen Einsparungen in Höhe von jährlich bis zu 250 Millionen Euro weltweit realisiert werden“,

heißt es. Und zwar, wie ein Oetker-Sprecher auf Supermarktblog-Anfrage bestätigt: bis auf weiteres unbegrenzt, jedes Jahr aufs Neue.

Plötzlich wirkt es nach außen so, als müsse in Bielefeld erstmal die Gegenwart bewältigt werden, um weiter an die Zukunft denken zu können.

Das mag angesichts der aktuellen Wirtschaftslage verständlich sein – auch wenn man bei Oetker anklingen lässt, nicht in erster Linie die Kaufzurückhaltung der Kundschaft zu fürchten. Zur Bekanntgabe der Zahlen aus dem vorigen Geschäftsjahr hatte man im Sommer zwar bereits eine „Stagnation bei konsumgüterorientierten Geschäftsbereichen“ festgestellt; die Umsätze waren aber, auch dank neuer Geschäftsmodelle, weiter gewachsen. Nun gehe es jedoch in erster Linie darum, „zumindest einen Teil des erheblichen, vor allem von Energie und Rohwaren getriebenen, Kostenanstiegs zu kompensieren“, um sich schlanker aufzustellen und den Preisabstand zu den Handelsmarken der Supermärkte und Discounter nicht zu groß werden zu lassen. Im Mittelpunkt, so ist es der Mitteilung zu entnehmen, steht die „Widerstandsfähigkeit“ des ganzen Unternehmens. Puh, du.

Das Schweigen der Innovator:innen

Aber ist es nur die Krise, die Oetker vorsichtiger hat werden lassen?

Im Juni berichtete die „Lebensmittel Zeitung“ über mögliche Pläne in Bielefeld, die Unternehmensgruppe nach der erfolgten Konzernaufspaltung vor knapp zwei Jahren von einer Kommanditgesellschaft in eine europäische Aktiengesellschaft (SE) umzuwandeln. Bislang stehen persönlich haftende Gesellschafter – Konzernchef Albert Christmann und Finanzchefin Ute Gerbaulet als Komplementäre – für die Verbindlichkeiten der Gruppe ein. Als SE würde sich das ändern. Zudem würden aus „Kommanditisten“ Aktionäre. Als SE würde Oetker aber sehr viel transparenter als bisher über die eigenen Gewinne informieren müssen – und es läge zumindest nahe, dass man sich davor gerne sämtlichen Ballasts entledigen würde, zu dem später von außen kritische Fragen gestellt werden könnten.

Auf Supermarktblog-Anfrage will die Oetker-Gruppe den „LZ“-Bericht so aber nicht bestätigen; es gebe derzeit keinen konkreten Plan für ein solches Vorhaben. Doch unabhängig davon: Welche der ehrgeizigen Vorhaben und Konstruktionen der Vergangenheit bleiben dann in Zukunft noch übrig?

Bei Oetker Digital, das seit einigen Monaten eine neue Geschäftsführung hat, äußert man sich nicht zur künftigen Positionierung. Welche Schwerpunkte verfolgt die Einheit aktuell? Inwiefern ist auch Oetker Digital von den angekündigten „Einschnitten beim Personal“ betroffen? Wie beeinflusst die derzeitige Krise, ganz generell, die Arbeit? Und verfolgt Oetker Digital weiter den Anspruch, neue Geschäftsmodelle mit digitalem Schwerpunkt zu entwickeln, die in Ergänzung zu bestehenden Marken der Oetker-Gruppe stehen können? Oder konzentriert man sich künftig stärker auf Digitalisierungsinitiativen, die näher am Kerngeschäft der Gruppe orientiert sind? Gegenüber Supermarktblog.com will Oetker Digital keine dieser Fragen beantworten.

Tiefkühlkost zu Restaurantpreisen

Dabei wäre das sehr hilfreich, so lange die eigene Website derzeit angesichts der dort aufgeführten Projekte weniger nach Aufbruch und deutlich mehr nach Archiv aussieht.

Mehrwelt ist eingestellt; der Oetker-eigene Lieferdienst Durstexpress wurde mit dem 2020 übernommenen Rivalen Flaschenpost verschmolzen; als neues Geschäftsmodell übrig geblieben ist lediglich Juit, ein Produzent für gesunde Tiefkühlgerichte, die Kund:innen nachhause bestellen können, um nicht selber kochen zu müssen. Quasi die Deluxe-Variante des Microwellenessens, schicker verpackt als im Supermarkt, ohne Konservierungsstoffe – aber zu stolzen Preisen.

