Rewe kooperiert mit Flink: Das Zeitalter der Allianzen im Online-Lebensmittelhandel hat begonnen

Rewe kooperiert mit Flink: Das Zeitalter der Allianzen im Online-Lebensmittelhandel hat begonnen

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Selbst große Handelsketten müssen einsehen, dass sie den (lange aktiv verhinderten) Online-Markt für Lebensmittel nicht alleine stemmen können. Kund:innen gewöhnen sich daran, über viele Kanäle einzukaufen. Um sich darauf einzustellen, wird es eine Vielzahl von Partnerschaften brauchen.

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Der Edeka-Vorstandsvorsitzende Markus Mosa hat kürzlich, um die enge Kooperation seines Unternehmens mit dem niederländischen Liefer-Start-up Picnic zu untermauern, den Satz gesagt: „Picnic wird der Online-Arm von Edeka werden.“ Dazu könnte man Mosa beglückwünschen – aber nur, wenn Edeka im Lebensmitteleinzelhandel der Zukunft ein Arm reicht.

Dass dem nicht so ist, weiß man inzwischen sogar in der Weltzentrale der Stationär-Traditionalist:innen in Hamburg-Winterhude.

Mit Partnerschaften in besonders umkämpften Märkten verhält es sich schließlich ganz ähnlich wie mit Gliedmaßen: Man kann eigentlich nie genug davon haben, um sich in brenzligen Situationen festzuhalten. (Fragen Sie mal: Spinnen.)

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In der vergangenen Woche hat dem auch der Hauptkonkurrent in Köln-Ehrenfeld beigepflichtet: Am Freitag gab die Rewe Group bekannt, sich bei dem erst Ende 2020 gestarteten Lebensmittel-Sofortliefderdienst Flink „engagieren“ zu wollen und dort „unter anderem exklusiv die Warenversorgung zu übernehmen“. Wie weit dieses Engagement genau reicht, mochte man in Köln bislang nicht kommunizierenn – lediglich, dass eine Minderheitsbeteiligung erworben wurde. Man habe in jedem Fall erkannt, „dass sich das Liefergeschäft mit Lebensmitteln in Deutschland aktuell sehr stark ausdifferenziert“ – und will nicht den Anschluss verpassen.

Es muss eine hochgradig ungewohnte Situation für die großen deutschen Handelsketten sein, zu beobachten, wie sich ein Markt weiterentwickelt, von dem sie lange geglaubt haben, er sei weitgehend unter (ihrer) Kontrolle.

Und wie plötzlich zahlreiche Anbieter auftauchen, die Kund:innen eine Versorgung mit frischen Lebensmitteln versprechen, ohne dafür klassische Supermärkte aufsuchen zu müssen – so wie es die marktbeherrschenden Unternehmen lange Zeit erzwungen haben.

Online ist wie Venedig: voller Kanäle

Der Schnelllieferdienst Gorillas hat im vergangenen Jahr den Anfang gemacht, Flink ist auf den Zug aufgesprungen, und Getir sucht Personal für den angekündigten Deutschland-Start in zehn Städten.

„Schneller bei dir als die Schärfe kickt“: Flink-Werbung in Berlin; Foto: Supermarktblog

Dem lässt sich, obwohl die großen Ketten das lange am besten konnten, nicht mehr länger nur zuschauen. Die Erkenntnis, die sich in den Zentralen durchzusetzen beginnt, lautet: Anders als der klassische Lebensmitteleinzelhandel funktioniert dessen Online-Pendant nicht mehr über einen Kanal, der sich vollständig unter Kontrolle halten lässt – wie der Laden, der morgens auf- und abends wieder abgesperrt werden kann; sondern über mehrere, ganz unterschiedliche Wege. Anders gesagt: Der Online-Lebensmittelhandel ist wie klein Venedig – voller Kanäle.

Die Kleineren wissen das schon länger, weil sie von den Großen dorthin getrieben wurden. Schon vor Jahren schien es als würde Amazon diese Veränderung forcieren – bevor man dann eine Partnerschaft nach der nächsten wieder in den Sand setzte. Das Grundprinzip gilt aber nach wie vor: Bündnisse zwischen Unternehmen, die Handels- und Warenkompetenz auf der einen und Online-bzw. Logistikkompetenz auf der anderen Seite einbringen, können für beide von Vorteil sein.

