Nachbesserungen am Sortiment, eine bessere Warenverfügbarkeit, mehr Markenpräsenz in der Stadt – nach dem Start in Berlin hat der Lebensmittel-Lieferdienst Knuspr noch eine Menge Baustellen zu bearbeiten, um seinem Ziel näher zu kommen: „nicht nur ein weiterer Supermarkt [zu] sein, sondern der beste der Stadt“ (Deutschland-Chef Mark Hübner in einem aktuellen Kund:innen-Mailing). Und die Hauptstadt binnen eines Jahres zum umsatzstärksten deutschen Standort zu machen.
Bislang kann sich München die Hörnchenkrone aufsetzen: „Wir wickeln dort bis zu 5.000 Bestellungen an einem Tag ab“, verriet Carlos Steidl, Knuspr-Chefeinkäufer für Obst und Gemüse, zuletzt in einem Interview mit dem Berliner Regionalgastro-Magazin „EssPress“.
Und: „In Berlin holen wir gerade schnell auf. Wir sind bei bis zu 3.000 Bestellungen [pro Tag].“ Im Schnitt werden auf einer Vier-Stunden-Tour bis zu 14 Kund:innen mit Bestellungen versorgt.
Gleichzeitig plant man, die bislang noch unterm alten Bringmeister-Banner fahrenden Transporter zeitnah im Knuspr-Design aufzufrischen. Bis Ende August soll die Umfolierung geschafft sein, heißt es bei Knuspr auf Supermarktblog-Nachfrage. (Manche ehemals grünen Bringmeister-Fahrzeuge sind derzeit einfach komplett in weiß ohne Aufschrift unterwegs; nur auf dem Dachspoiler klebt noch die grüne Bringmeister.de-Aufschrift.)
Eigentlich waren die Ex-Bringmeister-Transporter bloß dafür gedacht, Spitzenzeiten abzufedern – der Großteil der Einkäufe sollte mit kleineren E-Fahrzeugen (Fiat Doblò, VW Candy) zugestellt werden. Doch die Elektrifizierung am Lagerstandort in Schönefeld war zum Start nicht weit genug fortgeschritten, um die komplette Flotte elektrisch zu betreiben. (Willkommen in Berlin.)
Von Knuspr heißt es, man plane, die Flotte innerhalb der nächsten 18 Monate auf Elektrofahrzeuge umzurüsten. Wegen langer Lieferzeiten für Ladestationen, der benötigten Zeit für die Installation der Ladeinfrastruktur sowie der notwendigen behördlichen Genehmigungen dauere das länger als man es sich gewünscht habe.
An jeder Straßenecke ein Lieferfahrzeug
Auf der diesjährigen K5-Konferenz in Berlin gab sich Knuspr-Chef Hübner zudem überzeugt, mit dem erprobten Modell – „Amazing Food“ und „Amazing Service“ – schnell Erfolge erzielen zu können:
Knuspr bietet Kund:innen klassische Markenartikel, die sie aus dem Supermarkt kennen, und liefert regionale bzw. internationale Spezialitäten dazu, die man sich sonst mühsam zusammensuchen müsste. „Dreimal mehr Auswahl als ein städtischer Supermarkt“, verspricht das Promotion-Video.
Profitabel werde Knuspr durch hohe Warenkörbe, die standortbedingt zwischen 90 und 95 Euro liegen, einen geringen Aktionsanteil (derzeit unter 7 Prozent), niedrige Marketingkosten und den hohen Automatisierungsgrad in den Lagern, die eine schnelle Lieferung begünstigen. Vor wenigen Wochen hat das Unternehmen 160 Millionen Euro für die geplante Expansion erhalten.
Dort allem was die Warenverfügbarkeit angeht, hinkt Knuspr den eigenen Ansprüchen immer noch weit hinterher. Wer aber schon mal einen Ausblick darauf haben will, wie sich Hübner und die Knuspr-Mutter Rohlik die Zukunft des Liefereinkaufs in deutschen Städten vorstellen, der kann dafür nach Prag schauen. Dort ist das 2014 gegründete Unternehmen quasi omnipräsent.
20.000 Bestellungen am Tag
Wer durch die Stadt läuft, dem begegnen die in Grün-Weiß mit dem Hörnchen-Logo beklebten Lieferfahrzeuge fast an jeder Straßenecke („Wir lieben gutes Essen“, „Wir helfen Ihnen beim Einkauf“).