9,49 Euro verlangt Juit pro einzelnem TK-Gericht in der versendeten 6er-Box. Und selbst wenn mit sehr viel Liebe und guten Zutaten gekocht wird, ist das ein – sagen wir: mutiger Preispunkt für Gerichte wie Auberginen-Curry mit Linsen und Quinoa, Linguine mit Bohnen und Fisch, Linsenbolognese oder Penne mit Pesto und Feta. (Letztere sind fast genauso teuer wie wenn man sie bei Vapiano im Restaurant bestellt, frisch zubereitet und heiß serviert.)

Günstiger wird es erst, wenn man mehr ordert: bei zwölf Gerichten kostet jedes einzelne aber immer noch 7,99 Euro. Und das ist schon deshalb ungünstig, weil Juit selbst angibt, dass der XL-Vorrat vermutlich gar nicht ins „handelsübliche Gefrierfach“ passen wird.

Juit wird es mit seinem Modell schwer haben

In der Vergangenheit wurde der direkte Verkauf von Juit-Gerichten über einen Quick-Commerce-Partner getestet – das scheint aber wieder aufgegeben worden zu sein. Dafür ergänzte das Start-up seinen Service vor anderthalb Jahren um das an Arbeitgeber:innen gerichtete „Juit Now“, bei dem Kühlschränke in Büros aufgestellt werden, aus denen Mitarbeiter:innen Juit-Gerichte entnehmen, per App bezahlen und am Arbeitsplatz aufwärmen können – quasi als Kantinenersatz.

Mit fast demselben Modell war hierzulande zuvor bereits Kochboxen-Primus Hello Fresh gescheitert, der mit seiner Schwesterfirma Hello Fresh Go hungrige Angestellte bei Flixbus und (ironischerweise) Delivery Hero versorgt hatte. Diesen Sommer wurde das Geschäft an den schwedischen Büroverpflegungs-Spezialisten Convini abgegeben.

Fragen zur künftigen Ausrichtung des Geschäfts oder dazu, wieviele Privatkund:innen und Unternehmen Juit regelmäßig versorgt, will man in Berlin nicht beantworten. Auf eine Supermarktblog-Anfrage meldet sich die Juit-Geschäftsführung gar nicht erst zurück und lässt von der Assistenz ausrichten, man habe „kein Interesse an dem Text“.

Kommunikation scheint bei Oetker Digital irgendwie nicht zur Zukunft der Lebensmittel- und Getränke­industrie zu gehören.

Fakt ist: Angesichts der aktuellen Preisentwicklung, wegen der zahlreiche Kund:innen sehr genau darauf achten, wie sie ihre Budgets verplanen (und teilweise weniger als bisher einkaufen), wird es Juit mit seinem Modell noch sehr viel schwerer haben als bisher schon.

Flaschenpost auf Schlingerkurs

Das Unternehmen sucht weiterhin Mitarbeiter:innen, u.a. für die Produktionsküche in Ettlingen, wo die Mahlzeiten offensichtlich zubereitet und für den Versand verpackt werden. (Berufserfahrung ist laut Stellenanzeige „keine Voraussetzung“). Aber lange dürfte das nicht mehr gehen: Dr. Oetker hat angekündigt, das bislang auf das Großverbraucher-Geschäft – z.B. Kantinen – konzentrierte Werk schließen zu wollen. Ein entsprechender Sozialplan für den Abbau der Arbeitsplätze ist bereits verhandelt worden. Ende des Jahres ist Schluss mit Soßen- und Suppenproduktion in Ettlingen. Und Juit? Müsste die Produktion seiner Tiefkühlgerichte zum Luxuspreis entweder an einen anderen Ort verlagern. Oder den Laden gleich ganz dicht machen.

Und dann ist da noch die vermeintliche Erfolgsstory Flaschenpost: Längere Zeit hatte sich Oetkers Start-up Klon Durstexpress einen harten Wettbewerb mit dem Münsteraner Getränke-Zustellspezialisten geliefert (siehe Supermarktblog) – um ihn 2020 mitten in der Expansion für um die 800 Mio. Euro (via Exciting Commerce) wegzukaufen und in die eigenen Strukturen zu integrieren.