Tegut gewinnt als übrig gebliebener Partner über Amazon neue Kund:innen; und Alnatura setzt – ähnlich wie im Offline-Handel – auf eine Vielzahl von Kooperationen mit Online-Supermärkten, denen man das eigene Markensortiment zur Verfügung stellt (siehe Supermarktblog).

Langsames Herantasten

Für die Traditionalistischen Vier – Aldi, Edeka, Rewe und Schwarz – bestand dazu lange Zeit keine Notwendigkeit. Das hat sich geändert. Edeka hat (indirekt) grünes Licht dafür gegeben, dass Picnic mit seinem Milchmann-Prinzip theoretisch auch über die bisher strikt eingehaltenen Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinaus expandieren könnte. Gleichzeitig verkaufte man den zuvor selbst in die Unbenutzbarkeit hinein verwalteten Lieferdienst Bringmeister an den tschechischen Investor Rockaway Capital, der nun bereit ist, den lange überfälligen Ausbau zu finanzieren. Gleichzeitig bleibt Edeka für die Warenversorgung an Bord, profitiert also auch dann, wenn der Plan des neuen Eigentümers aufgeht.

Sogar die selbstständigen Kaufleute scheinen akzeptiert zu haben, dass Partnerschaften unabdingbar sind, um online mitzuhalten – so wie in Hamburg und Berlin, wo einzelne Edeka-Händler:innen mit dem Liefer-Start-up Bringoo zusammenarbeiten, das per App bestellte Einkäufe in deren Märkten zusammenstellt und den Kund:innen nachhause bringt (ähnlich wie Instacart in den USA).

Derweil verfügt Rewe in etwa 70 deutschen Städten über einen eigenen, inzwischen recht verlässlich funktionierenden Lieferservice samt Flotte. Die Kooperation mit Flink soll den Kölner:innen nun dabei helfen, auch im stark wachsenden Markt der Sofortlieferdienste den Fuß in der Tür zu haben. Außerdem lässt man das aus Leipzig stammende Start-up Schnelle Sachen per App bestellte Produkte in den eigenen Märkten kommissionieren.

Wenn man sich die Entwicklung im europäischen Ausland ansieht, ist anzunehmen, dass die Zahl der Partnerschaften damit noch nicht ausgereizt sein wird.

Wenn die Bon-Summen sinken

Sobald nämlich die zahlreichen Lieferdienste, deren Fahrer:innen bislang vornehmlich zur Zustellung von Restaurantessen in deutschen Städten unterwegs sind, in die Lieferung von Lebensmitteln drängen (siehe Supermarktblog): Wolt, Uber Eats, Lieferando und Foodpanda haben (fast) alle das erklärte Ziel, ihren Kund:innen künftig auch Güter des täglichen Bedarfs nachhause zu bringen. Natürlich gehören Produkte aus dem Supermarkt da ganz unbedingt dazu.

Das wird die klassischen Supermärkte sicher nicht über Nacht zu Fall bringen. Es wird aber dazu führen, dass Leute weniger oft in Läden gehen und bzw. oder dort weniger einkaufen – weil sie sich einen Teil ja schon nachhause haben liefern lassen. Und zwar im ungünstigsten Fall: von der Konkurrenz, die auf all den Kanälen präsent ist, die sich Kund:innen dafür aussuchen können.

In Großbritannien fährt Waitrose mehrgleisig für die Zustellung von Lebensmitteln; Foto: Supermarktblog

Waitrose in Großbritannien macht gerade vor, was das bedeutet. Eigentlich war die Supermarktkette, was Allianzen im Lebensmittel-Onlinehandel angeht, Vorreiter. Im vergangenen Jahr endete die langjährige Partnerschaft mit dem Lieferdienst Ocado allerdings, nachdem dieser ein Joint-Venture mit dem Waitrose-Rivalen Marks & Spencer eingegangen war. Im Anschluss hat Waitrose seinen eigenen Lieferservice samt Flotte aufgebaut: Ab 40 Pfund Warenwert werden Einkäufe nun an sieben Tagen in der Woche nachhause geliefert. „The only place you’ll find Waitrose brands is … well, at Waitrose“, steht oben auf der Seite. Und das ist: Quatsch.

Denn wer keine Lust auf Lieferzeitfensteraussuchen hat, kann zumindest Teile des Waitrose-Sortiments auch über Deliveroo bestellen.

