Wer diesen Denns Biomarkt am Berliner Stadtrand betritt, könnte erstmal irritiert sein: Der Eingang erinnert eher an einen modernen Selbstversorgerbereich am Flughafen-Gate als an einen klassischen Bioladen. Frische Backwaren und vorgepackte Gemüse-Quiche in gläsernen Vitrinen, Belegtes aus der Kühlung, Kaffee aus dem Automaten. Fehlt nur noch die Durchsage: „Wegen aufbacktechnischer Gründe verzögert sich die Verfügbarkeit der frischen Bauerkrustis um wenige Minuten. Wir bitten alle Kund:innen um etwas Geduld.“
Ein Biomarkt komplett ohne Bedientheke für frisches Brot, Brötchen und süße Teilchen – geht das? Bzw.: Ist das überhaupt erlaubt?
Ja, ist es. Aber längst nicht die Regel, wie sich die großen Bio-Handelsketten zu betonen beeilen, sobald man sie nach ihrer Strategie fragt, mit der sie auf die zunehmende Selbstbedienung reagieren, die im übrigen Lebensmitteleinzelhandel bei Backwaren längst zum Standard geworden ist.
Back-Auswahl, die ihresgleichen sucht
Und der Bio-Fachhandel? Der steht – mal wieder – vor einem Dilemma: Einerseits ist die persönliche Beratung an der Backwarentheke unverrückbarer Teil seines Format und ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal gegenüber Supermärkten und Discountern – heute mehr denn je. Und schon deswegen, weil sich der dort betriebene Aufwand nicht so einfach kopieren lässt: Durch die Kooperation mit mehreren lokalen Bio-Bäckereien gibt es in den Theken von Denns, Alnatura, Bio Company & Co. eine Auswahl regionenspezifischer Produkte, die ihresgleichen sucht.
Mehrere Sorten Croissants, die unterschiedlichsten Körnerbrötchen, eine ganze Batterie an frischen Broten, süßen Teilchen und frisch belegten Sandwiches ist hier jeden Tag die Norm. Da kann kein Supermarkt mithalten. (Und auch kein regulärer Bäcker.)
Es gibt aber auch ein Andererseits: die Einkaufsgewohnheiten vieler Kund:innen ändern sich dramatisch.
Wenn sich Generationen beim Einkaufen begegnen
Nicole Korset-Ristic, Vorständin Einkauf & Sortiment bei Bio Company, der Nummer drei unter den deutschen Bio-Fachhandelsketten, sagt auf Supermarktblog-Anfrage:
„Was wir beobachten ist, dass vor allem die jüngere Kundschaft sich gar nicht mehr anstellen will. Sie bevorzugen sowohl SB-Backwaren als auch SB-Fleisch.“
Während ältere Kund:innen weiter Wert auf persönliche Beratung legen, haben es jüngere Zielgruppen formatübergreifend eiliger, fordern beim Einkauf Schnelligkeit und Bequemlichkeit ein – Eigenschaften, die traditionell jetzt nicht unbedingt Stärken des Bio-Fachhandels sind. Die Händler müssen aber dennoch darauf reagieren.

Besonders deutlich wird dieser Wandel in urbanen Umfeldern – dort, wo sich filialisierte Bio-Märkte zunehmend ansiedeln, weil dort ihre Kernkundschaft wohnt und arbeitet. Die „Kleene Bio Company“ in der Berliner Rudi-Dutschke-Straße zum Beispiel ist ein City-Markt, in dem „die Menschen überwiegend aus den Büros kommen und sich möglichst schnell mit kleineren Snacks für Frühstück oder Mittagessen versorgen“, so Korset-Ristic. Bio-Brötchen, aber bitte griffbereit!
Dass Bio Company bereits vor sechs Jahren mit den ersten SB-Kombi-Konzepten für Backwaren experimentierte, war aufgrund der Konzentration der Filialen auf die Hauptstadt nur konsequent.
Die Bedienung bleibt Standard
Gleichzeitig wollen die Fachhändler bei ihren Kund:innen aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken, sie würden sich die Backwaren-Bedienung sparen wollen. Deshalb werden bislang vorwiegend Hybridkonzepte getestet. Bio Company sortiert vor allem Brot und Brötchen in die SB-Stationen; alles andere lässt sich weiter an der daneben gelegenen Theke bestellen.
Auch Sven Klopp, Leitung Vertriebssteuerung Frischetheken bei dennree, erklärt die Bedientheke für Backwaren bei Denns Biomarkt weiter zum konsequenten Standard:
„Grundsätzlich ist für den Backwarenbereich eine Bedientheke vorgesehen. In kleineren Märkten kann es jedoch – bedingt durch die räumlichen Gegebenheiten – Ausnahmen geben, bei denen stattdessen eine Selbstbedienungs-Backstation zum Einsatz kommt.“
Die strategische Ausrichtung ist laut Klopp klar:
„Unsere Zukunft sehen wir auch weiterhin in der Beratung unserer Kund:innen an bedienten Backtheken und einem kompetenten, frischen Sortiment bis in die Abendstunden.“

