Darf’s ein bisschen mehr sein?“, ist eine Frage, die Kund:innen bei ihrem Einkauf im Supermarkt früher regelmäßig gehört haben. Heute müssen sie sie selbst stellen: und zwar der Marktleiterin oder dem Marktleiter, die bzw. der händeringend nach Personal sucht, um die Theken für Fleisch, Fisch und Käse zu besetzen.
Denn während die Regale in den Läden prall gefüllt sind, bleiben die Plätze hinter den Theken zunehmend leer.
Die Supermärkte stehen vor einem Dilemma: Wie kann man Kund:innen weiterhin Frische und Service bieten, wenn niemand da ist, der das erledigen will? Das Problem ist bekannt (siehe Supermarktblog von vor zwei Jahren). Nur über die Lösungen wird seitens der Handelsunternehmen noch beraten.
Edekas Umbau-Strategie
Einem Bericht der „Lebensmittel Zeitung“ zufolge prophezeit Edeka-Südwest-Chef Rainer Huber, dass künftig 20 Prozent weniger Personal zur Verfügung stehen wird, um die bisherigen Leistungen umzusetzen. Daher versucht sich der Marktführer im deutschen Lebensmitteleinzelhandel seit kurzem an einer Transformers-Strategie: Zahlreiche Regionen (Südwest, Nordbayern, Südbayern, Nord, Minden-Hannover) integrieren laut „LZ“ flexible Thekenlösungen in ihre Märkte.
Die können schneller umgebaut werden als ein Kleinkind „Butterkäse“ sagt: von der klassischen Bedienung zur Selbstbedienung und zurück. Tagsüber, wenn mehr Kund:innen Beratung wünschen, steht Personal bereit. In den Abendstunden oder bei Personalknappheit wird die Theke auf Selbstbedienung umgestellt.
Interessanterweise verzeichnete Edeka bei Tests mit flexiblen Käsetheken sogar steigende Umsätze. Teilweise lassen sich die Kund:innen vor den SB-Käsetheken mehr Zeit als bei der Bedienung. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue Sorte ausprobiert wird, die auch mal höherpreisig ist.
Steigende Umsätze mit SB
In vielen Märkten beschränkt sich die Bedienung inzwischen von vornherein auf Fleisch und Fisch; Käse gibt’s daneben größtenteils nur vorgepackt.

Wer doch gern ein Stückchen Cheddar frisch vom Laib hätte, der muss die Mitarbeiter:innen mit der Herrschaft über Kotelett und Schnitzel fragen, ob sie aus dem daneben geschobenen Mini-Molkereiangebot was absäbeln können.
Auch Rewe bleibt von der Personalmisere nicht verschont. Erste Tests mit Theken, die nur noch nach Bedienung aussehen, gab es in einzelnen Märkten schon vor zwei Jahren: Mitarbeiter:innen schneiden frische Ware dort gut sichtbar für die Kundschaft auf und verteilen sie vorgepackt in die Kühlfächer an der Front, aus der man sich selbst bedienen muss.

Gleichzeitig treffen die Veränderungen natürlich das Rewe-Schnellimbisskonzept „deli am Markt“, das als Anlaufstelle für kalte und warme Snacks mal fester Bestandteil neuer City-Supermärkte sein sollte. Und nun – je nach Standort – unterschiedliche Umwidmungen zu erdulden hat.
Versteckspiel mit der Snack-Theke
In einem Berliner Rewe-Markt wurde das deli am Markt mehrfach geschlossen, wieder eröffnet (mit eingeschränkten Verkaufszeiten) und neu geschlossen – wie bei einem schlechten Versteckspiel: Hallo, da bin ich. Jetzt bin ich wieder weg!

Nach der letzten, vermutlich finalen Schließung wurden zunächst meterweise fertig gebackene Baguettes in Kisten vor die Auslage gestapelt, um den traurigen Anblick der verwaisten Theke zu kaschieren. Inzwischen ist sie auf voller Breite mit Werbung für zentrale Rewe-Leistungen abgehängt: regionale Produkte, Artikel zum Discount-Preis, Aufbackartikel aus dem Brötchenknast um die Ecke (Titelfoto).
Statt frischer Snacks gibt’s beim Betreten des Marktes nun Eigenwerbung – wenn schon kein Essen, dann wenigstens „Food for Thought“. Das sieht exakt nach dem aus, was es ist: einer Notlösung mit angeschlossenem Sitzbereich.
In anderen Filialen geht Rewe einen Schritt weiter und baut das „deli am Markt“ zu einer Snacktheke mit Selbstbedienung um, die entweder anstelle der bisherigen Bedientheke für Fleisch und Wurst rückt (siehe Supermarktblog) – oder vor die klassischen Bedientheken als eine Art würfelförmige Salatbar für Fleischliebhaber:innen.

