Nichtmal das Kartellamt hat sich viel Zeit lassen müssen, um Anfang August nach nur wenigen Tagen Prüfung freizugeben, was Jochen Krisch von Exciting Commerce kurz zuvor der Liste angemeldeter Zusammenschlüsse entnommen und zuerst berichtet hatte: Der Lebensmittel-Lieferdienst Knuspr schluckt seinen Wettbewerber Bringmeister. In Bonn sieht man deswegen, knapp formuliert, „keine wettbewerblichen Bedenken“.
Und obwohl sich Knuspr bislang nicht dazu geäußert hat, welche Konsequenzen der Deal haben wird, liegt es doch nahe, schon mal langsam Abschied von Bringmeister zu nehmen.
Weil es zumindest bislang keinen ersichtlichen Grund für Knuspr gibt, dessen Geschäft nicht in die eigene Marke zu integrieren. (Aber vielleicht taucht der noch auf, man weiß ja nie in diesem an Überraschungen und Kehrtwenden nicht armen Geschäftsfeld.)
Bringmeister ist in jedem Fall der Lebensmittel-Lieferdienst mit der bis dato bewegtesten (Eigentümer-)Geschichte des Landes. Er war früher dran als alle anderen; und gleichzeitig immer so weit hinterher, dass es nie reichte, die Einkaufsbudgets der Kund:innen so nachhaltig für sich zu gewinnen, wie es notwendig gewesen wäre. (Anders als z.B. Stiftung Warentest.)
Papierkatalog mit Faxformular
Bereits 1997 wurden erstmals Besteller:innen in Berlin mit frischen Lebensmitteln beliefert, ein Jahr später auch in München – damals noch unter den Marken kaisers-bringts.de, tengelmann-bringts.de und kaisers.biz, die im Mai 2012 unter der neuen Dachmarke „(Die) Bringmeister“ zusammengefasst wurden. In den Filialen von Kaiser’s und Tengelmann lagen damals papierne Bestellkataloge an der Kasse, in denen sich das Wunder „Voller Kühlschrank auf Bestellung!“ manifestierte – mit sauber in Tabellen ausgedrucktem Warensortiment, üppigem Partyplattenservice („Kaiser’s PartyKing liefert alles garantiert so, wie Sie es hier abgebildet sehen“) und vorgedruckten Bestellformularen zum Sofortfaxen mit ankreuzbarer Lieferzeit und Bestellanweisung („Bitte geben Sie an, ob Sie das Fleisch am Stück oder in Scheiben wünschen“).
Das Marketing war auch nicht schlechter als das, was mancher Lieferdienst zwanzig Jahre später auf die Beine gestellt hat (siehe Supermarktblog); der Mindestbestellwert lag bei 15 Euro – und bezahlt wurde per EC-Karte oder, natürlich, in bar.
Trotz dieses Vorsprungs gilt Bringmeister vor allem als Beispiel dafür, wie schwer es ist, einen Markt zu erobern, wenn man dabei – aus unterschiedlichen Gründen – nie so richtig die Handbremse gelöst bekommt.
Lauter verpasste Innovationen
Im Gründerunternehmen Kaiser’s Tengelmann glaubte nicht mal der Chef an den Erfolg; Durchreichbesitzer Edeka verwaltete den Lieferdienst eher aus Pflichtgefühl, bis die Liebesheirat mit Picnic unter Dach und Fach war; und Letzteigentümer Rockaway Capital hatte – trotz getätigter Investitionen – weder eine durchschlagende Idee, um Bringmeister aus der Masse herausragen zu lassen, noch die Lust, notwendige finanzielle Mittel bereit zu stellen, um ernsthaft die überfällige Expansion anzugehen.
Dabei sah es zuletzt so aus, als würde sich doch noch was bewegen: Unter Rockaway, das Bringmeister im Mai 2021 mit einer schon seit Jahren modernisierungsbedürftigen Schrottflotte übernahm, wurde die einst aus Respekt vor Amazon Fresh eingeführte taggleiche Lieferung vorangetrieben und die Logistik an das expandierende Liefer-Start-up Dodo übertragen, an dem die Tschech:innen ebenfalls beteiligt sind. Die Fahrzeuge, mit denen Bringmeister durch die Stadt kurvte, waren seitdem wieder vorzeigbar, der Marken-Neuauftritt in leuchtendem Grün („Gute Sachen, frisch gebracht“) war konsequent und fiel ins Auge.
Aber um all die Kund:innen zurückzuholen, die Bringmeister in der Vergangenheit bereits so mittelgute Erfahrungen gemacht hatten, reichte das nicht. Und was genau man besser machen wollte als die Konkurrenz, konnte man auch nicht richtig erklären.
„Das komplette Supermarkt-Sortiment“ – aber von wem?