20.000 Bestellungen bewältigt Rohlik in Prag derzeit täglich – viermal soviele wie in München – und betreibt dafür drei große Warenlager am Rande der Stadt, mit einem noch größeren Sortiment als hierzulande. „Das ist in Deutschland im Laufe der Zeit auch denkbar“, erklärte Hübner kürzlich dem „Manager Magazin“ (Abo-Text).
(Nach Supermarktblog-Informationen kann alleine Berlin-Schönefeld nach der anvisierten Erweiterung in Zukunft bis zu 12.000 Bestellungen schaffen; derzeit sind es theoretisch bis zu 8.000.)
In der tschechischen Heimat verfügt Rohlik jedoch über entscheidende Vorteile, die diese Omnipräsenz stark begünstigen.
Dazu gehört zum einen, dass der stationäre tschechische Lebensmitteleinzelhandel zwar vielfältig, aber nicht überall so weit entwickelt ist wie in Deutschland. In Prag buhlen große Handelsketten aus zahlreichen europäischen Ländern um die Gunst der Kundschaft – Tesco aus Großbritannien, Albert (Heijn) aus den Niederlanden, die österreichische Rewe-Tochter Billa sowie Lidl, Kaufland und Globus aus Deutschland.
Vor allem zentraler gelegene Filialen entsprechen mit ihren Sortimenten und ihrer Ausstattung aber nicht allerorten dem aktuellen Stand. (Welchen Standard sich UK-Marktführer Tesco mitten in der tschechischen Hauptstadt unter seinem Namen anzubieten traut, ist schon erstaunlich.)
Liefern lassen, wenn man ohnehin zuhause ist
Prager:innen haben die Wahl, zum Einkaufen entweder in die Hypermarkets am Stadtrand zu fahren, wenn sie mehr Auswahl wollen – oder sich den Einkauf nachhause bringen zu lassen. Von letzterem macht eine wachsende Zahl an Kund:innen offensichtlich gerne Gebrauch.
Womöglich auch deshalb, weil sie sich auch am Sonntag beliefern lassen können, wenn die allermeisten ohnehin frei haben und zuhause sein können. Zumindest ist es durchaus beeindruckend, wie häufig Rohlik-Kuriere einem sonntags in der Stadt begegnen, um größere Einkäufe zuzustellen (manchmal auch vergeblich).
Diesen Vorteil wird Knuspr in Deutschland auf absehbare Zeit wohl kaum ausspielen können. Im vergangenen Jahr hatte Knuspr über den Umweg einer neu gegründeten Gastro-Tochter samt innenstädtischem Ladenlokal und geplantem Café versucht, die hierzulande üblichen Beschränkungen zu umgehen – und traf bei der Kundschaft auf breite Zustimmung. Bei den zuständigen Behörden, die der kreativen Lösung zügig einen Riegel vorschoben, aber ganz und gar nicht. (Mehr Informationen dazu hatte damals „Location Insider“ erfragt.)
Weitere Versuche zur Durchsetzung einer Sonntagszustellung wurden seitdem nicht unternommen; dann kam die Bringmeister-Übernahme dazwischen. Derzeit scheint sich Knuspr auf die Expansion in neue Städte zu konzentrieren. Hamburg folgt – nach langer Verzögerung – Anfang 2025.
Abholung direkt am Arbeitsplatz
In Tschechien verfügt Rohlik derweil über einen weiteren Trumpf: ein etabliertes Netz an Abholpunkten, an denen Kund:innen ihre Einkäufe abholen, wenn sie ohnehin unterwegs sind oder von der Arbeit kommen. 37 solcher „Rohlik Points“ – Abholstationen mit Fächern für Kühl- und Tiefkühlare, ähnlich wie Rewe sie in Deutschland testet – gibt es in größeren Städten an zentralen Punkten: Metro-Haltetstellen, Einkaufszentren, Bürokomplexen und am Flughafen.
Mit einem per E-Mail versandten PIN erhalten Kund:innen Zugriff auf ihren Einkauf und können die jeweiligen Fächer öffnen. Gleichzeitig lassen sich die Abholstationen seitens Rohlik auch als Werbeflächen vermieten (siehe Fotos).
