Flipdish verspricht Unabhängigkeit für Pick-up und Delivery
Der chinesischen Astrologie zufolge beginnt mit dem Neujahrsfest Ende Januar 2020 das Jahr der Metallratte. Vorher geht in der deutschen Gastronomie aber noch das Jahr des zunehmend unsichtbar werdenden Gasts zu Ende. Zahlreiche Restaurantbetreiber und -ketten erwirtschaften einen wachsenden Teil ihrer Umsätze mit Kund:innen, die sie kaum noch persönlich zu Gesicht kriegen. Weil das Essen, dass sie für sie zubereiten, hinterm Restauranttresen in einem orangefarbenen Warmhalterucksack verschwindet, um zu den Fernbewirteten nachhause gebracht zu werden. Das freut den Plattformbetreiber, der sich damit selbst so rosige Umsatzzeiten prognostiziert, dass er derzeit im Zwei-Wochenrhythmus euphorische Pressemitteilungen verschickt. Derweil fragen sich diejenigen, die eigentlich fürs Kochen zuständig sind, ratlos: Bleibt das jetzt so?
Nicht unbedingt, glaubt Mazen Tadli: „Viele Gastronomen sehen, dass sie einen hohen Anteil an Stammkund:innen, die regelmäßig bestellen, immer wieder aufs Neue über eine Drittanbieterplattform schicken und dafür hohe Kommissionen zahlen“. Ohne den Gast nachher fragen zu können, wie’s geschmeckt hat. Oder ob er vielleicht bald mal wieder kommen möchte.
Tadli, der bis Ende 2017 das Kooperationsgeschäft von Foodora verantwortet hat, will das ändern: Als Country Manager Germany kümmert er sich seit diesem Sommer um die Deutschland-Expansion des 2015 in Dublin gegründeten (und noch immer dort beheimateten) Start-ups Flipdish. Die Iren haben ein Online-System entwickelt, dass es jeder Gastronomin und jedem Gastronom erlaubt, Bestellungen für Delivery und Pick-up über ihre bzw. seine eigene Seite anzunehmen. Ohne dass Gäste vorher durch endlose Restaurantlisten scrollen müssen. Und ohne dass sich ein Vermiittler mit seiner eigenen Marke dazwischen schiebt. „Unser Ziel ist es, Gastronomen wieder die volle Kontrolle über ihr Restaurant zurückzugeben, indem wir ihnen dabei helfen, ihr Online- und Delivery-Geschäft und sich selbst zu managen“, sagt Tadli. Obwohl das „Give back control“-Motto der Iren etwas unglücklich an das „Take back control“-Mantra der Brexit-Befürworter in Großbritannien erinnert, trifft es den Kern des Problems, das viele Restaurantbetreiber mit ihrem Online-Geschäft haben: Dass große Teile davon an einen Plattformbetreiber ausgelagert sind, der auch noch die dafür zu zahlenden Konditionen diktieren kann, weil sämtliche Konkurrenten entweder aufgekauft oder vertrieben wurden.
„Die Monopolisierung im deutschen Lieferplattformen-Markt spielt uns sicher in die Hände“, sagt Tadli. Vielen Gastronomen werde ihre Abhängigkeit von dem einzigen verbliebenen Anbieter zunehmend bewusst. Flipdish verspricht seinen Kund:innen ein eigenes Bestellsystem, eine individualisierte Bestell-App und Zugriff auf sämtliche Daten, die sich hinsichtlich Bestellgebieten, -werten und -zeiten auswerten lassen, um das eigene Marketing darauf abzustimmen. Dazu lassen sich Rabattangebote versenden, um Gäste nach einer gewissen Zeit wieder zum Bestellen zu animieren. Stammkund:innen können mit Gratisessen belohnt werden. Dafür müssen sich Besteller:innen einmalig mit ihrer Handynummer verifizieren (mit der dann wiederbestellt werden kann).
Design-technisch ist zwar noch reichlich Luft nach oben; auch die deutschen Übersetzungen für die Kommunikation mit den Kund:innen dürfen ruhig noch mal überarbeitet werden; und am Ende müsste man sich auch mal entscheiden: entweder Duzen oder Siezen. Aber an sich funktioniert das System schon ganz gut. Seine Dienste lässt sich freilich auch Flipdish mit einer Kommission pro Bestellung bezahlen. Die fällt zwar niedriger aus als bei den üblichen Plattformvermittlern (und setzt sich aus Bestellgebühr plus Gebühr für die Kartenzahlung zusammen); die Lieferung zum Kunden allerdings müssen Gastronomen selbst organisieren und als zusätzliche Kosten in ihre Rechnung einkalkulieren. Man wolle dem Partner vermitteln, „dass wir genauso daran interessiert sind, seine Online-Umsätze zu steigern, wie er selbst“, erklärt Tadli die Entscheidung. „Mit einem Flat-Fee-Modell wäre das nicht möglich.“ Gleichzeitig verspricht Flipdish, nicht selbst zur Plattform werden zu wollen, sondern dauerhaft als White-Label-Lösung zu funktionieren. Tadli: „Wir rücken nicht unsere Marke, sondern die unserer Partner in den Vordergrund.“
Mit diesem Ansatz ist Flipdish, das vom früheren Poker-Website-Gründer und heutigen CEO Conor McCarthy gestartet wurde, zwar längst nicht mehr alleine: Konkurrenten wie Simply Delivery und OrderYOYO versuchen sich mit ähnlichen Modellen zu etablieren. Aus Gastronomensicht dürfte genau das aber ein großer Vorteil sein – weil es zunehmend mehr Chancen gibt, sich online zumindest ein Stück weit unabhängiger aufzustellen.