„Das volle Edeka-Sortiment“, für das anfangs auf den neu beklebten Wagen noch geworben wurde, ist zwar bis heute verfügbar – und, was die Edeka-Eigenmarken angeht, teilweise zu Supermarkt-Preisen, was nicht immer selbstverständlich war. Bei anderen Marken (z.B. Alnatura) verlangt Bringmeister aber weiterhin üppige Aufpreise, auch im Vergleich mit dem neuen Konkurrenten Picnic, der gerade in Berlin angekommen ist und ebenfalls mit großem Edeka-Sortiment an den Start geht – nur halt ohne zusätzliche Liefergebühren.
Ohnehin ist unklar, wie lange die Warenbelieferung durch Edeka noch weiterlaufen würde (siehe dazu auch Exchanges #331: Wo steht Food & Delivery 2023?). Auf neueren Bringmeister-Fahrzeugen stand jedenfalls schon allgemeiner: „Das komplette Supermarkt-Sortiment.“
Wie das ohne den bisherigen Partner ausgesehen hätte, der ein umfassendes Interesse daran haben dürfte, Picnic möglichst stark zu machen, ist offen.
Fakt ist: Rockaway hat die vergangenen zwei Jahre nicht dazu nutzen können, seine anfänglichen Versprechen einzulösen. Zumindest profitierte Bringmeister nicht sichtbar von dem Know-How, das die Tschech:innen durch ihre Beteiligung an der Mall Group, Betreiber des Liefersupermarkts Košík.cz, in die Waagschale hätten werfen können.
Analytisches Herumgeeiere
Ein Jahr nach der Übernahme ließ sich man massiv vom damals aufsteigenden Quick Commerce irritieren und verhedderte sich in einer sperrigen Marktanalyse („Bringmeister is getting faster, but not at all costs“), die nur kurz online stand, bevor man sich eines Besseren besann und das Herumgeeiere wieder vom Netz nahm.
So reiht man sich ein in eine Reihe verpasster Innovationen, die in all den Jahren an Bringmeister vorbeigerauscht sind: Kaiser’s Tengelmann hatte nie die Ressourcen, den Lieferdienst genau so in die Fläche zu bringen wie es Rivale Rewe mit seinem Lieferservice forcierte (wobei man das rückblickend in Köln vermutlich auch anders angegangen wäre); die Testlieferung in Düsseldorf wurde schnell wieder eingestellt. Unter Edeka verschlief Bringmeister die Gelegenheit, mit der Übernahme von Fenebergs Freshfoods einen Sofortlieferdienst für Lebensmittel zu testen, und so dem Aufstieg von Gorillas & Co. vorzugreifen.
Nun endet die Bringmeister-Ära (mutmaßlich) fast genau so, wie sie einst begann: mit einem vor allem auf Berlin und München beschränkten Liefergebiet (Potsdam, Augsburg und Ingolstadt als Satelliten mal ausgenommen) bzw. einem soliden Lieferservice, dem stets der allerletzte Schliff fehlte.
Berlin-Sprungbrett für Knuspr
Neueigentümer Knuspr profitiert, indem sich die eigenen Umsätze durch Bringmeister nahezu verdoppeln; in Berlin, wo Bringmeister die meisten Kundinnen versorgt, muss man derweil nicht bei Null starten und könnte die Stammkundschaft mit guten Argumenten zum Weiterbestellen via Knuspr halten.
Wobei: Schön wär’s ja schon gewesen, wenn es zum 25. (!) Bringmeister-Geburtstag im vergangenen Jahr aus Nostalgiegründen nochmal einen Papierkatalog mit einem Best-of früherer Liefer-Hits und verblichener Eigenmarken gegeben hätte. Auch wenn die Zeiten im Lebensmittel-Onlinehandel gerade ja nicht danach schreien, sie mit einer üppig belegten „Karibik-Platte ‚Tropical Dream‘“, „Britzer Gabelhappen“ oder der „Piccolo-Platte ‚Bornholm‘“ wie zu Kaiser’s Zeiten zu zelebrieren.
Nur zur Einordnung Edeka hat in Bringmeister einen relativ großen 2stelligen Millionenbetrag investiert. Wenn man dies als verwalten bezeichnet, dann möchte ich gar nicht wissen wieviele Millionen bei den ganzen Lieferdiensten mittlerweile investiert (verschwendet wurden, um vom Ende her zu denken).
@Klaus: In der Sichtbarmachung dieser Investitionssumme für ein stark verbessertes Kund:innenerlebnis scheint man aber ja leider nicht so gut gewesen zu sein. (Und zumindest in Berlin sind zum Schluss Wagen durch die Gegend gefahren, aus denen ich keine frischen Lebensmittel mehr hätte entgegen nehmen wollen. Naja, Prioritäten.)
Herr Schader, jetzt haben Sie mich aber sehr neugierig gemacht auf die „Piccolo-Platte ‚Bornholm‘“ oder die „Karibik-Platte ‚Tropical Dream‘“. Ob Sie uns davon vielleicht noch ein Bild kredenzen möchten?