Den Ausweis im Supermarkt müssen für gewöhnlich bloß Jugendliche mit Oberlippenflaum vorzeigen, um beim Tequila-Erwerb vom Jugendschutz-Bouncer durch die Kasse gelassen zu werden. Aber wer weiß: Wenn Handelsketten ihre Kund:innen künftig verstärkt als zahlende Club-Mitglieder verpflichten, könnte die Ausweispflicht an der Kasse noch massiv zunehmen.
Real war es nicht mehr vergönnt, zu beweisen, dass eine solche Strategie auf lange Sicht auch im deutschen Lebensmitteleinzelhandel hätte funktionieren können.
Dabei war die SB-Warenhauskette der innovationsträgen Konkurrenz wieder mal um Längen voraus, als sie Mitte November des vergangenen Jahres ihr neues Vorteilsprogramm präsentierte (siehe Supermarktblog).
Real Pro: Neuanmeldungen nicht mehr möglich
Ein „ständige[r] Begleiter unserer Kunden im Alltag“ hätte Real Pro werden sollen. Für eine Jahresgebühr von 69 Euro bekommen Mitglieder dauerhaft 20 Prozent Rabatt auf Lebensmittel, Getränke, Drogerieprodukte und Tiernahrung, 10 Prozent auf Spirituosen und Liköre sowie weitere Vergünstigungen auf real.de. Damals wollte man das Serviceangebot „zügig ausbauen“. Zwischenzeitlich hat Real aber den Eigentümer gewechselt, und der russische Investor SCP macht derzeit keinerlei Anstalten, sich im deutschen Lebensmitteleinzelhandel dauerhaft einrichten zu wollen.
Filialen sollen an Kaufland und Edeka abgegeben werden, das Marktplatzgeschäft wird ebenfalls verkauft (siehe Supermarktblog). Vor wenigen Tagen wurde bereits der „Lebensmittelshop“ eingestellt. Und auch Real Pro ist bald Geschichte – nicht, wie von einigen Medien berichtet, zum September, sondern erst im kommenden Jahr. Neuanmeldungen sind aber schon länger nicht mehr möglich.
Auf Supermarktblog-Anfrage bestätigt ein Real-Sprecher:
„Unser Kundenbindungsprogramm realPro wird im kommenden Jahr enden. Seit Juli 2020 ist es nicht mehr möglich, neue realPro Mitgliedschaften abzuschließen. Bestehende Mitgliedschaften werden nach Ablauf der Jahresmitgliedschaft nicht verlängert werden. Das Programm läuft somit spätestens zum 30. Juni 2021 aus.“
Walmart+ hofft auf den Prime-Effekt
Währenddessen gewinnen (kostenpflichtige) Programme, mit denen Handelsketten unterschiedliche Vorteile für Mitglieder bündeln, in ausländischen Märkten massiv an Bedeutung. Und Zar, um Handelsketten dabei zu helfen, ganz unterschiedlicher Konkurrenten abzuwehren.
Um Amazon mit seinem erfolgreich funktionierenden Mitgliederprogramm Prime etwas entgegen zu setzen, hat Walmart in den USA gerade Walmart+ gestartet. Für 98 Dollar im Jahr (oder 12,95 Dollar monatlich) sparen sich Mitglieder die Lieferkosten für ihre Lebensmittel-Bestellungen – genau wie bei Prime. Walmart verspricht zusätzlich Rabatt beim Tanken und eine „streamlined store experience“. Das bedeutet: Die Möglichkeit, Einkäufe im Laden mit dem eigenen Smartphone zu scannen (Scan & Go) ist exklusiv den Nutzer:innen von Walmart+ vorbehalten.
Redcode berichtete vor einigen Wochen zudem darüber, es gebe Pläne, dem Programm eine Entertainment-Komponente hinzuzufügen.
