Carrefour, Jumbo, Morrisons – europäische Supermärkte sind sich einig: Lebensmittel-Lieferungen werden richtig wichtig

Carrefour, Jumbo, Morrisons – europäische Supermärkte sind sich einig: Lebensmittel-Lieferungen werden richtig wichtig

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Im europäischen Handel mit online bestellten Lebensmitteln ist einiges in Bewegung – nur die deutschen Handelsketten tun sich weiter schwer mit Innovationen.

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Waren Sie auch so erschrocken, als Sie diese Woche beim Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) von der „große[n] Akzeptanz[,] Lebensmittel online zu bestellen“, gelesen haben? Weil laut aktueller bevh-Verbraucherstudie der Umsatz im 2. Quartal um 17,9 Prozent auf 407 Millionen Euro gestiegen ist (im Vergleich zum Vorjahresquartal)?

Musste kurz zum Fenster rausschauen, aber: ja, da war immer noch das Land der Frische-Bestellskeptiker und Auberginendrücker. Und selbst hier kommt dieses verrückte Online-Lebensmittelbestellen langsam (wieder) an?

Selbst wenn: Eine Revolution lässt sich mit den bevh-Zahlen freilich noch nicht belegen, der Anteil am Gesamtmarkt ist auch anderswo noch gering. Aber dort erkennen das Unternehmen eher als Chance. (Verrückt.) Hierzulande schleicht die Entwicklung der Angebote eher voran. Auch anderthalb Jahre nach dem Start gelingt es Picnic mühelos, sich mit der stetigen Expansion in jedes neue nordrhein-westfälische Städtchen (siehe Supermarktblog) weiter als Innovationsführer zu präsentieren. (Wobei das Modell natürlich erst richtig spannend wird, wenn es unter Beweis stellen muss, ob es auch in ganz großen Städten ohne die hübsch kalkulierbaren Einfamilienhausreihen funktioniert.)

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In jedem Fall dürfte Picnic-Deutschland-Chef Frederic Knaudt einen Heidenspaß gehabt haben, als er kürzlich der „Lebensmittel Zeitung“ erzählte, dass sein Dienst in „den Gebieten, in denen wir aktiv sind, ja schon längst (…) die Nummer eins“ ist – vor dem Rivalen Rewe. (Die „Größenordnung von Wettbewerbern wie Rewe“ erreiche man „innerhalb von zwei Wochen, und nach sechs Monaten sind wir bereits acht bis zehn mal größer“.)

Rewe, einst mit großem Vorsprung online gestartet, hält sich nach der Eröffnung seines ersten vollautomatisierten Kommissionierlagers in Köln vor einem Jahr vornehm mit Innovationen zurück.

Das könnte sich bald ändern.

In dieser Woche haben die Kölner Schutz für die Marke „Rewe express“ beantragt. Und abgesehen davon, dass es sich dabei natürlich um quasi alles handeln kann – vom kassenlosen Testsupermarkt bis zum neuen Gastro-Format (?) – wäre „Rewe express“ in erster Linie natürlich ein hervorragender Name, um einen Lebensmittel-Schnelllieferdienst in größeren Städten zu testen. So wie es im europäischen Ausland bereits zahlreich vorgemacht wird. Lieferando und/oder Deliveroo stehen als Partner sicher gerne bereit (siehe dazu auch Supermarktblog: Werden Supermärkte und Lieferessen-Dienste 2019 zum Dream-Team?) Mit einem funktionierenden Express-Lieferdienst hätte Rewe nicht nur Picnic, sondern quasi sämtlichen Wettbewerbern wieder etwas voraus.

Unter dem Namen „Rewe Express Drive“ hatten die Kölner vor vielen Jahren ein Abholkonzept getestet (das inzwischen schlicht „Abholservice“ heißt); die URL rewe-express.de leitet derzeit auf den klassischen Rewe-Online-Shop um.

