Der Edeka-Discounter Netto (ohne Hund) hat seine Ambitionen, kassenloses Einkaufen mit App zu etablieren, endgültig aufgegeben – und niemandem Bescheid gesagt. (Nichtmal der eigenen App.) Aber wer die erste, im Dezember 2021 in München Schwabing eröffnete Pick-&-Go-Filiale der Handelskette besucht, wird dort Zeug:in eines stillen Abschieds.
Kurzer Rückblick: Nicht ganz anderthalb Jahre ist es her, dass Netto (ohne Hund) sein Pick-&-Go-Prinzip in einer zweiten Testfiliale in Regensburg grundlegend umfunktionierte. Auch in dem neu eröffneten Markt erkennen zwar Sensoren und Kameras, was die Kund:innen aus den Regalen nehmen. Anders als bis dahin getestet, ist dafür aber keine App und kein Check-in am Ladeneingang mehr notwendig.
Stattdessen gehen Kund:innen (falls Sie wollen) am Ende ihres Einkaufs an ein sogenanntes „Fast-Exit-Terminal“, das ihnen die von der Technologie erkannten Artikel auf einem Display auflistet. Anschließend kann bargeldlos bezahlt werden.
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Das war einerseits eine Verbesserung, da Produkte nicht mehr im Nachhinein abgerechnet werden mussten, sondern sofort auf Richtigkeit überprüfbar waren. Andererseits aber auch ein klarer Rückschritt vom ursprünglichen Versprechen – denn trotz aller Kameratechnik und Warenerkennung stehen Kund:innen letztlich doch wieder an einer Kasse, wenn auch an einer, die ihnen das Scannen abnimmt (siehe Supermarktblog).
Umgebaute „Innovationsfiliale“
Die Anpassung darf aber auch als Realitätsabgleich gelesen werden: All zu viele Netto-(ohne Hund)-Stammkund:innen waren vermutlich nicht bereit, sich für den Einkauf im Discounter altersverifizieren zu lassen, um dann am Ein- und Ausgang eine App zu scannen.
Damals war schon zu ahnen, dass das „komplett autonome Einkaufen ohne Kasse“ sich zumindest für Netto (ohne Hund) eher nicht rentiert, wenn aus dem versprochenen Pick & Go nun „Pick, Pay & Go“ würde. Das bestätigte sich, als die Handelskette im Laufe des vergangenen Jahres auch den ersten Pick-&-Go-Testmarkt in München umbaute. Im Fenster steht dort zwar immer noch:
„Einfach einfacher einkaufen. Ohne Kasse. Ohne Anstellen.“
Aber das ist – wie gesagt – nur noch so halb richtig.


Die App-Bedienungsanleitung im Schaufenster wurde durch einen allgemeinen Hinweis ersetzt, der Kund:innen „Willkommen in der Netto Innovationsfiliale“ heißt:
„Mithilfe modernster Sensorik und künstlicher Intelligenz sind wir in der Lage, Artikelbewegungen zu erfassen, Regalbestände sekundengenau zu erkennen und die Warenströme dieser Filiale permanent zu analysieren. So können wir unsere Bestellprozesse optimieren, um stets genug Ware für dich vorrätig zu haben und unseren Service für dich verbessern.“
Bohrlöcher statt Zugangsschranken
Die Zugangsschranken am Ein- und Ausgang, an denen in der ersten Testphase die App gescannt werden musste, sind abgebaut. Auf dem Boden neben der einzigen regulären Bedienkasse sind noch die notdürftig zugespachtelten Bohrlöcher der früheren Auslassanlage zu erkennen.


Im Eingangsbereich weist vor dem Pfandautomaten nun ein sehr dezenter Aussteller auf die Änderung hin:
„PICK & GO ist immer noch verfügbar – jetzt noch besser! Einchecken fällt weg, du checkst nur noch am Ende aus.“



Konkret bedeutet das: Wer möchte, stellt sich am Ende seines Einkaufs nicht an die reguläre Kasse, sondern geht ganz nach vorn an das (einzige) dort neu installierte Fast-Exit-Terminal.

