Verbands-Bio bei Lidl: Warum sich der Bio-Fachhandel neu erfinden muss, um zu überleben

Verbands-Bio bei Lidl: Warum sich der Bio-Fachhandel neu erfinden muss, um zu überleben

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Der konventionelle Handel arbeitet mit Nachdruck daran, die Standards seiner Bio-Sortimente zu erhöhen, um Kunden zu überzeugen. Anstatt zu reagieren, probt sich ein Großteil des Bio-Fachhandels weiter in der Abschottung.

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Diese Woche hat Lidl angekündigt, in den kommenden Monaten einen Großteil seines Bio-Sortiments mit dem Logo des Anbauverbands Bioland schmücken zu wollen. Damit verpflichtet sich der Discounter, bei der Erzeugung dieser Lebensmittel nicht mehr nur wie bisher die Anforderungen der EU-Öko-Verordnung einzuhalten, sondern die sehr viel strengeren Vorgaben des neuen Partners. Das sind gleichzeitig sehr gute und sehr schlechte Nachrichten für die Bio-Branche.

Sehr gute, weil sich die Befürworter einer Ernährungswende mit ihren Forderungen quasi durchgesetzt haben: Verbands-Bio scheint sich in Deutschland zunehmend als neuer Standard zu etablieren.

Und sehr schlechte, weil der Branche bald ein zentrales Argument dafür fehlt, warum Kunden überhaupt noch in reinen Biomärkten kaufen sollten anstatt einfach im Discounter.

In jedem Fall ist die Nachricht ein deutliches Signal an den Bio-Fachhandel, endlich die Scheuklappen abzulegen. Noch im Frühjahr, als sich der Trend zum besseren Bio im konventionellen Handel längst abzeichnete, war der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), der kleine Bioläden und große Biomarktketten gleichermaßen vertreten soll, noch der Meinung: „Die Konventionellen können zwar auf den Megatrend Bio aufspringen, aber sie können ihn nicht kapern.“ Das war, höflich gesagt, eine ziemliche Fehleinschätzung.

Abgrund? Welcher Abgrund?

Längst arbeitet nicht nur dm eng mit dem Bioverband Demeter zusammen, auch Kaufland hat Medienberichten zufolge Interesse angemeldet. Doch anstatt Alarm zu schlagen, glaubt man beim BNN offensichtlich immer noch daran, die Branche mit Motivationskalendersprüchen bei Laune halten zu können. Damit ja niemand in den riesigen Abgrund blickt, der zunehmend größer wird.

Discounter und Supermärkte sind zunehmend erfolgreich damit, sich bei den Kunden als gleichwertige Wettbewerber zu den Biomärkten zu etablieren (siehe Supermarktblog). Das mag unfair sein, weil sie sich die Strategien dafür bei den Originalen abgeguckt haben. (Wie das in der Branche so üblich ist.) Aber zurückdrehen lässt sich diese Realität nicht mehr.

Auch wenn ein Teil der Branche genau daran glaubt und Bio-Markenhersteller mit dem rückschrittlichen Konzept der „Fachhandelstreue“ darauf einschwören möchte, den klassischen Handel – und damit einen riesigen Absatzmarkt – weiter zu meiden.

Selbst wenn das noch eine zeitlang gelingt: Diesmal wird es nicht helfen, ein Alleinstellungsmerkmal (Bio) einfach durch ein anderes (Verbands-Bio) auszutauschen, um gegen Supermärkte und Discounter zu bestehen.

Basic macht sich online unsichtbar

Richtig ist, dass der Fachhandel weiter mit größerer Auswahl punkten kann. Aber es dürfte wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis auch dieser Vorteil von der Konkurrenz gekapert ist. Manche Fachhändler helfen sogar tatkräftig mit: Die Münchner Bio-Handelskette Basic hat vor zwei Wochen ihren Online-Shop eingestellt. Gegenüber der „Lebensmittel Zeitung“ erklärt Basic, man sehe „angesichts der heutigen Preis- und Kostenstrukturen im Onlinegeschäft keine Chance, dort mittelfristig Geld zu verdienen“.


Screenshot: shop.basicbio.de

Mitte des Jahres hatte man sich bereits aus der Lieferpartnerschaft mit Amazon verabschiedet, weil sich die „Erwartungen mit der Plattform bedauerlicherweise nicht erfüllt haben“, wie Basic-Marketing-Leiter Manuel Zalles-Reiber damals auf Supermarktblog-Anfrage erklärte. (Als Alternative verwies Zalles-Reiber noch auf den Basic-Online-Shop.)

Anstatt zu überlegen, wie sich eine Lösung für diese Probleme finden ließe, scheint sich Basic für die eigene Unsichtbarwerdung im Internet entschlossen zu haben. (Moment, kurz im Kalender nachsehen: Ja, ist noch 2018.)

Das ist nicht nur fatal, weil die junge, Bio-affine Kundschaft auch gegenüber dem Online-Einkauf von Lebensmitteln tendenziell aufgeschlossen ist; es lässt sich auch als grundlegende Weigerung deuten, darüber nachzudenken, ob der Weg, den die Bio-Pioniere einst eingeschlagen haben, heute überhaupt noch der richtige ist. Womöglich, weil man zu der Schlussfolgerung kommen könnte, dass es gar nicht mehr (allein) der selbstständige Fachhandel ist, mit dem sich die selbstgesteckten Ziele in Zukunft erreichen lassen.