Nach der Stagnation der vergangenen Monate wäre es allerhöchste Zeit, dass im Lebensmitteleinzelhandel mal wieder was ausprobiert wird, anstatt weiter möglichst fest daran zu glauben, es sei schon in Ordnung, die angestoßenen Services einfach auf dem Stand von vor ein paar Jahren einzufrieren. (Bringmeister ist die Innovationsbereitschaft nach dem Amazon-Fresh-Schock auch schnell wieder abhanden gekommen, allen Chancen zum Trotz.)

Zumindest glaubt so ziemlich jede andere europäische Handelskette, dass es notwendig ist, sich auf die rasant verändernden Gewohnheiten der Kund:innen einzustellen. Kleines Update gefällig?


Großbritannien

Morrisons, Waitrose, Ocado fokussieren Delivery

Seit drei Jahren macht Morrisons, aktuelle Nummer vier im britischen Lebensmitteleinzelhandel, gemeinsame Sache mit Amazon und verkauft Eigenmarken über den Schnelllieferdienst Prime Now. Im Juni haben die Briten bekannt gegeben, die Zusammenarbeit zu intensiveren.

Zum einen, indem neue Städte dazu kommen (Glasgow, Newcastle, Liverpool, Sheffield, Portsmouth), schreibt IGD Retail Analysis. Zum anderen, indem Morrisons bei Prime Now nun als eigenständiger Händler aufgeführt ist, der einen großen Teil seines Sortiments selbst kommissioniert und Amazons Kurierlogistik für die Zustellung in Anspruch nimmt.


Screenshot: primenow.co.uk

Möglich ist das, weil zuvor die Vertragsvereinbarungen mit dem langjährigen Lieferpartner Ocado gelockert wurden. Das ergibt schon deshalb Sinn, weil dieser im August sein angekündigtes Joint Venture mit Marks & Spencer auf den Weg bringen will.

Und sich gleichzeitig anstrengt, den mit Stuart betriebenen neuen Schnelllieferdienst Ocado Zoom (siehe Supermarktblog) auf den Straßen Londons zu etablieren – mit einem Frontalangriff auf die zahlreichen Convenience Stores von Tesco, Sainsbury’s und Waitrose, gegenüber denen Ocado das größere (Bio-)Sortiment herausstellt:

„Does your corner shop stock your favourite Organic Raw Fresh Sauerkraut? Can’t get those yummy Daylesford Organic Walnut Halves you love at the convenience store down the road? Don’t worry, we have your organic must-haves (…) and we’ll deliver them in less than an hour.“

Waitrose, zukünftiger Ex-Ocado-Partner, versucht’s seit September des vergangenen Jahres auf eigene Faust mit „Waitrose Rapid Delivery“. The Co-Op liefert bekanntlich mit Deliveroo. Dort wiederum versteht man sich neuerdings recht gut mit Amazon – was das konkret bedeutet, ist aktuell aber noch unklar.


Frankreich

Carrefour klotzt, Casino und Amazon ganz eng

Auf dem europäischen Festland hat sich Carrefour von der Schnelllieferei anstecken lassen und kooperiert künftig künftig mit dem spanischen Kurierdienst Glovo (in den auch der Berliner Lieferdeinst-Aggregrator Delivery Hero investiert hat). Dessen Fahrer sollen online bestellte Produkte innerhalb von 30 Minuten nachhause bringen. Die Auswahl ist vorerst auf 2.500 Produkte beschränkt. Außer in Frankreich wird der Dienst auch in Spanien, Italien und Argentinien angeboten, kündigt Carrefour an.

Gleichzeitig, berichtet das Fachmagazin „LSA“ (englische Zusammenfassung bei IGD), will Carrefour seinen regulären Lebensmittel-Lieferservice bis 2020 in allen städtischen Regionen mit mehr als 10.000 Einwohnern anbieten. Um das zu schaffen, fährt der Handelskonzern zweigleisig: Zum einen sollen große Hypermarchés verstärkt in die Kommissionierprozesse eingebunden werden. Zum anderen setzt man in großen Städten auf zusätzliche Warenlager. Um gleichzeitig die Frequenz in den stationären Läden anzukurbeln, hat sich Carrefour zudem vorgenommen, über 7.000 Non-Food-Produkte künftig innerhalb von zwei Stunden nach Bestellung abholbereit im Markt anzubieten.

