Zwei Wochen ist’s her, dass TechCrunch die neueste Verpartnerung in Sachen Food Delivery meldete: eine Kooperation zwischen dem Lieferplattform-Anbieter UberEats und dem Quick-Commerce-Spezialisten Getir in Europa. Nutzer:innen der UberEats-App sollen über diese künftig auch Lebensmittel via Getir bestellen können. Eine Uber-Managerin bestätigte den Deal, der in Großbritannien bereits umgesetzt worden ist. Weitere Länder, auch Deutschland, sollen – nach Supermarktblog-Informationen im Laufe der kommenden Wochen – folgen.
Nebenan bei Exciting Commerce hat Jochen Krisch deshalb prognostiziert: „Was Wolt für Flink, wird Uber Eats für Getir (und Gorillas)“. Ich bin da – vor allem, was die deutsche Perspektive angeht, ein kleines bisschen skeptischer. Denn die Partnerschaft impliziert vor allem drei Dinge.
Erstens: Getir steht nach der Übernahme und Integration von Gorillas und dem Rückzug aus zahlreichen europäischen Märkten (siehe Supermarktblog) so stark unter Druck, dass man wirklich jeden einzelnen Kanal braucht, um auf Dauer überhaupt geschäftsfähig zu bleiben.
Bestehende Gorillas-Kund:innen hat man zuletzt mit fast schon verzweifelt klingendem Flehen („Bist du noch da?“) und Sonderrabatten zu reaktiveren versucht, nachdem sich das Sortiment und die Warenverfügbarkeit zuvor drastisch verschlechtert hatten.
UberEats fehlen bisher relevante Handelspartner
Vor dem Gorillas-Lager um die Ecke von meinem Büro, bei dem die Fahrer:innen einst Schlange standen, um Einkäufe abzuholen, herrscht auch zu klassischen Hochfrequenzzeiten inzwischen ziemlich tote Hose. Wenn sich via UberEats zusätzliche Kund:innen einsammeln ließen, die sich sonst nicht die Getir- oder Gorillas-App runterladen würden, wäre das also ein Gewinn.
Zweitens: Lieferando, auf dessen Plattform Getir ja bereits seit längerem als Anbieter verfügbar ist, dürfte für den Neukund:innengewinn nicht allzu viel gerissen haben. (Das passt ins Bild, dass Lieferando sich schwer damit tut, sein über Jahre aufgebautes striktes Restaurantliefer-Image aufzubrechen.)
Drittens: UberEats fehlen – zumindest in Deutschland – derzeit schlicht und einfach relevante Partner aus dem etablierten Lebensmitteleinzelhandel, um Nutzer:innen wie anderswo ein breitestmögliches Angebot zur Versorgung mit Artikeln für den täglichen Bedarf zu bieten. Bislang liefert man z.B. in Berlin außer aus Restaurants vor allem Artikel aus Spätkaufs, Asia-Shops und Weinläden.
Nicht Teil der Uber-One-Flatrate
In Großbritannien macht UberEats derweil vor, wie das Business aussehen könnte, wenn denn mehr Partner mitspielen würden. Wer die App z.B. mit Londoner Adresse startet, bekommt direkt auf dem Startscreen – je nach ausgewähltem Lieferstandort – und noch über den Angeboten aus der Gastronomie eine große Auswahl an Handelspartnern angezeigt, die Lebensmittel in der jeweils nächstgelegenen Filiale kommissionieren: vom Convenience Stores (Londis) bis zum klassischen Super- bzw. Drogeriemarkt (Waitrose, Iceland, Sainsbury’s, Co-Op, Boots).
Dazwischen reihen sich drei Quick-Commerce-Dienste ein: Zapp 24/7, goPuff – und neuerdings eben Getir.
Dass Getir in diesem Modell größere Erfolge erzielt, lässt sich durchaus anzweifeln. Denn die Bestellung via UberEats hat für Kund:innen gleich mehrere Nachteile. Die hängen vor allem damit zusammen, dass UberEats bei der Getir-Partnerschaft derzeit ausschließlich als Vermittler auftritt: Einkäufe werden von den Getir-eigenen Fahrer:innen zugestellt. (So ist es derzeit zumindest bei dem von mir getesteten Standort in der App vermerkt: „Die Mitarbeiter des Geschäfts liefern diene Bestellung aus.“)
Aus diesem Grund sind Getir-Bestellungen auch nicht Teil der Flatrate Uber One, bei der Abonnent:innen gegen eine pauschale Monatsgebühr kostenlose Lieferungen erhalten, wenn diese durch Uber erfolgen.
Und noch eine Zusatzgebühr
Gleichzeitig ist Getir, z.B. was die Eigenmarken großer Handelsketten angeht, mit denen man auch direkt kooperiert, im Zweifel teurer: In meinem Test-Warenkorb an Artikeln von The Co-Op wurden via Getir fast alle Artikel mit einem Aufschlag von 10 bis 30 Pence gegenüber der UberEats-Direktlieferung aus einer nahegelegenen Co-Op-Filiale verkauft. (Bei dieser erhalten Uber—One-Abonnent:innen zudem zusätzlich pauschal 5 Prozent Preisnachlass.)
