Sainsbury’s erfindet in Nine Elms den Abholsupermarkt mit Kantinenterrasse

Sainsbury’s erfindet in Nine Elms den Abholsupermarkt mit Kantinenterrasse

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Zwischen riesigen Baukränen und Wohnkomplexen mit Luxusapartments demonstriert Sainsbury’s in London, wie Supermärkte aussehen, wenn sie sich zu Abholzentren entwickeln. Ein Bistro mit ungewöhnlicher Aussicht gibt’s obendrauf.

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Wenn’s um Modernisierungen geht, mahlen die Mühlen klassischer Supermärkte manchmal ganz schön langsam. Im früheren Londoner Industriebezirk Nine Elms mahlen die Mühlen gar nicht mehr. Das lässt sich aber schwerlichst der britischen Handelskette Sainsbury’s anlasten, die im „low swampy district“ (wie sich „Nyne Elms“ 1643 bezeichnen lassen musste) erst 1980 eröffnete. Lange nachdem die einst dort stehenden Windmühlen Geschichte waren.

Seitdem hat sich südlich der Themse einiges getan.

Die nahe gelegene Battersea Power Station wird aktuell zum Edelwohnblock umgebaut; Vauxhall Motors, das an Ort und Stelle sein erstes „Pferdeloses Fortbewegungsmittel“ produzierte, ist schon vor vielen Jahren weggezogen; und statt Windmühlenflügeln drehen sich in Nine Elms nun die Baukräne für eines der imposantesten innerstädtischen Umbauprojekte Londons.

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Nur Sainsbury’s ist geblieben. Und hat in seinem 2016 unter Luxusapartments neu eröffneten Markt freundlicherweise eine riesige Illustration der wichtigsten Stadtteilereignisse aufgehängt, um Zugezogene sanft an dessen Historie heranzuführen.

Wie praktisch, dass die sich in aller Ruhe betrachten lässt, während man von der Parkgeschossebene auf Endlosrollsteigen eine Etage höher in den 5.600 Quadratmeter großen Verkaufsraum gezuckelt wird.

Dort demonstriert Sainsbury’s dann gleichzeitig, warum britische Supermärkte ihren europäischen Wettbewerbern weiterhin einen Schritt voraus sind und gleichzeitig hinterherhinken.

1. Überall Abhol-Allianzen

„We’re small but we can squeeze you in“,

bereitet Mini-Habitat die vorbeibummelnde Kundschaft auf die zu erwartende Kuscheligkeit vor, die sie beim Kissenanfassen und Sofaprobesitzen auf der kleinen Fläche des Einrichtungsspezialisten erwartet. (Übersetzt in etwa: Is’ klein, aber komm’Se rein.)

Habitat ist einer von sechs Partnern, denen Sainsbury’s ein Plätzchen freigeräumt hat, um sich im Supermarkt zu präsentieren. Während die Kaffeekette Starbucks sich aufs Garagenlevel hat verbannen lassen (siehe Supermarktblog), durften sich die übrigen – u.a. Lloyds Pharmacy – über die gesamte Ladenfläche verteilen.

Das erinnert stark an das Prinzip, auf das Rewe bei der Neugestaltung seiner deutschen Center-Flächen schon länger setzt. Die Idee ist: Warum alles selber machen, wenn man dafür auch Allianzen mit bekannten Marken schmieden kann?

Allerdings hat Sainsbury’s dieses Prinzip noch deutlich weiter getrieben – und sich einen Teil der Marken zuvor selbst einverleibt. Das britische Habitat gehört seit zwei Jahren zur Supermarktkette, im vergangenen Jahr übernahm Sainsbury’s auch den Elektronikhändler Argos und kündigte an, Mini-Shops in seinen Märkten zu eröffnen.

Nine Elms ist dafür der (zweite) Prototyp: Am gegenüberliegenden Ladenende führt ein schmaler Touchscreen-Flur an den regulären Supermarktkassen vorbei direkt ins Argos-Reich, das – im Gegensatz zu deutschen Elektronikspezialisten – vollständig darauf verzichtet, Waren auszustellen.