„Online eine Restaurantmarke aufzubauen, die funktioniert, und damit eine relevante Reichweite zu erzielen, ist möglich, ohne dass man sich dafür alleine an einen großen Anbieter binden muss“, glaubt Tadli. Und verfolgt ehrgeizige Pläne mit Flipdish in Deutschland: „Unser Ziel für die ersten sechs Monate ist es, deutschlandweit 100 Restaurants mit dem Flipdish-System live zu haben. In Berlin sind derzeit 25 Restaurants aktiv.“ Europaweit sind derzeit über 1.500 Restaurants angeschlossen.
Außerdem will Flipdish auch Schnellrestaurantketten als Kunden gewinnen – so wie Subway in Großbritannien. Dass von vornherein auch eine Abhollösung in das System eingebaut ist, dürfte angesichts des rasant wichtiger werdenden Geschäfts (siehe holyEATS #44) ein Pluspunkt sein. Tadli sagt: „In Großbritannien und den USA war Take-away schon immer stark verbreitet. Wir sehen aber, dass die Zahl der Pick-up Order derzeit auch in Deutschland extrem zunimmt, und sie bei den deutschen Flipdish-Bestellungen bereits rund 30 Prozent ausmachen.“ Seinen Partnern installiert das Start-up inzwischen auf Wunsch auch SB-Terminals (Foto), um die Bestellung im Restaurant zu beschleunigen – getestet wird u.a. bei Freshii in Irland. Tadli verspricht: „2020 wollen wir die Terminals auch unseren Partnern in Deutschland anbieten.“
Zusätzlich zu den bereits genannten Ländern ist das Start-up in Spanien, Frankreich und den Niederlanden aktiv; in New York City wollen die Iren ebenfalls wachsen. Im vergangenen Jahr wurden 4,8 Millionen Euro vom Rocket-Internet-Investor Global Founders Capital eingeworben; erstes Geld gab’s vorher schon von Elkstone.
Glovo und Stuart: Vorbild für deutschen Allround-Logistiker?
Ob sich Online-Bestellsysteme wie Flipdish großflächig durchsetzen, wird aber zweifellos zu einem großen Teil davon abhängen, inwiefern es den Restaurantpartnern gelingt, eigene Lösungen für die Auslieferung der bestellten Essen zu stemmen. (Insbesondere, weil der Verzicht auf diesen Aufwand viele ja ursprünglich in die Arme von Lieferlogistikern wie Deliveroo und Foodora getrieben hat.) In England und Spanien integriert Flipdish dafür die Leistungen des Kurierdiensts Stuart in sein System; Frankreich soll bald dazu kommen. Stuart gehört seit 2017 zu Geopost, einer Tochter der französischen La Poste, ist Partner des Handelskonzerns Carrefour für die Schnelllieferung von Lebensmitteln und bringt in London Bestellungen von Ocado Zoom (siehe holyEATS #28).
Konkurrenz kommt vom spanischen Start-up Glovo, das wie Stuart 2015 gegründet wurde, in 124 Städten bislang vornehmlich Lieferessen ausfährt – und sich ebenfalls zum Liefer-Allrounder für die letzte Meile wandeln will. In Europa konzentriert sich Glovo dabei vor allem auf den Süden und den Osten. In Barcelona testet das Start-up „SuperGlovo“ getaufte Minilager in der Stadt, aus denen z.B. Lebensmittel in 20 Minuten zu Besteller:innen geliefert werden sollen. Und in Polen haben die Spanier kürzlich die führende Bestellplattform Pizzaportal.pl übernommen – vom Quickservice-Franchise-Spezialisten AmRest, der sich im Jahr zuvor bereits mit 10 Prozent an Glovo beteiligt hatte. (Und dem außerdem 51 Prozent von Delivery Hero Poland gehören.) Gerade hat Glovo angekündigt, in Warschau einen neuen Tech-Hub für Osteuropa zu etablieren. Das ist, sagen wir mal: eine ingesamt beobachtenswerte Konstellation.
Natürlich ist Ihnen aufgefallen: Da fehlt doch was! War ja klar: Deutschland.