Händler oder Marke oder beides?

Das ist nicht überall in der Branche so.

Vielleicht kommt der hessische Bio-Händler Alnatura irgendwann sogar zu dem Schluss, dass es ein Glücksfall war, sich vor zwei Jahren von dm aus den Drogerieregalen drängen zu lassen – weil es Alnatura genau zur richtigen Zeit gezwungen hat, sich neu aufzustellen, vielfältigere Kooperationen zu suchen und sich als Marke vielfältiger zu positionieren. Diese Strategie scheint aufzugehen. Kunden der Edeka-Tochter Bringmeister stellt Alnatura inzwischen das komplette Sortiment zur Verfügung. (Allerdings mit zum Teil happigen Preisaufschlägen.)

Der Berliner Spezialist für vegane Lebensmittel, Veganz, ist zwar mit dem Aufbau einer europäischen Kette veganer Supermärkte gescheitert, hat gerade ebenfalls seinen eigenen Online-Shop beendet – aber sich einen neuen Partner im Netz gesucht und ist nach einem schwierigen Wandlungsprozess dabei, sich als Marke mit einem wachsenden Sortiment veganer Lebensmittel länderübergreifend erfolgreich in konventionellen Supermärkten zu etablieren (siehe Supermarktblog).

Genau betrachtet wäre das auch für Basic eine Möglichkeit: Indem man sich – anders als jetzt angekündigt – eben nicht auf seine (gerade mal 34) eigenen Bio-Supermärkte konzentriert; sondern den nachhaltigen Aufbau der eigenen Produktmarke in den Mittelpunkt rückt, um damit im Regal konventioneller Händler Erfolg zu haben. So wie früher bei Kaiser’s Tengelmann, weiterhin in zahlreichen Edeka-Märkten – und künftig womöglich auch wieder mit einem starken Online-Partner wie Amazon.

Prinzipientreu abgeschottet

Zugegeben: Mit einer solchen Kooperation ist Basic vor elf Jahren, als man mit Lidl gemeinsame Sage machen wollte und die Kunden dagegen rebellierten, schon mal böse gescheitert, musste deshalb sogar um die Existenz bangen. Aber die Zeiten haben sich geändert.

Im Moment scheint es so, als wollten die Bio-Pioniere krampfhaft an ihrer Rolle als Fachhändler festhalten – obwohl alles darauf hindeutet, dass eine neue Selbstdefinition und vor allem völlig andere Strategien nötig sind, um die Entwicklung der selbst angestoßenen Bewegung weiter wesentlich mitzugestalten. Anstatt sich prinzipientreu in die Abschottung zu zu begeben, weil man überzeugt ist, es alleine besser zu können.

Fotos: Supermarktblog"

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8 Kommentare
  • Wenn man die Entwicklung konsequent weiter denkt, wird es im LEH in spätestens zehn Jahren sowieso keine konventionelle Ware mehr geben. Es wird sie keiner mehr kaufen wollen und somit wird auch die konventionelle Landwirtschaft gezwungen sein, ihr Unkrautsystem zu überdenken. Die weniger informierten Konsumierenden werden sich freuen. Doch findet dieser Wandel im bestehenden System statt, so dass hier wenig bis gar nicht von Nachhaltigkeit und Umweltschonung geredet werden kann. In sofern hat der Fachhandel immer noch einen Auftrag die Entwicklungen weiter zu fortzusetzen und Vorreiter für eine nachhaltige Lebensweise zu sein.

  • Die Zeit des feindbildorienterten Verkaufes ist schon länger vorbei. Auch vom Fachhandel wird eine zukunftsorientierte Strategie erwartet.

    • Das ist nur meine persönliche Einschätzung, aber in Sachen Zukunftsorientierung scheint mir die Branche noch einiges an Nachholbedarf zu haben.

  • Auf der letzten Biofach war der Generationswechsel in der Biobranche großes Thema. Für mich als einer der Übergebenden war es sehr beruhigend, dass die junge Generation ähnliche Werte vertritt. Da bedeutet für mich, dass die Ideen doch nach wie vor aktuell sind und weiter getragen werden. Allerdings wird sich die “ Darreichungsform“ ändern müssen, hin zu beziehungsorientierte Kommunikation.

    • Ich fürchte, wir reden über völlig unterschiedliche Welten. Aber das kann natürlich daran liegen, dass die Branche ihre Zukunft mit Vorliebe auf Fachmessen diskutiert, wo man unter sich bleiben kann.

  • Wenn man etwas dörflicher wohnt bekommt man keinen Bioladen zu Gesicht und so bleiben die Supermärkte und Discounter die einzige Quelle für Biofutter.
    Wunder mich schon etwas warum es z.B. in Dormagen weit und breit keinen Bioladen gibt. Vielleicht weil die durchschnittlich ältere Bevölkerung sowas nicht kennt oder braucht ? Oder weil es den ein oder anderen Hofladen gibt ?
    Sicher muss sich auch so ein Laden rechnen aber bevor ich 20 km mit dem Auto in die volle Innenstadt fahre bleibt mir halt nur das Standardbiosortiment der üblichen Verdächtigen.

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