Das fordert per „Los geht’s“-Feld zum Check-out auf und verlangt von den Bedienenden, dass sich alle am Einkauf beteiligten Personen in das davor mit gelben Klebestreifen markierte Feld positionieren („Bitte stellen Sie sich innerhalb der Kreismarkierung auf den Boden, damit wir alle Käufer sehen können“). Anschließend werden die vom System erkannten Artikel aufgelistet, ohne dass einer davon gescannt werden muss. Dann noch bezahlen, ausgedruckten Kassenbon mitnehmen – und den Laden durch das Fast-Exit-Terminal-Gate verlassen.
Da stimmt doch was nicht
Jedenfalls: theoretisch. Praktisch funktioniert die Technologie aber (auch Jahre nach ihrer Implementierung und trotz zahlreicher Verbesserungen) nur eingeschränkt.
Ich hatte bei meinem Testkauf überschaubare fünf Artikel im Einkaufskorb liegen:
- Zucchini und Kornstange aus dem Brötchenknast wurden korrekt erkannt.
- Die Apfelschorle wurde für eine Fanta gehalten.
- Die von mir aus dem Regal genommene und falsch wieder zurückgelegte Markenschokolade wurde für eine Eigenmarkenvariante gehalten.
- Die von mir aus dem Regal genommenen Gurken (konventionell und Bio), von denen ich eine wieder zurückgelegt habe, erschienen gar nicht auf der Abrechnung.
Eine zu Hilfe gerufene Mitarbeiterin war von der Falschabrechnung sichtlich überfordert und hatte erkennbar wenig Übung im Umgang des Systems (das ich während meines Besuch als einziger Kunde nutzen wollte).



Auf dem Display gibt es aber die Möglichkeit, Mengen zu korrigieren, aufgelistete Artikel zu löschen (-1 drücken, bestätigen) und direkt am Terminal das korrekte Produkt nachträglich zu scannen.
Halbherzig wirkende Implementierung
Immerhin: Die von meiner Begleitung aus dem Regal genommenen Artikel wurden korrekt meinem Einkauf zugeordnet; Kinder im Kinderwagen allerdings sind für die Technologie, auch wenn sie innerhalb der Markierung platziert sind, unsichtbar („Gruppenmitglieder entdeckt: 2“ – statt drei). Nach dem Bezahlen öffnet sich das Gate und lässt die erste Person mit Kinderwagen aus – um dann vor der letzten direkt wieder zu schließen.
Macht nichts, die Kassenzone nebenan war ohnehin sperrangelweit offen. Das führt das ganze Prozedere aber nur noch mehr ad absurdum.


All das scheint für Netto (ohne Hund) nur so mittelrelevant zu sein – passt aber zur insgesamt eher halbherzig wirkenden Umrüstung:
- Auf dem wirklich sehr dezenten Hinweisschild am Eingang ist unter der Ankündigung des neuen Ablaufs ein QR-Code abgebildet, der noch auf eine Website führt, die teilweise weiter das alte Prozedere mit App erklärt („Checke beim Betreten der Filiale einfach in der Netto-App ein …“).
- Die Netto-(ohne Hund)-App blendet nach Auswahl der Schwabinger Filiale weiterhin die – nicht mehr benötigte – Pick-&-Go-Check-in-Schaltfläche ein, erklärt den Einkaufs-Ablauf mit App und fordert Nutzer:innen zur Altersverifikation beim Personal auf, das darauf angesprochen bloß kopfschüttelnd abwinkt.
Die Kameras sehen alle(s)
Und dass nun jede:r, der bzw. die den Laden betritt, der Analyse der Kameras und Sensoren unterliegt, um potenziell am Fast-Exit-Terminal auschecken zu können, war – zumindest bei meinem Besuch – nirgends klar zu erkennen; ein Hinweis auf die relevanten Datenschutzbestimmungen, wie sie etwa Rewe in die Eingänge seiner Pick-&-Go-Filialen klebt, fehlte. Es gab nur den allgemeinen Hinweis, dass man „datenschutzkonform nach DSGVO“ handele und „keine Gesichtserkennung“ einsetze.