In Großbritannien ist Marktführer Tesco dabei, sein vor 25 Jahren eingeführtes Kundenbindungsprogramm Clubcard neu zu positionieren. Fast zeitgleich mit Real Pro startete im vergangenen Jahr Clubcard Plus, eine kostenpflichtige Variante. Für monatlich 7,99 Pfund können Mitglieder zweimal einen Rabatt in Höhe von 10 Prozent auf einen Einkauf ihrer Wahl einlösen (im Höchstfall 200 Pfund). Vergünstigungen beim Tanken gehören ebenfalls zu den Vorteilen.
Tesco lockt mit „Clubcard Prices“
In einem Interview deutete der scheidende Tesco-Chef Dave Lewis (der an diesem Mittwoch seinen letzten Arbeitstag hat) kürzlich an, dass man in Erwägung ziehe, Clubcard-Plus-Mitgliedern künftig auch die Lieferkosten für Online-Bestellungen frischer Lebensmittel zu erlassen.
Clubcard soll Tesco aber noch gegen eine weitere Bedrohung helfen: den deutschen Discount. Mitte September hat Tesco deshalb „Clubcard Prices“ gestartet, die zunächst für alle Clubcard-Nutzer:innen gelten und bei ausgewählten Lebensmitteln bis zu 50 Prozent Rabatt auf den regulären Regalpreis versprechen – sowohl im Laden als auch online. Voraussetzung ist, dass Mitglieder an der Kasse ihre Clubcard scannen. Das Rabattversprechen gilt sowohl für klassische Markenprodukte (z.B. Cathedral City Nature Cheddar, Cadbury Blake 99 Cones) als auch für Tesco Eigenmarken (Tesco Finest Honey Toast Ham).
Das britische Fachmagazin „The Grocer“ hat sich ausrechnen lassen, dass der durchschnittliche Rabatt der Produkte, deren Auswahl alle zwei bis drei Wochen wechseln soll, bislang bei 34 Prozent liegt.
Der „Grocer“ zitiert zudem Analysten, die davon ausgehen, dass Tesco Aktionspreise, die üblicherweise allen Kund:innen angeboten würden, gezielt auf Clubcard-Mitglieder umgelenkt werden, um neue Nutzer:innen zu gewinnen (und die im Anschluss vielleicht auch für Clubcard Plus begeistern zu können).
Sparen für Mitglieder? Gibt’s doch schon!
Wenn Walmart und Tesco mit ihren Initiativen erfolgreich sein sollten, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis das Prinzip sich auch anderswo durchsetzt. Dabei ist die Vorteilsidee ja eigentlich ein alter Hut: Waitrose schenkt treuen Kundinnen schon seit Jahren Kaffee und Zeitungen (siehe Supermarktblog von 2014).
Und zahlreiche deutsche Kund:innen kennen Vergünstigungen beim Lebensmitteleinkauf für Mitglieder seit Jahren. Die früheren Sky-Supermärkte sind längst an Rewe verkauft und umbenannt, ihren Genossenschaftsmitgliedern bietet die die Kieler Coop aber weiterhin Einkaufsrabatte an; im Berliner Bio-Fachhandel verspricht LPG Biomarkt: „Werde Mitglied und spare“; und Nachbarschaftsmärkte wie die Hamburger Warenwirtschaft bieten mit großem Erfolg Bio-Lebensmittel zum Selbstkostenpreis gegen eine Monatsgebühr.
Es sieht so aus, als wollten die großen Handelsketten dieses Prinzip nun kapern. Einkaufsvergünstigungen sind dabei nur das Kernversprechen, das nach und nach mit weiteren Vorteilen ergänzt wird, um Kund:innen möglichst lange an sich zu binden.
Erst anmelden, dann scannen
Zu den deutschen Handelsketten hat sich das freilich noch nicht herumgesprochen. Rewe versucht weiter, Neumitglieder ins Universal-Rabattprogramm Payback zu locken – derzeit mit dem Versprechen, 10 Prozent auf den ersten Einkauf zu gewähren. Gleichzeitig koppelt man die Nutzung des neuen Scan-&-Go-Diensts an die Teilnahme bei Payback (siehe Supermarktblog) – was als erstes Anzeichen für eine Service-Bündelung gesehen werden könnte.