Rettungsanker Theken-Tinder?
Derweil werden in einzelnen neuen Rewe-Märkten gegen den Trend weiterhin klassische delis am Markt mit Bedienung eröffnet. „Kleine Pause, großer Hunger?“, lockt die Werbung zu „Heißen und kalten Snacks to go!“, die inzwischen durchaus attraktiv präsentiert (belegte Brötchen in geflochtenen Körbchen) und übersichtlich gekennzeichnet sind (vom Schwein, vom Rind, vegetarisch).
Aber vielleicht eröffnet man sich damit auch bloß gleich die nächste Zukunftsbaustelle in den frisch fertig renovierten Supermarkt.


Was können die Handelsketten noch tun, um ihre Theken zu retten? Theken-Tinder, das Kund:innen mit verfügbarem Thekenpersonal matcht? Swipe rechts für Gouda, links für Salami! Oder Käse-Karaoke als Event: Wer singt am besten „Mozzarella di Bufala Campana“?
Manche Kaufleute argumentieren, es bräuchte ein neues Ladenschlussgesetz, um den Personalmangel mittels begrenzter Öffnungszeiten zu entschärfen. Andere befürchten, dass dies nur zu einer Verlagerung des Problems führen würde.
Sternstunde der Hybridkonzepte
Vielleicht schlägt jetzt aber auch wirklich die Sternstunde der Hybridmodelle, bei denen zu eingeschränkten Zeiten bedient und beraten wird – idealerweise mittels vorheriger Terminreservierung per App.
Oder die Handelsunternehmen müssen im Ladenlayout grundlegend umdenken, und die Theken von den Ladenrändern in die Marktmitte holen, wo im platzsparenden 360-Grad-Bedienquadrat die wichtigste Ware angeboten wird – von einer einzigen Fachkraft, die sich ihre Kompetenz (und das Umsatzpotenzial) entsprechend bezahlen lässt.
Eines ist sicher: Die Theke, wie wir sie kannten, wird sich drastisch verändern. Wenigstens, solange es noch Kund:innen gibt, die beim Anblick einer perfekt aufgeschnittenen Mortadella in Verzückung geraten.
Danke an Alexander B.!
- Sinkende Umsätze, fehlendes Personal: Die ungewisse Zukunft der Frischetheken im Supermarkt
- Siegeszug der Selbstbedienung: Wie Rewe beim „deli am Markt“ auf den Personalmangel reagiert
vieles ändert sich.. und Lidl schränkt bei Lidl plus den Rabatt ein . (ab 2 Packung….)
Der Frischevorteil wird bei diesen Vertriebstypen immer geringer und zugunsten des SB!
Norweger Zuchtlachs SB von Lidl und den Andern ist der Vorgeschmack wos hingeht.
Die Bedienmärkte negieren diesen Verkaufskanal,darin liegt die eigentliche Doppelchance.
In einem Rewe-Markt in Mönchengladbach Mitte wurden die Frischetheken aufgegeben aber nicht ganz ausgebaut, sondern mit verpackter Wurst und Fertigmenüs für die Mikrowelle von einer lokalen Metzgerei befüllt. Daneben ist ein Backwarenregal und eine heiße Theke, für die es einen Mitarbeiter braucht, der aber fast nie zu sehen ist und nachmittags ist die Theke leer. Frikadellen und Hähnchenschenkel muss man also am Besten zum Frühstück kaufen.
> „Manche Kaufleute argumentieren, es bräuchte ein neues Ladenschlussgesetz, um den Personalmangel mittels begrenzter Öffnungszeiten zu entschärfen.“
Das erschließt sich mir nicht: In NRW dürfen alle Geschäfte Mo-Sa 24h öffnen, aber die oben beschriebenen Veränderungen gibt es genauso.
> „wo im platzsparenden 360-Grad-Bedienquadrat die wichtigste Ware angeboten wird“
Genau so eine Theke wurde vor Jahren in einem Düsseldorfer Rewe (Rethelstraße) entfernt und durch eine lange „normale“ Theke an der Rückwand ersetzt. In Kunden-schwachen Zeiten bedeutet das für die einzige Bedienung ein erhebliches Fitness-Programm, von den mürrisch in drei bis vier Reihen anstehenden Kunden (Fleisch, Wurst, Käse, z.T. Imbiss) mit ihrem „ich war zuerst dran“ ganz zu schweigen…
Das Problem mit „wer war zu erst dran“ ist bei uns in der EDEKA ganz interessant gelöst. Wenn man zur Theke kommt kann man hier eine Nummer ziehen (so wie früher beim Amt), wahlweise noch separiert nach Wurst, Käse oder Fisch. Da geht es dann streng nach Nummer und kein gemurre bzw genörgel. War am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig aber mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt.
-> David:
Die Abreißnummern gibt es in Düsseldorf sogar auf dem Markt (!!!), bei einem Metzger. Auch dort geht es so sehr geregelt zu, aber mein Bauchgefühl findet das ganz fürchterlich. Zu viele Ämter und Krankenhäuser in meinem Hinterkopf…