All das macht nicht unbedingt den Eindruck, als sei man seitens Netto (ohne Hund) geneigt, den Test weiter zu perfektionieren, um daraus relevante Schlussfolgerungen abzuleiten. Der Laden hat halt noch Kameras an der Decke hängen, und zur Vereinfachung hat man ihn aufs Regensburger Modell umgestellt – aber Priorität genießt die Kooperation mit dem Technologie-Partner Trigo an dieser Stelle wohl keine mehr.
Netto (ohne Hund) ist damit nicht allein: Auch Aldi Nord hat in den Niederlanden bereits Konsequenzen gezogen und sein ebenfalls auf Trigo-Systemen basierendes Format Shop & Go eingestellt. Die teure Technik soll dort nun teilweise in einer regulären Bestandsfiliale weiterverwertet werden (siehe Supermarktblog).
Ruckelig und fehleranfällig
All das ist naheliegend und bedauerlich zugleich. Vor allem aber stellt sich in zunehmendem Maße die Frage, ob es sich für Supermärkte und Discounter wirklich lohnt, Läden mit hochkomplexer Technologie aufzurüsten, bloß um Kund:innen am Ende an eine einfacher gewollte Variante der SB-Kasse zu schicken, die in ihren Abläufen auch nicht weniger fehleranfällig ist.
Pick & Go mag nach wie vor seine Berechtigung im Lebensmitteleinzelhandel haben – mir fallen zahlreiche Einsatzgebiete ein, in denen die Technologie ein Gewinn sein könnte. Zumindest wenn es den Entwickler:innen gelänge, sie wirklich kund:innenfreundlich zu gestalten und endgültig zu perfektionieren.
Aber auch nach zahlreichen Testmärkten und trotz bereits ausgerufener „store automation 2.0 revolution“ scheint die Branche an diesem Punkt immer noch nicht angekommen zu sein.
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„Halbherzig“ ist doch für Netto schon ein riesiger Fortschritt bezogen auf die bisherige Ignoranz in allen Bereichen. Über den Satz: „Mach es richtig oder mach es noch einmal!“ hat sich Netto ja bis heute noch keine Gedanken gemacht – wie man sieht. Auch beim Thema SCO, was immernoch ohne Warenwaagen und Auslassschranken auskommen muss und das bei katastrophalen Inventurergebnissen.
Was mich persönlich immer noch am meisten ärgert ist, dass auf der einen Seite so viel Geld bereit steht um in solche Technik zu investieren, sie es auf der anderen Seite aber bis heute nicht schaffen die Filialen mit ausreichend ESL (elek. Preisschilder) zu bestücken, so dass in vielen Filialen immernoch keine korrekte oder ausreichende Preisauszeichnung erfolgen kann. Von den ganzen anderen fehlenden Materialien und Reparaturen ganz zu schweigen – und natürlich das Dauerthema Personal und Stunden. Die Arbeit wird immer mehr und teils umständlicher als sie sein müsste, im Gegenzug werden jedoch Stunden weggenommen.
Und die Herren in Ponholz klopfen sich noch gegenseitig für ihre Blödheit auf die Schulter…
Ich bin erstaunt, wenn schon die selbstscankassen (frage mich ja eh wieviele Systeme es da gibt, gefühlt hat ja jeder Supermarkt, als Markt, nicht Unternehmen sein eigenes) nur so semi funktionieren, dass ein volautomatisiertes System versagt.
Aber ja, schade, aber unverständlich, ohne Expertise behaupte ich mal das muss doch möglich sein, Waren zu erkennen und korrekt zu bepreisen.
die Netto App hat seit Juni 2025 einen neuen Namen und klingt wie bei Lidl auf PLUS