Für Getir-Bestellungen via UberEats wird zusätzlich zur Liefergebühr außerdem eine „Marketplace“-Gebühr fällig („eine Gebühr von Uber für Verbindungsdienste“).
Oder, weniger kompliziert zusammengefasst: Die gleichen Produkte sind, wenn sie auf UberEats via Getir bestellt werden, wahrscheinlich deutlich teurer als direkt über einen in derselben App-Reihe angezeigten Supermarktpartner.
Die Add-on-Bestellung als Superpower
Ein weiterer Nachteil: Durch die Direktlieferung werden sich Getir-Bestellungen sehr wahrscheinlich nicht mit solchen aus klassischen Restaurants kombinieren lassen – und genau darin besteht derzeit die eigentliche Superkraft von UberEats, und zwar auch schon in Deutschland. Regulär funktioniert das so: Wenn UberEats-Nutzer:innen ein Abendessen aus dem Restaurant ihres Vertrauens ordern und die Bestellung abgeschlossen haben, blendet ihnen UberEats in der App für kurze Zeit das Angebot ein:
„Füge in den nächsten X Minuten Artikel von einem anderen Geschäft hinzu.“
Darunter steht eine Auswahl an Handelspartnern, die in der Nähe des gewählten Restaurants liegen und von UberEats-Fahrer:innen auf dem Weg auf Wunsch mit angesteuert werden, um Desserts, Alkohol, Convenience-Produkte und Getränke einzusammeln.
Wer also noch ein Eis als Nachtisch, eine Flasche Wein zur Pizza oder Knabberzeug für den Netflix-Abend braucht, kann das via UberEats in einem Rutsch mitordern – und zahlt für seine „Add-on-Bestellung“ bloß die ursprünglich berechnete Liefergebühr. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass mögliche Zwischenstopps bei anderen Nutzer:innen, die sich UberEats vorbehält, um sie mit derselben Fahrt zuzustellen, entfallen.
(Meines Wissen bieten das hierzulande weder Lieferando noch Wolt bislang in dieser Form an.)
Ebenfalls in Großbritannien lässt Deliveroo seine Nutzer:innen deren Restaurantbestellungen mit Einkäufen aus nahe gelegenen Hop-Darkstores (siehe Supermarktblog) kombinieren; gegenüber dem „Grocer“ (Abo-Text) verriet Suzy McClintock, Grocery and Retail VP bei Deliveroo, kürzlich auch, warum Lebensmittel einkaufende Kund:innen für den Anbieter so interessant sind:
„Customers acquired through grocery generate 40% more orders in the year after acquisition than customers acquired through restaurants. Customers who use both grocery and restaurant have higher retention than those who use restaurant only. And grocery orders are incremental to restaurant orders.“
Kurz: Mit Lebensmittel-Besteller:innen lässt sich mehr verdienen als mit Kund:innen, die ausschließlich ab und an mal Restaurantessen bestellen.
Schwer auszuschöpfendes Potenzial
Selbst wenn Getir demnächst im deutschen UberEats mit seinen Standorten auftaucht, bräuchte es allerdings eine gesonderte Vereinbarung, um zum Restaurantessen als „Add-on“ auch noch Bananen, Milch, Chips und Bier von Getir dazu zu ordern, weil die Darkstores dann auch für UberEats-Fahrer:innen zugänglich gemacht werden müssten. Dass das zum Auftakt geplant ist, dürfte eher unwahrscheinlich sein.
Wie groß das Potenzial der Partnerschaft zwischen UberEats und Getir tatsächlich ist, lässt sich derzeit deshalb eher schwer einschätzen. (Wobei natürlich auch nicht bekannt ist, welchen Anteil seiner Bestellungen z.B. Flink via Wolt generiert.)
Die viel interessantere Überlegung ist, welche Dynamik das Geschäft in Deutschland bekommen könnte, wenn es einem Plattformanbieter wie UberEats ähnlich dem britischen Modell gelänge, gleichzeitig Edeka, Rewe, dm, Kaufland, Penny & Co. auf seine Plattform zu holen, um Schnelleinkäufe aus nahegelegenen Filialen zuzulassen. Davon allerdings sind alle hierzulande operierenden Anbieter derzeit meilenweit entfernt.
Amazon wurschtelt – mit Teilerfolgen
Wenn wir aber gerade schon bei Aggregatoren für die schnelle Lebensmittel-Lieferung sind: Was macht eigentlich – Amazon?
Kurze Antwort: sich weiter durchwurschteln.
Lange Antwort: In Großbritannien hat der Konzern, der sich mit seinem Wandel zum Lebensmitteleinzelhändler weiter eher schwer tut (siehe Supermarktblog), durchaus Erfolge vorzuweisen in seinem Bestreben, etablierte Supermarktketten auf seine Plattform zu holen, um Kund:innen dort den Online-Lebensmitteleinkauf zu ermöglichen und ihn via Prime-Logistik zuzustellen.