Die Kunden müssen schon wissen, was sie haben wollen. Oder können danach im Katalog suchen (laminiert oder elektronisch – je nachdem, welches Jahrhundert man bevorzugt). 12.000 Artikel sind direkt vorrätig und an den dahinter liegenden Tresen abholbar – sofern die Mitarbeiter in den Amazon-Lager-haften Regalreihen fündig werden. Der Rest kommt auf Bestellung.

Das klappt auch anderswo im Laden: Mini-Habitat hat 700 Anfassartikel parat, aber 4.000 zur Auswahl, die online oder im Laden bestellt und beim nächsten Einkauf mitgenommen werden können.

Wer keine Lust hat, im Laden durch die riesige Abteilung der Sainsbury’s-Mode-Eigenmarke Tu zu stöbern, der sammelt seine im Netz ausgesuchten Klamotten einfach am Click-&-Collect-Punkt neben dem Eingang ein.

Und die Ebay-Bestellung? Kommt zu Argos an den „Collection Point“.

Die komplette Nine-Elms-Filiale ist eine einzige Wette auf die wachsende Abholleidenschaft der Briten, die nicht daheim darauf warten wollen, dass der Postmann Zeit zu klingeln hat – eine Bequemlichkeit, die sich hierzulande bislang noch nicht so richtig durchsetzen will.

(Was auch daran liegen könnte, dass viele Händler es ihren Kunden alles andere als einfach damit machen: Galeria Kaufhof lässt Bestellungen in der Flagship-Filiale am Berliner Alexanderplatz auch unter dem neuen Eigentümer HBC im 5. Stock abholen – eine ganz tolle Idee.)

Sainsbury’s Abholangebote haben den Vorteil, dass Supermärkte in der SB-Warenhaus-Gewichtsklasse weiterhin mit Sortimentsvielfalt werben könnten – ohne sich dafür die Gänge mit Kleinkram vollzuramschen und von der eigentlichen Kernkompetenz abzulenken. Und die besteht im Supermarkt nunmal weiterhin vor allem: aus (frischen) Lebensmitteln.

2. Schnurgeradeaus durch die „Foodhall“

Sainsbury’s Windmühlenersatzmarkt ist da keine Ausnahme. Für britische Verhältnisse hat sich der Laden ziemlich schick herausgeputzt. Wenn die Gänge in der Obst- und Gemüseabteilung noch ein bisschen breiter wären, könnte man das Grünzeug dort eigentlich gleich direkt anpflanzen.

Vermutlich muss man regelmäßig durch die Brüllangebotsapokalypse der Konkurrenz waten, um die Zurückhaltung zu schätzen, mit der Sainsbury’s im Mittelgang zart auf seine „Great Prices“ aufmerksam macht.

Das „Ideas for Tonight“-Kühlregal, vermutlich ein entfernter Verwandter von Reals Tiefkühlober, ist eine prima Idee – wenn sich dafür sorgen ließe, dass nicht schon am frühen Mittag die Ideen (bzw. Produkte) ausgegangen sind.

Warum soll immer bloß die Drogerie einen eigenen Fußboden kriegen – so ein frisch gebackenes Brot kauft sich auf Holzimitatbelag doch auch gleich viel besser ein!

Der eigentliche Star des Ladens ist aber zweifellos die zur „Foodhall“ deklarierte Thekenstraße („hall“ kann im Englischen auch „Flur“ bedeuten): eine zwar klassische, aber deutlich rausgeputzte Aneinanderreihung der gewohnten Bediensortimente, die außer einer schicken Fliesenverkleidung alle ein eigenes Ladenschild mit Piktogramm spendiert bekommen haben: Metzger und Fischhändler, dazu ein Take-away-Schalter mit frisch belegter Pizza, eine überaus aufgeräumte „Delikatessen“-Auswahl und die Patisserie („freshly baked in this stop everyday“).

