Rauscht der Online-Lebensmittelhandel in der Preiskrise zurück aufs Vor-Corona-Niveau?

Rauscht der Online-Lebensmittelhandel in der Preiskrise zurück aufs Vor-Corona-Niveau?

Foto [M]: Smb, Knuspr
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Manche Lieferdienste reagieren auf die Krise mit höheren Bestellwerten zur Gratisbelieferung sowie steigenden Lieferkosten – und treffen damit auf Kund:innen, die weniger und günstiger einkaufen wollen. Das könnte für die Anbieter bald zum Problem werden.

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Kurzer Blick nach draußen: Da fahren trotz scheinbarer Corona-Entspannung immer noch haufenweise Lebensmittel-Lieferdienste durch die Straßen. Heißt das, die Händler haben ihre zwischenzeitliche Überforderung in der Griff bekommen und die Leute kaufen jetzt dauerhaft so ein?

Was sagt denn zum Beispiel Rewe-Lieferservice-Chef Drasko Lazovic, der gerade den 10. Geburtstag seines Dienst feierte, dazu? Das:

„Wir sind durch Corona enorm gewachsen und halten immer noch ein deutlich höheres Niveau als in der Vor-Coronazeit. Außerdem sehen wir, dass wir weiterhin konstant zulegen. Daran sieht man, dass sich der Online-Lebensmittelhandel etabliert hat.“

Ach, super. Mehr noch: Die „circa vier Prozent Online-Anteil“ im Lebensmitteleinzelhandel, die aktuell mehrheitlich in Großstädten erwirtschaftet würden, hätten „in jedem Fall noch Potenzial“.

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Das klingt womöglich optimistischer als es die Lage derzeit zuließe. Denn die sich ausweitende Energie- und Preiskrise trifft auch den Online-Lebensmittelhandel und rüttelt Pläne und Realitäten der Anbieter durcheinander.

Planlosigkeit bei Knuspr

Der zur tschechischen Rohlik-Gruppe gehörende Lebensmittel-Lieferdienst Knuspr zum Beispiel, in der Vergangenheit nicht zimperlich mit vollmundigen Ankündigungen, passte im Oktober innerhalb von zwei Wochen gleich dreimal seine Lieferbedingungen für die bislang einzigen beiden Standorte München und Rhein-Main an und wirkte dabei ziemlich planlos.

Eine überraschende Verdoppelung der Lieferkosten auf fast 10 Euro für Wenig-Besteller:innen wurde innerhalb von zwei Tagen wieder zurückgenommen. Stattdessen kündigte Knuspr auf Supermarktblog-Anfrage ein differenziertes Modell mit unterschiedlichen Bedingungen für München und Rhein-Main an und begründete diese mit verschieden hohen Kosten wegen der Teil-Automatisierung im Lager am Standort München (siehe Supermarktblog).

Kurz darauf waren auch diese Modalitäten aber schon wieder Geschichte. Mit Wirkung zum 24. Oktober ist Knuspr auf ein standorteinheitliches Modell zurück geschwenkt, bei dem die Lieferkosten nun je nach Tageszeit variieren – so wie bei zahlreichen Wettbewerbern.

Knuspr schickte seine Kund:innen im Oktober durch einen Irrgarten neuer Lieferbedingungen; Screenshot: knuspr.de

Konkret heißt das: Der Mindestbestellwert liegt jetzt bei einheitlichen 49 Euro, der Wert für die Gratis-Lieferung bei 89 Euro. Für Warenkörbe darunter müssen Kund:innen zusätzlich bezahlen – und zwar egal, wieviel sie bestellen. Lieferzeiten zwischen 7 und 10 Uhr schlagen in der Knuspr-App derzeit mit 6,90 Euro zu Buche; zwischen 10 und 14 Uhr sinken die Kosten auf 3,90 Euro; wer sich zwischen 14 und 16 Uhr beliefern lassen möchte, muss dafür nur noch 1,90 Euro ausgeben. Bis 22 Uhr steigen die Kosten anschließend wieder auf 6,90 Euro. Der Aufpreis für die in manchen Regionen getesteten 15-Minuten-Lieferzeitfenster beträgt – wie hier bereits berichtet – zusätzlich 4,90 Euro. Eilige Wenig-Besteller:innen zahlen bei Knuspr so also im Extremfall also 11,80 Euro Liefergebühren.

Höhere Bestellwerte für Gratis-Lieferung notwendig

Das ist auch deshalb kurios, weil Knuspr bis Anfang Oktober noch „Happy Hours“ gefeiert hatte: vorübergehend waren Lieferungen am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag zwischen 20 und 21 Uhr bereits ab 29 Euro Bestellwert kostenfrei gewesen. Gerade mal drei Wochen später gehört die auf diese Weise promotete Zeit nun zu den teuersten Lieferfenstern.