Seit dem vergangenen Jahr positioniert sich Flaschenpost in einer zunehmenden Zahl an Lieferregionen als Vollversorger, der auch (frische) Lebensmittel nachhause bringt, seit kurzem z.B. in Nürnberg, Augsburg, Bielefeld, Bremen und München. Und eine zeitlang sah es so aus, als hielte Oetker zumindest an dem proklamierten Ehrgeiz fest, im Direktgeschäft mit Endkund:innen weiter eine größere Rolle spielen zu wollen.

Inspirationsfreie Flaschenpost-Werbung in Berlin; Foto: Smb

Nach der schon arg ruckelig verlaufenen Zusammenführung mit Durstexpress hat sich Flaschenpost zwischenzeitlich aber auf einen Schlingerkurs begeben, der nicht gerade dafür spricht, künftig „der Getränke- und Lebensmittellieferant Deutschlands“ werden zu können.

Höhere Gebühre, steigende Preise

Jochen Krisch stellte bei Exciting Commerce zuletzt fest, das Liefer-Start-up mache „in der Außenwirkung gerade einen ziemlich desorientierten Eindruck“ und fragte: „Wie lange hält die Oetker-Gruppe an Flaschenpost fest?“

Aktuell hat der Lieferdienst gleich an mehreren Fronten gegen eine stärker werdende Konkurrenz zu kämpfen – und scheint gleichzeitig angehalten zu sein, endlich Geld verdienen oder wenigstens geringere Verluste als bisher machen zu sollen. U.a. in Berlin wurde das Lieferkostenmodell angepasst und eine Zustellgebühr von 2,90 Euro eingeführt, die ab dem auf 29 Euro angehobenen Mindestbestellwert fällig wird und ab 39 Euro auf 1,80 Euro sinkt. Erst ab 49 Euro ist die Lieferung jetzt kostenlos. Das ist immer noch einer der niedrigsten Werte in der Branche und ziemlich fair, aber halt auch ein ziemlich harter Bruch mit den bisherigen Modalitäten, an die Flaschenpost seine Kund:innen gewöhnt hatte – und mit denen noch vor einem Jahr umfassend auf den Liefertüten geworben wurde: „keine Liefergebühren“!

„Keine Liefergebühr“ stand noch vor einem Jahr als Werbeversprechen auf den Flapp-Tüten; Foto: Smb

Eines seiner zentralen Versprechen hat das Start-up damit wieder einkassiert, und zwar für den – nachvollziehbaren – Anreiz, Kund:innen mit bislang eher niedrigen Warenkörben dazu zu bewegen, zu ihrer gewohnten Getränkebestellung womöglich auch Lebensmittel dazu zu ordern.

Und das ginge auch in Ordnung, wenn Flaschenpost nicht riesige Probleme damit hätte, ein Großteil der angebotenen Ware überhaupt auszuliefern. Bei vielen Lebensmitteln im Webshop und in der App heißt es regelmäßig, dass sie „nicht auf Lager“ sind, obwohl „täglich frische Anlieferung“ versprochen wird. Manche Artikel sind „nicht auf Lager“ und sogar erst „in 2-3 Tagen wieder bestellbar“, was regelmäßig nicht den Tatsachen entspricht – und für einen Dienst, der die Sofortlieferung innerhalb von zwei Stunden zur Regel gemacht hat, natürlich besonders ungünstig ist (zumal die Ware auch nicht jetzt für die Lieferung in zwei oder drei Tagen gekauft werden kann).

Frische? Leider „nicht auf Lager“

Um die Dimension des Flaschenpost-Versagens zu begreifen, muss man sich bloß mal die Lücken im Obst- und Gemüse-Sortiment ansehen, z.B. an einem regulären Montag Mitte September.

Nicht auf Lager waren an besagtem Tag: Bananen, Bio-Bananen, 6 Sorten Äpfel, 3 Sorten Birnen, rote und helle Kernlostrauben, Nektarinen, Pflaumen, Pfirsiche, Kiwi, Bio-Kiwi, Himbeeren, Heidelbeeren, Zitronen, Bio-Zitronen, Grapefruit, Papaya, Mango und Feigen. Außerdem: 4 von 7 Sorten Tomaten, Gurken, 5 von 6 Sorten Parka, Bio-Zucchini, Bio-Aubergine, Artischocken, Bio-Babyspinat, Blattspinat, Bio-Hokkaido, Bio-Champignons (creme und weiß), Austernpilze, Kräuterseitlinge, Möhren, bunte Möhren, Bio-Möhren, Sellerie, Bio-Brokkoli, Kohlrabi, Weißkohl, Rotkohl, Stangenbohnen, Bio-Süßkartoffeln, Speisekartoffeln festkochend, Bio-Knoblauch und Lauchzwiebeln. Wie gesagt: nicht verfügbar!