Theke + SB-Station = praktisch?
Trotzdem experimentiert Denns an besonderen Standorten – z.B. Bahnhöfen –mit Variationen. Die Kombination aus Bake-off-Station und Bedientheke soll „zusätzliche Flexibilität im Marktalltag“ schaffen, wie Sven Klopp erklärt:
„Gerade in Stoßzeiten ermöglicht sie unseren Kund:innen eine bewusste Wahl – je nachdem, ob persönliche Beratung oder ein schneller Einkauf für sie im Vordergrund steht.“
Die Hybridlösung – Theke plus SB-Station – sei bislang aber „nur in sehr wenigen Märkten im Einsatz“, angesichts der Marktanzahl von über 400 aus Denns-Sicht „unbedeutend“.
In der Praxis können sich die erhofften Vorteile schnell auch mal als Nachteil entpuppen: Am Berliner Bahnhof Gesundbrunnen, wo Denns auf das Hybridmodell setzt, ist der Teil des Backwarensortiments, der für die schnelle Mitnahme in die SB-Station gefüllt wird, für Thekenbesteller:innen schlecht oder gar nicht einsehbar, ohne den Markt vorher zu betreten.
In der Denns-Filiale am Zoologischen Garten steht man im Zweifel zweimal an: Einmal fürs Angeln der Standard-Backwaren aus der SB-Station und dann nochmal für Produkte, die es weiterhin nur aus der gegenüberliegenden Theke gibt. Das ist nicht dramatisch. Aber eben auch alles andere als praktisch.
Entschieden wird nach Standort
Bio Company entscheidet je nach Standort und Kund:innenstamm, erklärt Vorständen Nicole Korset-Ristic:
„Bei umsatzstarken, viel frequentierten Märkten denken wir SB immer gleich zur Bedientheke mit. Dies entlastet auch den Backstand, beispielsweise wenn jemand nur schnell 5 Brötchen haben und sich nicht unbedingt anstellen möchte. Man vermeidet hier eher Null-Verkäufe.“


Der Händler hat früh erkannt, dass unterschiedliche Zielgruppen verschiedene Bedürfnisse haben. Dennoch ist auch Bio Company vorsichtig:
„Wir haben die SB-Backwaren nicht im breiten Roll-out, das ist immer eine individuelle Standort-Entscheidung.“
Gleichwohl zeigt sich an einzelnen Standorten das Potenzial – so wie in der zuvor erwähnten Mini-Filiale in Berlin-Kreuzberg. Korset-Ristic erklärt:
„Der Umsatzanteil bei SB-Backwaren nähert sich hier auch den Thekenfilialen an.“
Denns Biomarkt hat auch andere Erfahrungen gemacht. Sven Klopp bestätigt:
„Unsere Kund:innen legen im Bereich der Backtheke großen Wert auf persönliche Beratung. Daher liegen die Absätze in SB-Stationen meist unter denen der bedienten Backtheke.“
Vorgepackte Brötchentüten für Eilige
Um auch Kund:innen zu bedienen, die es besonders eilig haben, werde deshalb oftmals eine andere, einfacher realisierbare Lösung angestrebt:
„Regelmäßig eingesetzt wird eine Zweitplatzierung vor der Backtheke oder im Markt, mit umsatzstarken vorverpackten Artikeln. Bsp. Brötchentüten 3-5 Stück verschiedene Sorten oder Baguette und Brezeln.“
Das macht auch Wettbewerber Alnatura ganz ähnlich – u.a. mit dem „Brot des Monats“ aus dem Weidenkorb oder vorgepackten Brötchentüten. Ansonsten hält man sich am Unternehmenssitz in Darmstadt auf Supermarktblog-Anfrage aber sehr bedeckt, was die eigene Strategie angeht. Eine Sprecherin des Unternehmens erklärt:
„Tatsächlich testen wir die SB-Option aktuell nur in 10 Märkten mit einem kleinen, vordefinierten Sortiment. Aus diesem Grund können wir derzeit noch keine Aussagen hinsichtlich der Ergebnisse und Trends tätigen.“
Um welche Standorte es sich handelt, will man „aus strategischen Gründen“ nicht kommunizieren. Supermarktblog-Leser:innen ist aber bekannt, dass etwa der Format-Test „Alnatura Express“ im Leipziger Hauptbahnhof nach seiner Eröffnung 2018 über eine eigene Bake-off-Station im Laden verfügt – zusätzlich zur großen Bedien- und Bezahltheke, an der frisch zubereitete Snacks gekauft werden können (siehe Supermarktblog).