Konkurrent Casino scheint sich derweil, ähnlich wie Morrisons in Großbritannien, immer besser mit Amazon zu verstehen. In Paris liefert die zum Handelskonzern gehörende Supermarktkette Monoprix per Prime Now (je nach Standort) bis 0 Uhr; Casino-Eigenmarken (daily, Bio, Délices) im ganzen Land über die reguläre Amazon-Website zu kaufen sein (PDF-Mitteilung). Außerdem darf Amazon seine Locker-Abholstationen in 1.000 französische Casino-Stores stellen.


Irland, Spanien & Co.

Lidl tastet sich voran

Nach dem Rückzieher im deutschen Markt tastet sich Lidl in mehreren europäischen Ländern langsam wieder in Richtung Online vor und bietet die Lieferung von Lebensmitteln gemeinsam mit Partnern an, über deren Apps Kund:innen bei Lidl einkaufen können. Geht jetzt schon in Irland (siehe Supermarktblog) und Spanien, in Italien und Belgien laufen Tests. „The Grocer“ spekuliert, dass es auch bald im Großraum London soweit sein könnte.

IGD fasst Lidls Lieferambitionen in einer hübschen Grafik zusammen.


Niederlande

Jumbo profitiert auch stationär von Online

Sofortverzehr-Sandwiches und warme Mittagessen? Liefert der niederländische Marktführer Albert Heijn mit Thuisbezorgd.nl und Deliveroo nachhause. Konkurrent Jumbo kümmert sich derweil nicht nur um den Ausbau seines traditionellen Lebensmittel-Liefergeschäfts, dessen Kommissionierung aus den Läden in stadtnahe Hubs verlagert wird. In Groningen darf das Start-up FoodDrop online bestellte Lebensmittel auch innerhalb von 45 Minuten zu seinen Besteller:innen nachhause radeln. (In einem 2,5-Kilometer-Radius um den Markt.)

Und dem Branchenmagazin Distrifood.nl (Abo) hat Jumbo-Geschäftsführer Frits van Eerd kürzlich erläutert, dass das Online-Geschäft nicht – wie oft vermutet – zu Lasten des übrigen Geschäfts gehen muss. Die Jumbo-Märkte, aus denen geliefert würde, seien erkennbar schneller gewachsen als jene, in denen der Dienst nicht angeboten würde – und zwar: auch mit ihren stationären Umsätzen. „Es gibt keine Kannibalisierung“, sagt van Eerd, „das Gegenteil ist der Fall. (…) Online zieht nicht nur neue Kunden an, sondern stärkt auch die Kundenbindung. Das ist sehr ermutigend. Und es bestätigt uns darin, Kunden nicht in separate Kanäle einzuteilen – online und offline –, sondern sie als eins zu behandeln.“

Fragt sich bloß: Wer bringt das jetzt den deutschen Lebensmitteleinzelhändlern bei?

Fotos: Supermarktblog

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3 Kommentare
  • Die Klassifizierung mit 29 als Leitklasse spricht eher dafür, dass »Rewe express« essbar sein soll, z.B. als Nachfolger von »Rewe ready«, das die selbe Klassifizierung hat.

    • Ja, ich muss mir merken, nicht zuviel Hoffnung in die Innovationsbereitschaft deutscher Lebensmitteleinzelhändler zu setzen. (Und: Ist „Rewe Ready“ überhaupt jemals zum Einsatz gekommen – außer als „Ready to Eat“?)

    • Ich habs nie außerhalb von Supermarktblog und DPMA gesehn. Falls es sich für den geplanten Zweck als untauglich erwiesen hat (z.B. in Tests oder bei Penny), wär es auch einfacher zu ersetzen, solang es noch nicht größer im Umlauf ist.

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