Multimarkenstrategie mit Fresh, Go, Whole Foods: So will Amazon zum Schwergewicht im Lebensmittelhandel werden

Multimarkenstrategie mit Fresh, Go, Whole Foods: So will Amazon zum Schwergewicht im Lebensmittelhandel werden

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Die Erweiterung von Amazon Fresh vom Lieferdienst zur stationären Ladenkette im US-Markt steht nach Medienberichten kurz bevor. Der Konzern baut sich eine Supermarkt-Familie mit mehreren Marken auf.

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Auch Supermarktketten sind zusammen weniger allein. Rewe hat Penny und Nahkauf, bei Edeka gehören Netto (ohne Hund), Budni und Naturkind zur erweiterten Familie – und jetzt macht halt auch Amazon das, was im stationären Lebensmitteleinzelhandel schon seit jeher gut funktioniert. Bloß halt zuerst in den USA.

Nach dem Erwerb von Whole Foods Market, das mehrheitlich Bio-Produkte verkauft, und der schrittweisen Expansion von Amazon Go (Grocery) in Großstädten (siehe Supermarktblog) folgt – vermutlich in den kommenden Wochen – der nächste Schritt: Die Erweiterung von Amazon Fresh vom Lieferdienst zur stationären Supermarktkette.

Seit längerem ist bekannt (und bestätigt), dass Amazon in mehreren amerikanischen Städten leerstehende Ladenflächen anmietet, um eine neue Supermarktkette zu starten. Nur den Namen mochte man bislang nicht kommunizieren. Fresh wäre schon deshalb eine naheliegende Wahl, weil die Marke etabliert ist und seit vergangenem Jahr neben Whole Foods eine der beiden Säulen im Geschäft für Liefer-Lebensmittel ist. Hier im Blog wurde ein solcher Schritt deshalb bereits Ende des vergangenen Jahres anlässlich der Neuordnung des Lebensmittelgeschäfts in den USA vermutet.

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Inzwischen verdichten sich die Anzeichen dafür: Anfang Juni 2020 hat das Unternehmen Amazon Fresh als Trademark für „retail grocery stores“ und „computerized online retail store services in the field of grocery“ angemeldet, wie Matt Newberg entdeckt hat.

In seinem Hngry-Blog sammelt Newberg noch weitere Indizien dafür, dass das Fresh-Logo bald auch an Ladenfassaden sichtbar wird und bekräftigt die bereits vor einigen Wochen geäußerte Vermutung, dass Fresh-Läden gleichzeitig als klassische Supermärkte und Kommissionierstationen für schnelle Lebensmittel-Lieferungen funktionieren sollen (siehe Supermarktblog).

Vorgesehen sei, Online-Bestellungen in einem an den Laden angedockten Mini-Fulfillment-Center größtenteils automatisch von Shuttle-Robotern zusammenstellen zu lassen; größere Gegenstände und frische Convenience-Artikel würden vom Personal händisch dazu kommissioniert. Damit sei es möglich, Einkäufe bereits nach 30 Minuten abholbereit zur Verfügung zu stellen oder sie Kund:innen innerhalb einer Stunde nachhause zu liefern.

Amazon-Fresh-Läden wären eine ideale Ergänzung der Strategie des Konzerns, der sich zunehmend als Versorger auch für Artikel des täglichen Bedarfs zu positionieren versucht – und sich dabei nicht mehr nur länger auf das Liefergeschäft verlässt. (Auch wenn das weiter eine gewichtige Rolle spielt und ein großer Teil künftiger Fresh-Bestellungen vermutlich über Läger und stadtnahe Depots abgewickelt werden soll.)