@Alexander P
In einigen Ländern Amerikas ist die Ticketrolle an Bedientheken alltäglich. Dazu gibt es einen Bildschirm oder eine LED-Anzeige über den Köpfen, so dass man bei allzu langen Wartezeiten schon mal mit dem restlichen Einkauf weitermachen kann. Probleme gibt es dann, wenn die Bedienung Tickets aufruft, aber vergisst, auch die Anzeige weiterzuschalten.
„Handelsketten reagieren auf den Personalmangel in der Branche mit kreativen Lösungen.“
Es gibt keinen echten Personalmangel in der Branche, sondern lediglich einen unechten, der durch schlechte Bezahlung bzw. Underemployment verursacht ist.
Bei Kaufland haben nur Warenbereichsleiter Vollzeitverträge oder alte Hasen mit alten Verträgen von vor mehr als 15 bis 20 Jahren. Beim Rest gehören schon 30-Stunden-Verträge zum Höchsten der Gefühle. Auch 20 Stunden sind schon gut, darunter gibt es noch 16 und 12 Stunden. Neue Mitarbeiter bekommen grundsätzlich keine Vollzeitverträge. Die zahlreichen Anträge auf vertraglich zugesicherte Stundenerhöhungen werden regelmäßig abgelehnt oder werden lediglich zeitlich befristet angenommen, wenn es gar nicht mehr anders geht, weil Mitarbeiter nach teils monatelangen Überstunden (die nicht auf Urlaubs- oder Weihnachtsgeld angerechnet werden!) irgendwann die Schnauze voll haben vom Ausgepresstwerden.
Hier eine grobe Rechnung, was dies für einen 20-Stunden-Mitarbeiter bedeutet (man bedenke, dass der hier zugrunde liegende Stundenlohn branchenspitze ist und auch nur nach mehreren Jahren Betriebszugehörigkeit gezahlt wird):
80 x 19,27 € = 1541,60 € brutto
1541,60 € x 0,7 (rund 30 % Steuern und Abgaben) = 1079,22 € netto
Ich denke, es sollte angesichts dieser Zahlen niemand verwundert sein, dass sich so gut wie keine Männer, die eine Familie zu versorgen haben, bewerben. Und die wenigen Frauen, die dies tun, können aufgrund des Geschlechtsdimorphimus nicht dauerhaft mit Aufgaben betraut werden, wo Kraft und Körpergröße eine wesentliche Rolle spielen, z.B. Getränke, 2,10 Meter hohe Paletten. Und nein: An der Frischetheke, fallen nicht nur leichte Aufgaben an. Auch die Frischeware kommt in schweren Plastikkisten auf 2,10 Meter hohen Paletten an und muss abgehoben werden – einer Kollegin ist dabei vor einigen Monaten eine Kiste von oben herab weggerutscht und hat sich dabei einen komplizierten Daumenbruch zugezogen.
Fazit: Von nix kommt nix
„Denn während die Regale in den Läden prall gefüllt sind, bleiben die Plätze hinter den Theken zunehmend leer.“
Die Regale in den Läden sind nicht prall gefüllt, denn auch dort fehlt Personal an allen Ecken und Kanten. Das Personal kommt gar nicht so schnell hinterher, wie die Ware teils abverkauft wird, insbesondere bei dem immer absurdere Ausmaße annehmenden Werbeextremismus, wo ganze Truhen binnen 4 Stunden nach Aktionsstart kolliweise leergekauft sind. Hinzu kommen Social-Media-Hypes wie Dubai-Schokolade oder „Promi“-Energydrinks, die trotz grotesker Preise aus dem Nichts extreme Nachfrage erfahren. Zudem ist der Regalplatz für einzelne Produkte bzw. Sorten von Produkten viel zu klein. Dann ist z.B. der Stellplatz für den verkaufsstarken, stinknormalen Eigenmarken-Gouda viel zu klein, weil ja auch die anderen 30 Ladenhüter-Variationen von 10 Markenherstellern den knappen Regalplatz beanspruchen – man will es ja schließlich allen Recht machen: den gleichen Gouda bitte in Bio, Demeter, laktosefrei, vegan, halal, regional, halbfett, 0,1 % Fett, proteinreich, glutenfrei, gerieben, gehobelt, gewürfelt, ohne Rinde, Pizzagouda, Auflaufgouda, jung, alt, mittelalt, bei Vollmond gekäst (kein Witz!), Single-Haushalt-Größe, Maxi-Größe, aus Ziegenmilch, aus Schafsmilch, aus Heumilch und das ganze dann nochmal in verschiedenen Kombinationen. Vilfredo Pareto rotiert in seinem Grabe. Kaum hat man den stinknormalen Eigenmarken-Gouda in sein schmales Regalplätzchen gezwängt, ist er auch schon wieder abverkauft. Von den mittlerweile wöchentlichen Auslistungen und Neuanlagen, die teils zeitaufwändige Umbauten erfordern, ganz zu schweigen. Alles in allem ein extrem zeitaufwändiger Irrsinn am Rande der selbsverschuldeten Implosion.