Dieses Erlebnis ist aber nicht auf Obst und Gemüse beschränkt: Von elf annoncierten Frischmilchsorten im Tetrapak war eine einzige verfügbar, alle anderen: in 2 bis 3 Tagen – es sei denn, man bestellte direkt zwölf mal einen Liter H-Milch im Karton. Einzeln ging leider nicht.

Flaschenpost will bundesweit zum vollwertigen Lebensmittel-Lieferdienst werden; Foto: Smb

Dazu kommt, dass Flaschenpost nicht nur die Liefergebühren und den Wert für die Gratis-Belieferung angehoben, sondern auch zahlreiche Produkte im Kernsegment verteuert hat: das lokale Mineralwasser oder der Kasten Beck’s sind inzwischen in Berlin einen Euro teurer als z.B. bei Rewes Lieferservice. Der reguläre Preis für einen Kasten Radeberger aus der konzerneigenen Brauerei liegt, wenn nicht gerade „Top-Angebot“ ist, sogar zwei Euro über dem Wettbewerber. (Das muss man erstmal hinkriegen.)

Liefermodalitäten ändern sich während des Einkaufs

Anders gesagt: Flaschenpost verlangt von seinen Kund:innen, mehr zu bestellen, um weiter wie bisher kostenlos beliefert zu werden – ist aber gleichzeitig teurer als die direkte Lieferkonkurrenz und hat vieles, was man fürs Abendessen oder Frühstück gebrauchen könnte, um den verlangten Bestellwert zu erreichen, schlicht und einfach nicht auf Vorrat.

Und das ist nicht mal die einzige Unwägbarkeit, mit der Kund:innen zurechtkommen sollen.

Wer im Laufe der Woche Artikel im Warenkorb sammelt, um den Warenwert für die Kostenloslieferung zu erreichen und die Bestellung später auszulösen, muss aufpassen: Wenn Artikel, die schon im Warenkorb liegen, aber zwischenzeitlich ausverkauft wurden oder nicht mehr angeboten werden, erfährt man das als Kund:in nicht direkt, sondern erst kurz vor der Bezahlung.

All zu viel Zeit beim Einkaufen sollte man sich zu besonders frequentierten Zeiten auch nicht lassen. Sonst steigt das Risiko, dass aus der versprochenen Zwei-Stunden-Lieferung beim Abschluss dann doch eine Drei-Stunden-Lieferung wird – oder das System plötzlich informiert, dass das heute leider doch nix mehr wird, weil alle Fahrer:innen ausgelastet sind. Was, wenn man den Warenkorb für die Same-Day-Lieferung zusammengestellt hat, besonders ätzend ist. (Ohnehin scheint die Einhaltung der 120-Minuten-Versprechens derzeit bei Flaschenpost nicht mehr allergrößte Priorität zu haben, , wie Blog-Leser:innen regelmäßig berichten.)

Lieferhindernis: „Qualitätsanspruch“

Auf Supermarktblog-Anfrage kündigt Flaschenpost an, sein „Supermarkt-Angebot“ weiter ausrollen zu wollen, „so dass sich unsere Kund:innen bald an allen [200] Standorten ihren gesamten Wocheneinkauf bequem in 120 Minuten bis zur Wohnungstür liefern lassen können“.

Gleichzeitig erklärt man zu den „Anpassungen unserer Lieferbedingungen“, es sei „besonders wichtig“ gewesen, „den Prozess für unsere Kund:innen so flexibel wie möglich zu gestalten“:

„Ab 29 Euro Warenwert finden unsere Kund:innen nun an allen Standorten mit Vollsortiment nach wie vor ein uneingeschränkt breites Angebot mit Obst, Gemüse, Frischeprodukten, Tiefkühlware, Drogerie- und Haushaltsartikeln sowie der gewohnt großen Getränkeauswahl. Je nach Warenwert erfolgt die Sofort-Lieferung innerhalb von 120 Minuten für eine Gebühr zwischen 1,80 Euro und 2,90 Euro. Dies betrifft allerdings den Großteil unserer Kund:innen nicht, die ohnehin bereits den kompletten Wocheneinkauf bei der flaschenpost bestellen. Ab 49 Euro liefern wir weiterhin wie gewohnt kostenlos bis zur Wohnungstür.“