Traut euch, Discounter!

Einen entsprechenden Test in 40 Läden hat die Supermarktkette kürzlich auf 150 Standorte erweitert. Zur Auswahl stehen zwischen 750 und 1.000 Artikel, die über die Deliveroo-App geordert und sofort in den Läden gepackt werden – sofern man in der Nähe eines teilnehmenden Markts wohnt. Waitrose zufolge wurden dafür 400 neue Jobs geschaffen. Die Lieferung übernimmt dann der Partner. Der „Guardian“ hat sich sagen lassen, dass die Allianz mit Deliveroo zudem geholfen habe, zusätzliche und vor allem: jüngere Kund:innen für den Einkauf bei Waitrose zu gewinnen.

Es ist durchaus plausibel, dass die Sofortlieferdienste eine jüngere Zielgruppe ansprechen als die klassischen, die zwar ein sehr viel umfassenderes Sortiment bieten, aber auch weniger flexibel sind. Oder dass Kund:innen sich zunehmend daran gewöhnen, beide Formen für ihre Einkäufe zu nutzen.

Deshalb werden sich auf lange Sicht auch die deutschen Discounter dieser Entwicklung nicht verschließen können, sofern sie sich nicht noch weiter von der Supermarkt-Konkurrenz abhängen lassen wollen – die in der Corona-Krise ohnehin schon stärker vom Zuspruch der Kund:innen profitiert hat.

Die Berührungsangst müsste sich eigentlich in Grenzen halten, denn derartige Partnerschaften sind im Ausland längst erprobt. In den USA, Italien und Polen lässt Lidl Einkaufshelfer:innen von Shipt, Boxed und Everli in seine Läden, um Online-Bestellungen zusammenzusuchen. Aldi hat sich in Großbritannien ebenfalls mit Deliveroo angefreundet – und für Irland kürzlich auch die App-Verkaufshits kommuniziert: Milch, Saft, Bananen, Hähnchen, Toilettenpapier, Dosentomaten, Blaubeeren, Avocado, Burgerbrötchen. Und das spanische Liefer-Start-up Glovo hat in Rumänien bereits seit längerer Zeit in Kaufland und Penny treue Verbündete gefunden.

Kaufland und Penny in einer App

Wer die Glovo-App in Bukarest öffnet, wird vom Startbildschirm ins separate Supermarkt-Untermenü geleitet und kann dort aus ladenspezifischen Sortimenten wählen, günstige Eigenmarken inklusive. (Auchan und Ikeas Lebensmittel-Sortiment sind ebenfalls mit an Bord.)

Für die Discounter hat dieses Modell den Vorteil, sich eine teure eigene Logistik für die Zustellung (zumindest vorerst) sparen zu können – und sich weiter auf die eigenen Märkte zu konzentrieren. Und zwar, ohne weiter zusehen zu müssen, wie insbesondere jüngere Zielgruppen und Familien sich in Richtung Online zu den Wettbewerbern verabschieden.

Auch für Edeka und Rewe wäre eine Kooperation mit den Delivery-Spezialisten aber eine gute Gelegenheit, relevant zu bleiben – zumindest, falls die Entwicklung nur annähernd so verläuft wie im Ausland. Dort ist es für zahlreiche Handelsketten genauso selbstverständlich, nebeneinander auf derselben Plattform aufzutauchen wie mit ihren Märkten in derselben Straße. Vorausgesetzt natürlich, die Supermärkte und Discounter sehen ein, dass sich die im stationären Handel von ihnen aufgebaute Dominanz online so kaum mehr replizieren lassen wird; und es deshalb ratsam wäre, das eigene Sortiment künftig für alle Nutzungssituationen verfügbar zu machen. Selbst wenn man dabei riskiert, ein Stück weit den direkten Kontakt zu Kund:innen zu verlieren.

Die Markenhersteller, die selbst über keine eigenen Offline-Verkaufsstätten verfügen, wissen ziemlich genau, wie sich das anfühlt. Online führt auch für die großen Händler kein Weg mehr daran vorbei: Das Zeitalter der Allianzen im Lebensmitteleinzelhandel hat begonnen.

Mehr Einschätzungen zur Entwicklung des Markts für gelieferte Lebensmittel (und zum „betreuten E-Commerce“!) gibt’s in der aktuellen „Exchanges“-Episode von Jochen Krisch und Marcel Weiß.

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