Online erklärt Knuspr, man reagiere mit der nochmaligen Änderung „auf die zahlreichen Nachrichten von euch, unseren Kunden“. Außerdem heißt es:

„Leider können wir dir nicht versprechen, dass wir unsere Lieferbedingungen nicht mehr ändern werden, da die Entwicklung der Kosten für uns unberechenbar ist.“

Die österreichische Schwester Gurkerl.at liefert in Wien und Umgebung nun erst ab 99 Euro kostenfrei aus; darunter fallen „je nach Warenkorb-Größe und / oder Auslastung“ zwischen 3,90 und 1,90 Euro Liefergebühren an.

Zum Vergleich: Konkurrent Rewe verlangt – bislang unverändert – ab einem Warenwert von 50 Euro Gebühren zwischen 3,90 und 5,90 Euro, ab 80 Euro zwischen 2,90 und 4,90 Euro, allerdings mit größeren Zeitfenstern. (Ab 120 Euro ist die Zustellung in bestimmten Zeitfenstern kostenlos.) Auch Oetkers Lieferdienst Flaschenpost hatte seine Bedingungen zuletzt angepasst und verlangt seitdem vom Warenwert abhängige Zustellgebühren, anstatt wie früher kostenlos zu liefern (siehe Supermarktblog).

Rewe hält die Gebühren für seinen Lieferservice bislang stabil; Foto: Smb

Klares Signal an kleinere Haushalte

Manchen Lieferservices bleibt wenig anderes übrig, um die auch für sie gestiegenen Kosten auszugleichen. Analysten argumentieren damit, dass die Anhebung „wichtig und richtig“ sei, wenn man „nicht unprofitable Kunden beschenken“ wolle. Und das stimmt aus Unternehmenssicht zweifellos.

Gleichwohl riskieren die Anbieter damit, ihre ehrgeizigen Wachstumspläne über den Haufen werfen zu müssen – weil auch die Kund:innen selbst nichts mehr zu verschenken haben. Die Anhebung des Werts zur Gratis-Belieferung ist z.B. ein klares Signal an kleinere Haushalte und kleinere Familien, dass sich der Online-Einkauf von Lebensmitteln für sie, wenn überhaupt, nur noch dann lohnt, wenn sie eine gewisse Bevorratung mit einkalkulieren – weil sonst die wenigsten mit ihrem Wocheneinkauf auf den notwendigen Betrag kommen. (Oder ihr Budget dafür nicht jede Woche auf einen einzigen Händler konzentrieren wollen.)

Für Knuspr, dass ja regionaler Supermarkt und Hofladen in einem sein will, kommt ein anderer Aspekt erschwerend hinzu: Die angepeilte Bio-Zielgruppe hält sich derzeit schon im Fachhandel mit Einkäufen zurück und schwenkt zunehmend auf Bio-Eigenmarken z.B. im Discount um. Diese Vorsicht könnte auch Knuspr treffen, dessen Bio-Basis-Sortiment weiterhin Lücken aufweist.

Deutsche wollen weniger Lebensmittel einkaufen

Zusätzlich zu den verfügbaren Alnatura-Produkten sind in einem ersten Schritt inzwischen „Bio zum kleinen Preis“-Artikel des neuen Supermarkt-Partners Tegut gekommen. Bis Ende des Jahres ist, wie u.a. von der Schwester Gurkerl aus Österreich zu hören ist, „eine neue Bio-Eigenmarke in Planung“, die „bereits im 4. Quartal 2022 verfügbar sein wird“.

Mit steigenden Kosten für die Lieferung bei den Diensten dürfte sich eine wachsende Zahl an Kund:innen überlegen, ob sie nicht doch wieder öfter stationär einkaufen geht. Einer repräsentativen GfK-Studie im Auftrag von Mastercard zufolge bestellen schon heute 22 Prozent derer, die während und wegen Corona erstmals Lebensmittel orderten, „jetzt seltener“ als zuvor; 12 Prozent sind komplett weg und kaufen wieder offline. Die Befragung erfolgte im August, also im Wesentlichen vor den aktuellen Erhöhungen von Mindestbestellwerten und Lieferkosten.

Eine OnePoll-Umfrage im Auftrag des Herstellers Upfield hat zudem ergeben, dass 89 Prozent der Deutschen ihre Ausgaben für Lebensmittel reduzieren wollen oder dies schon getan haben.

Und von der Gfk heißt es, das in den vergangenen Wochen zu beobachtende „Trading down“ – also dass Konsument:innen günstigere Lebensmittel einkaufen und verstärkt auf Sonderangebote achten – „wird in den nächsten Monaten anhalten, denn knapp 44 Prozent aller Haushalte befürchten, dass sich ihre zukünftige finanzielle Situation weiter verschlechtern könnte“ (PDF).

Überall knirscht und ruckelt es

Für einen Anbieter wie Knuspr, der sich für seine Wachstumsprognosen bisher auch auf hohe Wiederbestellfrequenzen verlassen dürfte und Kund:innen anspricht, die bislang bereit waren, für hochwertige Regional- und/oder Bio-Artikel etwas mehr auszugeben, könnte das schnell zum Problem werden.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es derzeit bei fast allen Anbietern ruckelt und knirscht.