Wer bei Amazon UK seine Lebensmittel-Lieferoptionen checkt, bekommt nicht nur Amazon Fresh angezeigt, sondern – je nach Standort – auch die Handelsketten Morrisons, The Co-Op – und neuerdings Iceland, das seit kurzem mit eigener „Storefront“ auf amazon.co.uk vertreten ist.
Bekannt gegeben wurde die Partnerschaft im September; geliefert wird derzeit nur im Raum Manchester. In den kommenden Monaten soll das Angebot aber auf weitere britische Städte ausgeweitet werden.
Die Zahl der Partner wächst
Wie der „Telegraph“ (Abo-Text) gerade meldete, befindet sich zudem Waitrose in Gesprächen mit Amazon, um sich den Mitbewerbern anzuschließen. Die Unternehmen haben sich dazu bislang nicht äußern wollen; ein Deal ergäbe aber Sinn: Amazon käme seinem Ziel näher, möglichst viele relevante Handelspartner aus dem Lebensmittelsegment auf seine Plattform zu holen.
Und Waitrose könnte auf diese Weise versuchen, Marktanteile zurückzugewinnen, nachdem viele Kund:innen angesichts teurer werdender Lebensmittel zuletzt zur Discount-Konkurrenz gewechselt waren.
Außerdem hat der selbst aufgesetzte Waitrose-Lieferservice offensichtlich nicht an die aufgelöste Partnerschaft mit Ocado anknüpfen können, wo man den Wettbewerber Marks & Spencer als Exklusivpartner ins Boot geholt hatte. (Um sich zunehmend auf die Distribution seiner Liefer-Technologie zu konzentrieren.)
Während in Deutschland Tegut weiterhin der einzige Amazon-Lebensmittelpartner mit eigener „Storefront“ ist (und das auch nur regional begrenzt), funktioniert Amazon UK also schon deutlich besser als Aggregator für die Angebote stationärer Supermarktketten.
Fresh auch für Nicht-Prime-Mitglieder
Gleichzeitig versucht Amazon, sein eigenes Lebensmittel-Lieferangebot Fresh in den USA neu zu justieren – und beweist dabei weiterhin wenig Fingerspitzengefühl.
Zu Beginn des Jahres hatte der Konzern den Wert, ab dem Prime-Mitglieder Einkäufe bei Amazon Fresh kostenlos zugestellt bekommen, von 35 auf 150 US-Dollar massiv angehoben; nun ist man ein Stück weit eingeknickt: Kostenlos-Lieferungen von Fresh gibt’s für Prime-Mitglieder künftig ab 100 Dollar. (In Deutschland liegt der Wert aktuell bei 80 Euro für ein Zwei-Stunden-Lieferzeitfenster.)
Darüber hinaus testet Amazon in ausgewählten amerikanischen Städten, Fresh auch Nicht-Prime-Mitgliedern zugänglich zu machen: Seit August kommen Kund:innen in San Francisco, Boston, Nashville, Tennessee und Austin (Texas) in diesen – nun ja: „Genuss“, der allerdings mit teilweise hohen Liefergebühren verbunden ist. Wer für unter 50 Dollar bestellt und kein Prime-Abo hat, zahlt bei Fresh 13,95 Dollar Gebühr; bis 100 Dollar werden noch 10,95 Dollar fällig; und selbst bei Einkäufen darüber berechnet Amazon noch 7,95 Dollar für die Zustellung.
Als Modell für europäische Märkte dürfte das eher schwierig umzusetzen sein. Erst im Frühjahr hatte Amazon in Deutschland eine kurz zuvor eingeführte Zusatzgebühr bei Fresh kommentarlos wieder abgeschafft (siehe Supermarktblog).
Liebes getir Team, ihr seid anfangs wirklich super gestartet. Ich mochte euer umfangreiches Sortiment, Obst und Gemüse immer frisch, ihr habt euch Mühe gegeben mit tagesfrischen Backwaren (ohne Zeit für Brot Abzocke), Convenience uvm. Es gab direkte Ansprechpartner (Live-Chats in Echtzeit, Kundenbefragungen mit Dankesprämien uvm.). Unter den Bedingungen konnte ich super auf eure Rabattaktionen verzichten und habe euch gezielt ausgesucht aus 6-7 Alternativen (und hätte das auch mit 20-30% Preiserhöhung weiterhin getan). Wirklich vergrault haben mich eure Rationalisierungsversuche zulasten des Sortiments und der Produktqualität (insbesondere mit Beginn der Integration von Gorillas und Aufgabe der größeren, besseren Logistik-Hubs). Wie wollt ihr Leute zum Wiederbestellen animieren (insbesondere mit Kaufkraft), wenn ihr 2 Wochen abgelaufenes Gammelgemüse, 1/4 Mini Sortiment ohne Convenience und miesen Kundenservice aus der Türkei anbietet? Noch dazu alle Alleinstellungsmerkmale im Produktsortiment wegzurationalisieren? (solche Artikel sind extrem wichtig, um Kaufanreize zu setzen) Das Vertrauen ist einfach komplett zerstört, da helfen auch keine 25% Rabattaktionen mehr. Ihr habt es wirklich komplett verbockt.