holyEATS #1: Gastroketten in der Krise, Green Gurus liefert nicht mehr selbst, Deliveroo kommt ans Flughafen-Gate

holyEATS #1: Gastroketten in der Krise, Green Gurus liefert nicht mehr selbst, Deliveroo kommt ans Flughafen-Gate

Foto: Deliveroo
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Endlich Mitreisenden zusehen, wie sie vorm Boarding noch schnell einen Bestell-Burger inhalieren.

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Der tiefe Fall britischer Gastroketten – und was deutsche Nachzügler davon lernen können

Everybody wants to be the DJ / Everybody thinks it’s oh so easy“, mahnte die belgische Elekro-Alternativrockband Soulwax zur Jahrtausendwende in ihrer Single „Too many DJs“: „You think you belong and you come on strong / But I can still tell the right from the wrong“. 18 Jahre später hat der „Guardian“ den Indie-Hit neu aufgelegt – als „Too many same mid-market chains“, einem Abgesang auf die Mittelmäßigkeit britischer Gastroketten, die über Jahre permanent gewachsen sind, an jeder Ecke einen neuen Laden aufgemacht haben. Und jetzt halt wieder: zu.

Byron schwächelt, Strada hat ein Drittel aller Läden geschlossen, und anstatt wie angekündigt, abgesagt und wieder angekündigt nach Deutschland zu expandieren, steckt auch der Restaurant-Ableger des britischen Promikochs Jamie Oliver, Jamie’s Italian, in der Krise.

Das Problem ist unbestritten. Nur die Verhandlungen darüber, wer Schuld sein könnte, dauern an. Der „Guardian“ fasst die grundlegenden Probleme der Gastroketten so zusammen: 1.) Es gibt – im (noch) Vereinigten Königreich –inzwischen einfach zu viele, die sich alle um dieselbe Mainstream-Kundschaft reißen. 2.) Die Kosten für Zutaten, Personal, Mieten sind massiv gestiegen. 3.) Viele Briten essen seltener draußen als noch vor einigen Jahren.

Das alles wäre kein so großes Problem, meint Autor Tony Naylor, wenn viele Ketten nicht gleichzeitig so massiv gewachsen wären. Die rasche Expansion, befeuert von niedrigen Zinsen und Kapitalinvestoren, die die Gastronomie als lukrativen Markt für sich entdeckt haben, sorgte dafür, dass Standorte auch zu völlig überzogenen Preisen angemietet wurden, um etwa der Konkurrenz zuvor zu kommen. Den Vermietern war’s recht: Nachdem unter dem Druck des Online-Handels viele klassische Läden aufgaben, ließen sich frei werdende Flächen zu hohen Preisen an die nachdrängelnden Restaurantketten weitervermieten. Die versuchen nun, die abgeschwächte Marktentwicklung durch Kostenreduktionen aufzufangen – indem sie bei Zutaten oder Personal sparen. Und im Zweifel die Gäste vergraulen, die noch da sind.

Die Branche müsse langsam mal ein bisschen realistischer denken, zitiert der „Guardian“ den Betreiber einer britischen Cocktailbarkette: Statt 150 Läden reichten womöglich auch weniger als die Hälfte. Das ist noch eine relativ optimistische Sichtweise, um die „great UK casual-dining bubble“ zu überstehen. Die weniger optimistische geht so: Anders als die großen amerikanischen Franchise-Riesen sind viele der neuen Restaurantmarken Zeitgeist-gebunden, haben womöglich nach einigen Jahren ihr natürliches Mindesthaltbarkeit überschritten – und verschwinden notfalls wieder vom Markt.

Aus deutscher Perspektive wirkt das alles ziemlich weit weg. Jedenfalls: noch. Die zunehmende Entwicklung hin zu einer System-orientierten Gastronomie oberhalb des klassischen Fast-Food-Levels, die trotzdem mehrheitsfähig in der Masse ist, hat in Großbritannien und den USA schon vor längerer Zeit eingesetzt hat, ist hierzulande aber erst seit einigen Jahren im Gange. Aber unübersehbar: Das deutsche Better-Burger-Restaurantkonzept Hans im Glück meldete im Januar fürs Vorjahr ein stattliches Umsatzplus und liefert sich mit dem Widersacher Peter Pane einen Wettlauf um neue Standorte; und L’Osteria gehört in den Rankings des Branchenfachblatts „Food Service“ in regelmäßigen Abständen zu den Aufsteigern des Jahres – Europaexpansion inklusive.

Was nicht bedeutet, dass die, die heute stark wachsen, nicht Gefahr laufen, an denselben Herausforderungen zu scheitern, die in Großbritannien dazu geführt haben, dass ein Fünftel aller Restaurant-Neueröffnungen akut insolvenzgefährdet sind.

Anfang des Jahres bekräftigte die deutsche Pizza- und Pastakette Vapiano ihr Ziel der Überall-Expansion. Im vergangenen Jahr ist das Unternehmen an die Börse gegangen, um das dafür benötigte Geld einzusammeln. 2018 sollen „bis zu 38 neue Restaurants“ eröffnen. Aus 205 Restaurants in 33 Ländern sollen bis 2020 insgesamt 330 werden. Vorstandschef Jochen Halfmann macht ziemlich Tempo. Hauptsache, er macht nicht auch dieselben Fehler wie viele der britischen Gastro-Vorreiter, die jetzt in der Krise stecken.