Geht SB auch mit Kühlmodul?
Dass sich auch Denns eher zurückhaltend zu seiner SB-Strategie äußerte, ist umso interessanter, weil der Bio-Fachhändler durchaus gewillt war, sich den besonderen Herausforderungen zu stellen, die für den Praxiseinsatz der SB-Lösungen von Bedeutung sind.
Da die Backtheken- und Bistrosortimente bei Denns Biomarkt eng miteinander verzahnt seien, biete die bediente Backtheke in Kombination mit dem Bistro ein deutlich erweitertes Sortiment – „insbesondere durch die zusätzliche Verarbeitung und Veredelung vor Ort“, so Sven Klopp von dennree. SB-Stationen verfügten derweil in der Regel nicht über gekühlte Flächen. Vor etwa zwei Jahren habe man deshalb sogar eine Lösung dafür ausprobiert, berichtet Klopp:
„Wir haben in drei Märkten ein Kühlmodul innerhalb der SB-Backstation getestet. Nach der Erprobung haben wir uns jedoch entschieden, dieses Konzept nicht weiterzuverfolgen. Unabhängig davon kommen in einigen Märkten SB-Kühlvitrinen zum Einsatz – meist sind diese an oder in der Nähe der Theke platziert. (…) Diese SB-Kühlvitrinen stehen allerdings nicht in direktem Zusammenhang mit den klassischen SB-Backstationen – auch wenn die Übergänge in der Praxis durchaus fließend sein können.“
Vermutlich wie bei dem eingangs in diesem Text beschriebenen Format am Berliner Stadtrand. Die dort installierte SB-Kombination hätte durchaus Potenzial, zumindest an bestimmten Standorten als hochwertig wirkende Alternative zur klassischen Bedienung zu funktionieren.
Eine ziemlich clevere Lösung
Im Mittelpunkt steht eine große SB-Station mit zahlreichen Fächern, aus denen frisches Brot und frische Brötchen entnommen werden können. Snacks wie Pizzaschnecken und Quiche sind bereits fertig für die Mitnahme verpackt.

Neben der SB-Station ist ein Kühlregal positioniert, in dem belegte Brötchen – ebenfalls vorgepackt und als „Hausgemacht“ gekennzeichnet – frisch bleiben; dazu können andere kühlpflichtige Snacks wie Sushi und Getränke mitgenommen werden. Ganz rechts ist eine Kaffeestation vor dem großzügigen Sitzbereich positioniert, an dem sich Kund:innen ihren (idealerweise zuvor an der Kasse bezahlten) Cappuccino selbst in Tassen füllen können.
Hinter der Station lässt sich der seitlich durch eine Schwingtür abgetrennte Aufbackbereich mitsamt der Möglichkeit für Mitarbeitende, Brötchen frisch zu belegen, erahnen.




Die SB-Backwaren-Auswahl mag nicht mit jener aus der klassischen Bedientheke mithalten. Aber die Gesamtlösung wirkt stimmig und durchdacht, integriert sich nahtlos in den Markt und könnte Vorbild für andere Läden in Randlagen sein. Vor allem solche, bei denen nicht ausreichend Personal für eine vollständige Besetzung der Bedientheke vorhanden ist oder es sich schlicht nicht rentiert.
Lektionen für die Zukunft
Offensichtlich sind diese Probleme aber auch (noch) nicht drängend genug, um den Schwerpunkt im Bio-Fachhandel weiter in Richtung Backwaren-Selbstbedienung zu verschieben. So navigieren die Händler weiter vorsichtig zwischen Tradition und Moderne. Während der klassische Lebensmitteleinzelhandel oft radikal auf Selbstbedienung umschwenkt, gehen die Bio-Ketten differenzierter vor – und das ist durchaus klug.
Zumal die standortspezifischen Lösungen ja zu funktionieren scheinen: City-Märkte mit Office-Kundschaft brauchen andere Konzepte als traditionelle Standorte in Wohngebieten.
Dennoch experimentieren die meisten Ketten noch zu zaghaft. Das Berlin-Beispiel von Denns zeigt, dass durchdachte SB-Konzepte funktionieren können und eine Berechtigung im Fachhandel hätten – wenn man die Sortiments-Herausforderungen clever löst. So könnte der Bio-Fachhandel Vorreiter für eine „intelligente Selbstbedienung“ werden – mit besserer Technik, durchdachteren Konzepten und attraktiverer Auswahl als der klassische LEH. Statt nur Bedienung gegen SB zu tauschen, ließen sich Hybridformen weiterentwickeln, die das Beste aus beiden Welten vereinen.
Auch wenn man die Kundschaft dafür am Ladeneingang mal anders begrüßen muss, als es bisher die Norm war. Hauptsache, die Bauernkrustis sind weiter genauso frisch wie immer.







Stichwort SB: Beim Alnatura („Express“ will ich mal nicht sagen) am Leipziger Hbf hat sich mit dem Umbau im Frühjahr auch eine SB-Kasse reingemogelt, um die notorisch lahme Kassen-Snack-Kombitheke etwas zu entschärfen.