Im Unterschied zu klassischen Handelsketten setzt Amazon bei seiner Multimarkenstrategie aber bei neu eröffneten Läden von Anfang an auf eine starke technologische Komponente. Ein Überblick:


Der Supermarkt: Amazon Fresh

Mit Standorten in Südkalifornien, New Jersey, Illinois und Pennsylvania würde sich Amazon Fresh als Ladenkette in erster Linie an Kund:innen richten, die in Vorstädten wohnen und bislang bei Walmart, Costco, Target oder einem der zahlreichen Regionalanbieter kaufen. Um sie dort wegzulocken, benötigt Amazon ein umfassendes Angebot an klassischen Marken, die in (fast) jedem Haushalt konsumiert werden. Mit Whole Foods, das vorrangig auf Regionales und Bio-Produkte setzt, ließe sich das kaum glaubwürdig umsetzen. (Zumal das Image des teuren Alternativ-Supermarkts trotz Preisreduktionen nicht gänzlich abgestreift werden konnte.)

Die Fresh-Läden sollen Newberg zufolge ähnlich groß sein wie Whole-Foods-Filialen – zwischen 3.000 und 5.000 Quadratmetern – und über „Fresh Kitchen“ verfügen: Theken, an denen Mahlzeiten zum Mitnehmen zubereitet werden.

Bereits angekündigt hat Amazon, dass in der neuen Kette die Dash Carts zum Einsatz kommen. Diese erkennen Produkte automatisch, wenn Kund:innen sie in den Wagen legen. So lässt sich am Ausgang ohne Anstehen an der Kasse bezahlen. Die Dash Carts sind quasi eine abgespeckte Version der Amazon-Go-Technolgie, die in (kleineren) Läden erkennt, welche Produkte aus dem Regal genommen werden und ebenfalls kassenloses Einkaufen ermöglichen. Dafür ist allerdings ein enormer technischer Aufwand nötig (siehe Supermarktblog).

Nicht zuletzt könnte die Sprachsteuerung über Alexa zum zentralen Element beim stationären Amazon-Lebensmitteleinkauf werden, wie aus Stellenangeboten für das „Grocery Shopping Team“ innerhalb Amazons Alexa-Unit hervorgeht.


Der Convenience Store: Amazon Go

Gleichzeitig treibt der Konzern die Weiterentwicklung seines Go-Konzepts voran. Einerseits wurden vor Corona im Monatsrhythmus weiter Filialen in Stadtzentren eröffnet, die sich vor allem an Pendler:innen und Büro-Angestellte richteten, um in der Mittagspause oder nach der Arbeit ein paar schnelle Besorgungen zu machen (siehe Supermarktblog).

Ob diese Standorte erhalten bleiben, wenn durch die Auswirkungen von COVID-19 immer mehr Menschen von zuhause arbeiten statt im Büro, wird sich zeigen.

Seit längerem wird darüber geredet, dass Amazon Go auch in Großbritannien startet. Zuletzt spekulierte die „Sunday Times“ (Abo) über eine zeitnahe Eröffnung von zehn Filialen im Londoner Stadtgebiet (plus weiteren 20 an Verkehrsknotenpunkten; Zusammenfassung hier).


Der Nachbarschaftsmarkt: Amazon Go Grocery

Andererseits ist Amazon gerade dabei, das Format auf etwas größeren Flächen als Nachbarschaftsmarkt unter dem Namen Go Gocery zu etablieren. Premiere war im Frühjahr im Wohnviertel Capitol Hill in Seattle (ausführlicher Bericht bei Geekwire); ein weiterer Laden in Redmond ist als „Coming Soon“ gekennzeichnet. Die Go-Grocery-Märkte verfügen mit etwa 5.000 unterschiedlichen Produkten über ein größeres Sortiment als die Convenience-Store-Variante und positionieren sich somit eher als – immer noch übersichtliche – Nachbarschaftsmärkte. (Seattle kommt auf 750 Quadratmeter Verkaufsfläche.)

Die „Just Walk out“-Technologie erkennt auch, wenn Kund:innen beim Einkauf loses Obst und Gemüse in ihre Taschen packen. Bedientheken gibt es keine, frisches Fleisch wird fertig verpackt einsortiert. Als Liefer-Depot sollen die Läden wohl nicht dienen. (Zu wenig Platz.)