Wann die neuen Lieferbedingungen an allen Standorten greifen sollen, sagt man in Münster nicht. Gleichwohl versucht eine Sprecherin einzuordnen, wie es zu den Problemen bei der Verfügbarkeit vieler Produkte kommt. Bei Frischware

ginge mit dem selbst gesetzten Qualitätsanspruch „besondere Herausforderungen“ einher:

„Unsere Kund:innen können montags bis samstags zwischen 8 und 21 Uhr ihren Einkauf aus jeweils 5.000 verschiedenen Artikeln tätigen. Die nationale Produktverfügbarkeit im Bereich Lebensmittel liegt bei uns bei über 92 Prozent. Das bedeutet, dass zu jeder Tageszeit mindestens 92 Prozent der Artikel für unsere Kund:innen verfügbar sind. Die frischen Produkte werden an jedem Standort täglich frisch angeliefert und verbleiben maximal 48 Stunden in unserem Lager, bis wir diese Produkte für den regulären Verkauf sperren. Nur so können wir unser Frischeversprechen gegenüber unseren Kund:innen halten.“

Nur so lange der Mini-Vorrat reicht

Gesperrte Lebensmittel würden nicht entsorgt, sondern an die Tafeln oder an Food-Sharing-Initiativen gespendet oder „bekommen bei uns eine weitere Chance in der Retterkiste“. Im Sinne eines nachhaltigen Geschäftsmodells sei es „unser Ziel, Food Waste zu vermeiden“.

„Das bedeutet, dass unsere täglichen Anliefermengen exakt auf die zu erwartende Absatzmenge abgestimmt sein muss. Jede Banane zu wenig führt zu einer Nichtverfügbarkeit, jede Banane zu viel führt zu Food Waste. Dieser schmale Grat zwischen erwartetem Verkauf und Anliefermenge kann schwanken, insbesondere in Regionen, die sich noch in der Wachstumsphase befinden.“

Besonders ärgerlich ist das allerdings, wenn Produkte als „Top-Angebote“ ausgezeichnet sind, für die explizit auf der Startseite geworben wird – ohne dass sie sich gerade kaufen lassen.

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In diesem Fall sei „die Balance zwischen erwartetem Absatz und Anliefermenge noch anspruchsvoller, da die Nachfrage teils stark schwankt“, heißt es.

„Aufgrund der stark schwankenden Nachfrage können Top-Angebote, insbesondere im Bereich der Frischewaren, in Einzelfällen auch mal in wenigen Stunden ausverkauft sein. Wie auch im stationären Handel gilt in dem Fall: solange der Vorrat reicht. Selbstverständlich ist es unser oberstes Ziel, dass alle Kund:innen eine großartige Einkaufserfahrung erleben, und wir arbeiten stetig an neuen, innovativen Systemen, die uns dabei unterstützen, unsere Warenverfügbarkeit weiter zu steigern. Dennoch wollen wir auch bei Top-Angeboten unserer Verantwortung gerecht werden und Food Waste vermeiden.“

Keine verlässliche Einkaufs-Destination

Das ist ja auch prima. Aber jeder, der sich zum wiederholten Mal vergeblich vom „Top-Angebot“ hat locken lassen, kommt sich trotzdem veräppelt vor und merkt irgendwann, dass Flaschenpost eher keine verlässliche Destination ist, um dort regelmäßig einen umfangreicheren Lebensmitteleinkauf zu tätigen.

So lange diese Unberechenbarkeit nicht unter Kontrolle gebracht wird, katapultiert sich das Unternehmen zunehmend aus dem Rennen der Lebensmittel-Lieferdienste, das mit Neulingen wie Picnic, Knuspr und Oda immer härter ausgefochten wird. Aber vielleicht passt das auch gut zum arg hakelig wirkenden Bemühen der Oetker-Gruppe, Konsument:innen nicht nur mit neuen Produkten wie High-Protein-Puddings, High-Protein-Müslis und High-Protein-Kuchen direkt anzusprechen, sondern auch mit neuen Services und Geschäftsmodellen.

„Qualität ist das beste Rezept“, beteuert das Familienunternehmen in seiner Werbung. Aber Nachvollziehbarkeit, Zuverlässigkeit und Wettbewerbsfähigkeit könnten in den allermeisten Fällen halt auch nicht schaden.