Im europäischen Ausland geht Kaufland ähnlich vor: Tschechische Kund:innen, die sich für das Mitgliederprogramm K-Card registriert haben, können in ausgewählten Märkten ebenfalls Scan & Go beim Einkauf nutzen (via Retail Optimiser).
Und das gerade bundesweit gestartete Lidl Plus verspricht nicht nur Rabatte beim Einkauf im Laden und auf Online-Services, sondern auch Vergünstigungen von Partnerunternehmen.
Eine kostenpflichtige Mitgliedschaft hat sich – außer Real – bislang aber noch keine andere deutsche Handelskette zu starten getraut.
Wie wär’s mit „Mein Rewe“ statt „Mein Markt“?
Dabei wäre das für ein Unternehmen wie Rewe, das sowohl Vorteile bei der Belieferung mit Lebensmitteln (die seit Corona ausgesetzte Lieferflat!) als auch Vergünstigungen aus der Baumarkt- und Touristiksparte integrieren könnte, gar keine schlechte Idee. Vor allem, wenn die Discounter zunehmend die regulären Kundenbindungstricks der Supermärkte kopieren. Bei einem zentralen „Mein Rewe“-Service wäre der aktuelle Rabattpartner Payback auf Dauer aber wohl eher das dritte Rad am Wagen.
Ob Supermärkte auf Dauer wirklich als kostenpflichtige Mitglieds-Clubs taugen, ist zum derzeitigen Zeitpunkt zwar völlig offen. Dass Real Pro nicht der letzte Versuch in dieser Hinsicht gewesen sein könnte, scheint jedoch ziemlich plausibel.
Titel [M]: Real/Tesco/Walmart/Smb, Fotos: Supermarktblog
Bevor ich eine quasi Eintrittsgebühr zahle, um irgendwo einkaufen zu dürfen (oder absurd hohe Preise zu vermeiden), suche ich mir lieber eine Alternative, und sei es ein Lieferdienst wie Picnic. Mein unwissenschaftliches Bauchgefühl grummelt eher, dass hier die schrumpfende Marge im Einzelhandel durch Zusatzkosten für den Kunden abgefedert werden soll, oder wahlweise Ladenhüter bzw. überteuerte Eigenmarken unter das Volk gebracht werden sollen. „50% Rabatt“ schreibt sich leicht, wenn die treudoofen Mitglieder über die Zeit die Preise der Konkurrenz vergessen, denn man/frau geht ja nur noch zu „seinem“ Laden… Plus fleißig Daten sammeln als Bonus… Gott, fühl ich mich alt!
PS: Schon seit Jahren will Safeway in den USA für viele Produkte geradezu absurd hohe Preise von Nicht-Mitglieds-Kunden. Bislang konnte ich mit treuem Touristenblick die Kassiererinnen (ja, das funktioniert nicht an der Self-Service-Kasse!) immer überreden, doch den Mitgliedsknopf auf ihrem System zu drücken…
Naja, die Safeway-Card kann man sich ja einfach mitnehmen, die ist sofort aktiv.
Ich weiß nicht mal, ob ich damals eine Fakeadresse abgegeben hatte, oder die Registrierung irgendwann später abschliessen wollte 😉
Im Jahr drauf hat sie auch noch funktioniert.
Bei der Clubclard von Tesco und den dort nun inkludierten exklusiven Rabatten musste ich spontan an Albert Heijn denken. Dort ist es ja schon lange völlig normal, dass alle Angebote und damit das komplette Wochenprospekt nur für Nutzer*innen der bonuskaart gelten (was manche deutsche Tourist*innen nachhaltig verwirrt).
Und Zar, um Handelsketten dabei zu helfen, ganz unterschiedlicher Konkurrenten abzuwehren.
*grummel*War ja klar, dass da wieder der Russe hinter steckt.*brumm* 😛