Neuling Oda aus Norwegen, der ursprünglich längst in Deutschland gestartet sein wollte, gab gerade bekannt, den Launch wegen Lieferengpässen für den Ausbau seines Lagers auf Anfang nächsten Jahres zu verschieben. Dann sollen die ersten Berliner Kund:innen erstmal testweise beliefert werden, bevor der Dienst großflächig zur Verfügung stehe. Lieferkosten und Mindestbestellwert wurden noch nicht kommuniziert.

Amazon Fresh überrascht regelmäßig mit undurchsichtigen Logistikumstellungen; Foto: Smb

Amazon hatte zuletzt die Bedingungen für Fresh-Kund:innen in Hamburg teilweise angepasst: Die taggleich zu geraden Uhrzeiten nahtlos ineinander greifenden Lieferzeitfenster wiesen Lücken auf, in denen eine Belieferung tagsüber aktuell nicht mehr möglich war (z.B. 11 bis 13 Uhr, 15 bis 16 Uhr).

Gegenüber Kund:innen wurden „Optimierte Lieferrouten“ als Grund genannt, „um unnötige Leerfahrten (…) zu vermeiden“. Es gebe „unter Umständen eine andere und täglich variierende Auswahl an Lieferfenstern“. Vom 3. bis 6. November werden für einzelne Liefergebiete „aufgrund einer technischen Umstellung“ zudem keine Vorbestellungen angenommen. Inzwischen sind wieder alle Lieferfenster verfügbar. Voraussetzung zur Fresh-Belieferung ist weiterhin eine (teurer gewordene) Prime-Mitgliedschaft, die zusätzlich bezahlt werden muss.

Sinkende Nachfrage der Kund:innen

Derweil sucht Edeka-Partner Picnic eifrig Mitarbeiter:innen für den Start in Hamburg, wo Lieferfahrer:innen mit dem „Startdatum: Jan 2023“ gesucht werden, und Berlin, wo für Fahrer:innen das „Startdatum: März 2023“ vermerkt ist.

Und es wird sich zeigen, ob die Niederländer:innen mit ihrem Konzept der konsequenten Kostenlos-Lieferung in begrenzten Lieferzeitfenstern dann die Nase vorn haben werden. Oder ob die Krise das bisherige Kernversprechen womöglich gefährdet. „Die Kunden lieben unsere Gratis-Lieferung. Dabei bleiben wir auch“, hat Picnic-Deutschland-Chef Frederic Knaudt gerade noch der „LZ“ versprochen.

Vor allem im Quick Commerce dürfte es zügig zur Konsolidierung kommen: Vor einigen Wochen wurde die Nachricht gestreut, Getir wolle den Konkurrenten Gorillas übernehmen. Schon jetzt scheint es mehr Anbieter zu geben, als es die mutmaßlich gesunkene Nachfrage der Kund:innen rechtfertigen würde: An einzelnen Standorten in Berlin sitzen Kurierfahrer:innen zur Mittagszeit in den City-Depots und lesen Krimis, weil Bestellungen ausbleiben.

Anders gesagt: Die Krise wird den Online-Lebensmittelhandel ziemlich durcheinander rütteln – und einen Teil der bisherigen Kundschaft zurück in die Läden mit ihren Sonderangeboten treiben.

Dass es ausgerechnet jetzt in vielen Städten zum großen Clash der Online-Anbieter kommen wird, macht die Sache freilich noch interessanter.

Danke an Marco P.!

Der Text wurde nachträglich aktualisiert.

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3 Kommentare
  • der grosse Fehler fast aller Lieferdienste war, dass sie ihre Lieferstandorte und damit die Kunden nur danach ausgesucht haben, wo sie schnell skalieren können
    möglichst Innenstadt mit junger hipper Zielgruppe
    problematisch wenn sie Preise oder Liefergebühren anheben müssen, wenn es im Umkreis viele stationäre Supermärkte gibt
    es ging nur um eine schnelle hohe Bewertung mit evtl. Exit statt langfristiger Aufbau in Orten mit wenig Auswahl an Supermärkten,eher älterer Kundschaft aber deutlich höheren Einkommen evtl. mit abbezahltem Eigenheim
    für ein Umsteuern haben sie jetzt kaum noch Cash

  • Ich glaube nicht, dass der Online-Lebensmittelhandel durch die Preiskrise signifikante Rückgänge verzeichnen wird. Die Kunden, welche online ihre Lebensmittel kaufen sind zum Großteil „Besserverdiener“ und nicht die typischen Kunden, die in erster Linie preisorientiert einkaufen. Natürlich sind auch die „Besserverdiener“ von der Inflation betroffen. Ich bezweifle aber, dass diese Kunden ihr Kaufverhalten drastisch umstellen, wenn die Lieferdienste teilweise die Lieferkosten oder Mindestbestellwerte erhöhen.

    • Die Nutzer:innen-Kommentare auf der Facebook-Seite von Knuspr wollen sich dieser Einschätzung nicht anschließen.

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