Zusammen belegen die fantastischen Fünf fast die komplette hintere Ladenseite.

So stimmig das auch alles zusammenpasst: Im Vergleich mit den Flagship-Konzepten vieler europäischer Konkurrenten rangiert Sainbury’s Süd-London-Filiale eher im Mittelfeld.

Was vor allem daran liegt, dass es den Ladendesignern nicht wirklich darum gegangen ist, das klassische Supermarktkonzept weiterzuentwickeln – sondern ihm bloß eine modernere Fassade zu geben.

Der Grundriss wirkt, als sei er mit dem Windmühlenflügel gezogen: Regalreihe an Regalreihe, und bloß nichts dazwischen, was stören könnte. (In der Pac-Man-haften 2D-Schematisierung sieht das deutlich sympathischer aus als in der nüchternen Realität.)


Grafik: Sainsbury’s

Dass auf aufwändige Dekorationen komplett verzichtet wird, mag Geschmacksache sein. Aber weil dem Markt hinter seiner futuristischen Fassade jegliche Form der Einkaufsgemütlichkeit abgeht, um die sich Wettbewerber im Ausland inzwischen bemühen (Real in Krefeld, Konzum in Zagreb, Jumbo in Amsterdam), eignet sich Nine Elms kaum als Ausflugsziel für den gepflegten Lebensmitteleinkaufsbummel.

Außer vielleicht für Supermarkt-Enthusiasten, die hinter dem Click-&-Collect-Schalter die Treppe eine Etage höher nehmen.

3. Bon Appetit in der Kantine mit Aussicht

Unnötiges Design-Budget hat die Nummer zwei im britischen Lebensmittelhandel dort schon mal nicht verplempert. Das Etagenbistro verströmt höchstens Kantinen-Charme – allerdings den einer besonders gut organisierten Kantine mit durchaus vorzeigbarem Angebot.

Auf der Karte stehen: Jacket Potatoes in siebenfacher Ausführung, Suppen des Tages, Omelettes, diverse Tagesangebote und ein riesiges Kinder-Menü inklusive mitnehmbarer Lunch-Tüte.

Die Bedienung ist flott und freundlich, das Mittagessen bezahlbar. Und die Tischbedienung erfolgt direkt aus der Küche vom Koch, der sich erst entschuldigt, dass es einen Moment länger gedauert hat und dann ungefragt eine üppige Soßenauswahl zum Pilzomelette organisiert.

Michelin-Sterne werden sich damit keine gewinnen lassen. Das dürfte den Familien, Bauarbeitern und Büro-Angestellten, die sich mittags hier an den Tischen gegenübersitzen, aber herzlich egal sein. Außerdem schmeckt’s besser als in jedem schlimmen deutschen Möbelhaus-„Restaurant“, wo bloß Warmgehaltenes aus der Theke gezogen wird. Die Kantine mit Herz gehört jedenfalls auch ohne Design-Chic zu den großen Pluspunkten des Ladens.

Außerdem ist da ja noch – die fantastische Aussicht (klicken zum Vergrößern):

Fotos: Supermarktblog"

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3 Kommentare
  • „5.600 Quadratmeer“ – fehlt da einfach das „t“ oder ist das eine besonders gelungene, subtile Anspielung auf die ozeanhafte Größe der Filiale?

    Die Kantinenterrasse find ich besonders schön – so ein Supermarkt mit seiner Lebensmittelfülle hat für mich ja immer etwas schatzkammerhaftes, und beim Essen darüber den Blick schweifen zu lassen – toll!

    Danke für den wie immer amüsant zu lesenden, umfassenden Bericht und die schönen Fotos.

  • Der Markt in Penzance, Cornwall ist sehr ähnlich aufgebaut, ist auch noch sehr neu. Nur das Argos-Abhol-Ding fehlt. Zudem bietet das Restaurant auch noch einen super Blick über die Mounts Bay mitsamt St. Michael’s Mount. Der Abholsupermarkt mit Kantinenterasse ist wohl für mehrere Märkte vorgesehen.

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