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9 Kommentare
  • Das „aktuell nicht verfügbar“-Problem hat Flaschenpost leider nicht nur bei Lebensmitteln, sondern auch in seinem Stammgeschäft, den Getränken. Ich bestelle bei denen nicht nur für den heimischen Bedarf, sondern auch dienstlich. Und bin in den zurückliegenden Sommermonaten bei wirklich jeder einzelnen Mineralwasser-Bestellung durch mindestens drei Orderschlaufen gelaufen, weil sich die Verfügbarkeit während des Bestellprozesses ständig geändert hat. Ich habe nie das (günstige bzw. als Angebot beworbene) Wasser bekommen, das ich eigentlich wollte, sondern musste immer aus mehreren gerade noch verfügbaren Restbeständen stückeln, um auf die benötigte Kastenmenge zu kommen. Teils wurden Bestellungen sogar im Nachhinein noch gestrichen oder reduziert. Auch die verfügbaren Zeitfenster änderten sich während der Bestellung ständig. Nun habe ich bei heißem Wetter ja noch ein gewisses Verständnis, dass die Nachfrage so explodiert, dass man nicht mehr hinterherkommt. Aber dann hätte ich das gerne vor der Bestellung angezeigt und nicht erst im Anschluss. Das derzeitige Bestellroulette ist echt ein Armutszeugnis und hinterlässt bei mir vor allem den Eindruck von Unprofessionalität. Und wer die Prozesse schon in seinem Kerngeschäft so verkackt, kann natürlich nicht erwarten, als Lieferant von frischen Lebensmitteln überhaupt nur in Betracht gezogen zu werden. Zumal es mit Rewe und knuspr wesentlich kompetentere Anbieter (mit einem wesentlich breiteren Sortiment) gibt. Tatsächlich überlege ich schon, künftig auch wieder Getränke beim Rewe Lieferservice zu bestellen. Davon hatten mich bislang die dortigen Kistenaufschläge abgehalten. Aber wie im Artikel schon angesprochen, haben die Preise bei flaschenpost mittlerweile so stark angezogen, dass es unterm Strich keinen Unterschied mehr macht.

  • „von einer Kommanditgesellschaft in eine europäische Aktiengesellschaft (SE) umzuwandeln. Bislang haften die Gesellschafter mit ihrem persönlichen Vermögen für die Verbindlichkeiten der Gruppe. Als SE würde sich das ändern: Aus „Kommanditisten“ würden Aktionäre“

    Habs jetzt nicht geprüft aber ich bin mir sicher, dass die Familienmitglieder nicht haften. In einer KG haften die Komplementäre nicht die Kommanditisten! Normal setzt man also Komplementäre ein, schützt die über Versicherungen oder Ähnliches. Alternativ setzt man als Komplementär eine leere GmbH ein z.B. und haftet dann mit 25.000€/12.500€. Also ich lehne mich weit aus dem Fenster und sage, dass die Familie Oetker das so schon bedacht hat. Ja Sie schreiben das nicht explizit, man (zumindest ich) liest es aber schon irgendwie so

    Die SE wäre dann der Schritt um schneller und einfacher am Kapitalmarkt an Geld zu kommen…was vlt gar nicht so schlecht wäre, wenn man den Bericht so liest 😉

  • Beeindruckend ist, wie wenig man auf die Umwelt achtet. Nicht nur, dass die flotte aus verbrennern besteht, es sind auch keine kühlfahrzeuge. Aus diesem Grund muss massiv mit trockeneis gearbeitet werden. Auch das kann rewe besser… Und picnic sowieso.

    • Flaschenpost arbeitet gänzlich ohne Trockeneis, sondern mit wiederverwendbaren Kühlakkus. Auch die Flotte wird nach und nach elektrisch soweit ich das beurteilen kann. Bei einer Dienstreise in Münster habe ich fast ausschließlich E-Fahrzeuge gesehen.

    • Die Transportwege der Flapo sind so viel kürzer, als wenn jeder Kunde selbst in den Laden fährt. Die Lieferwege der jeweiligen Getränkeläden sind vom Zwischenhändler, vom Großhändler, vom Hersteller. Bei der Flapo gehts vom Hersteller zum Lager und von dort zum Kunden.

  • Grottenschlechter Service bestelle lieber beim lokalen Mitbewerber die Getränke billiger und zuverlässiger.

    Obwohl das Lager in 50829 in meiner Nähe ist kamen die Fahrer regelmäßig um 120 Minuten zu spät.

  • Bemerkenswert, dass Menschen glauben, E-Fahrzeuge wären umweltschonend. Wie Windparks… Schön, wenn man dem Mormon der Marketingabteilung glauben kann <3

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