Geekwire zitiert Dilip Kumar, Vice President of Physical Retail & Technology bei Amazon, mit den Worten:

„What Amazon Go did for central business districts – like locating it very close to where people work so you can get breakfast, lunch, snacks – Amazon Go Grocery does the same thing, but closer to home. It’s a new format, it’s not just a bigger Amazon Go. It’s a much more expanded selection that caters to what people are looking for shopping for groceries.”

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Der Biomarkt: Whole Foods Market

Mit Whole Foods Market geht Amazon den umgekehrten Weg und muss in eine stark auf den stationären Handel konzentrierte Supermarktkette ein Angebot zur Schnelllieferung von Lebensmitteln in der Großstadt integrieren. (Wie das vonstatten geht, stand bereits hier im Blog.)

Der Vorteil dabei: Whole Foods Market verfügt bereits über eine große Zahl sehr zentral gelegener Standorte. Und der Nachteil: Weil dort Raum für die Kommissionierung von Lebensmittel geschaffen werden muss, werden u.a. Flächen aufgegeben, die bislang als Treffpunkt für Kund:innen und Café funktionierten (siehe Supermarktblog). Das nimmt den Läden einen Teil ihres Charmes, der sie von Wettbewerbern abhebt (siehe Supermarktblog).

Eigentlich fügt sich Whole Foods hervorragend in Amazons Supermarkt-Familie ein: als Anbieter für Kund:innen in Großstädten, die vor allem Wert auf regionale Produkte und Bio-Ware legen.

Doch der Umbau scheint mühsam zu sein. Zuletzt musste die Kette stagnierende bzw. sogar sinkende Umsätze in Kauf nehmen. Um der durch COVID-19 stark gestiegenen Nachfrage nach Liefer-Lebensmitteln gerecht zu werden, schloss Amazon Filialen in einigen Städten vorübergehend komplett für den stationären Einkauf und wickelte dort ausschließlich Bestellungen ab.

Inzwischen hat sich die Lage wieder etwas normalisiert. Whole Foods eröffnet auch wieder neue, moderne Filialen, u.a. am Rande des neuen New Yorker Stadtviertels Hudson Yards. (Bei Supermarket News und 6sqft.com gibt’s  sehenswerte Ladenrundgänge per Bildergalerie.)

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Allen Anstrengungen zum Trotz, sich ein eigenes Supermarktimperium aufzubauen, sieht sich Amazon aber zunehmender Konkurrenz durch den klassischen Lebensmitteleinzelhandel ausgesetzt: Marktführer Walmart hat angekündigt, ein Prime-ähnliches Mitgliederprogramm mit Liefervorteilen aufzusetzen, das Walmart+ heißen soll. (Aber sich weiter verzögert.)

Wettbewerber Target hat den Lieferlogistiker Shipt inzwischen voll in sein Angebot integriert und verspricht ebenfalls Lebensmittel-Blitzlieferungen.

Und Instacart scheint sich prächtig davon erholt zu haben, bei Whole Foods zu Gunsten von Prime aussortiert worden zu sein, wächst rasant und wird zunehmend zum Liefer-Dienstleister für unabhängige US-Lebensmittelhändler.

Update, 12. August: CNBC meldet, dass Walmart für Lieferungen am selben Tag ab sofort auch mit Instacart zusammenarbeitet. Los geht es in Kalifornien (Los Angeles, San Francisco, San Diego) und Oklahoma.

In Europa scheint sich Amazon – mit Ausnahme eines möglichen Go-Starts in London – zunächst auf die Neupositionierung seines Liefergeschäfts für (frische) Lebensmittel zu konzentrieren.

Derweil kommt hierzulande auch Amazons Prime Now (wieder) zum Einsatz: Ab sofort werden Prime-Mitglieder im Raum Darmstadt und im Süden Frankfurts mit frischen Lebensmitteln beliefert, die vom Partner Tegut in einer Filiale kommissioniert werden. Alle Informationen dazu stehen hier im Blog.

Weitere aktuelle Texte über Amazon.

Titelfoto  + Logos [M]: Amazon/Whole Foods Market/Smb, Fotos: Supermarktblog"

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