„Checkpoint Aldi“ in Berlin: Der zentralste Keller-Discounter Deutschlands

„Checkpoint Aldi“ in Berlin: Der zentralste Keller-Discounter Deutschlands

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Mitten in Berlin betreibt Aldi Nord seit kurzem einen City-Discounter, in dem das Einkaufen trotz kleinerer Verkaufsfläche angenehmer ist als in manchem Standard-Markt. Weil sich die Ladendesigner mal richtig Mühe geben durften.

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Das hat sich Günter Fruhtrunk (1923–1982), anerkannter Vertreter der konkreten Kunst mit aufklärerischem Impuls, zu Lebzeiten so vermutlich auch nie ausmalen können: vierzig Jahre nach dem Ende der eigenen weltlichen Existenz sozusagen als Exponat den in Kunstausstellungsoptik gehaltenen Eingang eines Innenstadt-Discounters zu schmücken.

Offensichtlich ließ sich diese sehr besondere Form der „Hommage“ aber auch von Fruhtrunks Nachlassverwaltern nicht verhindern, und so hängt sein Schwarz-Weiß-Porträt jetzt eben zwischen Berliner Buddy-Bär und Pfandflaschenautomat in Deutschlands zentralstem Innenstadt-Aldi in der Berliner Friedrichstraße, wo der staunenden Kundschaft vor dem Günstigeinkauf in Deutsch und Englisch erklärt wird, wer anno 1970 das berühmte blau-weiße Aldi-Tütenmuster erschuf, das sich nun quer durch einen „außergewöhnlichen ALDI Nord Markt (…) im Herzen Berlins“ (Pressemitteilung) zieht.

Nicht nur die „beleuchtete Skyline (…) an der Eingangswand“ ist ganz in dem bekannten Fruhtrunk-Muster gehalten, es kriecht auch an den tragenden Säulen des Untergeschoss-Markts empor und verbindet die von Feuerschutzwänden trennbaren Ladenhälften mittels Bodenbeklebung.

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Das ist aber nur eine von mehreren Überraschungen der Neueröffnung, von denen manche auch den regulären Aldi-Nord-Filialen gut zu Regal stünde.

Germany’s Next Flagship-Discounter

Auch wenn es langsam zweifellos zur merkwürdigen Unsitte wird, dass sich sonst auf maximale Standardisierung zielende Handelsunternehmen regelmäßig selbst dafür auf die Schulter klopfen, wenn sie ab und an mal einen durch visuelle Besonderheiten glänzenden Flagship-Discounter an besonderen Orten eröffnen.

Penny hat damit angefangen, und in der Aldi-Nord-Zentrale in Essen wollte man sowas Ähnliches offensichtlich auch haben, nur halt in nicht ganz so bunt. Also hat der Deutschen immer noch liebster Lebensmittelpreisdrücker die Kröte geschluckt, ein paar Scheinchen mehr für die Anmietung von 650 Quadratmetern Verkaufsfläche in unmittelbarer Nähe des S-Bahnhofs Friedrichstraße hinzublättern, und besagten Markt dafür „Checkpoint Aldi“ taufen zu können, „angelehnt an den berühmten früheren innerdeutschen Grenzübergang Checkpoint Charlie, der nur wenige Gehminuten entfernt liegt“. (Um genau zu sein: 17, wenn Sie zügig unterwegs sind.)

Seit Mitte März können Kund:innen, die sich morgens um 7 Uhr bereits an der Friedrichstraße aufhalten, also Artikel des täglichen Bedarfs zum bekannten Aldi-Preis erstehen. Und das sind selbst an einem durchschnittlichen Samstagmorgen zu früher Stunde gar nicht mal so wenige.

Was auch daran liegen könnte, dass es sich im City-Aldi, obwohl der nur halb so groß ist wie seine regulären Marktkumpels, doppelt so angenehm einkaufen lässt.

Minimum an Aktionsartikelramsch

Dass die Ladendesigner schon aufgrund der örtlichen Gegebenheiten keinen Standard-Aldi auf die Fläche pressen konnten, und deshalb nicht dem lästigen Discount-Traditionalismus unterworfen waren, mit dem man sich bereits die in den vergangenen Jahren modernisierten Läden wieder in die Vergangenheit zurückgekorkst hat, dürfte geholfen haben.

Übersichtliche Aktionsartikelauswahl; Foto: Smb

Vor allem aber ist die durchaus angenehm zu nennende Einkaufsatmsophäre der Tatsache geschuldet, dass der Kompakt-Discounter vor dem Molkereiprodukteregal nur das absolute Minimum an Aktionsartikelramsch aufgebaut hat, das in regulären Märkten bald die Hälfte des Platzes einzunehmend droht. Und deswegen so außerordentlich viel Platz da ist, dass es sich sonst nirgends angenehmer Aldi-Schlendern lässt.

Die Regale sind höher gebaut, die Gänge breiter – und, Teufel!, sogar die dem übrigen Filialnetz wieder ausgetriebene Querregalierung kommt zum Einsatz (und steht dem Laden super).