Green Gurus überlässt die Lieferlogistik endgültig den Großen

Zum Start vor zwei Jahren gab’s frisch zubereitete Salate aus quer über die Stadt verteilten „Flying Fridges“. Als das nicht so richtig funktionierte, formwandelte sich das Berliner Food-Start-up Green Gurus zur Ghost-Restaurant-Kollektive und schickte seine Liefertrupps nur noch auf Bestellung raus, dafür auch mit Pizza-Pasta-Burger-Thai. Seit Mitte Februar steht nun fest, dass die (ziemlich schicken) grün-grauen E-Roller für immer in der Garage bleiben müssen. Und Green Gurus endgültig sämtliche Ambitionen beerdigt, eine eigene Lieferlogistik aufrecht zu erhalten. Stattdessen werden sämtliche Essen aus den Lieferküchen in Kreuzberg und Mitte nun mit den Partnern ausgeliefert, an denen auch die restliche Großstadtgastronomie seit längerer Zeit nicht mehr vorbeikommt: Deliveroo, Foodora, Pizza.de, Lieferando, Lieferheld.

Gegenüber Kunden erklärt das Start-up: „Mit einem lachendem und einem weinenden Auge haben wir uns dazu entschlossen, vorerst keinen eigenen Webshop mehr zu betreiben. Denn ein eigener Shop bedeutet auch eigene Lieferlogistik. Diese bindet aber Kapazitäten, die wir zukünftig lieber für die kulinarische Weiterentwicklung nutzen wollen.“ Was angesichts vielleicht keine ganz so schlechte Idee ist.

Trotzdem schade um die gritzegrüne Lieferflotte mit E-Antrieb. Schon deshalb, weil auch Liefer-Platzhirsche wie Deliveroo immer öfter klassisch motorisierte Verbrennungsmotoren-Gefährte losschicken, um Bestellessen zu den Kunden zu bringen. Mal sehen, welcher Hirsch zuerst die Liefer-Ökologie als Marktnische für sich (wieder-)entdeckt.


Lust auf eine Blitz-Pizza vorm Boarding? Deliveroo ist schon unterwegs

Wer jetzt noch keine hat, beeilt sich besser, noch eine abzukriegen: Allianzen zwischen (System-)Gastronomen und Lieferdienstlogistikern haben gerade bei zahlreichen Restaurantketten oberste Priorität. Weil keine den Anschluss an einen Markt verpassen möchte, von dem heute noch niemand so genau weiß, wie groß er künftig sein wird. (Bloß: dass er wächst und wächst und wächst.)

Nicht mal der Raststätten- und Flughafenessen-Anbieter HMSHost International. Gerade hat die Tochter der italienischen Autogrill bekannt gegeben, mit dem britischen Lieferessen-Start-up Deliveroo zu kooperieren. Und Sie fragen sich vielleicht: Wozu? Um den Leuten auch noch am Flughafen das warme Essen ans Gate hinterher zu rollern?

Ja, genau.

Passagiere am Amsterdamer Flughafen Schiphol können, während Sie am Flugsteig E warten, in der Deliveroo-App auf ihren Smartphones aus den nahe gelegenen Schnellrestaurants von HMSHost International (Kebaya, The Market, The Grill, The Oven) bestellen und kriegen die Mahlzeit von einem Roller-fahrenden Deliveroo-Kurier gebracht (peinliches Werbevideo ansehen). „Wir wollen mehr Gäste erreichen, die ihr Essen am Gate ohne Eile genießen wollen, bevor sie ins Flugzeug steigen“, lässt sich eine Sprecherin von HMSHost International zitieren. Was kann es schließlich Schöneres geben, als dem Mitreisenden im ohnehin schon viel zu kleinen Wartebereich dabei zuzusehen, wie er noch flott vor dem Boarding den kurz zuvor bestellten Burger inhaliert? Immer wenn man gerade glaubt, die Food-Lieferhysterie müsse eigentlich so langsam ihren Zenith erreicht haben, kommt die Erinnerung: nee, dauert noch.

Die Fluggesellschaften können sich jedenfalls schon mal überlegen, ob sie ihren Passagieren künftig gestatten wollen, die am Gate nur halb verspeiste Pizza mit in den Flieger zu nehmen – oder doch lieber das Risiko der Meuterei durch die Restkundschaft klein halten und schon mal einen Satz selbstklebender Fast-Food-Verbotschilder für die Fensterblenden bestellen.


Nachschlag

  • Burger per App: McDonald’s testet die Abschaffung der Kassenschlange (Supermarktblog)
  • Chicken chaos as KFC closes outlets (BBC)
  • KFC UK & Ireland erklärt seinen Hühnchen-Notstand (Twitter)
  • Starbucks Has Unveiled Its First Eataly-Style Megastore (GrubStreet)

Ach ja: Willkommen bei holyEATS! Ich hab mir fest vorgenommen, mich künftig sehr viel kürzer zu fassen. Mal sehen, ob das gelingt. Hier geht’s in jedem Fall zum kostenlosen Newsletter-Abo. Bis bald!

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