Ein Kurierdienst, der für Restaurants, Supermärkte und Apotheken schnelle Lieferungen in der Innenstadt übernähme, fehlt hierzulande komplett. Food Express, einst von Delivery Hero als Investor gestützt und wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, ist von der Lieferando-Mutter Takeaway.com übernommen und in deren eigene Kurierlogistik Scoober übergegangen, mit der nun freundliche junge Herren, die nach Mindestlohn bezahlt werden und es mit dem Ausliefern oft nicht besonders eilig haben, auf orangefarbenen E-Bikes durch die Gegend juckeln. Und die hiesigen Paketlogistiker haben sich ebenfalls erfolgreich gegen zuviel Marktinnovation stemmen können:
- Die Deutsche Post hat sich mit ihrer Konzentration auf sich selbst und die Überforderung von DHL im Paketgeschäft vollständig aus der Entwicklung alternativer Lieferstrukturen für Metropolen zurückgezogen.
- Liefery, das zu Hermes gehört, macht in der Same-Day-Delivery zwar einen grundsoliden Job, bräuchte aber dringend mehr Geld, um in eine flexiblere Flotte zu investieren, die auch für die Gastronomie und den Lebensmittelhandel aktiv werden könnte. Dafür müsste bei der Hermes-Mutter Otto, deren Prioritäten derzeit woanders zu liegen scheinen, aber erst jemand aufwachen.
- Und dann ist da noch Tiramizoo von DPD, ebenfalls Tochter der französischen Geopost – die aber, wie es scheint, auch lieber in anderen Märkten investiert.
Sieht sonst noch wer die offensichtlichste aller Lücken in einem der größten Märkte Europas (in dem zahlreiche Kund:innen zugegebenermaßen eingeschränkt zahlungsfreudig für Lieferdienstleistungen sind)? Dann muss das an mir liegen.
Nachschlag
Die erst im Juni nach mehrmonatiger Verspätung in Berlin eröffneten DB-Bahnsteigwürfel des neuen To-Go-Konzepts „ServiceStore DB Selection“ (siehe holyEATS #37) haben schon wieder geschlossen – „vorübergehend“, wegen eines Brands im S-Bahnhof, informiert der Betreiber per Hinweisschild auf geschlossenem Rollladen. „Kann zu bleiben“, hat jemand handschriftlich drunter notiert. Läuft spitze bei der Deutschen Bahn!
Raten Sie mal, wer neuerdings „ein verlässlicher Partner im deutschen Mehrweggeschäft“ sein möchte! Kommen Sie nicht drauf? Klar, das Versprechen stammt ja auch vom neuen Deutschland-CEO der schottischen Bier-Punker von Brewdog, Marcus Thieme. Seitdem die dem Wettbewerber Stone Brewing die Großbrauerei mit angeschlossenem Biergarten in Berlin-Mariendorf abgenommen haben, kommen ganz neue Töne von den einstigen Craft-Revoluzzern. Neue Biere auch: Wie die „Lebensmittel Zeitung“ (Abo) berichtet, werden in Berlin künftig nur zwei Brewdog-Klassiker gebraut. Und zusätzlich noch zwei speziell für den deutschen Markt: ein Dortmunder Export (mit dem peinlichen Namen „Kiez Keule“) und ein Zwickel Helles. Die werden vom Getränkeproduzenten Dirk Lütvogt in klassische Mehrwegflaschen abgefüllt und an den Handel geliefert. Laut LZ befinde man sich derzeit mit Rewe in „Gesprächen über eine intensive Distributionspartnerschaft“. Thieme will nämlich „raus aus der Craft-Bier-Nische“. Das kommt bestimmt ganz hervorragend an bei den „Equity Punks“ an, die Brewdog ihr Geld gegeben haben, damit genau das nicht passiert. Aber, hey, was macht man nicht alles, um endlich im Massenmarkt anzukommen, gegen den man viele Jahre lautstark angestänkert hat? Immerhin konzentrieret sich Brewdog in der Heimat voll und ganz aufs Kerngeschäft – und hat am Gründungsort in Aberdeen gerade seine ersten „Kennels“ eröffnet: Gasträume direkt über der Schankstelle – wenn’s mal wieder etwas später geworden ist und der Heimweg schwerfällt. Am nächsten Morgen lockt dann ein Punk IPA aus dem neben dem Bett platzierten Ale-Kühlschrank. „Spend a night above a Brewdog Bar“, lautet die offizielle Werbung. Vom Punk zum Superspießer in wenigen Wochen – krasse Leistung.
Falls Sie’s verpasst haben: Vapiano hat die Liefergebühren bei seinem Lieferservice gestrichen. Liefergebühren gestrichen! Und erinnert Newsletter-Abonent:innen gerade im Wochentakt daran, auf dass sie sich dazu durchringen und endlich eine Portion Schnellnudeln heimordern.
Deliveroo kann in Großbritannien jetzt auch Pick-up: heißt in der App bloß „click & collection“, weiß TechCrunch.
Selbstbewusstsein schlägt schlechtes Gewissen: Nach der Heimatpleite macht Jamie Oliver „Jamies Italian“ in Asien zu „Jamie Oliver Kitchen“ und plant mit dem (angeblich) neuen Konzept auch schon, weitere Restaurants zu eröffnen, schreibt der „Guardian“. Was soll da schon schiefgehen?
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