Eine Rolltreppe ins Untergeschoss gibt’s nicht, im Checkpoint-Aldi wird entweder selbst gelaufen oder der Aufzug benutzt, bevor man am Eingang im UG mit Korb bewaffnet durch die Frischware hindurch spazieren kann. (Einkaufswagen stehen keine zur Verfügung.) Der Auftakt ist erstaunlich gut gelungen: Paprika, Gurken, Äpfel und Bananen sind auf der linken Seite auf drei (nicht wie sonst zwei) Ebenen übereinander gestapelt. In der langen, langen Kühlwand gegenüber gibt es nicht nur „Frisch & Fertig“-Artikel, sondern auch Radieschen, Spargel, Porree und Brokkoli so sauber übereinander drapiert, dass man sich fast wie in einer Whole-Foods-Filiale wähnt, in der jemand beim Einräumen aus Versehen zu viele Plastikverpackungen am Gemüse dran gelassen hat.

Aldi-Merch zum Edeka-Preis

Über andere Besonderheiten lässt sich gut streiten: Das erstaunlich umfassende Veggie-Sortiment ist um die Ecke in einem eigenen Kühlthekenabschnitt platziert und hinterlässt einen sehr guten Einruck.

Dafür scheint die Regionalspezialitätenkompetenz mit dem in Plastik verschalten „Baguette nach Döner Art“ von „Orientasty“ bereits weitgehend ausgeschöpft zu sein.

In der Kühlregalierung am anderen Ladenende zeichnet sich ab, dass die Abschriften für Frischeprodukte am gewählten Marktstandort gegebenenfalls höher sein könnten als anderswo.

Der unendliche Weg ins Lager wirkt wie ein Alu-verkleidetes Kaninchenloch ins Sonderpostenwunderland.

Und ob die am Merchandising-Regal neben den Heidelbeeren erhältliche, im Aldi-Muster gehaltene Thermoisolierflasche für 17,99 Euro, das Aldi-Muster-Feuerzeug für 4,99 Euro, der Aldi-Muster-Taschenschirm für 19,99 Euro, der Aldi-Muster-Malerhut für 6,99 Euro und der Aldi-Muster-Zollstock für 2,99 Euro wirklich in die gewohnte Preispolitik des geschätzten Niedrigpreisanbieters reinpassen, überlasse ich gerne Ihrem Urteil.

Das schmälert aber nicht den durchaus positiven Eindrucks eines Markts, von dem man sich wirklich wünschen würde, dass er (auch nach Ostern) auf andere abfärbte – zumal viele Elemente für die schnelle Flächenberäumung wie die mit Aktions-Paletten zustellbaren Regalenden ja erhalten geblieben sind.

Brötchen, Deo und Rasierschaum

Da lässt sich auch manche unausgegoren wirkende Sortimentsplatzierung verschmerzen: z.B. dass es gegenüber vom großen, zur Hälfte mit Waren des regionalen Bäckerei-Partners ausgelegten Brötchenknast (scharfer Franzose oder Papageien-Taler gewünscht?) Deo und Rasierschaum zu kaufen gibt, während abgepackte Backwaren teilweise getrennt vom übrigen Angebot gelagert sind und zur Entdeckung einen Hakenschlag erfordern.

Drogerie und Backwaren in unmittelbarer Nähe; Foto: Smb

Die Rennstrecke in Richtung Kasse, die unmittelbar zwischen Tiefkühlung und Konserven einsetzt (und in die Wettbewerber Penny vermutlich direkt ein paar Regalbuchten eingezogen hätte), wirkt auch verbesserungsfähig – könnte, zugestellt mit noch mehr Quatschaufstellern vor dem großen Kühlgetränkeseortiment, aber auch sehr viel unangenehmer zu navigieren sein.

Beim Anstehen fürs Bezahlen stellt sich kurz der Schwindel verursachende Eindruck ein, Aldi könnte kurz vor Ladenende noch die Discount-Revolution ausrufen: Da stehen wirklich Kassentische mit Corona-maßnahmengerecht veredelten Plexiglas-Segelohren und richtig tief gesetzter Quengel-Bückware, über denen per Symbol angekündigt ist, dass dort ausschließlich Kartenzahlung akzeptiert wird! Diese Vision wird durch umgehende Nichtbesetzung der Tische aber direkt wieder einkassiert – obschon der in der Regel einzige offene Kassiertresen mit Minikassenband und Barzahlungsmöglichkeit, an dem das Personal zum Erwerb von Spirituosen und Tabakwaren hinter sich ins Regal greifen kann, natürlich für Aldi-Verhältnisse auch eher ungewöhnlich ist.

Die „Wusstest du“-Tafeln unter der Decke mögen sich als Wandschmuck eignen, zur Weiterbildung beim Schlangestehen eignen sie sich leider ob der darauf kommunizierten Egalheiten eher nicht.

„Wusstest du“, dass diese Tafel ein bisschen überflüssig ist? Foto: Smb

Aber, sagen wir mal so: einen besseren Aldi-Nord-Markt, um im Eingangsbereich als Exponat herumzuhängen, hätte sich Günter Fruhtrunk auch zu Lebzeiten vermutlich nicht aussuchen können.

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