Zehn kompaktere Indoor-Stationen stehen in Krankenhäusern, auf Campussen, in Wohnkomplexen. Eine dritte Variante ist Mitarbeiter:innen kooperierender Unternehmen vorbehalten, die sich ihren Lebensmitteleinkauf direkt am Arbeitsplatz einstellen lassen, um ihn nach Feierabend mit nachhause zu nehmen (derzeit an 26 Standorten, u.a. bei Siemens, Allianz, O2, Telekom, TV Nova).
So erreicht Rohlik potenzielle Kund:innen in ganz unterschiedlichen Alltagssituationen – und kann im Idealfall Bestellspitzen abfedern, weil sich nicht alle zeitgleich beliefern lassen, wenn sie nach der Arbeit nachhause kommen.
Zustellung in nur 60 Minuten
Zusätzlich attraktiv wird die Bestellung an einen Rohlik Point dadurch, dass Rohlik dafür generell keine Lieferkosten verlangt („Free delivery on all orders“) und – wie für die übrigen Bestellungen in Prag – die Lieferung innerhalb von nur 60 Minuten (!) zusagt – also fast das Kernversprechen des Quick Commerce erfüllt, nur mit einer ungleich größeren Auswahl.
Ursprünglich hatte Rohlik die Abholpunkte auch für seine österreichische Tochter in Wien, die unter dem Namen Gurkerl firmiert, angekündigt; passiert ist seitdem aber offensichtlich nichts. Stattdessen dürfte man mit der nachträglichen Vergrößerung der Lagerfläche, die zudem automatisiert werden soll, ausgelastet sein. Ein baldiger Neustart des Diensts ist in Aussicht gestellt, dann soll auch wieder die Drei-Stunden-Lieferung möglich sein, die zuletzt ausgesetzt war.
Ob es Knuspr-Abholpunkte in Deutschland geben wird, ist bislang unklar.
Welchen Stellenwert Sonntagszustellung und Abholpunkte für das Rohlik-Geschäft (Gruppenumsatz im Vorjahr: 700 Millionen Euro) haben, hat das Unternehmen bislang nicht kommuniziert.
Premium-Abo und 15-Minuten-Zustellfenster
Daran, dass Knuspr die Gepflogenheiten aus der Heimat auch in neuen Märkten etablieren will, besteht derweil kein Zweifel: So ist die kostenpflichtige Premium-Mitgliedschaft, die besondere Vergünstigungen und durchgängig kostenlose Lieferungen verspricht, auch in Deutschland nutzbar. Von solchen Premium-Nutzer:innen gebe es derzeit „weit über 10.000 in Deutschland“, sagte Hübner auf der K5 (was auch daran liegen dürfte, dass Neu- und Bestandskund:innen sie regelmäßig vorübergehend kostenfrei erhalten).
Attraktiv ist das vor allem, weil Premium-User:innen „im Schnitt vier bis sechsmal pro Monat“ bei Knuspr einkaufen – also einen Großteil ihres Budgets für Lebensmittel dort lassen dürften.
Auch die (wiederum sehr luxuriöse und entsprechend kostspielige) Lieferung im 15-Minuten-Zeitfenster, die in München und Frankfurt bereits aktiv ist, soll bald für Berlin freigeschaltet werden – nach derzeitiger Planung voraussichtlich bis zum Herbst.
Kooperation mit Service-Partnern
Gleichzeitig experimentiert Knuspr mit unterschiedlichen Modellen und nutzt etwa in Berlin so genannte “Delivery Service Partner”, die im Auftrag von Knuspr für die Zustellung zuständig sind – eine Bringmeister-Erbschaft. Knuspr erklärt, dass man die Zusammenarbeit mit solchen Partnern als Strategie auch an anderen Standorten verfolgen wolle.
Das erlaube es, flexibler auf Nachfrageschwankungen zu reagieren und angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels in der Branche weiterhin lieferfähig zu bleiben, heißt es aus München.
Nach zwei bis drei Jahren sei man in allen bisher versorgten Städten lokaler Marktführer im Lebensmittel-Liefergeschäft gewesen, sagt Deutschland-Chef Hübner. In Berlin und Hamburg dürfte diese Erkenntnis nicht nur wegen des sehr viel größeren Wettbewerbs (Rewe, Picnic, Flaschenpost, Amazon Fresh, Flink & Co.) aber zumindest hart auf die Probe gestellt werden. Nach den Sommerferien ist erstmal geplant, sich in der Hauptstadt auch gegenüber potenziellen Neu-Kund:innen werblich in Szene zu setzen.